Deutsche Treibhausgase verantwortlich für Schäden in Peru?

Die Geschichte klingt stark nach David gegen Goliath. Der moderne David heißt Saul Lliuya und ist Bauer in Peru. Vom deutschen RWE-Konzern verlangt Lliuya Geld, weil die RWE-Kraftwerke in Deutschland CO2 in die Atmosphäre pusten und so den Klimawandel vorantreiben. Vom Klimawandel ist der Landwirt in Peru akut betroffen. In der Nähe seines Hauses schmilzt nach seiner Darstellung ein Gletscher. Die Kosten für den Hochwasserschutz möchte LLiuya nun anteilig vom deutschen RWE-Konzern erstattet erhalten – und das Oberlandesgericht Hamm ebnet ihm hierzu derzeit den juristischen Weg.

Exakt 0,47 Prozent der weltweiten Treibhausgase stammen vom RWE, haben LLiuya bzw. seine Unterstützer von der Umweltorganisation Germanwatch errechnet. Das sei ein so beträchtlicher Anteil, dass das RWE greifbare Mitverantwortung für die klimabedingten Schäden trage – auch in Peru. Das RWE dagegen argumentiert, die weltweiten Treibhausgase hätten eine Vielzahl von Verursachern. Sie könnten nicht einem einzelnen Emittenten zugerechnet werden.

Diese schlichte Begründung scheint das Oberlandesgericht Hamm aber nicht zu überzeugen. Die Richter weisen darauf hin, auch rechtmäßiges Handeln verpflichte nach deutschem Recht zu Schadensersatz, wenn es das Eigentumsrecht eines anderen beeinträchtige. Die Klage sei auch schlüssig, weil der Kläger vom RWE nur anteiligen Schadensersatz verlange.

Dementsprechend ordnet das Oberlandesgericht nun eine Beweisaufnahme an. Ein Sachverständiger soll unter anderem klären, ob der Gletscher abschmilzt und das Haus des Bauern bedroht, ob hierfür tatsächlich der Klimawandel ursächlich ist und ob der Anteil von RWE an der „Verursachungskette“ bei 0,47 Prozent oder eventuell bei einem anderen Satz liegt.

Sollte sich all dies bestätigen, müsste das RWE mit einer Verurteilung rechnen. Es liegt auf der Hand, welche Signalwirkung ein Sieg von Saul Lliuya hätte. Deutsche CO2-Emittenten hätten dann mit Klagen aus der ganzen Welt zu rechnen. Allerdings ist mit der angeordneten Beweisaufnahme natürlich noch nicht gesagt, dass die Sachverständigen am Ende Lliuyas Sicht der Dinge bestätigen. Der Bauer gibt sich aber kämpferisch: „Das wird noch ein langer weg. Aber als Bergsteiger bin ich steinige Wege gewohnt“ (Aktenzeichen 5 U 15/17).

TK-Anbieter müssen in der Rechnung über Kündigungsfristen informieren

Hand aufs Herz: Wer kennt schon die genaue Kündigungsfrist für seinen Handy-, Telefon- oder Internetvertrag? Besonders ärgerlich kann das bei Anbietern werden, die eine Kündigung drei Monate vor Vertragsablauf verlangen. Ist die Frist verpasst, läuft der abgeschlossene Vertrag erst mal ein oder zwei Jahre weiter.

Dieses Problem ist ab morgen Vergangenheit. Telefon- und Internetanbieter sind nämlich ab dem 1. Dezember 2017 verpflichtet, auf jeder Monatsrechnung festzuhalten, bis wann der Vertrag läuft und – noch wichtiger – bis zu welchem Tag er spätestens gekündigt werden muss, um eine Verlängerung zu verhindern. Außerdem muss auf der Rechnung das Datum des Vertragsbeginns stehen.

Künftig genügt für den Verbraucher also ein Blick auf die monatliche Abrechnung, um den Stichtag für eine Kündigung im Auge zu behalten. Auch Gewerbetreibende oder Selbständige können darauf bestehen, dass der Telekommunikationsanbieter sie entsprechend informiert. Allerdings müssen sie den Anbieter hierzu auffordern.

Telekommunikationsanbietern, welche die neuen Transparenzangaben unterlassen, droht ein Bußgeld. Diese und andere durchaus verbraucherfreundliche Regelungen finden sich in der TK-Transparenzverordnung.

96-Jähriger soll vierjährige Haftstrafe antreten

Das OLG Celle hat entschieden, dass der ehemalige SS-Buchhalter Oskar Gröning, der wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 300.000 Fällen zu vier Jahren Haft verurteilt worden ist, seine Haftstrafe antreten muss.

Der 96-jährige Oskar Gröning war am 15.07.2015 vom Landgericht Lüneburg wegen Beihilfe zum Mord in dreihunderttausend Fällen zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt worden. Das Urteil ist rechtskräftig. Gröning beantragte wegen seines Gesundheitszustandes Vollstreckungsaufschub, scheiterte jetzt aber in letzter Instanz vor dem Oberlandesgericht.

Das Gericht geht auf der Basis eingeholter Sachverständigengutachten davon aus, dass der Verurteilte trotz seines hohen Alters vollzugstauglich ist. Es verstoße auch nicht gegen Grundrechte des Verurteilten, ihn in den Strafvollzug aufzunehmen. Bei Abwägung der Rechte des Verurteilten mit dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, überwiege letzteres. Es sei die Pflicht des Staates, die Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger und deren Vertrauen in die Funktionsfähigkeit staatlicher Institutionen zu schützen und die Gleichbehandlung aller in Strafverfahren rechtskräftig Verurteilten zu gewährleisten. Den besonderen Bedürfnissen des Verurteilten aufgrund seines hohen Alters könne durch entsprechende Vorsorge im Vollzug Rechnung getragen werden, heißt es in dem Beschluss.

Was die Aufarbeitung der KZ-Greuel und des gesamten NS-Erbes anbetrifft, haben sich die erwähnten „staatlichen Institutionen“ seit Gründung der Bundesrepublik nicht gerade durch übertriebenen Eifer hervorgetan. Es ist wohl kaum zu bestreiten, dass über Jahrzehnte hinweg gerade keine ernsthaften Versuche unternommen wurden, das damalige Unrecht konsequent aufzuarbeiten. Die weitaus meisten (Haupt-)Täter sind wohlversorgt verstorben, viele blickten noch auf eine schöne Karriere im öffentlichen Dienst zurück.

Ich persönlich empfinde es vor dem Hintergrund dieser offenkundigen Versäumnisse verfehlt, das damalige Wegschauen nun durch übertriebene Härte gegenüber einem fast Hundertjährigen zu kompensieren. Das Vertrauen in den Rechtsstaat lebt auch davon, dass der Staat Augenmaß zeigt, nicht in Extreme verfällt und damit sein menschliches Antlitz verliert.

Angeblich, so das Gericht schneidig, muss mit der Vollstreckung das „Vertrauen in die Gleichbehandlung aller in Strafverfahren rechtskräftig Verurteilten“ geschützt werden. So eine Aussage empfinde ich als heuchlerisch. Jeder andere kranke 96-Jährige hätte gute Aussichten, dass er eine vierjährige Haftstrafe nicht antreten muss – wenn es es sich nicht um eine mit Konzentrationslagern konnotierte Straftat handelte. Gerade auch deswegen, weil die Tat mehr als ein dreiviertel Jahrhundert zurückliegt. Das weiß jeder Richter, Staatsanwalt und Anwalt, der auch nur ab und zu mit solchen Fällen betraut ist. Aber auch Nichtjuristen wissen zu deuten, welche Signale der Staat aussendet. Hier ist es definitiv das Falsche (Aktenzeichen 3 Ws 491/17).

Keine Mondpreise für Telefonate in der Haft

Haftanstalten dürfen den Gefangenen keine Mondpreise für Telefonate berechnen. Auch nicht über Drittfirmen. Dies stellt das Bundesverfassungsgericht in einem heute veröffentlichen Beschluss klar. Die Richter geben einem Inhaftierten aus Schleswig-Holstein recht, der nach einem von einem privaten Exklusivanbieter vollzogenen Tarifwechsel plötzlich doppelt so viel für Telefonate nach draußen zahlen sollte.

Laut dem Gericht haben Gefangene zwar keinen Anspruch auf Gratisgespräche. Aber die Telefonkosten müssen ungefähr denen in der Freiheit entsprechen. Aufschläge seien nur zulässig, sofern sie sich aus speziellen „verteuernden Bedingungen und Erfordernissen“ des Strafvollzugs ergeben. Dies resultiere aus der Fürsorgepflicht der Haftanstalt für das Vermögen der Gefangenen, dem Resozialisierungsgebot und aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Letzteren definiert das Gericht sehr einprägsam dahingehend, Strafe dürfe bei uns nur „ein in seinen negativen Auswirkungen auf die Persönlichkeit des Betroffenen nach Möglichkeit zu minimierendes Übel“ sein.

Die Haftanstalt hatte sich vertraglich 15 Jahre an den Anbieter gebunden und berief sich darauf, dass sie in der Vertragslaufzeit keinen Einfluss auf die Entgelte habe. Das Outsourcing rechtfertigt laut dem Richterspruch aber keine Abkopplung von den marktüblichen Tarifen. Wenn die Haftanstalt ungünstige und nicht zeitgemäße Verträge abschließe, sei das ihr Problem und dürfe das nicht auf den Gefangenen abgewälzt werden.

Die Entscheidung hat für viele Vollzugsanstalten Bedeutung. Denn nicht überall, aber doch weit verbreitet, müssen Gefangene selbst für Telefonate ins deutsche Festnetz Sätze zahlen, die man draußen höchstens bei Telefonaten nach Übersee kennt (Aktenzeichen 2 BvR 222/16).

Auch absoluter Schutz ist relativ

Die Kommunikation zwischen einem Verteidiger und seinem Mandanten ist besonders sensibel. Deshalb gibt es einschlägige Vorschriften, und auch das Bundesverfassungsgericht hat schon diverse Machtworte gesprochen. Die entsprechenden Paragrafen sind sehr kompliziert formuliert, deshalb zitiere ich das, was ein Kommentar zur Strafprozessordnung schön zusammenfasst:

Die Kommunikation des Beschuldigten mit seinem Verteidiger ist nahezu absolut geschützt.

Da ist man als Verteidiger natürlich nicht sehr erfreut, wenn man beim Durchblättern der Ermittlungsakte auf Mails stößt, die einem vertraut vorkommen. Weil man sie selbst mit dem Mandanten gewechselt hat. Gut, könnte man sagen, die Polizei hat halt einen Beschlagnahmebeschluss des Gerichts ausgeführt und sich vom E-Mail-Provider den gesamten Inhalt des Postfachs des Beschuldigten zusenden lassen. Woher sollten die denn auch vorher wissen, was sich im Postfach findet?

Angesichts der eingangs dargelegten Rechtslage wird es aber schon etwas bizarr, wenn die zuständige Polizeibeamtin dann gezielt nur die Mails zwischen Anwalt und Verteidiger raussucht (weil es darin ja auch um die betreffende Sache geht) – und diese Mails dann stolz als „Ermittlungsergebnis“ an die Staatsanwaltschaft übersendet. Nach dem Motto: Wir haben zwar keine Beweise, aber die Mails sind ja auch eine Art Geständnis.

Sind sie schon inhaltlich nicht, aber darauf kommt es gar nicht an. Als Verteidiger bleibt man notgedrungen Optimist. Wenn sich die Polizei nicht für die Rechtslage interessiert, dann wird es doch wenigstens der zuständige Staatsanwalt tun. An sich hätte dieser sämtliche Mails aus der Akte nehmen, die dazu gehörigen Dateien löschen und dokumentieren müssen, wie dies genau geschehen ist.

Passiert ist nichts von alledem. Stattdessen kriege ich als Verteidiger die Akte mit der Mandantenpost zur Einsicht zugesendet, obwohl sich aus Unterlagen ergibt, dass der Staatsanwalt noch diverse Male in die Unterlagen geguckt haben muss. Unbekannt waren ihm die Verteidigungsunterlagen also definitiv nicht. Getriggert hat’s bei ihm aber nicht.

Ich werde mal nachhelfen und den telefonisch fragen, ob er die fraglichen „Ermittlungsergebnisse“ nicht wenigstens jetzt noch aus der Akte nehmen will. Ich bin eigentlich guter Dinge, dass dies ohne großen Stress klappen wird. Wie gesagt, die betreffenden Paragrafen sind schon sehr kompliziert…

Mich selbst ziehe ich kräftig an den Ohren und nehme mir vor, Mandanten noch eingehender auf die Möglichkeit hinzuweisen, verschlüsselte Mails zu wechseln.

Großartig: Dienstleister druckt mir die E-Mails aus

Die Vorfreude auf das „besondere elektronische Anwaltspostfach“ (beA) entspricht ungefähr der Meinung über das heutige Wetter. Brrrrr. Jedenfalls unter den Anwälten, mit denen ich schon mal darüber spreche. Ab 1.1.2018 wird aber wohl oder übel eine Art passiver Nutzungspflicht eingeführt. Das heißt, über das beA zugesandte Nachrichten gelten möglicherweise als zugestellt, auch wenn man als Anwalt gar nicht in sein beA-Postfach guckt.

Für beA-Muffel, die sich das sperrige IT-Gedöns nicht antun, aber trotzdem keine Risiken eingehen wollen, zeigt sich jetzt ein wenig Licht am Horizont. Ein Dienstleister bietet nämlich einen beA-Service, der gleichermaßen simpel wie clever ist. Die Firma Soldan (jedem Anwalt bekannt als Lieferant von Aktenbögen, Vollmachten und den sonstigen Bürobedarf) nimmt ihren Anwalts-Kunden die leidige Aufgabe ab, selbst ins beA zu schauen oder mit einem mulmigen Gefühl zu leben.

Sollte sich nämlich wider Erwarten doch mal eine Nachricht in ein nur passiv genutztes Postfach verirren, druckt Soldan die Mail aus und schickt sie dem Anwalt per Briefpost zu. Das Ganze kostet 20 Euro im Monat, zuzüglich dem Porto für die einzelnen Nachrichten.

Es gibt ja ohnehin Stimmen, die dem beA das gleiche Schicksal prophezeien wie De-Mail oder der Gesundheitskarte. Der Abruf- und Ausdruckservice könnte also eine nervenschonende Alternative sein. Wenn das beA dann für tot erklärt wird, kann man ja wieder kündigen.

Kalte Frikadellen mit Salzgurken

In Baden-Württemberg dürfen kleinere Gaststätten ihren Gästen das Rauchen erlauben, wenn in dem Lokal nur „kalte Speisen einfacher Art zum Verzehr an Ort und Stelle verabreicht“ werden. Was aber ist, wenn sich Gäste die Pizza von einem Lieferdienst in die Kneipe bringen lassen? Diese Frage hat jetzt das Oberlandesgericht Karlsruhe ganz im Sinne hungriger Gaststättenbesucher beantwortet – und eröffnet so womöglich ein Schlupfloch im ewigen Streit zwischen Rauchern und Nichtrauchern.

Im entschiedenen Fall hatten sich mindestens vier Gäste „Pizzen mit Salatbeilage“ ins Lokal liefern lassen. Der Gastwirt stellte ihnen auf Wunsch Essbesteck zur Verfügung. Für die Ordnungsbehörde ein klarer Verstoss gegen den Nichtraucherschutz, der mit einem Bußgeld zu ahnden ist. Das Oberlandesgericht Karlsruhe zieht jedoch wirklich alle Register für eine saubere juristische Begründung des Gegenteils.

Zunächst stellt sich die Frage, ob eine Pizza nicht möglicherweise eine „kalte Speise einfacher Art“ ist. Diese kalte Speise wäre auch in einer Raucherkneipe erlaubt. Dazu erklären die Richter erst mal, was man unter einer kalten Speise einfacher Art verstehen darf:

Belegtes Brot oder Brötchen, Sandwiches, Butterbrezeln, kalte Frikadellen mit Salzgurken, kalte Kasseler, Sülzen mit Senf, Dauerwurst und andere kalte Räucherwaren, (Wurst- oder Käse-)Salate, Käse, kalte gekochte Eier, einfaches kaltes Gemüse, kalte Backwaren, Konserven, Konfitüren, Salzgebäck, Kekse und ähnliches.

Der Salat fällt da noch drunter, sagen die Richter. Bei der Pizza tun sich die Juristen allerdings schwer. Sicherheitshalber erklären sie aber vorab, was eine Pizza ist:

(Bei einer Pizza) handelt es sich um eine – meist heiß servierte – aus dünn ausgerolltem und mit Tomatenscheiben, Käse u.a. belegtem Hefeteig gebackene pikante italienische Spezialität (Duden, Stichwort „Pizza“). Mangels gegenteiliger Feststellungen ist davon auszugehen, dass die Pizzen entsprechend den ganz üblichen Liefer- und Verzehrgewohnheiten jedenfalls noch im warmen Zustand angeliefert worden waren, sodass es sich bei diesen nicht um eine „kalte“ Speise gehandelt hat.

Damit war der Wirt aber noch nicht überführt. Das Gaststättengesetz fordert nämlich, dass er die Speisen „verabreicht“. Das Gericht betreibt hier intensive Sprachkunde:

Der Begriff des „Verabreichens“ bedeutet als transitives Verb „jemandem etwas (eine Substanz) zu essen, zu trinken, zum Einnehmen o. Ä. geben, damit dieser es einnimmt“ (Duden, Stichwort „verabreichen“; www.wortbedeutung.info, Stichwort „verabreichen“). Der Wortsinn ist daher enger als der – übergeordnete – allgemeinere Begriff „geben“ (www.wortbedeutung.info aaO). Dies zeigt sich auch an den Synonymen zu dem Verb „verabreichen“, bei denen es sich um „einflößen“, „(ein)geben“, (Medizin) „applizieren“ und „verabfolgen“ handelt (Duden aaO). Angesichts dessen wurde durch die bloße Übergabe des Bestecks an die Gäste, das lediglich als „Esshilfe“ Verwendung finden sollte, keine (warme) Speise verabreicht.

Und weiter:

Der Fall ist vergleichbar mit der Abgabe heißen Wassers durch den Wirt an einen Gast, welcher sich sodann unter Verwendung von ihm selbst mitgebrachter Teebeutel oder mitgebrachten Kaffeepulvers ein heißes Getränk zubereitet; hierdurch wird kein Getränk „verabreicht“, weil der Gast die Art des Getränkes bestimmt und nicht der Wirt (Erbs/Kohlhaas/Ambs, GastG, 215. EL Juni 2017, § 1 Rn. 13).

Also hat der Wirt die Fremdesser in seinem Lokal geduldet, aber gleichwohl nichts im Sinne des Gesetzes verabreicht. Zumal das Gericht ergänzend darauf hinweist, dass das Besteck möglicherweise nur erbeten wurde, um den Salat essen zu können. Auch hier verweisen die Richter, offensichtlich gestählt durch eigene Sachkunde, auf die einschlägigen Gepflogenheiten bei Bringdiensten:

Durch Pizzalieferdienste überbrachte Pizzen (sind) üblicherweise bereits vorgeschnitten, so dass man bei diesen zum Verzehr nicht auf Besteck angewiesen ist.

Der Wirt freut sich über einen Freispruch (Aktenzeichen 2 Rb 8 Ss 606/17).

Überzogenes Hausverbot im Jobcenter

Etwas über das Ziel hinausgeschossen ist das Jobcenter Märkischer Kreis. Dessen Chef hatte einem Leistungsbezieher, der gleichzeitig als Beistand im Verein aufRECHT in Iserlohn tätig ist, ein 18-monatiges Hausverbot erteilt. Der Mann hatte im Juni im Wartebereich des Jobcenters ein Foto von einem Vordruck der Behörde gemacht.

Mit dem Bild verstieß der Mann zwar gegen das Fotografierverbot in den Räumen des Jobcenters. Allerdings rechtfertigt der Verstoß gegen die Hausordnung nach Auffassung des Sozialgerichts Dortmund keine derart harte Maßnahme. Die Aufnahme habe nicht zu einer „massiven oder nachhaltigen Störung des Geschäftsbetriebs“ geführt. Daher hätte es auch gereicht, das Hausverbot anzudrohen.

Auch die Dauer des Hausverbots bis zum 31.12.2018 hält das Gericht für unverhältnismäßig lang. Eine einmalige „Störung des Dienstbetriebs“ rechtfertige es keinesfalls, den Antragsteller für rund anderthalb Jahre von einer Tätigkeit als Beistand von Leistungsbeziehern auszuschließen.

§ 13 SGB X gibt jedem Leistungsbezieher unter anderem das Recht, bei Behördenterminen mit einem Beistand zu erscheinen (Aktenzeichen S 30 AS 5263/17 ER).

Ein alter Paragraf, bislang keine Urteile

Weil sie auf ihrer Webseite als Leistung unter anderem Schwangerschaftsabbrüche erwähnte und auch Informationsmaterial zur Verfügung stellte, ist eine Ärztin in Gießen zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Das Amtsgericht Gießen sieht hierin eine unerlaubte Werbung für Schwangerschaftsabbrüche nach § 219a StGB.

Wohlgemerkt, die Medizinerin darf Schwangerschaften abbrechen, wenn ihre Patientinnen eine Bescheinigung über die gesetzlich vorgeschriebene Beratung haben. Sie darf aber nicht öffentlich erwähnen, dass sie Schwangerschaften abbricht. „Der Gesetzgeber möchte nicht, dass über den Schwangerschaftsabbruch in der Öffentlichkeit diskutiert wird als sei es eine normale Sache“, zitiert die Süddeutsche Zeitung die Richterin.

Egal, ob man das im Ergebnis richtig oder falsch findet, genau so wird der einschlägige Paragraf bislang verstanden. Alle Strafrechtskommentare weisen darauf hin, dass es wohl reicht, wenn ein Arzt auf seine Bereitschaft für eine entsprechende Behandlung hinweist, möglicherweise sogar zwischen den Zeilen. So wollte es wohl auch der damalige Gesetzgeber. Weitere Voraussetzung ist dann nur, dass der Arzt wegen eines Vermögenvorteils handelt. Aber auch das ist natürlich keine große Hürde, denn auch die Gießener Ärztin arbeitet natürlich nicht umsonst.

Bleibt als Rückzugsmöglichkeit nur das, was die Verteidigerin der Angeklagten vorbringt. Dass es sich nämlich noch gar nicht um ein „Angebot“ handelt, sondern lediglich um eine sachliche Information. Wichtig ist ja, dass die Überschrift des § 219a StGB ausdrücklich lautet:

Werbung für den Abbruch der Schangerschaft

Alles, was nach dem Oberbegriff also gar keine „Werbung“ ist, wäre somit vielleicht doch nicht von der Regelung erfasst. Überdies ist bei fehlendem eigenem Erwerbsinteresse ansonsten auch nur das „grob anstößige“ Handeln untersagt. Das bedeutet, dass Personen und Institutionen, die kein eigenes Erwerbsinteresse haben, jedenfalls sachlich über Schwangerschaftsabbrüche informieren dürfen. Wieso das dann einer Ärztin untersagt werden muss, ist dann wirklich eine Frage. Das Isso vom Amtsgericht Gießen hilft jedenfalls kaum weiter, wenn man nach Sinn und Unsinn der Vorschrift fragt.

Immerhin scheint die deutsche Justiz auch gewisse Probleme mit der Vorschrift zu haben. Bis nun die Gießener Strafverfolger tätig wurden, gab es wohl immer mal wieder Strafanzeigen gegen Abtreibungsärzte, die öffentlich über ihre Tätigkeit informierten. Die Verfahren wurden aber anscheinend alle eingestellt.

Jedenfalls ist der § 219a StGB einer der wenigen Paragrafen, für den die Urteilsdatenbanken kein einziges Strafurteil auswerfen. Also ist es keineswegs ausgeschlossen, dass die nächsten Instanzen und letztlich das Bundesverfassungsgericht die Schwelle zur verbotenen Werbung doch etwas höher hängen als das Gießener Amtsgericht. Am Ende könnte da auch der Zeitgeist eine Rolle spielen. Der dürfte sich seit den Siebzigern doch etwas gewandelt haben.

„Jegliche andere Sichtweise würde dem Denunziantentum Tür und Tor öffnen“

Tag für Tag gehen bei den Strafverfolgungsbehörden anonyme Anzeigen ein. Wie ist damit umzugehen? Das Landgericht Augsburg vertritt eine klare Meinung: Eine substanzarme, anonyme Anzeige reicht grundsätzlich nicht aus, um einen Anfangsverdacht zu rechtfertigen. Dementsprechend lehnt das Gericht die von der Staatsanwaltschaft beantragte Durchsuchung eines Wohnhauses ab.

Bei der Polizei war eine anonyme Anzeige eingegangen. Darin hieß es:

Die Pädophilen sind überall. So ist mir bekannt, dass auch in D. die Pädophilen ihr Unwesen treiben. Besonders Herr … und sein Sohn vertreiben Kinderpornographie der übelsten Art. Der Computer ist im Keller versteckt.

Die Staatsanwaltschaft beharrte darauf, dass an der genannten Adresse durchsucht wird.

Dazu findet das Landgericht Augsburg deutliche Worte. Ich zitiere aus der Entscheidung:

Im Einklang mit der eindeutigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 14.07.2017, 2 BvR 274/14) bedeutet dies, dass eine anonyme Anzeige grundsätzlich nicht ausreicht einen Anfangsverdacht zu begründen.

Jegliche andere Sichtweise würde dem Denunziantentum Tür und Tor öffnen.

Es ist mit der Rechtsordnung und dem Wertesystem der Bundesrepublik Deutschland nicht vereinbar, wenn allein aufgrund einer anonymen Behauptung Durchsuchungen bei bislang völlig unbescholtenen Bürgern erfolgen. Insoweit hat die Staatsanwaltschaft auch die Unschuldsvermutung zu beachten.

Soweit die Staatsanwaltschaft die anonyme Anzeige rechtsirrig für nicht pauschal erachtet, weil eine Adresse angegeben wurde und als Standort eines Computers der Keller genannt wurde, verkennt sie, dass sich aus derart nichtssagenden Angaben bei objektiver Betrachtung keinerlei Erkenntnisse ergeben, die einen Verdacht begründen oder erhärten können.

Daraus, dass ein Haus einen Keller hat, lässt sich jedenfalls kein Schluss darauf ziehen, dass kinderpornographische Schriften vertrieben werden. Und die Behauptung, dort sei ein Computer, ist genauso pauschal gehalten, wie die Beschuldigung selbst. Rückschlüsse auf den Wahrheitsgehalt der anonymen Anzeige lassen sich hieraus nicht ziehen.

Anders als bei namentlich gekennzeichneten Anzeigen setzt sich ein anonymer Anzeigeerstatter nicht der Strafverfolgung wegen falscher Verdächtigung und übler Nachrede aus. Weder die Glaubwürdigkeit des Anzeigeerstatters noch die Glaubhaftigkeit seiner Angaben ist für die Ermittlungsbehörden einschätzbar. Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb im bereits zitierten Beschluss ausführlich und zu Recht dargelegt, dass eine anonyme Anzeige nur genügen kann, „wenn sie von beträchtlicher sachlicher Qualität ist oder mit ihr zusammen schlüssiges Tatsachenmaterial vorgelegt wird.“

Beides ist im vorliegenden Fall so offensichtlich nicht gegeben, dass sich die Frage stellt, ob die Einleitung eines förmlichen Ermittlungsverfahrens im vorliegenden Fall überhaupt zulässig war, zumal bereits Form und Diktion der Anzeige im vorliegenden Fall die Glaubhaftigkeit der Behauptungen nicht unterstreichen.

Dem ist nichts hinzuzufügen. Außer, dass es wünschenswert wäre, wenn diese Vorgaben in der täglichen Praxis auch anderswo öfter beachtet würden (Aktenzeichen 1 Qs 339/17).

PayPal-Käuferschutz ersetzt kein Gerichtsurteil

Der Bundesgerichtshof hat sich erstmals mit dem Käuferschutz von PayPal befasst. Es ging in zwei Fällen um die Frage, ob Verkäufer trotzdem noch den Kaufpreis verlangen können, wenn PayPal den Käuferschutz bejaht und den Kaufpreis an den Käufer zurückgebucht hat.

Laut dem Grundsatzurteil ändert eine erfolgte Rückabwicklung über den Käuferschutz nichts an den wechselseitigen Ansprüchen von Käufer und Verkäufer. Das heißt: Selbst wenn der Käuferschutz gegriffen hat, muss der Verkäufer sich damit nicht abfinden. Er kann den Kaufpreis ganz normal vor Gericht einklagen – wenn er sich unrichtig behandelt fühlt.

Auf Käuferseite war das bisher ohnehin schon klar. Wenn ein Käufer, der entweder keine oder die falsche Ware erhalten hat, erfolglos um Käuferschutz bittet, ist ihm der Rechtsweg ganz eindeutig nicht abgeschnitten. Das muss dann aber, so das Gericht, umgekehrt auch für den Verkäufer gelten, wenn er im Streitfall den bereits erhaltenen Kaufpreis von PayPal wieder abgezogen erhält.

Problematisch wird das Ganze allerdings aus akademischen Gründen: Die Kaufpreisforderung war ja mit der Zahlung juristisch erfüllt und somit erloschen. Es fragt sich also, wie sie nach der Rückbuchung durch PayPal wieder aufleben kann. Der Bundesgerichtshof wählt den Weg der ergänzenden Vertragsauslegung. Er nimmt eine stillschweigende Abrede zwischen den Vertragsparteien an, dass der Streitfall nicht abschließend durch PayPal geregelt werden kann. Immerhin, so das Gericht, prüfe PayPal den Sachverhalt nur „vereinfacht“.

Als enttäuschter Käufer darf man sich also darüber freuen, dass man über den Käuferschutz das Geld zurückbekommen hat. Das letzte Wort sprechen aber die Gerichte, wenn sich der Verkäufer damit nicht abfinden will (Aktenzeichen VIII ZR 83/16).

Kleine Parteien behalten Chancen in NRW-Stadträten

In Nordrhein-Westfalen gibt es auch weiterhin keine Sperrklausel bei Kommunalwahlen. Der Verfassungsgerichtshof kippte ein Landesgesetz, mit dem jüngst eine Sperrklausel von 2,5 Prozent eingeführt worden ist. Die Richter sehen die Gleichheit der Wahl verletzt, wenn Stimmen für die Kommunalwahlen durch die Sperrklausel unter den Tisch fallen.

Die Landtagsmehrheit hatte das Gesetz mit der Begründung beschlossen, durch das vermehrte Aufkommen kleinerer Parteien drohe eine Zersplitterung der Parlamente. Das hält auch das Verfassungsgericht nicht für ausgeschlossen. Jedoch müsse anhand genauer empirischer Zahlen dargelegt werden, dass dies der Fall ist oder konkret droht. Insoweit vermissen die Richter eine hinreichende Begründung für das Gesetz.

Bestand hat die neue Sperrklausel aber bei den Wahlen der Bezirksvertretungen und der Regionalsversammlung Ruhr. Hier gälten aufgrund der Landesverfassung weniger strenge Maßstäbe und der Gesetzgeber habe einen größeren Spielraum.

Geklagt hatten diverse kleinere Parteien, darunter die Piratenpartei, Die Linke, die Partei, der ÖDP, die Tierschutzpartei sowie die NPD und PRO NRW (Aktenzeichen VerfGH 9/16, 11/16, 15/16, 16/16, 17/16, 18/16 und 21/16).

Airline haftet für Sicherheit beim Ein- und Ausstieg

Fluggesellschaften haften auch, wenn sich ein Passagier beim Ein- oder Aussteigen auf der Fluggastbrücke verletzt. Dies hat der Bundesgerichtshof entschieden. Die Vorinstanzen hatte die Klage eines Reisenden noch abgewiesen. Der Mann war beim Einstieg ins Flugzeug in Düsseldorf auf einer durch Kondenswasser feuchten Stelle ausgerutscht und hatte sich die Kniescheibe gebrochen.

Die Schutzvorschriften über den Flugverkehr (Montrealer Übereinkommen) gelten laut dem Urteil für den kompletten Einsteigevorgang. Dieser umfasse jedenfalls das Besteigen einer Flugzeugtreppe oder das Gehen über eine Fluggastbrücke. Die Fluggastbrücke berge wegen des konstruktionsbedingt fehlenden Handlaufs, des von der Höhe und Lage des Flugzeuges abhängigen Gefälles und der durch die Temperaturunterschiede höheren Gefahr von Kondenswasser besondere Risiken. Vor diesen Risiken solle der Reisende umfassend geschützt werde (Aktenzeichen X ZR 30/15).

Beim Online-Shopping sollen virtuelle Grenzen fallen

Die EU möchte Geoblocking im Online-Handel weitgehend unterbinden. Ab dem Herbst nächsten Jahres sollen Verbraucher beliebige Waren und Dienstleistungen innerhalb der ganzen EU ebenso online einkaufen können wie zu Hause. Die Verbraucher dürfen nicht länger auf Webseiten mit nationalen Angeboten umgelenkt oder mit ungerechtfertigten Hindernissen konfrontiert werden.

So ist es künftig untersagt, dass Online-Händler ihre Kunden auffordern, mit einer in einem anderen Land ausgestellten Kreditkarte zu zahlen. Weitere Konstellationen führt die EU-Kommission auf:

1. Der Verkauf von Waren ohne physische Lieferung

Beispiel: Ein belgischer Kunde möchte einen Kühlschrank kaufen und findet das beste Angebot auf einer deutschen Website. Der Kunde ist berechtigt, die Ware zu bestellen und beim Händler abzuholen oder die Lieferung selbst zu organisieren.

2. Verkauf von elektronisch erbrachten Dienstleistungen

Beispiel: Eine bulgarische Kundin möchte Hosting-Services für ihre Website von einem spanischen Unternehmen kaufen. Sie wird nun Zugang zu diesem Service haben, sich registrieren und diesen Service kaufen können, ohne zusätzliche Gebühren im Vergleich zu einem spanischen Verbraucher bezahlen zu müssen.

3. Der Verkauf von Dienstleistungen, die an einem bestimmten physischen Ort erbracht werden

Beispiel: Eine italienische Familie kann eine Reise direkt zu einem Vergnügungspark in Frankreich kaufen, ohne auf eine italienische Website weitergeleitet zu werden.

Die Regelungen treten in neun Monaten in Kraft. Die Übergangsfrist soll es Händlern ermöglichen, ihre Angebote anzupassen.

Zwei Versicherungen müssen nur einmal zahlen

Wenn man „zufällig“ zwei Versicherungen hat, kann man dann auch bei einem Schaden doppelt abrechnen? Was nach einem schlauen Plan klingt, ist in Wirklichkeit keine gute Idee. In einem aktuellen Fall wies das Oberlandesgericht Oldenburg jetzt die Forderung eines Mannes ab, der einen Brandschaden von 40.000 Euro doppelt erstattet haben wollte.

Der Kläger hatte zwei Hausratspolicen. Dementsprechend wollte er seinen Schaden auch von beiden Versicherungen erstattet haben. Allerdings kam die Doppelversicherung durch einen Zufall heraus. Ebenso, dass der Mann schon mehrere Schäden gemeldet hatte. Den Versicherungen hatte er aber in diesen Fällen bestätigt, dass es keine weitere Versicherung gibt.

Nun durften beide Versicherungen die Leistung komplett verweigern, dann nach Meinung der Richter spricht vieles für eine gezielte Täuschung. Aber auch wenn keine Täuschung beabsichtigt sei, müsse stets nur der tatsächlich eingetretene Schaden erstattet werden. Entweder von einer Versicherung oder anteilig durch beide. Keinesfalls könne ein Versicherter mit der Zahl seiner Policen auch seine Ersatzansprüche vervielfachen (Aktenzeichen 5 U 18/17).