„Fahndung“ der Bildzeitung war erlaubt

„Gesucht! Wer kennt diese G20-Verbrecher?“ war unter anderem der Titel einer intensiven Berichterstattung der Bildzeitung zu den G20-Krawallen während des Gipfeltreffens in Hamburg. Gegen die „Fahndungsbilder“ aus dem Jahr 2017 hatte sich eine Frau gewehrt und in den Vorinstanzen auch Erfolg. Der Bundesgerichtshof sieht die Sache jedoch anders.

Auf zwei Bildern war die Frau zu erkennen, wie sie vor einem verwüsteten Drogerie-Markt Waren aufhebt. Trotz der reißerischen Aufmachung habe die Berichterstattung einen „ganz erheblichen Informationswert“, heißt es in der Karlsruheer Entscheidung. Der Leser werde angeregt, „sich mit den konkreten Details des Geschehens zu befassen und dabei genau hinzusehen“.

Die Veröffentlichung belaste die Klägerin zweifellos. Dennoch führe sie sie jedoch nicht zu einer Stigmatisierung, Ausgrenzung oder Prangerwirkung. Nicht Personalisierung stehe im Vordergrund, sondern „das Anliegen, die Bandbreite des Verhaltens verschiedener Personen während der Ausschreitungen und die Schwierigkeiten ihrer Identifizierung zu veranschaulichen“. Die Aufnahmen gehörten zu einem wichtigen Zeitgeschehen, deshalb träten die Persönlichkeitsrechte zurück. Die Bild-Zeitung sieht in einer Stellungnahme die Pressefreiheit gestärkt (Aktenzeichen VI ZR 449/19).

Urteil zum Cyber-Grooming

Cyber-Grooming, also das Verleiten von Kindern zu sexuellen Handlungen über das Internet, beschäftigt die Gerichte immer häufiger. Der Bundesgerichtshof hat jetzt die Frage geklärt, ob auch die Verbreitung von einem Kind selbst gemachter Aufnahmen als Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs strafbar sein können.

Ein Angeklagter hatte sich von einem Kind intime Aufnahmen verschafft, die dieses selbst bei sich zu Hause gemacht hatte. Er wurde deshalb nach § 201a StGB verurteilt, machte aber geltend, die Strafvorschrift gelte nicht für Selfies. Das sieht der Bundesgerichtshof anders. Weder nach dem Wortlaut noch nach dem Gesetzeszweck seien selbsgemachte Bilder ausgeschlossen.

Die Verbreitung der Aufnahme begründe einen eigenständigen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der abgebildeten Person, weil darin ein Vertrauensmissbrauch liege. Unabhängig davon, wie die Bilder entstanden seien und wer sie gemacht habe, solle die Weitergabe verhindert werden (Aktenzeichen 4 StR 49/20).

Beherbergungsverbot erschwert Gerichtsverfahren

Die Beherbergungsverbote sorgen auch bei der Justiz für Probleme. So hat das Bundesverfassungsgericht eine für heute 10 Uhr anberaumte Verhandlung auf 12 Uhr verschoben. Es ging um eine Klage der Linksfraktion wegen des Ceta-Freihandelsabkommens. Dazu wären mehrere Prozessteilnehmer aus Berlin angereist.

Den baden-württembergischen Hotels ist es derzeit aber untersagt, Gäste aus Berlin zu beherbergen. Die Vorschriften machen keinen Unterschied zwischen privaten und geschäftlichen Reisen. Das Gericht verschob den üblichen Verhandlungsbeginn (10 Uhr), damit die Beteiligten ohne Übernachtung anreisen können. Außerdem soll bis maximal 17.30 Uhr verhandelt werden, damit alle wieder nach Hause kommen.

Ich habe in meinem Terminkalender auch einige Verhandlungen, zu denen ich nicht am Morgen anreisen kann, weil ich sonst verhandlungsunfähig wäre. Mal sehen, wie sich das weiter entwickelt. Ich rechne sowieso auf einen weitgehenden Lockdown ähnlich wie im Frühjahr. Dann hätte sich das mit den Gerichtsterminen ohnehin erledigt.

Anwaltskosten bei Flugverspätung

Fluggesellschaften müssen Passagiere unaufgefordert über ihre Rechte informieren, wenn Flüge mehr als zwei Stunden verspätet sind und den Reisenden eine Entschädigung zusteht. Geschieht dies nicht, muss die Airline auch die Kosten für einen Anwalt erstatten, der die Reisenden über ihre Rechte aufklärt und die Ausgleichszahlung geltend macht. Das hat der Bundesgerichtshof entschieden.

Nach Art. 14 Abs. 2 FluggastrechteVO haben Reisende bei einer relevanten Verspätung Anspruch auf eine schriftliche Information über ihre Rechte. Hierbei handelt es sich um eine Bringschuld der Airline, urteilt der Bundesgerichtshof, die nicht erst auf Nachfrage erfüllt werden muss. Erhalten die Reisenden keine ausreichenden Informationen, können sie den Ersatz ihrer außergerichtlichen Anwaltskosten verlangen. Im konkreten Fall waren das rund 130 Euro.

Die Vorinstanzen hatten noch anders entschieden (Aktenzeichen X ZR 97/19).

Bitte einen Anwalt fragen

Herr N. ist zwei Mal verurteilt worden. Einmal zu einer Geldstrafe von 130 Tagessätzen. Und später zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und 11 Monaten auf Bewährung.

Die Strafen sind, wie man so unter Juristen sagt, gesamtstrafenfähig. Das ist fast immer der Fall, wenn die Sache an sich auch in einem Gerichtstermin hätte verhandelt werden können. Da dies aber oft nicht passiert, gibt es auch die Möglichkeit der nachträglichen Gesamtrafenbildung. Das heißt, die Strafen werden nachträglich zusammengezogen – was natürlich in aller Regel auf eine maßvolle Erhöhung der höchsten Einzelstrafe hinaus läuft.

Herr N. sah darin eine gute Gelegenheit, von der Geldstrafe runterzukommen. Die Staatsanwaltschaft wollte dagegen von der Möglichkeit Gebrauch machen, Geld- und Freiheitsstrafe nebeneinander bestehen zu lassen. Die Sache landete dann vor Gericht, wo Herr N. in einer Anhörung vehement für seine Idee warb: Zwei Jahre auf Bewährung, Geldstrafe weg – und alles ist gut. Denn Bewährung als solche tut ja nicht weh, schon gar nicht im Geldbeutel.

Der Richter erklärte Herrn N., dass eine Geldstrafe von 130 Tagessätzen „umgerechnet“ rund vier Monate Freiheitsstrafe bedeutet, wenn der Verurteilte nicht zahlt. Das wären also drei Monate Rabatt für Herrn N., was der Richter doch wieder für kaum vertretbar hielt. Mehr als ein zusätzlicher Monat Freiheitsstrafe hätte aber zur Folge gehabt, dass die Strafe nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden muss (Grenze: 2 Jahre). Herr N. hätte in diesem Fall also ins Gefängnis gemusst.

Der Richter diktierte Folgendes ins Protokoll:

Der Verurteilte besteht auf einer Auflösung der Einzelstrafen und Bildung einer Gesamtstrafe. Er widerspricht insoweit dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Dem Verurteilten wird die Sach- und Rechtslage dargelegt und dringend geraten, sich von einem Rechtsanwalt unabhängig beraten zu lassen.

Die Beratung habe ich dann gerne geleistet. Immerhin mit dem Ergebnis, dass Herr N. eingesehen hat, dass man auch mit Zitronen handeln kann. Chapeau an den Richter. Viele seiner Kollegen hätten womöglich nach dem Motto gehandelt, dass man niemandem zu seinem Glück zwingen sollte.

Max Mustermann speist in ganz NRW

Seit dem 01. Oktober 2020 handelt in Nordrhein-Westfalen ordnungswidrig, wer im Rahmen der Corona-Kontaktverfolgung in Restaurants oder Bars einen falschen Namen, eine falsche Adresse oder eine falsche Telefonnummer bzw. E-Mail-Adresse angibt. Laut der Internetseite des Landes NRW wird ein Regelbußgeld von 250 € fällig, das im Einzelfall aber auch höher oder niedriger ausfallen kann.

Doch was macht man, wenn man in einer Lokalität mit dem Verdacht falscher Angaben konfrontiert wird?

Der Betreiber einer Bar, eines Cafés oder eines Restaurants hat grundsätzlich das Hausrecht. Daher kann er Personen bereits den Eintritt verwehren, wenn sie zur Einhaltung der bestehenden Regeln nicht bereit sind. Dazu ist er sogar nach der Anlage „Hygiene- und Infektionsschutzstandards“ zur CoronaSchVO NRW verpflichtet.

Ist man aber bereits in dem Lokals und wird erst später falscher Angaben verdächtigt, kann der Inhaber bzw. sein Personal dieses Hausrecht ebenso jederzeit ausüben. Spannend wäre dann die Frage, ob man ein bereits halb gegessenes Schnitzel auch nur halb bezahlen muss.

An dieser Stelle geht es mir aber um folgenden Hinweis: Es besteht keine Pflicht, sich gegenüber einer Privatperson auszuweisen. Dazu gehören auch Gastronomen. Der Betreiber kann das Ordnungsamt oder die Polizei rufen oder nachträglich informieren, um die Personalien feststellen zu lassen – sofern dann daran Interesse besteht.

Der Betroffene, und das ist das Entscheidende, ist allerdings nicht verpflichtet zu warten. Ein Festnahmerecht („auf frischer Tat ertappt“) kann der Gastwirt nicht für sich beanspruchen. Das Festnahmerecht nach § 127 StPO gilt nicht für Ordnungswidrigkeiten (§ 46 Abs. 3 OWiG). Somit hätte das Personal keine legale Recht, einen Gast aufzuhalten.

Sollte ich also demnächst einmal in den -natürlich völlig unbegründeten – Verdacht geraten, mich als Donald Duck ausgegeben zu haben, würde ich einfach zahlen, meine Jacke nehmen und gehen. Hindern daran darf mich der Betreiber nicht. Sie auch nicht.

Autor: RA Dr. André Bohn

Freie Fahrt für die Feuerwehr – und ihre Grenzen

Freie Fahrt für Polizei und Feuerwehr. Das gilt zwar im Einsatzfall. Aber ein Freibrief ist das noch nicht, wie das Landgericht Köln in einem aktuellen Urteil feststellt. Geklagt hatte ein Mann, dessen Wagen von einem Feuerwehrauto gestreift wurde.

Der Kläger stand mit seinem Auto an einer roten Ampel, als ein Feuerwehrauto bei einer Blaulichtfahrt auf der Kreuzung wendete, um freie Fahrt zu bekommen. Bei dem Manöver berührte das Feuerwehrauto den stehenden Wagen. Das konnte der Mann durch eine Zeugin belegen. Blieb noch der Einwand der Feuerwehr, der Autofahrer habe (mehr) Platz machen müssen. Hierzu merkt das Gericht an, in diesem Fall müssten die Einsatzkräfte beweisen, dass der Autofahrer auch tatsächlich Platz ausweichen konnte. Dieser Beweis sei der Feuerwehr aber nicht gelungen. Der Autofahrer erhält jetzt Schadensersatz (Aktenzeichen 5 O 58/18).

Gericht bremst Partnerbörse Parship

Auch bei online abgeschlossenen Verträgen mit (langer) Laufzeit hat der Kunde zu Beginn ein gesetzliches Widerrufsrecht. Wie viel Kosten der Anbieter im Fall des zulässigen Stornos geltend machen kann, hat nun der Europäische Gerichtshof festgelegt. Das Ergebnis fällt verbraucherfreundlich aus: Verlangt werden können höchstens die anteiligen Kosten gemäß der bisherigen Laufzeit.

Ergangen ist das Urteil im Fall der Partnerbörse Parship. Für eine zwölfmonatige Mitgliedschaft berechnete Parship einer Kunden 523,98 €. Die Frau widerrief den Vertrag jedoch schon nach vier Tagen. Dennoch sollte sie 392,06 € zahlen, also weit mehr als den Zeitanteil. Parship begründete dies mit erheblichen Leistungen, die das Unternehmen bereits zu Beginn des Vertrages erbringe. Zum Beispiel sofortige Partnervorschläge sowie ein Persönlichkeitsgutachten.

Parship deklarierte dies als konkrete Nutzungen, welche die Kundin schon gehabt habe. Hierfür müsse sie auch zahlen – was gesetzlich grundsätzlich auch nicht ausgeschlossen ist (sog. Wertersatz). Allerdings kann dies nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs nicht dazu führen, dass die weitaus meisten Kosten – angeblich – an den Anfang eines Vertrages verlagert werden. Jedenfalls müsse der Kunde in diesem Fall vorab informiert werden, welche Kosten für einzelne sofortige Leistungen anfallen. Diese müssten dann auch getrennt ausgewiesen sein. Im Parship-Vertrag ist davon aber nicht die Rede.

Die Frau muss also die Gebühren nur für vier Tage zahlen und erhält deshalb den allergrößten Anteil ihres Beitrags zurück. Das Amtsgericht Hamburg hatte dem Europäischen Gerichtshof die Rechtsfragen vorgelegt. In Hamburg sollen rund 800 ähnliche Verfahren von Parship anhängig sein (Rechtssache C-641/19).

Erlebniskino – nicht nur für Paare

In der Stadt Ludwigshafen gibt es ein Erlebniskino, das in einzelne „Kinosäle“ aufgeteilt ist. In den einzelnen Räumen darf es offiziell auch zu zwischenmenschlichen Interaktionen kommen – wäre da nicht Corona. Die Stadt Ludwigshafen wollte nämlich durchsetzen, dass immer nur eine Person anwesend sein darf, es sei denn beide gehören zu einem gemeinsamen Haushalt. Also Paare. Dagegen wehrte sich der Betreiber des Kinos vor Gericht – erfolgreich.

Nach der Rechtslage in Rheinland-Pfalz dürfen sich bis zu zehn Personen treffen, ohne dass der Mindestabstand von 1,5 Metern eingehalten werden muss. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Personen aus einem Haushalt stammen. Wenn sich lediglich die Angehörigen zweier Hausstände treffen, gilt nach Auffassung des Gerichts noch nicht mal die Obergrenze von zehn Personen, sondern es dürfe sogar eine nach oben offene Zahl teilnehmen.

Wenn sich bis zu zehn Personen einfach so treffen können, spricht nach Auffassung des Gerichts auch nichts gegen ein Treffen von maximal zwei Personen in einem der Kinosäle, auch wenn diese nicht in einem gemeinsamen Haushalt leben. Die Begrenzung auf zwei Personen nehmen die Richter aus dem Umstand, dass in Rheinland-Pfalz auch wieder sexuelle Dienstleistungen angeboten werden dürfen, wenn nicht mehr als zwei Personen beteiligt sind. Demnach kann die Stadt Ludwigshafen sexuelle Begegnungen in dem Erlebniskino nicht untersagen, sofern maximal zwei Personen daran beteiligt sind (Aktenzeichen 5 L 783/20.NW).

Falsch adressiert

Wo gehobelt wird, fallen bekanntlich Späne. Neudeutsch: Shit happens. Davon bleiben mitunter auch Staatsanwaltschaften nicht verschont, wobei des einen Leid natürlich des anderen Freud ist. Das gilt insbesondere für meinen Mandanten, denn der hat jetzt – hoffentlich – ein ziemlich heftiges Strafverfahren vom Hals.

Gut, allzu viel Mühe hat sich die Staatsanwaltschaft von Anfang an nicht gegeben. Jedenfalls nicht genug, um vor den Augen der zuständigen Amtsrichterin zu bestehen. Die Richterin lehnte es nämlich ab, die von der Staatsanwaltschaft erhobene Anklage zuzulassen. Sprechen wir mal von gravierenden handwerklichen Mängeln, welche die Richterin penibel sezierte.

Die Staatsanwaltschaft hätte die schon vorab mehrfach geäußerte Kritik der Richterin aufgreifen und nachbessern können. Stattdessen schaltete sie auf stur und legte – innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Wochenfrist – gegen die Nichteröffnung den vorgesehenen Rechtsbehelf ein. Das ist die sofortige Beschwerde ein. Das sah so aus:

Das klingt erst mal gut, hat aber einen Schönheitsfehler. Der Fehler findet sich in § 306 StPO, der über § 311 StPO auch für die sofortige Beschwerde gilt:

Die Beschwerde wird bei dem Gericht, von dem oder von dessen Vorsitzenden die angefochtene Entscheidung erlassen ist, zu Protokoll der Geschäftsstelle oder schriftlich eingelegt.

Angefochten ist der Nichteröffnungsbeschluss des Amtsgerichts. Das Landgericht, an welche der Rechtsbehelf geschickt wurde, ist das Beschwerdegericht. Mit anderen Worten: Die Staatsanwaltschaft hat die Beschwerde ans falsche Gericht geschickt. Gemerkt hat man es, wenn überhaupt, erst laaaaange nach Ablauf der Wochenfrist. Folge: Die Frist ist versäumt, der Nichteröffnungsbeschluss somit wirksam.

Das wiederum hat zur Folge, dass die Anklage praktisch mausetot ist. Sie dürfte nämlich nur neu erhoben werden, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel auftauchen (§ 211 StPO). Das jedoch wird bei dem Fall kein Schlupfloch sein, da ohnehin alles auf dem Tisch liegt. Wollen wir spekulieren, wie die Dienstbesprechung bei der Staatsanwaltschaft ausfällt, in der dieses Debakel intern zur Sprache kommt? Angenehm wird’s sicher nicht.

Scharf, schärfer, am schärfesten

Es mag nicht verwundern, aber jetzt haben wir es laut einem Beitrag in der Legal Tribune Online schwarz auf weiß: Ausweitungen des Strafmaßes (in 99 % der Fälle: Schärfungen) werden regelmäßig nicht auf ihre präventive Wirkung überprüft. Dies geht aus einer Antwort aus dem Bundesjustizministerium auf eine Anfrage der Fraktion der Linken im Bundestag hervor.

Die Praxis ist vor dem Hintergrund, dass Strafschärfungen häufig unter anderem damit begründet werden, dass dadurch potenzielle Täter abgeschreckt werden sollen, äußerst bedenklich. Wenn aber die präventive Wirksamkeit von Strafschärfungen alles andere als erwiesen ist, dann sind vornehmlich damit begründete Gesetzesänderungen schlicht und ergreifend illegitim.

In der Antwort des Ministeriums heißt es:

Es ist im Übrigen die Aufgabe des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz, unabhängig von einer Evaluierung fortwährend zu prüfen, ob die bestehenden strafrechtlichen Instrumentarien ausreichen, und gegebenenfalls nachzusteuern.

Dass es vielleicht auch mal darum gehen könnte, bestehende strafrechtliche Verbote zu entschärfen oder das Strafmaß herabzusetzen, wird offenbar überhaupt nicht in Erwägung gezogen. Es geht allein darum, „ob die bestehenden strafrechtlichen Instrumentarien ausreichen“ oder noch weiter gefasst werden müssen. Auch dies zeigt einen bedenklichen Automatismus, der anscheinend nur in Richtung Strafschärfung geht.

Autor: RA Dr. André Bohn

Am Gericht hat es keiner ausgedruckt

Der Bundesgerichtshof hat erneut über die Grundsätze entschieden, die bei der elektronischen Übermittlung von Schriftsätzen gelten.

In dem zugrunde liegenden Fall hatte ein Anwalt für seinen Mandanten fristgerecht Berufung mit entsprechender Begründung über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) eingelegt. Die Berufungsbegründung wurde aber beim Gericht weder ausgedruckt noch anderweitig weitergeleitet, sodass der Vorsitzende Richter dem Berufungskläger mitteilte, dass die Berufungsbegründungspflicht abgelaufen sei, ohne dass eine Begründung erfolgt wäre. Das Oberlandesgericht verwarf die Berufung daraufhin als unzulässig.

Der Bundesgerichtshof stellt klar, dass es zur Fristwahrung ausreicht, dass das Dokument auf dem für den Empfang bestimmten Server des Gerichts gespeichert wird. Der – vom Gericht – unterlassene Ausdruck ändere daran nichts, weil es sich um einen rein gerichtsinternen Vorgang handele, an dessen Versäumnis keine Verfahrensnachteile für den Berufungskläger geknüpft werden dürften. Immerhin hat der Absender ja überhaupt keinen Einfluss darauf, was mit einem Schriftsatz am Gericht passiert.

Dieser Beschluss macht wieder einmal deutlich, dass es beim besonderen elektronischen Anwaltspostfach noch an vielen Ecken und Enden hakt. Es fängt bei der Software, deren Sicherheit und deren Benutzung an und hört bei den Gerichten, die häufig noch nicht wirklich auf den Empfang von elektronischen Schriftsätzen ausgerichtet sind, auf. Sinnvoll wäre es ja wohl, dass der Posteingang über das beA dem oder der zuständigen Richter*in ohne Systembruch sofort im Posteingang auf dem Bildschirm angezeigt und in der betreffenden elektronischen Fallakte mit einem Zeitstempel abgespeichert wird. Bis dies Standard ist, dürften aber noch einige Jahre ins Land ziehen (Aktenzeichen VI ZB 79/19).

Autor: RA Dr. André Bohn

Nebenkläger darf auch dem Angeklagten helfen

Nebenkläger in einem Strafverfahren wird man normalerweise, wenn man vom mutmaßlichen Täter körperlich verletzt wurde. Normalerweise hat der Nebenkläger also ein Interesse daran, dass der Angeklagte juristisch zur Rechenschaft gezogen wird. Aber es sind auch Konstellationen denkbar, in denen der Nebenkläger eher dem Angeklagten helfen möchte – zum Beispiel nach einer Versöhnung. Ob er dies darf, hat nun der Bundesgerichtshof entschieden.

Nebenkläger in dem Fall waren die Pflegeeltern eines damals 14-Jährigen. Dieser soll versucht haben, die Pflegeeltern im Schlaf zu erstechen. Im Prozess verhielten sich die Pflegeeltern aber anders als vielleicht erwartet. Sie stellten insbesondere Anträge, um die Schuldunfähigkeit ihres Pflegekindes zu belegen. Es ging ihnen also erkennbar um einen Freispruch oder einem mildere Strafe. Das wiederum brachte die Richter am Landgericht Koblenz auf. Sie entzogen den Nebenklägern ihre Rechte.

Das war unzulässig, urteilt der Bundesgerichtshof. In der Strafprozessordnung stehe nirgends, dass Nebenkläger nur sein darf, wer eine Verurteilung des Angeklagten will. Vielmehr sei der Nebenkläger ein eigenständiger Prozessbeteiligter, der insbesondere sein Antragsrecht nach eigenen Vorstellungen und ohne Kontrolle ausüben darf. Das entspreche auch dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers, der mit mehreren Reformschritten den Opfern von Straftaten mehr Rechte geben wollte.

Der Ausschluss der Nebenkläger war in dem Fall demnach unwirksam. Ihnen muss jetzt erst einmal das Urteil zugestellt werden, dann können sie ggf. noch Rechtsmittel gegen die Entscheidung einlegen. Ihr Pflegesohn war zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt worden (Aktenzeichen 3 StR 214/20).

Videoüberwachung in Hannover unrechtmäßig

Die Videoüberwachungskameras der Polizei in Hannover sind zu einem großen Teil rechtswidrig betrieben worden. Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hält eine Videoüberwachung zwar grundsätzlich für zulässig, wenn eine Gefährdungslage ausreichend nachvollziehbar ist. Allerdings bemängeln die Richter, dass die Bürger nicht ausreichend auf die Kameras hingewiesen werden, wie es das Gesetz verlangt.

An vielen Standorten hatte die Polizei lediglich Aufkleber an Masten im Überwachungsbereich angebracht. Diese Aufkleber seien aber, so die Richter, gekrümmt und schlecht lesbar. Hinzu komme, dass an solchen Masten sich auch viele andere Aufkleber finden. Der Hinweis auf die Kameras verliere sich dort für einen normalen Passanten.

Die Polizei wird also (wieder) Hinweisschilder anbringen müssen (Aktenzeichen 11 LC 149/16).