Eine Zahl durch zwei teilen – eine Herkulesaufgabe für die Strafjustiz

Kannst du eine Zahl durch zwei teilen? Herzlichen Glückwunsch, denn Staatsanwälte und Rechtspfleger können es anscheinend nicht. Wobei nicht ich das unterstelle. Sondern vielmehr ihr Arbeitgeber, die Justiz. Konkret geht es um die Reform der Ersatzfreiheitsstrafe. Ersatzfreiheitsstrafen bezeichnen den Zeitraum, für den man ins Gefängnis muss, wenn man eine Geldstrafe nicht bezahlen kann. Der Maßstab soll halbiert werden. Künftig bedeutet nicht mehr ein Tagessatz nicht bezahlter Geldstrafe einen Tag Haft. Sondern nur einen halben Tag. Oder anders ausgedrückt: Zwei nicht bezahlte Tagessätze führen künftig zu einem Tag Haft. Eine nicht bezahlte Geldstrafe wird also um 50 % preiswerter – wenn man sie auf einer Gefängnispritsche absitzt.

Von diesem Rabatt sollten vor allem Schwarzfahrer und andere „Kleinkriminelle“ profitieren. Außerdem die chronisch überfüllten Gefängnisse. Der Starttermin für den 1. Oktober stand schon verbindlich fest. Nun wurde das Gesetz auf die Schnelle geändert. Nicht inhaltlich. Vielmehr ist der Starttermin erst vier Monate später, am 1. Februar 2024.

Der Grund ist wirklich hörenswert. Justizintern will man nämlich festgestellt haben, dass die Computersysteme das Teilen durch zwei nicht beherrschen. Und man das der Software bis zum 1. Oktober nicht beibringen kann. Wobei das Gesetz bereits am 22. Juni beschlossen wurde. Es waren also volle drei Monate Zeit. Aber drei Monate reichen nach offizieller Darstellung eben nicht, um die doch eher simple Rechenoperation in die IT zu implentieren der Bundesländer zu implementieren.

Wörtlich heißt es im Vorschlag zur Gesetzesänderung, die nur in dem zeitlichen Aufschub bestehen soll: „Die erforderlichen Anpassungen müssen zunächst im Länderverbund fachlich abgestimmt und im Anschluss durch den externen Dienstleister programmiert werden. … Nach der Umsetzung durch den Dienstleister müssten diese getestet werden, bevor diese auch in der Praxis im Echtbetrieb zur Verfügung stehen.“ Außerdem, so heißt es, müsse das „zugehörige Vollstreckungsschreibwerk“ angepasst werden. Damit sind wahrscheinlich die nach wie vor beliebten Formulare auf Papier gemeint.

Auch wenn es so klingt, darf eine Entscheidung im Rahmen der Strafvollstreckung nicht von einem Computer getroffen werden. Das muss ein Mensch machen, der zuständige Staatsanwalt oder Rechtspfleger. Traut man denen die Halbierung einer simplen Zahl mit höchsten drei Stellen nicht zu? Jedes computergestützte Formular in der Justiz hat mindestens ein Freitextfeld. Könnte man das Endergebnis der Rechenoperation dort nicht einfügen?

Was zu Recht nach einer Bürokratieposse klingt, ist für Betroffene weniger lustig. Im langjährigen Mittel verbüßen jeden Tag etwas über 4.000 Menschen eine Ersatzfreiheitsstrafe in deutschen Knästen. Für die Betroffenen, die nun in den Monaten Oktober bis Februar zum Haftantritt geladen werden, bedeutet dies die doppelte Haftzeit. Als zu Recht empörter Betroffener könnte man das Ganze als eine Art staatlich organisierter Freiheitsberaubung empfinden. Aus Sicht des naturgemäß zurückhaltenden Fachjuristen gehört die zeitliche Verschiebung eines Gesetzes zu den Kompetenzen des Gesetzgebers. Da wird man wohl nichts machen können, außer einem Antrag auf Strafaufschub bis zum 1. Februar nächsten Jahres. Für dessen Zurückweisung gibt es aber garantiert tadellos funktionierende Textbausteine.

Bericht in der Legal Tribune Online

Staatsanwalt bedauert, dass er Lehrerin anklagen muss

Im Gesetzgebungsverfahren wurde eindringlich gewarnt. Aber dem Bundestag war es egal: Die Strafvorschriften für den Besitz oder die Verbreitung von Kinderpornografie wurden zum 1. Juli 2021 erheblich verschärft. Die Mindeststrafe beträgt seitdem ein Jahr. Ausnahmen: nicht vorgesehen. Weil das Delikt damit vom Vergehen zum Verbrechen hochgestuft wurde, ohne dass es – wie etwa im Betäubungsmittelstrafrecht – einen minder schweren Fall gibt. Auch eine Einstellung des Verfahrens ist schlicht und einfach unmöglich. Welche absurden Konsequenzen dies hat, zeigt ein aktueller Fall aus Rheinland-Pfalz.

Eine 13-jähriges Mädchen hatte ein intimes Video von sich gemacht. Empfänger war ihr Freund. Aber der hatte nichts Besseres zu tun, als die Aufnahmen an Mitschüler zu schicken. Eine Lehrerin bekam das mit. Sie ließ sich das Video schicken, um die Mutter zu informieren. Nun ist sie nach § 184b StGB angeklagt. Selbst die Staatsanwaltschaft bedauert gegenüber der Tagesschau, die Lehrerin vor den Strafrichter zerren zu müssen. „Uns sind die Hände gebunden.“

Dem Richter allerdings auch, denn auch dieser muss sich ans Strafgesetzbuch halten. Ebenso auch das Land Rheinland-Pfalz. Es wird die Beamtin nicht mehr beschäftigen können. Denn bei einer Freiheitsstrafe ab einem Jahr müssen Beamte entlassen werden. Ausnahmen? Ebenfalls nicht vorgesehen.

Immerhin arbeitet das Bundesjustizministerium an einer Entschärfung des Gesetzes, welches es selbst für so dringend nötig hielt. Es gibt auch Eingaben ans Bundesverfassungsgericht, unter anderem von einem bayerischen Amtsrichter. Wann das Gesetz geändert wird oder das Verfassungsgericht entscheidet, ist allerdings noch nicht absehbar. Für Betroffene kann es momentan nur darum gehen, das eigene Verfahren möglichst lange offen zu halten. Ich habe in solchen Fällen durchaus mit Richtern zu tun, die kein Interesse daran, Existenzen zu vernichten. Sie tragen die Verhandlungstermine – im Rahmen ihrer Möglichkeiten – möglichst spät in den Gerichtskalender ein. Und dann heißt es, durch die Instanzen zu gehen. Denn eine Entschärfung des Gesetzes würde für alle Fälle greifen, in denen das Urteil noch nicht rechtskräftig ist.

Einstweilen kann man nur den Rat des Staatsanwalts in dem Bericht aufgreifen, sich in so einem Fall des „Drittbesitzes“ die Videos oder Fotos nicht schicken zu lassen. Und falls man selbst solche Dinge geschickt bekommt, muss man sich eben überlegen, ob die Polizei der richtige Ansprechpartner ist. Besitz ist eben Besitz. Ein Ermittlungsverfahren ist dann ebenso unausweichlich. Gut ist immerhin, niemand muss sich selbst ans Messer liefern. Und eine Pflicht, den Absender anzuzeigen, mag man vielleicht moralisch sehen. Rechtlich gibt es sie aber nicht. Gute Löschprogramme gibt es zum Glück genug.

Der Minister, ein Flugblatt und viele offene Fragen

Der Fall des bayerischen Wirtschaftsministers Hubert Aiwanger prägt die Schlagzeilen. Er soll als 16- oder 17-Jähriger Schüler vor 35 Jahren (!) ein volksverhetzendes Flugblatt verfasst und eventuell sogar verteilt haben. Die Justiz hat wohl nie gegen Aiwanger ermittelt. Es gibt also kein Strafurteil gegen ihn. Laut dem Bericht der Süddeutschen Zeitung fand lediglich eine schulinterne Untersuchung statt. Die Süddeutsche Zeitung wird sich in diesem Fall fragen lassen müssen, ob sie nicht unzulässige Verdachtsberichterstattung betreibt. Aiwanger hat schon rechtliche Schritte angekündigt.

Nehmen wir mal an, Oberstufenschüler N. hat im Jahr 1988 im Alter von 17 Jahren einen Mitschüler erschlagen. Selbst wenn er vom Jugendgericht wegen schweren Totschlags bestraft wurde, wäre die Tat aus dem Erziehungsregister gelöscht. Und zwar seit Jahrzehnten. Wäre das Strafverfahren mangels Tatverdachts eingestellt worden oder hätte es gar keines gegeben, wäre die Tat nach 20 Jahren verjährt. Selbst bei einer besonders schweren Straftat wäre also juristisch längst Gras über die Sache gewachsen. So oder so. Der damalige Schüler dürfte sich trotz des Totschlags mit Fug und Recht als unvorbestraft bezeichnen. Schon die bloße Erwähnung der seinerzeitigen Tat oder des Verdachts wäre heute im Gerichtssaal unzulässig.

Diese Maßstäbe kann man zwar nicht 1:1 auf das Presserecht übertragen. Aber wenn’s Staatsanwalt, Richter und Behörden nicht mehr verwenden dürfen, braucht die Presse schon sehr, sehr gute Gründe, wenn für sie etwas anderes gelten soll. Wird Aiwanger von der SZ korrekt behandelt? Ich habe Zweifel.

Hier die wichtigsten Aspekte:

Der „Beschuldigte“ war seinerzeit Jugendlicher. Auch wenn sich über den volksverhetzenden Inhalt des Flugblatts kaum diskutieren lässt, kann es sich um eine Jugendsünde gehandelt haben. Dafür sprechen folgende Umstände: Die Schule soll die Sache rein intern geregelt haben. Mit einem Strafreferat. Was nach dem seinerzeitigen Schulrecht in Bayern eine eher milde Sanktion ist. Überdies hat die SZ keinerlei Beleg dafür, dass Aiwanger jenes Referat geschrieben hat. Aiwanger soll weiterhin zwei Jahre später ganz normal sein Abitur an dem Gymnasium gemacht haben. Ein Strafverfahren gab es nicht. Dabei sind amtliche Ermittlungen für die Presse meist der Aufhänger, der eine Verdachtsberichterstattung erst zulässig macht.

Eine schulinterne Überprüfung steht natürlich auf keiner vergleichbaren Stufe zu Ermittlungen der Polizei. Die SZ kolportiert, die Lehrer hätten seinerzeit eins oder mehrere der Flugblätter in Aiwangers Schultasche gefunden. Das Flugblatt selbst sei auch auf dem Klo aufgetaucht. Das mag so sein, aber das sind doch keine tragfähigen Beweise für Aiwaingers Täterschaft. Außerdem wird Aiwanger angelastet, er habe die Tat angeblich nicht abgestritten. Was wohl bewusst so formuliert ist. Aiwanger hat demnach jedenfalls auch nichts zugegeben. Dass sein Verhalten zu einem Quasi-Geständnis verwandelt wird, lässt sicher nicht nur Strafjuristen die Haare raufen. Stichwort: Schweigerecht.

Recherchiert hat die SZ. Aber hat sie es auch hinreichend sogfältig gemacht? Denn nur dann ist eine Verdachtsberichterstattung zulässig. Das angebliche Flugblatt als solches hat keinerlei Beweiswert gegen Aiwanger. Es existiert wohl, aber was weist Aiwanger als Autor oder Verteiler aus? Die Angaben der damaligen Lehrkräfte helfen da nicht. Für mich stellt sich schon die Frage, welcher Lehrer sich nach 35 Jahren überhaupt noch an Einzelheiten erinnert. Entscheidend dürfte aber sein, dass die SZ den Gesprächspartnern aus Aiwangers früherer Schule Quellenschutz zugesagt hat, da diese – völlig zu recht – juristische Konsequenzen fürchten. Wenn sie aber reden und gleichzeitig anonym bleiben wollen, belegt dies erst mal nur, dass ihnen während der Interviews das Unrecht ihres eigenen Handelns bewusst gewesen ist. Wir reden hier von Geheimnisverrat nach § 353b StGB und gewisse andere Vorschriften aus dem Datenschutzrecht.

Was also ist das hehre Motiv der Informanten, für das sie sogar eigene Straftaten in Kauf nehmen? Ihnen kann es nur darum gehen, dem Politiker Aiwanger zu schaden. Aber was sind Aussagen noch wert, wenn es nach Belastungseifer riecht und der Informant sich ängstlich hinter einer Vertraulichkeitszusage duckt? Eine dürftige Faktenlage, sofern man überhaupt von Fakten reden will. Ich kann mir vorstellen, dass so was einem Gericht ausreicht.

Neben den Aussagen sogenannter Zeugen gibt es aber offensichtlich derzeit keine belastbaren Quellen. Hinzu kommt ja auch, das muss man noch mal klar wiederholen, für Aiwanger grundsätzlich die Unschuldsvermutung streitet. Womöglich ist er schlicht zu Unrecht verdächtigt worden? Außerdem lassen die von der SZ zitierten Angaben noch nicht mal erkennen, wie sicher die Erinnerung der Informanten ist. Diese müssen ja ohnehin steinalt sein. Es fehlt also insgesamt an einem Mindestbestand an sogenannten Beweistatsachen. Genau diese Beweistatsachen fordert die Rechtsprechung aber für eine Verdachtsberichterstattung.

Zuletzt: Auch wenn der SZ-Bericht von Konjunktiven, Unschärfen und Andeutungen sowie vermeintlichem Mitgefühl mit dem Übeltäter trieft, bleibt am Ende eines: die glasklare Vorverurteilung. Ich wäre nicht verwundert, wenn Aiwanger die Süddeutsche Zeitung in Grund und Boden klagt. Der Schriftsteller und Jurist Ferdinand von Schirach hat erst vor wenigen Tagen Millionenstrafen für Rufmord und Vernichtungskampagnen durch die Presse gefordert. Seine Gründe waren äußerst hörenswert, und da war ihm die Causa Aiwanger noch nicht mal bekannt.

Wer schreibt, der bleibt – auch auf WhatsApp

Wie weit geht die Vertraulichkeit unter Arbeitskollegen? Eine wichtige Entscheidung hierzu hat das Bundesarbeitsgericht getroffen – in Bezug auf eine geschlossene WhatsApp-Gruppe. Sieben Mitarbeiter eines Flugunternehmens, die seit vielen Jahren auch befreundet sind, haben jahrelang miteinander geschrieben. Dabei teilte einer von ihnen kräftig aus, und zwar gegenüber Vorgesetzten. Stark beleidigend, rassistisch, sexistisch und sogar zu Gewalt aufstachelnd sollen die Nachrichten gewesen sein. Gegen die fristlose Kündigung wehrte sich der Betroffene in zwei Instanzen erfolgreich. Bis die Sache nun vor das Bundesarbeitsgericht kam. Die Richter dort finden die Sache nicht so eindeutig.

Der gekündigte Angestellte berief sich darauf, dass man im engsten Freundes- und Familienkreis deutlich offener sprechen darf als gegenüber Fremden. Es handelt sich hier um einen besonders geschützten Bereich der Kommunikation. Ich habe vor einiger Zeit beispielsweise einen Motorradfahrer vertreten, der in einer WhatsApp-Gruppe von vier Freunden regelmäßig über einen bestimmten Polizisten seines Heimatortes ablederte, weil er diesen für einen Bußgeldabzocker hielt. Am Ende stand ein Freispruch, weil es im Strafrecht diesen „beleidigungsfreien Raum“ gibt.

Auch im Arbeitsrecht sei so ein geschützter Bereich denkbar, sagen die Richter. Allerdings haben sie Zweifel, dass der Betroffene im konkreten Fall tatsächlich auf die Vertraulichkeit vertrauen konnte. Je heftiger die Äußerungen und je größer die Gruppe, desto weniger sei der Arbeitnehmer geschützt. Auch seien Messenger auf die schnelle Weiterleitung von Nachrichten ausgelegt. Das Gericht hob die bisherigen Urteile auf, die Sache muss neu verhandelt werden. Zunächst erhält der Kläger noch mal Gelegenheit darzulegen, warum er eine „Vertraulichkeitserwartung“ hegte.

Als Arbeitnehmer kann man aus der Sache schon mal dass Ausfälle gegenüber dem Arbeitgeber auch in kleinen, sehr privaten WhatsApp-Gruppen gefährlich sein können. Zumal bei Messengern ja auch nach wie vor der alte Grundsatz gilt: Wer schreibt, der bleibt (Aktenzeichen 2 AZR 17/23).

Was darf die Öffentlichkeit erfahren?

Der Mann hinter FragDenStaat.de, Arne Semsrott, kämpft für die frühe Freigabe von Gerichtsdokumenten. Das würde Strafprozesse transparenter machen.

Es ist bislang nach § 353d Strafgesetzbuch verboten, Dokumente wie Anklageschrift oder Gerichtsbeschlüsse aus einer Strafakte zu veröffentlichen, bevor sie nicht in der Hauptverhandlung erörtert worden sind oder das Verfahren abgeschlossen ist.

In vielen Fällen gibt es aber schon vor der Hauptverhandlung ein unbestreitbares öffentliches Interesse an Informationen aus dem Verfahren. Zielsicher hat sich Semsrott für die Veröffentlichung der Durchsuchungsbeschlüsse und anderer Dokumente aus den Ermittlungen gegen die Letzte Generation entschieden. Damit riskiert er nun bewusst Strafanzeigen gegen sich selbst.

Jeder, so Semsrott, soll sich in solchen Fällen selbst ein unmittelbares Bild machen können, etwa warum der Ermittlungsrichter Wohnungen durchsuchen und Telefone abhören lässt. Bislang gibt es diese Informationen höchsten gefiltert. Nicht verboten ist es, wenn aus Gerichtsunterlagen indirekt bzw. sinngemäß zitiert wird. Weil keiner vorher genau sagen kann, wo die Grenze zwischen unzulässiger Wiedergabe und indirektem Zitat verläuft, halten sich Medien aber mit Details stark zurück. In seltenen Fällen natürlich auch, weil das mit dem Konjunktiv nicht ganz so einfach ist.

Bei Gerichtsbeschlüssen vor dem eigentlichen Urteil sehe ich persönlich überhaupt keinen sachlichen Grund, diese geheim zu halten. Gleiches gilt auch für Schriftsätze von Verteidigern (vor allem wenn diese selbst mit der Veröffentlichung einverstanden sind).

Auf jeden Fall eine mutige Aktion. Seien wir gespannt, ob Semsrotts Steilvorlage angenommen wird. Der will die Sache bis ganz nach oben durchkämpfen.

Bericht in der Legal Tribune Online

Zurück ans Faxgerät

Die Bremer Datenschutzbehörde möchte alle Anwälte in dem Bundesland zwingen, mit Mandanten nur noch über Ende-zu-Ende-verschlüsselte E-Mails zu korrespondieren. Einen niedrigeren Sicherheitsstandard, etwa die Transportverschlüsselung, will die Behörde nicht akzeptieren. Sie setzt den Anwälten eine Deadline bis zum Jahresende.

Nach dem Berufsrecht können Anwälte – kurz gefasst – mit ihren Kunden auf dem Weg kommunizieren, mit dem diese einverstanden sind. Im Zweifel dann also sogar über Mails ohne besondere Absicherung. Über die extrem strengen Anforderungen der Bremer Datenschützer ist jetzt ein veritabler Streit entbrannt, dessen Einzelheiten beck-online auf- und entschlüsselt.

Die Maximal-Forderung der Datenschutzbehörde ist kaum haltbar. Denn sogar beim besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA), mit dem die Anwälte mit der Justiz und Behörden korrespondieren, wird keine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung verlangt. Der Bundesgerichtshof hat es ausdrücklich gebilligt, dass bei diesem System die Daten im Rechenzentrum auf dem Transportweg ent- und dann wieder verschlüsselt werden. Darauf beruft sich der Berliner Anwalt Niko Härting, der einen Bremer Anwalt gegenüber der Datenschutzbehörde vertritt.

Ob die Bremer Anwälte also ihre Faxgeräte entstauben und der Bundespost Mehreinnahmen beim Briefporto bescheren müssen, darf bei dieser Ausgangslage bezweifelt werden. Für den Rest der Republik gibt es ohnehin noch keinen Grund zu Sorge. Von entsprechenden Aktionen anderer Datenschutzbehörden ist laut beck-aktuell derzeit nichts bekannt.

Kind misshandelt Katze, hohes Bußgeld für die Mutter

Eine Tierquälerei muss der Halter nicht unbedingt selbst begangen haben, um zur Rechenschaft gezogen zu werden. Dies zeigt ein aktueller Fall aus Düsseldorf.

Eine 53-Jährige war nach eigenen Angaben mit ihrem Mann im Keller. Währenddessen „spielte“ die 12-jährige Tochter mit der Katze. Sie würgte das Tier, riss es am Fell in die Höhe und warf die Katze mehrfach heftig auf den Boden. Das alles wurde auf Videos festgehalten, die im Internet landeten. Für das Fehlverhalten ihrer Tochter sollte die Frau 5.000 Euro Bußgeld zahlen, weigerte sich aber. Deshalb verhandelte das Amtsgericht den Fall.

Für den Richter kam es nicht darauf an, ob die Frau das Tier selbst misshandelt hat. Als Halterin habe sie Betreuungs- und Schutzpflichten nach dem Tierschutzgesetz, völlig unabhängig ob sie vom Verhalten ihrer Tochter wusste oder es hätte wissen können. Ob das juristisch jetzt ganz so simpel ist, lassen wir mal offen, da müssten wir mehr Einzelheiten wissen. Jedenfalls reduzierte der Richter das Bußgeld wegen geringen Einkommens der Frau auf 2.000 Euro. Die Katze ist laut rp-online über das Ordnungsamt in ein neues Zuhause vermittelt worden.

„Geimpft, gechipt, entwurmt“

„Geimpft, gechipt, entwurmt“ – dieser Aufdruck auf T-Shirts war während der Corona-Zeit öfter im Straßenbild zu sehen. So eine Kommerzialisierung gefiel einem Bühnenkünstler und Comedian gar nicht. Dieser verkauft ebenfalls das T-Shirt in seinem Online-Shop. Er machte geltend, den Spruch erfunden und als erster verwendet zu haben.

Der Hersteller gab jedoch keine Unterlassungserklärung ab. Er zog vielmehr vor Gericht – und bekam dort recht. Die Richter am Landgericht Köln vermissen die nötige geistige Leistung bei der Zusammensetzung der drei Wörter. Sie verweisen auf die berühmten Zeilen im Kraftwerk-Song „Wir fahr’n, fahr’n, fahr’n auf der Autobahn“. Deswegen hat die Band in den Siebzigern geklagt, jedoch wurde auch hier kein schützenswertes Werk gesehen (Aktenzeichen 14 O 24/22).

Corona-Richter erhält Haftstrafe auf Bewährung

Ein 60-jähriger Familienrichter vom Amtsgericht Weimar ist heute zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt worden. Das Landgericht Erfurt hält ihn der Rechtsbeugung für schuldig (§ 339 StGB). Der Richter hatte vor zweieinhalb Jahren die Corona-Schutzmaßnahmen für alle Schüler an zwei Schulen aufgehoben. Dass er als Familienrichter hierfür gar nicht zuständig war, brachte ihm den Strafprozess ein.

Das Landgericht bejaht, dass sich der Richter „bewusst und in schwerwiegender Weise“ von Recht und Gesetz entfernt hat. Dabei habe er willkürlich gehandelt. Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft ging es dem Richter darum, die Unwirksamkeit und Schädlichkeit der Corona-Schutzmaßnahmen öffentlichkeitswirksam darzustellen. Die Strafrichter hält dem Richter zu Gute, dass er im Rahmen eines für ihn massiven Konflikts gehandelt habe, er nicht vorbestraft und das Verfahren lange gedauert hat. Die Staatsanwaltschaft hatte drei Jahre Freiheitsstrafe gefordert. Diese Strafe hätte nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden können.

Sollte das Urteil rechtskräftig werden, verliert der Richter seinen Beamtenstatus einschließlich der Altersversorgung.

Der schrecklichste Paragraf im neuen Selbstbestimmungsgesetz

Morgen soll das Selbstbestimmungsgesetz beschlossen werden. Bei der Diskussion bleibt meist eine Regelung außen vor. Gleichwohl hat gerade diese geradezu orwellsche Dimensionen. Es geht um die Frage, wer aus einem Kind künftig ein Transkind machen kann. Hier die Antwort: Es sind die Eltern, und deren Freiheit werden dabei juristisch keinerlei Grenzen gesetzt, wenn es um den sogenannten „Geschlechtseintrag“ geht. Der Geschlechtseintrag regelt, halten wir es einfach, ob jemand juristisch als Frau oder Mann gilt.

Für Kinder zwischen 0 und 14 Jahren sieht das Gesetz folgendes vor (§ 3 Abs. 2 SBGG):

Ist die minderjährige Person geschäftsunfähig oder hat sie das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet, kann nur der gesetzliche Vertreter die Erklärungen zur Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen (§ 2) für die Person abgeben.

Übersetzt bedeutet das, Eltern dürfen künftig ab der Geburt absolut frei entscheiden, welches „Geschlecht“ ihr Kind hat. Ein neugeborener Julius kann an seinem ersten Lebenstag zu einer Sophie werden, eine Julia umgekehrt zu einem Sebastian. Das Kind erhält den passenden Namen und Papiere, die jedenfalls nicht zu seinem biologischen Geschlecht passen. Das Mädchen wird als Junge aufwachsen müssen und der Junge als Mädchen – bloß weil die Eltern es so wollen. Dem Standesbeamten steht bei so einem Antrag kein Prüfungsspielraum zu.

Eine gerichtliche Kontrolle ist nicht vorgesehen, das Kindeswohl spielt erst mal keine Rolle. Anders übrigens bei 14- bis 18-Jährigen. Diese können auch gegen den Willen ihrer Eltern das eigene Geschlecht anpassen. Sollten die Eltern dagegen sein, muss das Familiengericht nach dem Kindeswohl entscheiden. Bei 0- bis 13-Jährigen gibt es so eine juristische Instanz aber nicht. Eltern haben also die absolute Dispositionsfreiheit über das Geschlecht ihres Kindes.

Die elterlich oktroyierte Geschlechtsanpassung hat weitreichende Folgen. Großeltern, Kita-Mitarbeiter, Lehrer und die Eltern anderer Kinder dürfen nicht einmal ansatzweise zum Ausdruck bringen, dass Sophie vielleicht eigentlich doch lieber so wäre wie ihre männlichen Altersgenossen, mit denen er das Y-Chromosom teilt. Tun sie das, droht ihnen gemäß § 14 SBGG ein Bußgeld bis zu 10.000 Euro, weil sie gegen das „Offenbarungsverbot“ verstoßen. So wird es also möglich sein, ohne jede Kontrolle Säuglinge geschlechtsumzuwandeln und darum einen Kordon des pflichtgemäßen Schweigens zu errichten. Natürlich kann man sagen, dass „normale“ Eltern einem Einjährigen kaum das andere Geschlecht aufzwängen werden. Aber umgekehrt muss man dann erklären, warum überhaupt die gesetzliche Möglichkeit für so eine frühkindliche Transformation geschaffen wird. Noch dazu ohne jede behördliche oder gerichtliche Kontrolle.

Und was ist mit Sophie selbst, die nach wie vor in ihrem männlichen Körper steckt (und deren Eltern möglicherweise dem größten Irrtum ihres Lebens aufsitzen)? Sophie wird vorgehalten bekommen, dass sie kein Julius sein kann, weil in ihrer bürokratisch korrekt angepassten Geburtsurkunde ja nun mal Sophie steht. Und wenn man Sophie heißt, ist man ein Mädchen, so ein Penis führt ja bekanntlich oftmals in die Irre. Welches Kind wird sich nicht entsprechend formen lassen bzw. letztlich kapitulieren? Ich sage es noch mal: Das Szenario ist schon ab Tag 1 nach der Geburt denkbar – und absolut legal.

Und was ist, wenn die Eltern letztlich mit ihrer Einschätzung daneben liegen? Wenn sie ihr Kind 14 Jahre in die falsche Geschlechterrolle zwängen, bis es – ggf. mit Hilfe des Gerichts – den Geschlechtseintrag selbst wieder rückgängig machen kann. Und wie geht es dann weiter? Spätestens mit 18 Jahren kann Sophie die eigenen Eltern auf Schadensersatz und Schmerzensgeld verklagen, und das wahrscheinlich mit einiger Aussicht auf Erfolg. Wenn er bis dahin psychisch nicht schon gebrochen ist.

Schöne neue Welt.

Bettler besiegt Krefeld

Die Stadt Krefeld wollte „aktives Betteln“ in der Innenstadt unterbinden, und zwar durch eine vom Rat erlassene Allgemeinverfügung. „Stilles Betteln“ wurde aber nicht untersagt. Diese Regelung hält das Verwaltungsgericht Düsseldorf im Eilverfahren für unrechtmäßig und kassiert das Verbot.

Laut dem Gericht muss bei Vorschriften stets klar sein, was erlaubt ist und was verboten. Schon diesen Anforderungen wird die Regelung aber nicht gerecht. Der Unterschied zwischen stillem und aktiven Betteln sei nicht hinreichend klar, so dass Bettler gar nicht wissen können, ob sie sich noch korrekt verhalten. Gerade wenn ersichtlich ein „rechtsunkundiger Personenkreis“ angesprochen wird, müsse die Vorschrift verständlich sein.

Die Stadt Krefeld erläutert ihre Interpretation des aktiven Bettelns auf ihrer Internetseite so:

Aktives Betteln liegt dann vor, wenn die Bettelnden auf ihre Bedürftigkeit durch Verhalten wie fortwährendes, auch nach Ablehnung weiterhin gezieltes Ansprechen aufmerksam machen. Ferner liegt aktives Betteln dann vor, wenn diese bettelnden Personen Passanten aufhalten oder neben diesen hergehen.

Vielleicht wäre es schlauer gewesen, das auch direkt so in den Ratsbeschluss zu schreiben…

Dass im übrigen nicht alle Bettler „rechtsunkundig“ sind, zeigt sich an der Klage. Ein Bettler hatte sich nämlich an das Gericht gewandt – und war nun zumindest im Eilverfahren erfolgreich (Aktenzeichen 18 L 896/23).

Besoffen auf dem E-Scooter – keine gute Idee

Wer betrunken mit einem E-Scooter fährt, riskiert nicht nur ein mehrmonatiges Fahrverbot. Nein, ihm ist die Fahrerlaubnis komplett zu entziehen, entscheidet das Oberlandesgericht Frankfurt am Main.

Es ging um einen Mann, der nach einem Barbesuch mit 1,64 Promille auf einem E-Scooter angehalten wurde. Das Amtsgericht verhängte eine Geldstrafe und ein Fahrverbot von sechs Monaten. Dagegen ging die Staatsanwaltschaft in Revision, weil ihr das Fahrverbot nicht ausreichte.

Das Oberlandesgericht sagt klipp und klar, dass auch die Fahrt auf einem E-Scooter in der Regel zum kompletten Entzug der Fahrerlaubnis führt. Eine viel geringere Gefährlichkeit als bei einer Autofahrt wollen die Richter nicht gelten lassen. Sie verweisen darauf, dass ein Fußgänger oder ein Radfahrer auch bei einem Zusammenstoß mit dem E-Scooter schwer verletzt werden oder sogar sterben könnten.

Das Amtsgericht muss den Fall nun neu entscheiden und prüfen, ob die „Regelvermutung“, die bei einer einer Alkoholfahrt zur Entziehung der Fahrerlaubnis führt, aufgrund mildernder Umstände nicht doch vorliegt. Große Hoffnungen wird sich der Fahrer aber nach dieser klaren Ansage nicht machen können (Aktenzeichen 1 Ss 276/22).

Erbsenfreies Essen ist keine Pflicht

Eltern können von einer Kindertagesstätte nicht verlangen, dass sie ihrem Kind nur erbsenfreies Essen serviert. Mit einem entsprechenden Antrag sind Eltern aus Brandenburg vor Gericht gescheitert.

Der Fall hat einen ernsten Hintergrund. Das Kind leidet an einer Erbsenunverträglichkeit, die ärztlich bestätigt ist. Allerdings sah sich die Kita nicht in der Lage, erbsenfreies Essen zur Verfügung zu stellen.

Laut dem Verwaltungsgericht müssen Kitas eine gesunde Ernährung und Versorgung gewährleisten. Dazu gehöre auch, dass auf Allergien und andere Unverträglichkeiten Rücksicht genommen wird. Aber all das nur im Rahmen des Möglichen. Es gibt nämlich keine lebensmittelrechtliche Kennzeichnungspflicht für Erbsen, so das Gericht. Deshalb könne schon der Caterer nicht garantieren, dass seine Produkte keine Erbsen oder zumindest Erbsenaroma enthalten.

Vor diesem Hintergrund kann das Gericht den Eltern nur raten, ihrem Kind geeignetes Essen mitzugeben (Aktenzeichen 9 L 51/23).

Rechtsextremer erklagt sich Referendariat in Sachsen

Dürfen Mitglieder oder Funktionäre rechtsextremer Parteien in den juristischen Vorbereitungsdienst? In der Vergangenheit sind Kandidaten mit einem zweifelhaften Verhältnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung schon mehrfach abgeblitzt. Ein Jurist klagt sich nach seinem Studium jetzt aber in Sachsen erfolgreich ins Rechtsreferendariat.

Der Jurist war schon in Bayern und Thüringen mit seiner Zulassung gescheitert. Er ist in der rechten Partei „Der III. Weg“ aktiv – die aber nicht verboten ist. Entgegen Gerichten in anderen Bundesländern hat der Verfassungsgerichtshof von Sachsen mit den politischen Aktivitäten des Mannes kein durchgreifendes Problem. Die Begründung hierfür ist jedenfalls durchdacht und klingt überzeugend.

Beim Rechtsreferendariat handelt es sich nämlich um einen Vorbereitungsdienst, und zwar nicht nur für eine Beamtenstellung. Auch künftige Rechtsanwälte müssen den Vorbereitungsdienst absolvieren. Anwälten darf die Berufszulassung aber laut Berufsordnung nur versagt werden, wenn sie die Geltung des Grundgesetzes in „strafbarer“ Weise bekämpfen (§ 7 BRAO). Solche erheblichen Straftaten können dem Bewerber aber nicht nachgewiesen werden. Wenn man ihm aber trotzdem schon den Vorbereitungsdienst verweigere, habe er faktisch keine Chance, später Rechtsanwalt zu werden. Außerdem bedeute ein erfolgreiches Referendariat ja auch nicht, dass der Mann später zum Beamten ernannt werden müsse.

Der Fall könnte nun zur Folge haben, dass das Erfordernis der strafbaren Gegnerschaft zum Grundgesetz bei der Zulassung zur Anwaltschaft gestrichen wird. In diese Richtung gehen jedenfalls aktuelle Pläne aus dem Kreis der Justizminister.

Einzelheiten zu dem Fall schildert die Legal Tribune Online.

Zwei Ärzte können ein Versorgungszentrum sein

„Zentrum für plastische und ästhetische Chirurgie“ – so nannten zwei Ärzte ihre Gemeinschaftspraxis. Ein Konkurrent klagte dagegen. Seiner Meinung nach müssen mehr als zwei Ärzte in der Praxis sein, um sich „Zentrum“ nennen zu dürfen.

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat den Fall nun entschieden. Die Richter betonen zwar, dass die Bürger normalerweise bei einem „Zentrum“ eine überdurchschnittliche Firmenstruktur erwarten. Das gelte in der Wirtschaft, aber nicht im medizinischen Bereich. Denn für das immer mehr verbreitete Medizinische Versorgungszentrum (MVZ) habe der Gesetzgeber keine Mindestgröße bestimmt. Auch eine fächerübergreifende Zusammenarbeit verschiedener Ärzte werde nicht mehr verlangt (Aktenzeichen 2-06 O 209/22).