FRISTABLAUF

Fristablauf heute. Berufungserwiderung zum Landesarbeitsgericht fertig um 14.19 Uhr. Das ist fast schon auf den letzten Drücker. Zumindest für mich.

Aber ich habe mir heute Morgen eine kleine Freude gegönnt und in dieser Sache die Gegenvorstellung geschrieben.

Nicht, dass ich auch nur die kleinste Hoffnung hätte, die betreffenden Richter überzeugen zu können. Aber bei einer Verfassungsbeschwerde kann es nicht schaden, wenn der Rechtsweg mehr als ausgeschöpft ist.

ZIELRICHTUNG

Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt,

mir erschließt sich die Zielrichtung Ihres Schriftsatzes vom 9. März 2006 nicht. …

Hochachtungsvoll

Richter am Landgericht

Ausnahmsweise keine Richterschelte. Das Schreiben richtet sich an den gegnerischen Anwalt.

DRITTER STOCK

„Einschreiben.“

„Moment, ich komme kurz runter.“

Nächstes Mal sage ich in die Sprechanlage: „Dritter Stock.“

Mal sehen, was passiert.

MINDERHEITEN

Die unangemessene Äußerung eines Staatsanwalts vom Anfang Februar hat jetzt den gesamten Apparat der nordrhein-westfälischen Justiz auf Trab gebracht: Unter der Überschrift „Minderheiten-Bezeichnung“ hat das Ministerium auf sieben Seiten über alle Gerichtspräsidenten, Generalstaatsanwälte und Behördenleiter bis hinunter in die kleinste Amtsstube an einen im Januar 2004 aufgehobenen Erlass erinnert.

Darin war die Weisung gestrichen worden, Sinti und Roma nicht so zu nennen; denn es sei ja selbstverständlich, Minderheiten nicht zu bezeichnen. Aktuell wird nun nochmals gemahnt: „dass Hinweise auf die Herkunft, auf die Zugehörigkeit von Personen, Tätern oder Tatverdächtigen zu einer ethnischen oder religiösen Minderheit oder auf deren Hautfarbe nur erfolgen sollen, wenn dies für das Verständnis der Fall ist“.

Daran hatte sich der vom Zentralrat der Sinti und Roma gerügte Staatsanwalt offenbar nicht gehalten. (pbd)

BÜRGSCHAFT

Die merkwürdig formulierte Bürgschaft hat mich zu folgendem Schreiben inspiriert:

Sehr geehrte Damen und Herren,

unser Mandant nimmt überrascht zur Kenntnis, dass Sie ihn aus der nicht datierten Erklärung auf Zahlung der regelmäßigen Miete in Anspruch nehmen. Herr N. hatte die Erklärung so verstanden, dass er lediglich für eventuelle Renovierungskosten bzw. nicht gezahlte Nebenkosten haftet.

Insoweit ist das von Ihnen verwendete Formular nicht klar und verständlich. Die Verwendung des Begriffs „Nutzungsgebühren“ für die monatliche Mietzahlung ist irreführend. Hieraus wird nicht hinreichend deutlich, was eigentlich gemeint ist. Man könnte auch von einer Verschleierung sprechen, da „Gebühren“ etwas völlig anderes sind als die vetraglich geschuldete Miete. Auch das Bürgerliche Gesetzbuch spricht von „Miete“ und nicht von Nutzungsgebühren. Somit ist die Klausel nicht klar und verständlich.

Die Rechtsfolge ist die Unwirksamkeit der Klausel, § 307 Abs. 1 BGB, vgl. dort insbesondere Satz 2.

Vorsorglich weisen wir darauf hin, dass unbeschränkte Bürgschaften für Mietverhältnisse ohnehin nur bis zur Drei-Monats-Kautionsgrenze wirksam sein können. Hierbei darf nur die monatliche Kaltmiete zugrunde gelegt werden. Soweit ersichtlich, fordern Sie jedoch die Warmmiete für drei Monate.

Bitte nehmen Sie den Mahnbescheidsantrag zurück.

Mit freundlichen Grüßen

MURMELTIER-TAG

Auf der Nordstraße in Düsseldorf wirbt ein Telefonladen mit folgendem, riesig gedruckten Slogan: „Keine Anschlussgebühr – nur heute!“

Schon seit Wochen.

VERSICHERUNG AUFLÖSEN ?

Einer mittellosen Prozesspartei darf Prozesskostenhilfe nicht mit mit dem Hinweis verweigert werden, dass sie zuerst eine bestehende Lebensversicherung auflösen muss. Das geht nach Auffassung des Oberlandesgericht Naumburg jedenfalls dann nicht, wenn die Lebensversicherung der vernünftigen Altersvorsorge dient.

Allerdings halten es die Richter für zumutbar, wenn der Betroffene seine Versicherung für die Prozessdauer beitragsfrei stellt. Mit den ersparten Beiträgen wäre dann das Verfahren zu finanzieren.

(MDR 2006, 237)

JETZT GEHT’S LOS – HEUTE MAL SPÄTER

In diesem Beitrag habe ich versucht zu begründen, warum der Satz „Ich steche dir die Augen aus“ nicht den Straftatbestand der Bedrohung erfüllt. Zumindest nicht, wenn er im Rahmen einer laufenden Attacke mit einem spitzen Stock geäußert wird, die – möglicherweise – genau auf dieses Ziel gerichtet ist. Damals gab es 34 Kommentare. Ich möchte deshalb die Fortsetzung nicht versäumen: Auch das Landgericht Düsseldorf teilt meine Meinung nicht. Die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts, das meinen Mandanten immerhin teilweise freigesprochen hatte, wies die Strafkammer heute zurück.

Auch die Berufungsrichter sind der Meinung, dass das Abbrechen eines Stocks und die Verfolgung des Opfers noch keine „Ausführungshandlung“ darstellt. Damit habe der Versuch noch nicht begonnen; die mögliche Körperverletzung sperre also keinesfalls die Verwirklichung des Bedrohungstatbestandes.

Es ist schon erstaunlich, wie großzügig Richter den Versuchsbeginn hinausschieben, wenn es ins Konzept passt. Jemand, der mit einem erhobenen Stock hinter einem Flüchtenden herrennt, soll noch nicht die die Schwelle zum „Jetzt geht’s los“ überschritten haben? Es wäre wirklich nett, wenn das in anderen Fällen auch so großzügig gesehen würde.

Immerhin konzedierte der Vorsitzende, dass mein Mandant, der die Verfolgung ohne äußeren Druck abbrach, vom Versuch der schweren bzw. gefährlichen Körperverletzung zurückgetreten wäre. Und zwar straflos.

Allerdings meint das Gericht, genau deswegen sei der Bedrohungstatbestand sowieso in keiner Weise tangiert. Die Strafbarkeit wegen Körperverletzung sei durch den Rücktritt eben entfallen, deshalb sei die Bedrohung durch nichts geblockt.

Auch wenn die Argumentation besser klingt als die des Amtsgerichts, ist sie nicht richtig. Eine Bedrohung ist etwas, das in der Zukunft liegt. Der Bundesgerichtshof formuliert es so (NStZ 1984, 454):

Eine Drohung kann nur als Inaussichtstellung, als Hinweis auf etwas Zukünftiges begriffen werden. In der Verwirklichung eines Geschehens kann aber nicht zugleich seine Inaussichtstellung liegen.

Keine Frage, der Satz „Ich steche dir die Augen aus“ kommt zu der Verfolgung mit dem spitzen Stock hinzu. Aber die Ankündigung bezieht sich eben nicht auf ein künftiges Übel, sondern auf ein gegenwärtiges. Das Übel wird gerade verwirklicht. Selbst wenn noch kein Versuch vorläge, handelt es sich um ein geschlossenes Geschehen. Es ist jedenfalls ganz, ganz dicht am Versuch dran. Darf man die Ereignisse dann tatsächlich so aufspalten, dass es genau zum Nachteil des Angeklagten ausgeht? Und wenn ja, worin liegt denn eigentlich das eigenständige Unrecht der angeblichen Bedrohung?

Die vorläufig letzte Antwort steht noch aus. Jetzt hat das Oberlandesgericht das Wort.

STRAFGERICHTE UNTER DRUCK

Von EBERHARD PH. LILIENSIEK

Das Bundesverfassungsgericht verweist die Strafjustiz in immer engere Grenzen. Das erfahren gerade Staatsanwaltschaften und Gerichte in Nordrhein-Westfalen, die ein folgenschwerer Beschluss erreicht. Danach unterliegen selbst Verfahren, in denen ein Untersuchungshäftling gegen Auflagen bereits auf freien Fuß gesetzt worden ist, dem „Beschleunigungsgebot“ für Prozesse: „Allein die Existenz eines Haftbefehls kann für den Beschuldigten eine erhebliche Belastung darstellen“. Der Haftbefehl ist demnach schon dann völlig aufzuheben, wenn „Beginn, Dauer und Beendigung eines Verfahrens in keiner Weise konkret absehbar sind“.

Mit ihrer Entscheidung (AZ 2 BvR 1737/05) hat die 3. Kammer des Zweiten BVG-Senats der Ansicht des Oberlandesgerichts Köln deutlich widersprochen. Einem Beschuldigten wird von der Staatsanwalt Aachen gewerbsmäßige Hehlerei und unerlaubtes Glücksspiel vorgeworfen. Das Amtsgericht ordnete im Januar 2004 Untersuchungshaft an, deren Vollstreckung nach über einem Jahr ausgesetzt wurde. Der Beschuldigte zahlte eine Kaution, hinterlegte seine Ausweise und meldete sich regelmäßig bei den Behörden. Er drang aber auch darauf, den Haftbefehl völlig aufzuheben. Das Oberlandesgericht Köln verweigerte seine Zustimmung: Das Verfahren verzögere sich lediglich durch die Schwangerschaft einer Richterin. Dadurch werde das Beschleunigungsgebot für den Prozess nicht verletzt.

Außerdem sei es ja wohl die Strategie der Verteidigung, ihre Rechte „extensiv auszuschöpfen“. Beide Argumente wischte das BVG vom Tisch. Für die schwangere Richterin etwa hätte ein Ergänzungsrichter einspringen können. Und: Das Gericht muss darlegen, warum es mit den Verteidigern nicht klar kommt. Wörtlich heißt es in der Entscheidung unter Berufung auf im Grundgesetz garantierte Freiheitsrechte: „Der Staat kann sich dem Beschuldigten gegenüber nicht darauf berufen, dass er seine Gerichte nicht so ausstattet, wie es erforderlich ist, um die anstehenden Verfahren ohne vermeidbare Verzögerung abzuschließen“.

Auch ein nicht vollstreckter Haftbefehl ist mit einer „schwerwiegenden Beeinträchtigung der persönlichen Freiheit verbunden“. Jens Gnisa, der NRW-Landesvorsitzende des deutschen Richterbundes (DRB) sorgt sich jetzt: „Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts macht deutlich, wie angespannt die personelle Situation bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften ist. Ein weiterer Personalabbau ist nicht zu verkraften, ohne die innere Sicherheit zu gefährden.“

Zudem fordert der DRB vom Gesetzgeber eine Reformierung des Strafverfahrens. Denn Gnisa sieht „Missbrauchsmöglichkeiten“ beim Stellen von Beweisanträgen durch Verteidiger. „Gegen Verschleppungsstaktiken müssen die Gerichte mehr freie Hand bekommen“. Lakonisch reagiert Ulrich Hermanski vom Justizministerium auf die Entscheidung des BVG: „Staatsanwaltschaften und Gerichte kennen und beachten die Karlsruher Rechtsprechung“. (pbd)