Checkpoint Göttingen

So was gab es wohl zuletzt im deutschen Herbst, auf dem Höhepunkt des RAF-Terrorismus: Die niedersächsische Polizei sperrte in der Nacht zum Samstag bei Göttingen die komplette A 7 in Fahrtrichtung Hannover. Sechs Stunden lang wurden alle Autofahrer auf die Raststätte Göttingen-Ost umgeleitet und von 120 Polizisten überprüft.

Die Bereitschaftspolizei Hannover hatte „zur Ausleuchtung der Kontrollstelle extra einen Lichtmastkraftwagen aufgestellt“, heißt es in der Pressemitteilung der Polizeidirektion Göttingen. In den Leserkommentaren der Süddeutschen Zeitung berichtet einer der rund 1.200 Betroffenen:

Zuerst glaubt man: Es muss was Schlimmes passiert sein. Überall Blaulicht – endlose Schlangen in den Kontrollreihen. Dann die Ernüchterung: Man selbst ist der Schlimme.
Die üblichen Prozeduren: Belehrung über Grund des Einsatzes. Papiere – leider nichts zu beanstanden, Alktest am Kleinbus – negativ, Drogenstreifen über die Stirn – negativ.

Auf meine Bemerkung hin: „Und das alles von meinem Steuergeld” dann noch zur Strafe das komplette Restprogramm, wie abgefahrene Reifen, Verbandkasten, Beleuchtung usw.

Das Netz war laut Polizei übrigens lückenlos:

Parallel zur Großkontrolle auf der Rastanlage kontrollierten weitere Funkstreifen die an den Anschlussstellen Hann-Münden/Hedemünden und Dramfeld abfahrenden Verkehrsteilnehmer. Der Vollsperrung zeitlich versetzt vorgelagert war darüber hinaus eine Geschwindigkeitskontrolle.

Die Totalkontrolle war Teil der Aktion „Don’t drug & drive“. Immerhin erwischte die Polizei mottobezogen zwei (!) Autofahrer, die so alkoholisiert waren, dass sie an Ort und Stelle ihren Führerschein abgeben mussten. Ansonsten seien sieben Strafverfahren und weitere sieben Ordnungswidrigkeitenverfahren wegen Betäubungsmitteln bzw. Alkohol eingeleitet worden. Offensichtlich alles so leichte Fälle, dass die Betroffenen weiterfahren durften.

Ganz schön martialisches Bild, das die Sicherheitsbehörden da vermitteln. Bevor man die Verhältnismäßigkeit problematisiert und einen Weinkrampf bekommt, könnte man nach den Kosten fragen. 120 Beamte, unterstützt von THW und Ausländeramt, konfiszieren in sechs Stunden zwei Führerscheine. Das schafft die Handvoll Streifenpolizisten in einem Großstadtrevier Nacht für Nacht. Und zwar verdachtsbezogen, ohne die sonstigen 99,9 % Verkehrsteilnehmer im Flutlicht anstehen zu lassen.

Natürlich kann man diese Maßnahme jetzt auch damit rechtfertigen, dass zwei mit Haftbefehl gesuchte Personen festgenommen werden konnten. Mit dem gleichen Argument könnte man aber auch morgen früh um halb sechs einen beliebigen Stadtteil abriegeln und durchkämmen. Gegen Mittag hätten wir ein paar gesuchte Straftäter weniger auf der Straße. Außerdem noch zwei weitere Schlagringe, Koks, Heroin, Hehlerware und einen Lastwagen mit schwarz gebrannten Datenträgern.

Geht nicht? Heute würde ich noch eine Wette darauf eingehen; über das Verfallsdatum müsste ich mir allerdings Gedanken machen.