Die ersten Beschwerden trudeln ein

Von EBERHARD PH. LILIENSIEK

Die 37 Gefängnisse in Nordrhein-Westfalen sind zusammengenommen ein einziges Flickwerk. In einem gibt es für Drogenanhängige sofort Hilfe, darauf warten in einem anderen die Süchtigen sieben lange Wochen. Gefangene, die das Glück eines guten Haftplatzes haben, werden während ihrer Entlassung in einen Beruf vermittelt. Die mit Pech gehen in die Obdachlosigkeit.

Dieses asoziale System hinter Gittern hat der neue Ombudsmann für den Strafvollzug innerhalb seiner ersten hundert Arbeitstage entdeckt. Rolf Söhnchen (65) zieht eine niederschmetternde erste Bilanz: „Der gesamte Vollzug hat keine Lobby, ich erlebe Pleiten, Pech und Pannen“. Das System soll deshalb auf den Prüfstand.

Der ehemalige Amtsgerichtsdirektor von Remscheid war bis zu seiner Pensionierung vor gut drei Monaten Jugendrichter. Er ist jetzt der einzige, der ohne einen Dienstausweis ein Gefängnis betreten darf – und auch wieder heraus kommt. Zu seinem neuen Amt kam er nach der grausamen Tötung eines Gefangenen in Siegburg. Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) hatte Söhnchen gefragt. Sie stammt aus Remscheid, dort ist ihr Ehemann der Kämmerer und CDU-Mitglied. Man kennt sich. Doch eine politische Verflechtung weist Söhnchen („Ich bin parteilos und Wechselwähler“) von sich.

Er sagt, der Wechsel vom Richten zum Schlichten sei durch seine Fachkenntnis und sein soziales Engagement entstanden. Eine bundesweit einmalige Institution hatte die Ministerin das neue Amt genannt. Seitdem navigiert sich Söhnchen mit seinem vierköpfigem Team durch die Justizvollzugsanstalten, so der offizielle Begriff. Anstalten, in den die Justiz vollzogen wird.

Mal so, mal völlig anders.

Es gibt Anstalten, in denen die Leiter regelmäßig Gesprächsstunden für Gefangene anbieten. Und es gibt Gefangene, die haben in vielen Jahren noch nie den Anstaltsleiter gesehen, geschweige denn: gesprochen. In diversen Anstalten gibt es, eine Rarität hierzulande, Regelungen mit der Möglichkeit dauernden Gefangenenbesuchs. Diesen Unterschied registrierte Söhnchen bei seinen Besuchen in bislang 14 Gefängnissen mit Verblüffung: „Sollte sich herausstellen, dass solche Wohltaten zufällig sind, werde ich eine positive einheitliche Regelung fordern!“

Denn einen Standard gibt es nicht. Den hat offenbar das Wuppertaler Landesjustizvollzugsamt, dessen Hauptaufgabe doch gerade die „zentrale Koordination des Vollzugsgeschehens in den Justizvollzugsanstalten des Landes Nordrhein-Westfalen“ ist, in den fünf Jahren seines Bestehens nie zustande gebracht. Manche Gefängnisse haben eigene Suchtberater, berichtet der Ombudsmann, andere nutzen fremde Träger – die aber sind von instabilen Zuwendungen abhängig:

„Ist das richtig?“ Die Antwort kennt Söhnchen bereits: „Meine Forderung nach Evaluierung steht schon jetzt fest!“ Er will also alle Prozesse und Organisationen im gesamten Justizvollzug beschreiben, analysieren und bewerten lassen. Inzwischen stößt er damit bei den Leitern der Gefängnisse auf offene Ohren. Es gab zwar welche, die sind ihm mit Vorbehalten, zwar frei von Misstrauen, aber mit Distanz begegnet. Andere haben ihn tatsächlich aufgefordert, erst einmal ein paar Wochen im Knast zu hospitieren.

„Es wird von mal zu mal entspannter“, erkennt Söhnchen, „die Anstaltsleiter haben erkannt, dass ich ihr Sprachrohr werden könnte.“ Es gebe welche, die fühlen sich durch ihn gegenüber dem Justizministerium vertreten. Und das, obwohl langsam die Beschwerden der Gefangenen eintrudeln. Durch eine Panne sind sie erst seit Anfang Juli über die Arbeit des Ombudsmannes informiert. Mit bereits 60 Eingaben sieht Söhnchen erst die Spitze des sprichwörtlichen Eisbergs. Seine Prognose: „Es wird künftig 2000 Beschwerden im Jahr geben“.

Das Gros will Vollzugslockerung, der eine oder andere seine Wasserpfeife. Über die ärztliche Versorgung, die Zahnbehandlung, wird geklagt. Aber nicht über Gewalt von Bediensteten. Auch über Mitgefangene fehlen Rügen. Der jährliche Etat für Söhnchen, eine für seine Vertretung frei gestellte Staatsanwältin, eine Justizbeamtin, einen Sozialarbeiter und eine Assistentin liegt jährlich bei 27.000 Euro. Mit einem Dienstwagen ausgestattet fahren sie monatlich 2000 Kilometer, haben noch Besuche in 21 Gefängnissen vor sich.

Sie wünschen sich noch ein paar Notebooks mehr in ihren Diensträumen, die inzwischen ziemlich komfortabel im Gebäude des Landesjustizamtes eingerichtet worden sind. Und wenn das Ende des Jahres aufgelöst wird, hat der Ombudsmann noch mehr Arbeit. Aber dann auch endlich eigenes Toilettenpapier und Seife. (pbd)

Fakten: In Nordrhein-Westfalen gibt es 37 Justizvollzugsanstalten, 11 angeschlossene Zweiganstalten und 22 weitere Außenstellen. Das Justizvollzugskrankenhaus steht in Fröndenberg, die Justizvollzugsschule in Wuppertal. Insgesamt gibt es etwa 18.500 Haftplätze, die von rund 18.000 Gefangenen belegt sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ständig rund 700 bis 900 Haftplätze insbesondere wegen Renovierungsarbeiten nicht belegt werden können. In den Justizvollzugsanstalten des Landes sind mehr als 8000 Bedienstete tätig, über 6000 davon im allgemeinen Vollzugsdienst. Der Ombudsmann ist keiner Weisung unterworfen. Alle Eingaben an ihn werden vertraulich behandelt. Der Schriftwechsel aus der Strafhaft wird nicht überwacht. Der Ombudsmann wird seinen ersten Bericht der Justizministerin in etwa acht Monaten vorlegen. (pbd)