Erfolg für die Gegner der Vorratsdatenspeicherung. Das Bundesverfassungsgericht hat es heute per einstweiliger Anordnung untersagt, auf die gesammelten Daten zuzugreifen. Eine Ausnahme gilt nur bei schweren Straftaten.
Der Antrag der Beschwerdeführer, §§ 113a, 113b TKG im Wege der
einstweiligen Anordnung bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde außer Kraft zu setzen, hatte teilweise Erfolg. Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts ließ die Anwendung von § 113b TKG, soweit er die Verwendung der gespeicherten Daten zum Zweck
der Strafverfolgung regelt, bis zur Entscheidung in der Hauptsache nur
modifiziert zu.
Aufgrund eines Abrufersuchens einer Strafverfolgungsbehörde hat der Anbieter von Telekommunikationsdiensten die verlangten Daten zwar zu erheben und zu speichern. Sie sind jedoch nur dann an die Strafverfolgungsbehörde zu übermitteln, wenn Gegenstand
des Ermittlungsverfahrens eine schwere Straftat im Sinne des § 100a Abs. 2 StPO ist, die auch im Einzelfall schwer wiegt, der Verdacht durch bestimmte Tatsachen begründet ist und die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos
wäre (§ 100a Abs. 1 StPO). In den übrigen Fällen ist von einer Übermittlung der Daten einstweilen abzusehen. Zugleich wurde der Bundesregierung aufgegeben, dem Bundesverfassungsgericht zum 1. September 2008 über die praktischen Auswirkungen der Datenspeicherungen und der vorliegenden einstweiligen Anordnung zu berichten. Im Übrigen
lehnte der Erste Senat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab; insbesondere lehnte er die Aussetzung des Vollzugs von § 113a TKG, der allein die Speicherungspflicht für Daten regelt, ab.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
Das Bundesverfassungsgericht darf von seiner Befugnis, das
Inkrafttreten oder den Vollzug eines Gesetzes auszusetzen, nur mit
größter Zurückhaltung Gebrauch machen, da der Erlass einer solchen
einstweiligen Anordnung stets ein erheblicher Eingriff in die
Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers ist. Der Prüfungsmaßstab ist noch
weiter verschärft, wenn eine einstweilige Anordnung begehrt wird, durch
die der Vollzug einer Rechtsnorm ausgesetzt wird, soweit sie zwingende
Vorgaben des Gemeinschaftsrechts in das deutsche Recht umsetzt. Eine
solche einstweilige Anordnung droht über die Entscheidungskompetenz des
Bundesverfassungsgerichts in der Hauptsache hinauszugehen und kann
zudem das Gemeinschaftsinteresse an einem effektiven Vollzug des
Gemeinschaftsrechts stören.
Ob und unter welchen Voraussetzungen das Bundesverfassungsgericht den
Vollzug eines Gesetzes aussetzen kann, soweit es zwingende
gemeinschaftsrechtliche Vorgaben umsetzt, bedarf hier keiner
abschließenden Entscheidung. Eine derartige einstweilige Anordnung
setzt aber zumindest voraus, dass aus der Vollziehung des Gesetzes den
Betroffenen ein besonders schwerwiegender und irreparabler Schaden
droht, dessen Gewicht das Risiko hinnehmbar erscheinen lässt, im
Eilverfahren über die Entscheidungskompetenz des
Bundesverfassungsgerichts in der Hauptsache hinauszugehen und das
Gemeinschaftsinteresse an einem effektiven Vollzug des
Gemeinschaftsrechts schwerwiegend zu beeinträchtigen. Nach diesen
Maßstäben ist dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nur
teilweise stattzugeben.
   I. Eine Aussetzung des Vollzugs von § 113a TKG (Speicherungspflicht)
      scheidet aus. Ein besonders schwerwiegender und irreparabler
      Nachteil, der es rechtfertigen könnte, den Vollzug der Norm
      ausnahmsweise im Wege einer einstweiligen Anordnung auszusetzen,
      liegt in der Datenspeicherung allein nicht. Zwar kann die
      umfassende und anlasslose Bevorratung sensibler Daten über
      praktisch jedermann für staatliche Zwecke, die sich zum Zeitpunkt
      der Speicherung der Daten nicht im Einzelnen absehen lassen,
      einen erheblichen Einschüchterungseffekt bewirken. Der in der
      Vorratsdatenspeicherung für den Einzelnen liegende Nachteil für
      seine Freiheit und Privatheit verdichtet und konkretisiert sich
      jedoch erst durch einen Abruf seiner Daten zu einer
      möglicherweise irreparablen individuellen Beeinträchtigung.
 II. Hingegen ist die in § 113b Satz 1 Nr. 1 TKG ermöglichte Nutzung
     der bevorrateten Daten zu Zwecken der Strafverfolgung bis zur
     Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde teilweise auszusetzen.
     Die erforderliche Folgenabwägung ergibt, dass das öffentliche
     Interesse am Vollzug der Norm hinter den Nachteilen, die durch den
     Normvollzug drohen, teilweise zurückstehen muss.
     1. Erginge keine einstweilige Anordnung, erwiese sich die
        Verfassungsbeschwerde aber später als begründet, so drohten
        Einzelnen und der Allgemeinheit in der Zwischenzeit Nachteile
        von ganz erheblichem Gewicht. In dem Verkehrsdatenabruf selbst
        liegt ein schwerwiegender und nicht mehr rückgängig zu
        machender Eingriff in das Grundrecht aus Art. 10 Abs. 1 GG
        (Schutz des Telekommunikationsgeheimnisses). Ein solcher
        Datenabruf ermöglicht es, weitreichende Erkenntnisse über das
        Kommunikationsverhalten und die sozialen Kontakte des
        Betroffenen zu erlangen. Zudem werden in vielen Fällen die
        durch den Verkehrsdatenabruf erlangten Erkenntnisse die
        Grundlage für weitere Ermittlungsmaßnahmen bilden. Schließlich
        können die abgerufenen Verkehrsdaten sowie die durch weitere
        Ermittlungsmaßnahmen, die an den Verkehrsdatenabruf anknüpfen,
        erlangten Erkenntnisse Grundlage eines Strafverfahrens oder
        gegebenenfalls einer strafrechtlichen Verurteilung des
        Betroffenen werden, die ohne die Datenbevorratung und den
        Datenabruf nicht möglich gewesen wäre.
     2. Erginge eine auf den Abruf der bevorrateten Daten bezogene
        einstweilige Anordnung, erwiesen sich die angegriffenen Normen
        jedoch später als verfassungsgemäß, so könnten sich Nachteile
        für das öffentliche Interesse an einer effektiven
        Strafverfolgung ergeben. Diese Nachteile wiegen allerdings
        teilweise weniger schwer und sind hinzunehmen, wenn nicht das
        Abrufersuchen ausgeschlossen, sondern lediglich die
        Übermittlung und Nutzung der auf das Ersuchen hin von dem zur
        Speicherung Verpflichteten erhobenen Daten ausgesetzt werden.
        Sollten die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Normen
        sich als verfassungsgemäß erweisen, so könnten anschließend
        diese Daten in vollem Umfang zum Zweck der Strafverfolgung
        genutzt werden. Eine Vereitelung der Strafverfolgung durch die
        zwischenzeitliche Löschung der bevorrateten Daten ist dann
        nicht zu besorgen.
        Die Übermittlung und Nutzung der von einem Diensteanbieter auf
        ein Abrufersuchen hin erhobenen Daten sind allerdings in den
        Fällen nicht zu beschränken, in denen Gegenstand des
        Ermittlungsverfahrens eine schwere Straftat im Sinne des § 100a
        Abs. 2 StPO ist, die auch im Einzelfall schwer wiegt, der
        Verdacht durch bestimmte Tatsachen begründet ist und die
        Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise wesentlich
        erschwert oder aussichtslos wäre (§ 100a Abs. 1 StPO). Im
        verfassungsgerichtlichen Eilverfahren ist von der Einschätzung
        des Gesetzgebers auszugehen, nach der die in § 100a Abs. 2 StPO
        genannten Straftaten so schwer wiegen, dass sie auch gewichtige
        Eingriffe in das Grundrecht aus Art. 10 Abs. 1 GG rechtfertigen
        können. In diesen Fällen hat das öffentliche
        Strafverfolgungsinteresse daher grundsätzlich ein derartiges
        Gewicht, dass eine Verzögerung durch eine einstweilige
        Anordnung nicht hingenommen werden kann. Dabei ist im Verfahren
        über den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht zu klären,
        ob der deutsche Gesetzgeber durch die Richtlinie 2006/24/EG
        verpflichtet war, sämtliche der in § 100a Abs. 2 StPO
        aufgeführten Straftaten in die Abrufermächtigung des § 100g
        StPO einzubeziehen.
        Liegen diese Voraussetzungen hingegen nicht vor, ist die
        Übermittlung und Nutzung der bevorrateten Verkehrsdaten
        einstweilen auszusetzen. Insbesondere in den Fällen, in denen
        die Abrufermächtigung der Strafprozessordnung (§ 100g StPO)
        Verkehrsdatenabrufe bei Verdacht auf sonstige „Straftaten von
        im Einzelfall erheblicher Bedeutung“ oder auf Straftaten
        mittels Telekommunikation ermöglicht, ist das Risiko
        hinzunehmen, dass eine Verzögerung der Datennutzung das
        Ermittlungsverfahren insgesamt vereitelt. Die Nichtaufnahme in
        den Katalog des § 100a Abs. 2 StPO indiziert, dass der
        Gesetzesgeber den verbleibenden Straftaten im Hinblick auf
        Eingriffe in das Grundrecht aus Art. 10 Abs. 1 GG geringere
        Bedeutung beigemessen hat. Dementsprechend geringer zu
        gewichten sind die Nachteile durch eine Aussetzung der
        Datennutzung, die im Rahmen der Folgenabwägung der
        Beeinträchtigung der Grundrechte der Betroffenen gegenüber zu
        stellen sind.
III. Für eine einstweilige Anordnung über die Datennutzung zu
     präventiven Zwecken (§113b Satz 1 Nr. 2 und 3 TKG) besteht kein
     Anlass, da bislang keine fachrechtlichen Abrufermächtigungen
     bestehen, die ausdrücklich auf § 113a TKG Bezug nehmen.
