Bagatell-Kündigungen: Neuer Trend?

Erneut hat ein Arbeitsgericht die fristlose Kündigung wegen eines Bagatell-Delikts für unwirksam erklärt. In diesem Fall beim Arbeitsgericht Reutlingen ging es um einen Mann, der einen Essens-Bon im Wert von 80 Cent für seine Freundin eingelöst hatte.

Dpa zitiert den Vorsitzenden Richter Werner Schwägerle wie folgt:

Zwar sei das Tauschen der Essensmarke prinzipiell ein Kündigungsgrund – auch wenn es nur um 80 Cent geht. «Aber er hat sein Fehlverhalten eingeräumt.» Die Entlassung sei deshalb zu hart. Eine Kündigung dürfe keine Strafe für einen begangenen Fehler sein. Sie sei nur legitim, um ähnliche Verstöße in Zukunft zu verhindern.

Das Arbeitsgericht Reutlingen hat also auf die Verhältnismäßigkeit abgestellt. Ebenso war es in dem Fall, der vor dem Arbeits- und Landesarbeitsgericht Mannheim entschieden wurde. Dort ging es um einen Müllmann, der aus dem Sperrmüll ein Kinderbett mitgenommen hatte. Die Kündigung wurde in beiden Instanzen für unwirksam erklärt

Es gab noch einige weitere Arbeitsrichter, die in jüngster Zeit pro Arbeitnehmer argumentierten, etwa im Maultaschen-Prozess.

Es wirkt für mich fast wie eine Revolte gegen das Bundesarbeitsgericht und seine Präsidentin. Denn seit dem legendären „Bienenstich-Urteil“ des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) im Jahr 1984 ist die Rechtssprechung zu solchen Bagatellen immer sehr streng gewesen. Eine Bäckerei-Verkäuferin hatte ein Stück Bienenstich gegessen, ohne es zu bezahlen. Das BAG sah den Rauswurf der Frau als berechtigt an – es komme nicht auf den Wert des Diebesgutes oder den Schaden an, sondern auf den Vertrauensbruch (Az: 2 AZR 3/83).

In den vergangenen zwei Jahren kochte dann das Thema immer öfter in den Medien hoch und es wurden Rufe laut, der Gesetzgeber sollte einschreiten und eine Abmahnung vorschreiben. Die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, Ingrid Schmidt, allerdings zeigte sich von der Diskussion unbeeindruckt und verteidigte Ende 2009 die harte Linie (s. auch Lawblog vom 29.12.2009).

In den unteren Instanzen sind die Richter offenbar zunehmend anderer Meinung.