Ein Umfeld für ältere Gefangene

Der erste Satz ähnelt der Werbung eines Wellness-Hotels: „Am Fuße des Hermannsdenkmales und in der wunderschönen Residenzstadt Detmold liegt sie“ – die Justizvollzugsanstalt im Lippischen Land. Für Gefangene mit langen Haftstrafen mag so ein Internetauftritt bitter klingen, doch für ältere Menschen hinter Gittern aber gilt diese JVA als Vorbild im ganzen Land.

So sagt und hofft es die Leiterin dort. Kerstin Höltgemeyer-Schwick hatte die „gesamtgesellschaftliche Entwicklung“ beobachtet und herausgefunden: „Die „Vergreisung“ spiegelt sich auch im Strafvollzug wieder“. Kriminalität sei nicht mehr eine Sache überwiegend junger Leute. Mit dieser Erkenntnis und Ideen dazu ging die Beamtin vor gut einem Jahr zum Justizministerium und bekam ideelle wie finanzielle Unterstützung.

Inzwischen gibt es in der JVA Detmold im Haftbereich C, dem Untergeschoss des sozialtherapeutischen Bereiches, 22 Haftplätze für lebensältere Gefangene. Diese Männer sind wenigstens 62 Jahre alt, der älteste ist 76. Alle bevorzugen sie ihren „Rückzugsbereich“, sind demnach auch in Einzelzellen untergebracht. Dennoch gebe es auch eine „wohngruppenähnliche“ Atmosphäre im Gemeinschaftsraum, berichtet Höltgemeyer-Schwick.

Von Gewalt könne keine Rede sein, obwohl auch wegen Gewalttaten (Banküberfälle etwa oder Raub) verurteilte Männer hier leben. „Es gibt unter den Gefangenen keine Durchsetzungskämpfe und kein Alpha-Tier-Gehabe.“ Dabei spielt wohl auch die Auswahl eine Rolle. Die Menschen hier haben Lebenserfahrung. Sie ordnen sich dem Wachpersonal (im Durchschnitt um die 40 Jahre alt) zumeist unter, sind Hierarchie gewohnt.

Weil im Alter vor allem chronische Erkrankungen deutlich zunehmen, werden solche Diabetes-, Herz- oder Kreislauferkrankungen in enger Zusammenarbeit mit dem Krankenpflegedienst (im zweiten Stockwerk, mit dem Aufzug zu erreichen) medizinisch versorgt. Um seelische Problemen sorgen sich eine Psychologin und ein Pfarrer. In einer Gesprächsgruppe können Erinnerungen, Erfahrungen, Pläne diskutiert werden.

Eine „Freizeitabteilung“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, den lebensälteren Gefangenen reichliche Angebote zu machen. Auf der langen Liste stehen Gymnastik, Tischtennis, Billard und Schach ebenso wie Karten- und Gesellschaftsspiele.

Auch Gefangene im Rentenalter haben ein Sonderrecht, sie müssen nicht mehr arbeiten. Wer das dennoch in Detmold will, kann tischlern oder basteln und sich so ein Taschengeld verdienen. Ein anderes Ziel in dieser JVA ist es aber auch, soziale Kontakte zu halten, zu schaffen, zu fördern. „Wir arbeiten gegen die Isolation“, versichert die Anstaltsleiterin.

Besuche von Verwandten und Bekannten werden unterstützt, insgesamt 25 Ehrenamtler aus der Umgebung kümmern sich zudem, fünf von denen kommen zum Kochen mit Gefangenen regelmäßig hinter die Mauern. Ein Anstaltsbeirat fungiert als Ansprechpartner und der Verein „Straffälligenhilfe e.V.“ unterstützt die Lebensälteren.

Zu deren Problem gehört natürlich, das verschweigt Kerstin Höltgemeyer-Schwick nicht, die Auseinandersetzung mit dem Tod. „Wir hatten noch keinen Todesfall“, sagt sie. Die Kollegen hätten aber gelernt, mit den Tabuthemen Krankheit, Leiden und Sterben „unter Achtung der Menschenwürde“ umzugehen.

Nicht vergleichbar, dennoch ähnlich delikat seien die Vorbereitungen zur Entlassung aus der Haft. Dazu zählen die helfende Suche nach passender Unterkunft, tragfähigen, soziale Beziehungen und – schwierig – neuen Bezugs- und Lebensmittelpunkten. Möglichst in Nachbarschaft zum Hermannsdenkmal. Und doch weit von der JVA: „Der Drang nach Freiheit ist immer da“, ist die Erkenntnis der Leiterin, „jeder strebt nach draußen.“ (pbd)