Meldeämter gibt es überall

Heute hat das Amtsgericht Nettetal darüber befunden, ob mein aus Afrika stammender Mandant bestraft werden kann, weil er seine eigene Abschiebung nicht hinreichend gefördert hat.

Die Geschichte ist, kurz gefasst, folgende: Mein Mandant reiste ohne Papiere nach Deutschland ein. Er sagt, er sei sierra-leonischer Staatsangehöriger. Die Botschaft von Sierra Leone sagt, er komme nicht aus Sierra Leone. Das Ausländeramt vermutet, mein Mandant stamme aus Ghana oder Nigeria. Die ghanaische Botschaft sagt, er stammt nicht aus Ghana. Die nigerianische Botschaft sagt, er stammt nicht aus Nigeria.

Nun erging gegen meinen Mandanten ein Strafbefehl, weil er, so wörtlich, „im Rahmen seiner Mitwirkungs- und Initiativpflicht keinerlei zumutbare Anstrengungen unternommen“ habe, „die Feststellungen der sierra-leonischen Botschaft zu widerlegen“.

Dagegen ließ sich viel einwenden.

Zum Beispiel, dass Sierra Leone noch heute vom Bürgerkrieg gezeichnet ist und es keinen Verwaltungsapparat wie in Deutschland gibt. Einer Mitarbeiterin des Ausländeramtes, die als Zeugin aussagte, war das anscheinend unbekannt. In jedem Land gebe es Einwohnermeldeämter, erklärte sie. Da könne man hinschreiben und kriege seine Geburtsurkunde zugesandt.

Oder die Frage, wie man als nicht sonderlich gebildeter Mensch von Deutschland aus mit Behörden in Sierra Leone, deren Existenz mal vorausgesetzt, kommunizieren soll – bei einem „Taschengeld“ von 1,91 € pro Tag.

Etwa den Einwand, dass das Ausländeramt erklärtermaßen selbst nicht daran glaubt, dass mein Mandant aus Sierra Leone kommt. Und wieso dann ausgerechnet von ihm verlangt wird, etwas zu belegen, was nach Auffassung der Behörde ohnehin nicht stimmt.

All das konnte offen bleiben. Denn das Ausländeramt hatte schon früher schriftlich eingeräumt, dass es meinen Mandanten nie konkret aufgefordert hat, sich mit Behörden in Sierra Leone in Verbindung zu setzen. Die Zeugin bestätigte auch vor Gericht, das sei doch selbstverständlich, deshalb werde es erst gar nicht ausdrücklich verlangt.

Der Richter sagte zwar, er stelle hohe Anforderungen an die Mitwirkungspflicht von Ausländern bei der Passbeschaffung. Aber er könne auch kein Unterlassen bestrafen, das auf einem Unterlassen des Ausländeramtes selbst beruht. Man hätte meinem Mandanten wenigstens mal klar sagen müssen, wo er in Sierra Leone bitte was beantragen soll.

Ohne so eine Aufforderung könne nämlich nicht widerlegt werden, dass der Angeklagte für sich davon ausging, seine Mitwirkungspflicht erfüllt zu haben. Womit der Vorsatz entfalle, der für einen Verstoß gegen das Aufenthaltsgesetz erforderlich sei.

Selbst die Staatsanwältin mochte sich dieser Auffassung nicht verschließen. Sie beantragte Freispruch. Zu dem es dann auch kam.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse. Sie dürften ungefähr dem entsprechen, was mein Mandant in zwei Jahren als Taschengeld bekommt.