Der erbärmliche Oberbürgermeister

Die Loveparade-Tragödie muss aufgeklärt werden. Keiner forderte dies in den letzten Tagen öfter als ausgerechnet Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland. In diversen Interviews versuchte er sich an die vorderste Front der Aufklärer zu setzen. Immer wieder betonte er, es müsse festgestellt werden, wer die Verantwortung für 21 Tote und hunderte Verletzte trägt.

Tatsächlich aber scheint die Stadt Duisburg von Aufklärung und der hierfür notwendigen Transparenz gar nicht so viel zu halten. Sie präsentierte zwar schon wenige Tage nach dem Unglück das entlastende Gutachten einer Anwältin, die über Jahre hinweg die Nachbarstadt Mülheim an der Ruhr vertreten hat, bei einer Vielzahl an Ruhrgebietsprojekten mitwirkte – und dabei nicht immer im besten Licht erschien. Ihre Kanzlei gehört zufälligerweise auch zu jenen Büros, auf welche die Stadt Duisburg schon immer gern zurückgegriffen hat.

Das entlastende Gutachten wurde, soweit ich weiß, freizügig an die Journalisten gestreut. Es ist, in aktueller Fassung, überdies auch auf der Homepage der Stadt Duisburg abrufbar. Die Dokumente, welche Grundlage für die aus meiner Sicht oberflächliche und einer offensichtlichen Erwarungshaltung des Auftraggebers genügenden Bewertung der Anwälte waren und die in den Randbemerkungen sogar benannt werden, sind natürlich von besonderem Interesse. Einmal, weil sie die Qualität des Gutachtens überprüfbar machen. Aber insbesondere auch, weil sie offenbaren, was bei der Stadt Duisburg und den anderen Beteiligten im Vorfeld der Loveparade passierte.

Es sollte also ganz im Sinne Adolf Sauerlands und seiner Stadtverwaltung sein, wenn die Öffentlichkeit Einblick in die Unterlagen erhält, aufgrund derer er und seine Mitarbeiter sich reinwaschen wollen.

Ist es aber offensichtlich nicht.

Denn die Stadt Duisburg, vertreten durch ihren Oberbürgermeister Adolf Sauerland, hat dem von Bloggern betriebenen Nachrichtenportal xtranews.de per einstweiliger Verfügung nun verbieten lassen, eben jene Dokumente zu veröffentlichen. xtranews waren die Anlagen zugespielt worden. Die Redaktion hatte vor einigen Tagen begonnen, die Papiere nach und nach auf ihre Seite zu stellen.

Interessanterweise hat sich die Stadt Duisburg nicht an ihr heimisches Landgericht gewandt. Und das, wo doch xtranews.de auch in Duisburg beheimatet ist. Vielmehr denkt die Kommune auch hier taktisch. Duisburg zog vors Landgericht Köln. Das Landgericht Köln müht sich schon seit längerem redlich, den mit Pressesachen betrauten Richterkollegen in Hamburg und Berlin das Wasser zu reichen – was eine grundsätzlich feindselige Haltung zur Meinungsfreiheit betrifft. Jedenfalls haben sich die Kölner Richter nicht gescheut, xtranews.de ohne vorherige mündliche Verhandlung die Veröffentlichung der Unterlagen zu verbieten.

Nach Angaben der xtranews-Redaktion wird das Verbot mit dem Urheberrecht der Stadt an den Dokumenten begründet.

Natürlich kann man jetzt diskutieren, ob Planungsunterlagen, Genehmigungen und Sitzungsprotokolle überhaupt urheberrechtlich geschützt sind.

Oder sind sie vielleicht ähnlich gemeinfrei wie Gesetze und Bekanntmachungen? Haben sie überhaupt die nötige Schöpfungshöhe? Gibt es möglicherweise ein übergeordnetes Interesse an der Veröffentlichung? Hilft das Informationsfreiheitsgesetz NRW? Oder das Pressegesetz?

Es wäre allerdings viel besser, wenn dieser Prozess nun womöglich nicht geführt werden müsste und die Fragen, zumindest in diesem Kontext, unbeantwortet blieben. Nämlich schlicht aufgrund des Umstandes, dass die Stadt Duisburg und ihr erbärmlicher Oberbürgermeister nicht nur Aufklärung predigen, sondern sie auch ohne Einschränkungen ermöglichen. Auch und gerade dann, wenn es ihnen vielleicht wehtut.

Kurz gesagt: Im Angesicht von 21 Toten mit dem Urheberrecht zu kommen und sich den Mitteln von Sony Pictures und Bushido zu bedienen, das ist unterste Schublade. Es ist wünschen, dass dieser miese Schachzug der letzte ist, mit dem Adolf Sauerland von sich reden macht.

Nachtrag: netzpolitik.org weist auf Fundstellen für die Dokumente hin.