Allmachtsfantasien

Die Firma IBM will möglicherweise bei den Betriebsrenten tricksen. Dagegen klagen hunderte Mitarbeiter. Soweit Urteile ergangen sind, hat IBM immer verloren. Dennoch will das Unternehmen keinen “Pilotprozess” akzeptieren und erzeugt somit eine Prozessflut an den Arbeitsgerichten. Hiergegen protestiert nun wiederum das Landesarbeitsgericht Baden Württemberg mit harschen Worten.

Es ist ein ungewöhnlicher Vorgang, der sich in der heutigen Pressemitteilung des Stuttgarter Landesarbeitsgerichts widerspiegelt. Allerdings insbesondere einer, der ein  schlechtes Licht auf die Justiz wirft. Die rüde Art und Weise, wie das Gericht ein Unternehmen öffentlich abkanzelt, dürfte bislang einmalig sein.

So heißt es in der Pressemitteilung:

Die Leidtragenden dieser Prozesstaktik sind an erster Stelle die Betriebsrentner, die sich ihr Recht in jedem Einzelfall erstreiten müssen. Die Leidtragenden sind aber auch die anderen Parteien, deren Verfahren wegen der Betriebsrentenfälle weniger zügig bearbeitet werden können.

Besonders bedenklich ist, dass die Firma IBM nicht bereit ist, die Grundsatzentscheidungen des Bundesarbeitsgerichts zu akzeptieren. Die Firma IBM untergräbt damit die Autorität der Rechtsprechung.

Außerdem steht das Verhalten der Firma IBM im Widerspruch zu den eigenen Ethik-Richtlinien, wonach sich jeder Unternehmensangehörige zur Einhaltung der Gesetze und der allgemein gültigen ethischen Standards verpflichtet.

Würde ein zuständiger Richter so formulieren, wäre er befangen. Und zwar mit gutem Grund. Es gibt schon keine gesetzliche Verpflichtung der IBM, sich das von den Arbeitsrichtern gewünschte Pilotverfahren einzulassen. Tatsächlich ist so ein Pilotverfahren im Arbeitsrecht gar nicht vorgesehen.

Somit ist es schlicht eine Anmaßung, wenn das Landesarbeitsgericht per Pressemitteilung IBM das Recht abspricht, Prozesse so zu führen, wie sie von der Verfahrensordnung nun mal vorgesehen sind.

Endgültig überschreitet das Gericht aber die Grenze des Erträglichen mit dem Vorwurf, IBM untergrabe die Autorität der Rechtsprechung. Abgesehen davon, dass jeder Einzelfall im Detail auch mal anders gelagert sein kann als bereits erledigte Prozesse, gibt es kein Prozesshindernis namens: “Das Bundesarbeitsgericht hat bereits anders entschieden und deshalb darfst du dich nicht verklagen lassen.”

Das Landesarbeitsgericht begibt sich damit auf das Niveau einer Bank, die einem kleinen Rentner kein Sparbuch eröffnet, weil sich das für sie nicht lohnt. Dummerweise gehört die Justiz aber nicht zur Privatwirtschaft. Vielmehr ist sie “der Staat” und genau für das eingerichtet, was sie IBM gerade hochmütig verweigern möchte – Recht zu sprechen. Und zwar in jedem Einzelfall – auch wenn das Arbeit macht und wegen der Masse den Betrieb stocken lässt.

Dass ein Gericht sich dann auch noch auf die Ethikichtlinien einer Prozesspartei beruft, schlägt dem Fass den Boden aus. Der Umstand, dass sich IBM verklagen lässt, soll ein Verstoß gegen die Gesetze sein?  Oder jedenfalls allgemeine ethische Standards verletzen? Haben sich die Verantwortlichen des Landesarbeitsgerichts überhaupt mal zehn Sekunden lang überlegt, was sie da behaupten? Und meinen sie in ihrer offenkundigen Allmachtsfantasie tatsächlich, sogar die Deutungshoheit über Moral und Anstand zu haben?

So ärgerlich eine Prozesslawine sein mag, hat sich das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg mit diesem Verdikt sehr weit ins Abseits gestellt. Es beschädigt selbst das so wichtige Vertrauen darauf, dass sich Richter mit jedem Fall, der ihnen auf den Tisch kommt, objektiv und ohne innere Vorbehalte beschäftigen. Bei IBM ist da ja eingestandenermaßen nicht der Fall.

Wer auch immer diese Attacke zu verantworten hat, sollte besser seinen Hut nehmen. An einem Gericht hat er jedenfalls nichts verloren.