Der Überwachungs- und Ausgrenzungsstaat

Natürlich war es zu erwarten, dass sich deutsche Politiker die Ereignisse in Norwegen zu Nutze machen. Eine schnelle Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung fordert etwa Hans-Peter Uhl, innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag. Er meint, die Vorratsdatenspeicherung könne solche Gewalttaten verhindern. Darüber seien sich alle Experten einig, mit Ausnahme der Bundesjustizministerin.

Uhl spricht davon, Ermittler müssten “die Kommunikation bei der Planung von Anschlägen verfolgen können”. Diesen Zweck erfüllt die Vorratsdatenspeicherung allerdings nur sehr eingeschränkt, da sie überhaupt keinen Rückschluss auf den Inhalt der Kommunikation zulässt. Bei der VDS wird festgehalten, welches Telefon wann mit einem anderen verbunden und welcher Internetanschluss wann online war. Dabei handelt es sich um Verbindungsdaten, die erst mal gar nichts über den Inhalt der Kommunikation aussagen.

Es fällt nach dem Kenntnisstand von heute schwer sich vorzustellen, wie die norwegischen Ermittlungsbehörden dem Verdächtigen ausgerechnet mit Daten aus der Vorratsdatenspeicherung, die es in Norwegen seit kurzem sogar gibt, auf die Spur hätten kommen können. So lange jemand unverdächtig ist, wandern die Daten zunächst mal nur auf eine riesige Halde. 

Bei einem Tatverdacht, zum Beispiel der Vorbereitung eines Attentats, haben die Ermittlungsbehörden bei uns schon heute Möglichkeiten, die weit über die Vorratsdatenspeicherung hinausgehen. Telefone können abgehört, Internetverbindungen belauscht und E-Mails aus Postfächern kopiert werden. So was funktioniert in der Praxis schon längst. Der Lauschangriff auf die kürzlich in Düsseldorf festgenommenen angeblichen Al-Kaida-Mitglieder war zum Beispiel nach offizieller Darstellung ziemlich lückenlos.

Konsequenterweise müsste Uhl also die Präventivüberwachung an sich Unverdächtiger fordern. Und zwar in der Form, dass die Polizei sich ohne konkreten Anlass mal einfach so in Gespräche reinschalten darf, in geschlossenen Chats mitliest oder über eine Schnittstelle zu deinem und meinem E-Mail-Postfach verfügt. Das wäre Prävention im Uhlschen Sinne, damit könnte sich vielleicht auch was im Kampf gegen verquere Einzeltäter ausrichten lassen.

Warum ist Uhl dann nicht ehrlich und verlangt gleich die Möglichkeit der anlasslosen Totalüberwachung jedes Bürgers (Bundestagsabgeordnete selbstverständlich ausgenommen)? Ich habe mittlerweile so meine Zweifel, dass so was jemandem wie Uhl, der seine innenpolitischen Spielchen nicht mal bremsen kann, bis die Toten in Norwegen zu Grabe getragen sind, nicht vielleicht am Ende doch gefallen könnte. Und er es sich derzeit nur nicht zu sagen traut. 

Dafür reicht es aber momentan noch zu einer klaren Schuldzuweisung auf das Internet. Der Traum vom freien Internet werde zu einem Albtraum, lässt sich Uhl vernehmen. Welche Rolle das Internet bei der Tat in Norwegen spielt, weiß zwar noch keiner genau. Nach dem derzeitigen Stand steht lediglich fest, dass der Verdächtige sich in Foren geäußert hat. Außerdem hat er wenige Tage vor dem Tattag ein Manifest online gestellt.

Reicht das, um dem Internet die (Mit-)Schuld zu geben? Früher hätte jemand wie der Verdächtige sein Manifest an eine Tageszeitung oder ein Magazin geschickt. Auch vor der Erfindung des Internets haben Menschen miteinander über Politik schwadroniert, persönlich, aber auch unter Ausnutzung so teuflischer Kommunikationsmittel wie dem Festnetztelefon.

Die Argumentation Uhls ist also dünn und brüchig. Aber Hauptsache, es wird ein willkommenes Feindbild weiter etabliert. Zur Seite springt dem Politiker da, wie kaum anders zu erwarten, mal wieder der Funktionär einer Polizeigewerkschaft. Bernhard Witthaut, Chef der Gewerkschaft der Polizei, hält nun plötzlich eine Datei für “Auffällige” für unumgänglich. Er möchte Menschen, die auffällige Dinge ins Internet schreiben, “registrieren und identifizieren”.

Von aussondern spricht der gute Mann zwar noch nicht, aber bis dahin ist es jedenfalls nur noch ein kurzer Schritt. Ich plädiere übrigens dafür, Bernhard Witthaut gleich als ersten in die Kartei aufzunehmen, denn auf dem Boden des Grundgesetzes steht er mit solchen Forderungen jedenfalls nicht.

Das sieht übrigens auch jemand so, der liberalen Gedankengutes bisher eher unverdächtig war. Rainer Wendt, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, lehnt so eine Datei als “hanbüchenen Unfug” ab. Wörtlich:

Abgesehen davon, dass nirgends eine Rechtsgrundlage für eine solche Datei vorhanden ist, wird hier suggeriert, dass man mit technischen Mitteln entschlossene Einzeltäter frühzeitig aufspüren und unschädlich machen könnte. Die Wahrheit ist, dass das nicht möglich sein wird und wir akzeptieren müssen, dass das Ausrasten einzelner Verrückter nicht zu verhindern ist.

Wendt erkennt, woher der Wind weht. So gestattet er sich den Hinweis, bei Erfassung aller Menschen mit kruden Gedanken wäre die Datei nicht nur riesengroß, es fänden sich mit Sicherheit auch Gewerkschafter darin wieder. Wendt:

Mindestens genauso wichtig wie ein ausreichendes gesetzliches, personelles und technisches Instrumentarium für die Polizei ist eine Politik, die die Menschen nicht abstößt, sondern Demokratie und Rechtsstaat als lebenswert und gerecht erscheinen lässt.

Die Forderungen der Uhls und Witthauts führen uns genau an die Grenze und darüber hinaus, bis zu der Demokratie und Rechtsstaat noch ihren Namen verdienen – und erträglich erscheinen. Anders gesagt: Wer ohne Scheu den Überwachungs- und Ausgrenzungsstaat promotet, verhilft dem norwegischen Tatverdächtigen zu dem von ihm erhofften Triumph. Genau diesen Staat wünscht sich der Betreffende nämlich.

Die Norweger haben das anscheinend durchschaut. Bleibt nur zu hoffen, dass auch bei uns noch der Groschen fällt.