Schiedsverfahren nehmen ab: „Das Gesetz muss geändert werden“

Der Staat steht sich im Weg. Einerseits dürfen auch kleinere Straftaten ohne Einschaltung der Strafverfolgungshörden von Schiedsleuten beigelegt werden. Schlichten statt Richten heisst das Motto. Doch wegen einer Gesetzeshürde, die seit einigen Jahren verschärft beachtet wird, kommt nur noch knapp ein Drittel dieser Privaklageverfahren bei den aussöhnenden Schiedsleuten an. Dagegen steigt die Zahl solcher Verfahren bei Polizei und Staatsanwaltschaft. Die dann, viel zu spät, wieder auf die Schiedsmänner und – Frauen verweist. Bis dahin, so kritisiert es Klaus Anschütz, der Landesvorsitzende des Bundes Deutscher Schiedsleute, „ist der Staat für nichts und wieder nichts beschäftigt worden“. Die 132 Jahre alte Idee also, Streit unter Bürgern ohne Staat und Gerichte durch ehrenamtliche Vermittler zu lösen, gerät zunehmend schräg. Dabei sind die Gesetzesvorschriften zunächst gut gemeint. Wer beispielsweise von einem anderen beleidigt worden oder Opfer einer Körperveletzung (durch etwa einen Faustschlag oder Fußtritt) ist, muss erst einen Sühneversuch mit seinem Gegner beim Schiedsmann probieren. Erst wenn der den Streit nicht beilegen kann, steht dem Verletzten der Gang zum Gericht offen, es kann eine Privatklage erhoben werden.

Weil das erstens wenig bekannt ist und zweitens die Menschen nach der Erkenntnis des Schiedsleutebundes lieber erst zur Polizei laufen, beginnt ein absurder Weg. Polizeibeamte, die früher sofort klar die Zuständigkeit der Schiedsleute erkannten und an die verwiesen, sie dürfen das seit einigen Jahren nicht mehr. Sie müssen eine Anzeige schriftlich aufnehmen und damit ein Strafverfahren einleiten. Weil das von öffentlichem Interesse sein könnte, geht die Anzeige an die Staatsanwaltschaft. Dort prüft sie in der Regel ein Amtsanwalt. Jemand also, der in Diensten der Justiz steht und nicht, wie Polizeibeamte, der vollstreckenden Gewalt angehören. Diese Amtsanwälte verneinen regelmäßig ein Interesse der Öffentlichkeit an diesen privaten Streitereien. Sie stellen die Verfahren ein – und verweisen den Verletzten wieder an den Schiedsmann. Allein bei den sechs Staatsanwaltschaften rund um Düsseldorf ist das im vorigen Jahr 13 517 mal passiert. Nach der amtlichen Einstellung, nach vielen Wochen oder Monaten aber zu einem Schiedsmann zu gehen, fällt den Verletzten kaum noch ein. „Die Beleidigung ist dann verraucht, die Körperverletzung vergessen“, weiss Schiedsmann Klaus Anschütz: „Das alles steht nicht mehr im richtigen Verhältnis zueiander! Dabei klagt doch die Justiz über Überlastung“. Die Zahl solcher strafrechtlichen Delikte bei den Schiedsleuten ist innerhalb von acht Jahren von einst 5 422 auf 1 515 gesunken. Eine Lösung des Dilemmas sei Sache der Parlamente: „Das Gesetz muss geändert werden“. Denn es sei so gut wie aussichtlos, die Einstellung der Bevölkerung zu ändern. „Wir haben kein Geld, dass Bewusstsein der Menschen auf unsere Arbeit zu lenken“. Dennoch sind die Schlichter nicht ohne Arbeit. Sie haben landesweit zuletzt 4 425 zivilrechtliche Zwistigkeiten gelöst. Dazu gehörte die, dass einer älteren Frau ein Komposthaufen zu nahe an ihrem Wohnzimmerfenster lag, von der im Haus lebenden Schwiegertochter geschaffen. Die zeigte schließlich, nach dem Gespräch beim Schiedsmann, doch noch Einsicht. (pbd)

Fakten
Zuletzt haben sich die Schiedsleute in NRW, auch Friedensrichter genannt, vor drei Jahren gezählt, es waren 1197, Tendenz sinkend. Alle zusammen haben sie im Jahr 2008 etwa 5940 Streitereien geschlichtet, davon 4 425 im zivilen Bereich. Dazu gehören vor allem Nachbarschaftszwistigkeiten. Die Privatklageverfahren im strafrechtlichen Bereich (beispielsweise Hausfriedensbruch, Bedrohung, Sachbeschädigung) lagen bei 1 515. Die Funktion der Schlichtung wurde 1827 von den Preussen erkannt und eingeführt. Zur Zeit üben das Ehrenamt meistens ältere Menschen mit Lebenserfahrung aus. Ihre Arbeit ist kostenlos. Es fällt lediglich eine (Verwaltungs-) Gebühr von rund 25-30 Euro an. Näheres: www.schiedsamt.de (pbd)