Freispruch für tödlichen Schuss auf Polizisten

Der Fall hat Schlagzeilen gemacht, und er wird es nun wieder tun: Ein Mitglied der Hell’s Angels, der einen Polizisten erschossen hat, muss nicht ins Gefängnis. Der Bundesgerichtshof sprach den Mann mit einem heute bekanntgegebenen Urteil frei. Das Landgericht Koblenz hatte den Rocker wegen Totschlags noch zu acht Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt.

Zu dem tödlichen Schuss kam es, als ein Sondereinsatzkommando der Polizei das Mitglied der Hell’s Angels morgens im Schlaf überraschen wollte. Die Beamten kamen mit einem Durchsuchungsbefehl und versuchten, die Eingangstür zum Haus des Mannes aufzubrechen.

Der Angeklagte wachte durch die Geräusche auf. Er bewaffnete sich mit einer Pistole Kaliber 45, die mit acht Patronen geladen war. Dann ging er ins Treppenhaus, wo er das Licht einschaltete. Er sah von einem Treppenabsatz aus durch die Teilverglasung der Haustür eine Gestalt, konnte diese aber nicht als Polizisten erkennen.

Vielmehr nahm er an, es handle sich um schwerbewaffnete Mitglieder der Bandidos, die ihn und seine Verlobte töten wollten. Er rief: "Verpisst Euch!" Hierauf sowie auf das Einschalten des Lichts reagierten die SEK-Beamten nicht; sie gaben sich nicht zu erkennen und fuhren fort, die Türverriegelungen aufzubrechen.

Da bereits zwei von drei Verriegelungen der Tür aufgebrochen waren und der Angeklagte in jedem Augenblick mit dem Eindringen der vermeintlichen Angreifer rechnete, schoss er ohne weitere Warnung, insbesondere ohne einen Warnschuss abzugeben, nun gezielt auf die Tür. Dabei nahm er in Kauf, einen Angreifer tödlich zu treffen.

Das Geschoss durchschlug die Verglasung der Tür, drang durch den Armausschnitt der Panzerweste des an der Tür arbeitenden Polizeibeamten ein und tötete diesen.

Sowohl das Landgericht als auch der Bundesgerichtshof glaubten dem Rocker, dass er um sein Leben fürchtete. Er hatte vorher glaubwürdige Todesdrohungen durch den Konkurrenzclub Bandidos erhalten. Die Kernfrage war, ob die Sachlage für eine Notwehrsituation reichte.

Schon das Landgericht bejahte grundsätzlich, dass sich der Angeklagte bedroht fühlte. Allerdings habe er nicht gleich schießen dürfen. Vielmehr sei er verpflichtet gewesen, den Waffeneinsatz anzukündigen oder einen Warnschuss abzugeben. Ohne Vorwarnung dürfe von einer tödlichen Waffe kein Gebrauch gemacht werden.

Dies sieht der Bundesgerichtshof anders.

Der gezielte Einsatz einer lebensgefährlichen Waffe müsse zwar grundsätzlich  zunächst angedroht und auch ein Warnschuss abgegeben werden. Ein rechtswidrig Angegriffener müsse dafür aber nicht das Risiko des Fehlschlags seiner Verteidigungshandlung eingehen.

Wenn (weitere) Warnungen in der konkreten "Kampflage" keinen Erfolg versprechen oder die Gefahr für das angegriffene Rechtsgut sogar vergrößern, dürfe auch eine lebensgefährliche Waffe unmittelbar eingesetzt werden.

Nach den Erkenntnissen des Landgerichts war aber ein solcher Fall gegeben. Im Augenblick – irrtümlich angenommener – höchster Lebensgefahr war dem Angeklagten nicht zuzumuten, zunächst noch durch weitere Drohungen oder die Abgabe eines Warnschusses auf sich aufmerksam zu machen und seine "Kampf-Position" unter Umständen zu schwächen.

Dass es durch die Verkettung unglücklicher Umstände zum Tod des Polizeibeamten kam, konnte der Bundesgerichtshof dem Angeklagten daher nicht anlasten. Weil der Angeklagte seinen Irrtum über die Notwehrlage auch nicht fahrlässig verursacht hatte, konnte er auch wegen fahrlässiger Tötung nicht verurteilt werden.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 2. November 2011, Aktenzeichen 2 StR 375/11