Ein Anwalt ist (k)eine Bank

Alte Weisheit: Ein Anwalt ist ein Anwalt, keine Bank. Deshalb sollte es der Anwalt nach Möglichkeit lassen, für Mandanten mit Geld in Vorlage zu treten.

Gute Regel.

Ich habe sie heute gebrochen.

Es geht um einen Auftraggeber, der einen Strafbefehl in der Welt hatte. Der Strafbefehl ist inzwischen unanfechtbar. Von dem Strafbefehl, das glaube ich mal, wusste mein Mandant nichts. Die Unkenntnis beruhte wahrscheinlich auf grober Fahrlässigkeit, aber geschenkt.

Die Geldstrafe im Strafbefehl ist mit 30 Tagessätzen zu je 15 Euro festgesetzt. Da mein Mandant nicht rechtzeitig gezahlt hatte, wurde ihm gestern eine allgemeine Personenkontrolle zum Verhängnis. Er wurde festgenommen, weil er zur Fahndung ausgeschrieben war. 

Nun ist es nicht so, dass man wegen einer Geldstrafe in den Knast muss. Man kann die Summe auch auf den Tisch legen und kommt sofort frei. Das wären 450,00 Euro gewesen. Mein Mandant hatte immerhin 330 Euro in bar dabei, die er in der Justizvollzugsanstalt “anzahlen” konnte. Blieben noch 120 Euro offen – das sind umgerechnet acht Tage Haft.

Mein Mandant ist nicht auf Rosen gebettet. Er hat keine Bankkarten. Seine sozialen Kontakte halten sich, so weit ich weiß, in Grenzen. Aber es gibt da einen guten Freund, der ihm vielleicht aushelfen könnte. Doch der Betreffende besitzt aus Prinzip weder Telefon noch Internet, und einfach mal bei ihm vorbei fahren wollte die Polizei nicht. Ich konnte beim besten Willen auch nicht jemanden schicken, die Sache spielt 400 Kilometer entfernt.

Mein erster Impuls war, mich an die goldene Regel zu halten. Soll sich der Mandant drum kümmern, wie er die Kohle zusammen bekommt. Ist doch nicht mein Problem. Doch dann ging mir auf, dass das schon auf praktische Hürden stieß.

Mich durfte der Mandant anrufen, weil ich sein Anwalt bin. Aber schon beim Gespräch mit mir drängelte im Hintergrund deutlich hörbar ein Gefängnismitarbeiter, mein Mandant solle hinne machen, es warteten noch andere Gefangene. Mit telefonieren wäre dann wohl erst mal Schluss gewesen.

Es stand professionelle Hartherzigkeit kontra acht Tage Haft für einen Menschen, den ich als sehr freundlich kennengelernt habe. Ist es da verantwortbar, ihn die “Reststrafe” absitzen zu lassen? Acht Tage Knast für einen Gegenwert von 120 Euro. Das macht einen Umrechnungskurs von 63 Cent pro Gefängnisstunde.

Ich habe das Geld also eingezahlt. Und zwar in Absprache mit dem Knast so, dass mein Mandant in der nächsten Stunde rauskommen sollte. Ich kann jetzt zwar nicht ausschließen, dass ich die 120 Euro abschreiben muss. Aber der später nicht mehr zu verscheuchende Gedanke, kleinkariert gewesen zu sein, wäre mit Sicherheit unangenehmer.