Der Bund steht ohne Wahlrecht da

Es war ein Urteil mit Ansage: Wie erwartet, hat das Bundesverfassungsgericht heute das Wahlgesetz gekippt. Die Regierungskoalition hatte die neuen Regelungen vor einigen Monaten im Alleingang durchgesetzt – und dabei offenkundige Bedenken ignoriert.

Die Verfassungsrichter in Karlsruhe halten das Gesetz für so unzureichend, dass es nicht mal als Übergangslösung taugt. Damit gibt es auf Bundesebene derzeit keine gültigen Regeln über die Sitzverteilung im Bundestag, und das ein knappes Jahr vor der Wahl im Herbst 2013.

Das gekippte Gesetz verstößt nach Auffassung des Gerichts in mehreren Punkten gegen demokratische Grundsätze. Es verletze insbesondere den Grundsatz, dass jede Stimme gleiches Gewicht haben muss. Dadurch werde die Chancengleichheit der Parteien akut gefährdet.

Besonders stört sich das Bundesverfassungsgericht am sogenannten negativen Stimmengewicht. Dies kann dazu führen, dass Parteien für mehr Stimmen gleichwohl weniger Mandate im Bundestag erhalten.

Hauptursache hierfür sind die Überhangmandate. Wenn eine Partei mehr Direktkandidaten (Erststimme) durchbringt, als ihr Sitze nach dem Anteil der – eigentlich wahlentscheidenden – Zweitstimmen zustehen, darf sie die Direktmandate trotzdem behalten. Sie hat also mehr Abgeordnete, als ihr nach ihrem prozentualen Stimmenanteil zustehen.

Das Verfassungsgericht hält Überhangmandate nicht grundsätzlich für unzulässig. Allerdings dürfe hierdurch das Wahlergebnis nicht übermäßig verfälscht werden. Deshalb seien mehr als 15 Überhangmandate nicht hinnehmbar. Alleine die CDU hat bei der letzten Wahl im Jahr 2009 24 Überhangmandate gewonnen.

Womöglich deswegen pochte sie auf eine möglichst offene Regelung, obwohl das Verfassungsgericht schon im Jahre 2008 das damals geltende Wahlrecht auch wegen der Überhangmandate aufgehoben hatte. Damals hatten die Richter aber eine Übergangsfrist bis zu einer Neuregelung eingeräumt, so dass 2009 noch nach dem bereits als rechtswidrig erkannten Modus gewählt werden konnte.

Außerdem kassiert das Bundesverfassungsgericht die Reststimmenverwertung. Hierbei handelt es sich um ein kompliziertes Verfahren, welches die Rechte kleinerer Parteien schützen soll. Allerdings hat der Gesetzgeber nach Auffassung der Verfassungsrichter hierfür einen ungeeigneten Weg gewählt. Das Ergebnis hänge nämlich nicht nur von dem prozentualen Stimmenanteil, sondern auch von der Wahlbeteiligung und anderen Faktoren ab. Der Wert einer Stimme stehe erst nach der Wahl fest. Das halten die Richter für nicht hinnehmbar. 

Der Bundestag muss jetzt schnellstmöglich ein neues Wahlrecht beschließen, das den Anforderungen aus Karlsruhe genügt. Eine andere Möglichkeit ist natürlich, dass die Regierungskoalition ihre Stimmenmehrheit nutzt, um sich ein drittes Mal gegen die Vorgaben der Verfassungsrichter zu stellen. 

Es wäre ihr zuzutrauen.

Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts mit Links zu den Entscheidungen