Meine täglichen Straftaten

Ich glaube, ich habe mich im letzten Monat vier bis fünf Mal strafbar gemacht. Das dürfte in etwa auch mein langjähriger Durchschnitt sein, so dass ich es auf hunderte Straftaten bringe – zumindest wenn es nach den Maßstäben der Würzburger Justiz geht. Die hat nämlich nun einen Anwalt verurteilt, weil dieser einen Durchsuchungsbeschluss kritisierte.

Der Jurist hatte in einer Hauptverhandlung moniert, ein Durchsuchungsbefehl genüge nicht den verfassungsrechtlichen Grundsätzen. Der Richter habe keine eigenständige Prüfung vorgenommen. Obwohl der Richter, der den Beschluss erließ, die Sache als “erledigt” betrachtet, kam die Sache vor Gericht. Die Landgerichtspräsidentin stellte als Dienstherrin des Richters nämlich auch einen Strafantrag, dem die örtliche Staatsanwaltschaft offensichtlich mit einer Anklage nachgekommen ist.

Die Äußerungen des Anwalts betrachtet die zuständige Amtsrichterin nun als “üble Nachrede”, was sie mit einer Geldstrafe quittierte. Wenn das so stimmt, was im Bericht der Main Post steht, müssen sich Strafverteidiger künftig wohl überlegen, ob sie um Würzburg einen großen Bogen machen. Oder ihre Mandanten durch vorauseilende Bückhaltung gegenüber der örtlichen Justiz verraten.

Die zitierte Kritik ist nämlich nicht nur harmlos, sondern auch Alltag für einen Strafverteidiger. Ebenso wie für Richter, die solche Eingaben halt nun mal auf den Schreibtisch bekommen. Derartige Kritik an Durchsuchungsbeschlüssen formuliere ich, wie gesagt, ein paar Mal im Monat. Leider. Gerade bei Durchsuchungsbeschlüssen nicken halt nun mal viele Richter einfach ab, was ihnen die Staatsanwaltschaft vorlegt. Ich erspare mir hier Einzelheiten. Regelmäßige Leser wissen, wie viele fragwürdige Beschlüsse ich hier schon vorgestellt habe.

Aus der Kritik an einem Beschluss eine Beleidigung zu Lasten des Richters zu machen, ist schon ein starkes Stück. Noch heftiger wird das Ganze aber dadurch, dass die Amtsrichterin in der Urteilsbegründung die Argumente des Anwalts sogar noch bestätigt haben soll. So berichtet es die Main Post:

Die Vorsitzende sagt, dass der Beschluss vielleicht nicht den Vorgaben des BVerfG entsprochen habe. Aber die obersten Hüter der Verfassung hätten „keine Ahnung von der Realität“. Die Justiz habe weder genügend Zeit, noch genügend Personal, um Beschlüsse so zu prüfen, wie das Verfassungsgericht es sich vorstellt.

Aha, der Anwalt hatte in der Sache recht. Aber was er sagte, ist trotzdem eine Beleidigung, weil fehlende Zeit und zu wenig Personal es am Gericht unmöglich machen, Beschlüsse nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts ordnungsgemäß zu prüfen. Schuld an der Misere sind also nicht Richter, die wegen des pünktlichen Feierabends schon mal Fünfe gerade sein lassen. Oder geizige Justizminister. Sondern der Überbringer der Botschaft.

Ich bin mir nicht sicher, ob der Richterin bewusst ist, dass Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts unmittelbare Bindungswirkung für alle Richter in Deutschland haben. Dass sie somit, ich begebe mich nun doch auf glattes Parkett, offen erklärt, die Würzburger Justiz verstoße sehenden Auges gegen geltendes Recht, weil die “Realität” wichtiger ist als das vom angeblich so weltfernen Bundesverfassungsgericht (mit-)geschaffene Recht.

Die Vorsitzende attestiert ihren örtlichen Richterkollegen also faktische Rechtsbeugung und findet das anscheinend auch noch in Ordnung. Vielleicht sollte man sich mal überlegen, ob darin nicht auch eine üble Nachrede liegt. Ich kann mir kaum vorstellen, dass jeder Würzburger Ermittlungsrichter so eine Dienstaufassung hat.

Ähnlich problematisch sind übrigens auch die Worte, welche die Richterin in Richtung Bundesverfassungsgericht sagt. Die Aussage, Verfassungsrichter hätten keine Ahnung von der Realität, ist ja auch nicht gerade von Pappe.   

Zum Glück kann die Richterin nicht über sich selbst urteilen und somit selbst im schlimmsten Fall auf einen Freispruch hoffen. Nämlich durch einen verständigeren Kollegen, der weiß, dass der Kampf ums Recht nicht nur mit Blümchen-Rhetorik ausgefochten werden kann. Man hätte sich nur gewünscht, der nun verurteilte Anwalt wäre auch sogleich an einen solchen Richter geraten.