Das Hamburger Monopol

Das Landgericht Hamburg hat dem Satiriker Jan Böhmermann fast das ganze „Schmähgedicht“ untersagt, welches er in seiner Sendung „Neo Magazin Royale“ vorgetragen hatte. Der türkische Staatspräsident Erdogan hatte eine einstweilige Verfügung in Hamburg beantragt.

Wieso Hamburg? Es ist nicht bekannt, dass Erdogan dort einen Nebenpalast unterhält. Böhmermann wohnt in Köln. Sein Sender ZDF sitzt bekanntlich in Mainz. Mit Hamburg hat der Fall also erst mal rein gar nichts zu tun. Jedenfalls nicht mehr als mit Bielefeld, Augsburg oder Kleve. Trotzdem suchen die allermeisten Kläger über ihre Anwälte niemals den Gerichtsstand jener schönen Städte, an denen sich auch vollwertige Landgerichte finden. Stattdessen bevorzugen alle den Gerichtsstand der Hansestadt, wenn sie sich beleidigt, übel nachgeredet oder gar verleumdet fühlen.

In Hamburg sind sind sie auch willkommen. Denn dort sitzt seit Jahrzehnten die mit Sicherheit am besten beschäftigte Pressekammer der Republik. Der Grund für den Herdentrieb und die gute Beschäftigungsquote des Gerichts ist ganz einfach. Das Landgericht Hamburg gilt als die sicherste Bank, wenn es darum geht, im Äußerungsrecht für die Kläger zu entscheiden. Also im Ergebnis gegen die Meinungsfreiheit.

Diese merkwürdige Konzentration der Deutungshoheit im Äußerungsrecht wird nur möglich durch eine Sonderregelung in der Zivilprozessordnung. Während sich in praktisch allen anderen Zivilverfahren der Kläger am Wohnort des Beklagten sein Recht suchen muss, greift bei Äußerungssachen der sogenannte „fliegende Gerichtsstand“. Dieser macht eine Klage in Hamburg schon deswegen möglich, weil es dort unbestreitbar mindestens ein klassisches Fernsehgerät oder einen internetfähigen Rechner gibt, auf dem jemand das Neo Magazin Royale geguckt haben könnte.

So entscheiden die Hamburger Richter wie am Fließband Tag für Tag Fälle, die ansonsten null Bezug zu ihrem Einsatzort haben. Das führt nach meiner Meinung automatisch zu einem sich selbst verstärkenden Effekt: Nur mit einer berechenbar rigiden Rechtsprechung, wie man sie am eigentlich zuständigen Ort nicht erwarten könnte, bleibt der Pilgerstrom in den Norden im Fluss. Und die betreffenden Hamburger Richter auf ihrem „Spezialgebiet“ ausreichend beschäftigt und, ja auch das, mächtig.

Der Fall Böhmermann hat ja bereits zum Nachdenken im Grundsätzlichen angeregt. Regierung wie Opposition sind für eine Abschaffung des § 103 StGB (Majestätsbeleidigung). Vielleicht hat die Causa nach dem nun bekanntgewordenen Beschluss ja sogar genug Schub, um mal energisch diesen seltsamen fliegenden Gerichtsstand zu hinterfragen. Die Deutungshoheit der Hamburger Justiz über das, was in Deutschland gesagt werden darf und was nicht, gehört jedenfalls auf den Prüfstand.