Kleine Ladendiebe zerrütten das Vertrauen in den Rechtsstaat – wirklich?

Im Land Baden-Württemberg sieht man das Vetrauen in den Rechtsstaat gefährdet – weil kleine Ladendiebe bisher beim ersten Mal meist von einer Anklage verschont blieben. Nun soll jeder Ladendieb grundsätzlich vor dem Richter landen.

Ein interessanter Beitrag in der Legal Tribune Online stellt in diesem Zusammenhang genau die richtigen Fragen:

Die Entscheidung, hier wegen des Vertrauens in den Rechtsstaat auf das Gesetz zu pochen und keinen Dieb „einfach so“ davonkommen zu lassen, zeigt allerdings auf einer tieferen Ebene ein großes Dilemma, dem jeder Rechtsstaat ausgesetzt ist: Er ist problemlos stark gegen Schwache. Die Justiz funktioniert dort gut, wo das Delikt einfach ist. Wird sie plump herausgefordert, kann sie ohne weiteres reagieren. Aber wer stiehlt denn Schnaps und H-Milch für 10 Euro? Nähert man sich dieser Frage rechtssoziologisch, dürften das in den allerwenigsten Fällen Ärzte, Hedgefonds-Manager oder Rechtsanwälte sein.

Was den Autor, den Amtsrichter und Dozenten Dr. Lorenz Leitmeier, zu einer richtigen Schlussfolgerung führt:

Hat nicht der Bürger auch bei anderen Phänomenen das Gefühl, dass der Staat nahe an der Kapitulation ist? In der Finanzkrise, die eine unvorstellbar hohe Zahl an Milliarden gekostet hat, wurde niemand angeklagt. Haben die maßgeblichen Akteure tatsächlich alle legal gehandelt? Und Abgasmanipulationen bei Auto-Unternehmen scheinen laut Medienberichten ebenfalls ein Massenphänomen zu sein – von entsprechend massenhaften Anklagen liest man aber (noch?) nichts.

Wird der Staat hingegen von geschickten Tätern herausgefordert, muss er mit seinen begrenzten Ressourcen wohl oder übel sein Legalitätsprinzip einschränken: Was ist mit Großverfahren in Wirtschaftsstrafsachen, die schwer aufzuklären sind? Bei denen versierte Anwälte jedes prozessuale Mittel ausschöpfen, sodass die überlastete Strafjustiz ihren Strafanspruch aufweicht und sich mit dem Angeklagten verständigt? Hier wird Strafrecht komplex und schwierig, hier stößt der Staat an Grenzen.

Die Kleinen hängt man möglichst publikumswirksam, weil’s einfach ist und den Laden am Laufen hält, die Großen lässt man ziehen oder bleckt allenfalls mal müde die stumpfen Zähne. So einfach wie perfide ist das mitunter. Gut, dass mal jemand aus unverdächtiger Ecke so deutlich diese Placebo-Rechtspolitik entlarvt.