Vermutung oder Verdacht

Aus einem Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts:

Der Beschuldigte ist dieser Taten verdächtig aufgrund der bisherigen polizeilichen Ermittlungen. Der Beschuldigte konnte über die IP-Adresse ermittelt werden. Dieser Sachverhalt konnte bislang abschließend nicht geklärt werden; es besteht nach bisherigen Erkenntnissen der naheliegende Verdacht, dass eine Durchsuchung zum Auffinden von Beweismitteln führen wird.

Das ist an sich ein altbekannter Textbaustein. Nur ist im Original von einer naheliegenden Vermutung oder tatsächlichen Anhaltspunkten die Rede, nicht von einem naheliegenden Verdacht. Aber wer möchte schon Sprachkritik betreiben, wo doch gerade die Justiz mit dem Erlass von Durchsuchungsbeschlüssen kaum noch nachkommt.


Karikatur: wulkan

Ist das Hakenkreuz auf dem Stimmzettel strafbar?

Der bisherige Vizepräsident des baden-württembergischen Landtags, Daniel Born, hat bei einer geheimen Abstimmung seinen Stimmzettel gestern mit einem Hakenkreuz bemalt. Heute zieht der SPD-Politiker die Konsequenz. Er tritt als Präsident zurück und verlässt die SPD-Fraktion. Sein Mandat gibt er aber nicht auf, zumindest bislang. Unabhängig von den politischen Konsequenzen hat der Mann auch strafrechtlichen Ärger zu erwarten. Ob es am Ende zu einer Verurteilung reicht, ist allerdings fraglich.

Nachdem sich herausstellte, dass es sich wegen unterschiedlicher Wahlurnen nicht um das Fehlverhalten eines AfD-Abgeordneten handeln konnte und insbesondere das ursprüngliche Geschimpfe der grünen Landtagspräsidentin über Extremisten nicht mehr überzeugend wirkte, musste sich Born wohl bekennen. Allerdings gibt er in seiner Rücktrittserklärung doch wieder der AfD die Schuld. Die Sorge vor mutmaßlichen Rechten habe ihn in eine Art psychischen Ausnahmezustand verletzt, der dann in der Hakenkreuz-Schmiererei sein Ventil gefunden zu haben scheint.

Dass Born zu den Guten gehören möchte, schützt ihn allerdings nicht vor einer Verurteilung. Das Verwenden des Hakenkreuzes setzt zwar vorsätzliches Handeln voraus, aber keine nationalsozialistische Gesinnung. Es genügt, wenn der Täter weiß, dass es sich um ein verbotenes Symbol handelt. So zumindest die Rechtsprechung bisher. Born dürfte nach allem, was wir bisher wissen, vorsätzlich gehandelt haben.

Allerdings verlangt § 86a StGB als Tathandlung ein „Verbreiten“. Der Besitz eines Hakenkreuzes, zum Beispiel in einem Buch, ist nicht strafbar. Selbst zum Beispiel ein Besucher in der eigenen Wohnung das Hakenkreuz im Buch betrachtet. Verbreiten setzt vielmehr voraus, dass der Inhalt an einen „größeren, für den Täter nicht mehr kontrollierbaren Personenkreis“ gelangt oder gelangen soll. Die Zahl Landtagsmitarbeiter oder Abgeordneten, die Stimmzettel auszählen, dürfte doch eher überschaubar sein. Das wird für ein Verbreiten eher nicht reichen. Somit bleibt nur eine weitere Möglichkeit: dass der Täter eine Weitergabe durch die betreffenden Personen wünscht oder sogar ausdrücklich anstößt. Auf so viel Zuspruch konnte der Politiker aber sicherlich nicht vertrauen.

Politisch Harakiri, aber strafbar? Eher nicht.

Farbbänder

Herausforderndste Aufgabe des Tages:

Dem inhaftierten Mandanten Farbbänder für seine Corona-Schreibmaschine besorgen. Dieses Gerät wird ihm – immerhin – in der Justizvollzugsanstalt zugestanden.

Ist Schwimmunterricht eine Todsünde?

Kann der Schwimmunterricht in der Schule eine Todsünde sein? Diese Frage musste das Verwaltungsgericht Freiburg beantworten.

Es geht um Mitglieder der palmarianischen Kirche, die einen strengen Glauben lebt. Die Eltern einer Schülerin der vierten Klasse beriefen sich auf strikte Kleidervorschriften, die das Tragen jeder Badebekleidung verbiete. Schon das Betreten eines Schwimmbades sei eine „Todsünde“ wegen der „Zurschaustellung des Körpers“. Selbst Burkinis oder lange Badekleider wurden von der Familie abgelehnt, da selbst diese nicht ihren religiösen Vorstellungen genügen. Die Eltern argumentierten, der koedukative Schwimmunterricht verletze ihre grundgesetzlich garantierte Religionsfreiheit und beantragten eine vollständige Befreiung.

Das Gericht wies die Klage ab. Die in Deutschland geltende Schulpflicht umfasse Schulunterricht gemäß Lehrplänen. Zu diesen Lehrplänen gehöre auch der Schwimmunterricht. Eine Befreiung sei nur in absoluten Ausnahmefällen möglich, etwa bei einer unzumutbaren Verletzung der Glaubensfreiheit. Diese liege aber hier nicht vor, da es ja die genannten Möglichkeiten gebe, der befürchteten Zurschaustellung des Körpers zu begegnen. Auch zu der „Todsünde“ hat sich das Gericht kritisch geäußert. Laut dem Katechismus der palmarianischen Kirche liege eine Sünde nur bei einem „freiwilligem Ungehorsam“ vor. Die Teilnahme am Schwimmunterricht sei aber dem Gläubigen vorgeschrieben und damit nicht freiwillig (Aktenzeichen 2 K 1112/24).

Richter droht Anwalt wegen schlechtem Schriftsatz

Das Amtsgericht Köln geht mit einem Anwalt hart ins Gericht – weil dessen Schriftsätze angeblich mit KI generiert und fehlergespickt sind. Tatsächlich ist sich der Richter noch nicht mal zu schade, den Anwalt zur Unterlassung aufzufordern und mit der Anwaltskammer zu drohen.

Der Familienrichter erkannte in den Schriftsätzen des Anwalts etliche Fehler. Deshalb schrieb er unter anderem Folgendes in einen Beschluss:

Der Verfahrensbevollmächtigte hat derartige Ausführungen für die Zukunft zu unterlassen, da sie die Rechtsfindung erschweren, den unkundigen Leser in die Irre führen und das Ansehen des Rechtsstaates und insbesondere der Anwaltschaft empfindlich schädigen.

Juraprofessor Volker Römermann bewertet diese Entgleisung in der Legal Tribune Online juristisch. Ergebnis:

Können fehlerhafte Zitate aber das Ansehen der Anwaltschaft, gar des Rechtsstaates schmälern? Es ist kein Ruhmesblatt, sondern Ausdruck schlampiger Arbeit, wenn ein Anwalt ungeprüft KI-Texte übernimmt, anstatt sich selbst der Mühe rechtlicher Auseinandersetzung zu unterziehen. Wer möchte und § 43 BRAO immer noch als geeignete Rechtsgrundlage betrachtet, könnte behaupten, die Achtung und Würde der Stellung des Anwalts erforderten sorgfältige Arbeit. Wer so weit ginge, landete im Ergebnis bei einer allgemeinen Sorgfaltskontrolle anwaltlicher Tätigkeit durch die Anwaltskammern. Doch so etwas kennt das Gesetz nicht und es wäre im Übrigen in der Praxis eine hoffnungslose Überforderung der Rechtsanwaltskammern.

Näheres zu schlampigen Anwälten und Berufsrecht steht im Artikel, auf den ich hiermit gern verweise.

UN-Gericht erklärt Klimaschutz zum Kernanliegen

Ein aktuelles Gutachten des Internationalen Gerichtshofs (IGH) erklärt den Kampf gegen den Klimawandel zur staatlichen Verpflichtung. Das Gutachten, das auf einen Auftrag der UN-Vollversammlung von 2023 zurückgeht, ist nicht rechtsverbindlich, erzielt aber natürlich weltweite Resonanz. Laut dem Gutachten können Staaten, die ihren Verpflichtungen aus internationalen Klimaschutzabkommen nicht nachkommen, eine völkerrechtswidrige Handlung begehen.

Der Präsident des IGH, Yuji Iwasawa, stellte für das 15-köpfige Gremium fest, dass nicht ausreichendes Handeln zum Schutz des Klimasystems gegen internationales Recht verstoßen kann. Die Initiative für das Verfahren ging von kleinen Inselstaaten wie Vanuatu aus, die sich durch steigende Meeresspiegel existenziell bedroht fühlen. Vertreter von afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten betonten vor dem IGH ebenfalls, es gehe für sie ums Überleben. Sie forderten, Klimaschutz als völkerrechtliche Verpflichtung klarzustellen und Wiedergutmachungsansprüche für Schäden durch Treibhausgasemissionen zu prüfen.

Das Gutachten macht aber auch deutlich, dass eventuelle Schadensersatzansprüche jeweils im Einzelfall geprüft werden müssen. Das Gutachten hat keinerlei konkrete Auswirkungen. Selbst eine förmliche Entscheidung des IGH kann im eigentlichen Sinne nicht vollstreckt werden. Dem Gericht selbst stehen keinerlei Zwangsmittel zur Verfügung.

Klimakleber: Gericht sieht strafbaren Widerstand

Wer sich aus Protest auf die Straße klebt, riskierte bisher Verfahren wegen Nötigung. Nun kommt möglicherweise ein weiterer Paragraf hinzu: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Das Kammergericht Berlin stellt in einem Urteil fest: Wer sich mit Sekundenkleber auf die Straße pappt, übt Gewalt gegen Vollstreckungsbeamte aus und leistet deshalb strafbaren Widerstand.

Ein Klimaaktivist hatte sich in Berlin auf eine vielbefahrene Kreuzung geklebt, um den Verkehr lahmzulegen. Das Amtsgericht Berlin-Tiergarten sprach den Mann zunächst in zwei Fällen frei. Die Staatsanwaltschaft legte Sprungrevision ein, und das Kammergericht sah die Sache anders: Das gezielte Festkleben mit Sekundenkleber sei ein „materielles Zwangsmittel“, das die Arbeit der Polizei erschwert. Sprich: Es handelt sich um Gewalt im Sinne von § 113 StGB. Das Amtsgericht muss den Fall nun erneut entscheiden.

Das Kammergericht sagt zur Begründung, das Auftragen des Klebers und das Andrücken der Hand auf die Straße seien aktive Handlungen. Durch diese werde die Polizeiarbeit physisch behindert. Ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der so verstandenen Widerstandshandlung und ihrem Erfolg sei nicht erforderlich. Anders sah es jüngst das Oberlandesgericht Dresden, das solche Aktionen nicht als Gewalt einstufte. Allerdings hatten in dem Dresdner Fall die Polizisten die Demonstranten nicht losgerissen, sondern ihre Hände mit Öl und Zitronensaft eingeweicht (Aktenzeichen 3 ORs 22/25).

Ein Wimpernschlag bis zum Prädikatsexamen

Das Prädikatsexamen ist natürlich der Wunschtraum jedes angehenden Volljuristen. Der Weg bis dahin war für eine Referendarin aus Hessen aber ein wilder Ritt. Die Klausuren in der Zweiten Staatsprüfung lagen zwischen fünf und elf Punkten. Die vorherigen Stationsnoten waren dagegen durchgehen prima, die Wahlstation strahlte gar mit einer Supernote von 16 Punkten. Und dann die mündliche Prüfung: elf Punkte im Kurzvortrag, zehn im Zivilrecht, dreizehn im Strafrecht, zwölf im Öffentlichen Recht. Doch am Ende steht auf dem Zeugnis: 8,95 Punkte. Einen Wimpernschlag, einen Hauch, ein mickriges 0,05-Punkte-Lüftchen entfernt von der magischen 9, dem „vollbefriedigend“ und damit dem sogenannten Prädikatsexamen.

Die Kandidatin war nicht bereit, diese mathematische Kluft zu hinzunehmen. Sie beanstandete das Ergebnis, zog bis vor das Verwaltungsgericht Wiesbaden, in der Hoffnung, die Prüfungskommission möge ein Einsehen haben und die Note nach oben runden. Die Kommission, so argumentierte sie, habe ihr Ermessen missbraucht, als sie den Notensprung verweigerte. Schließlich hatte die Kandidatin auch in der mündlichen Prüfung solide geliefert, und ihre Stationsnoten deuteten ebenfalls eher Richtung Prädikat.

Doch das Verwaltungsgericht zeigte sich ebenso unerbittlich wie die amtlichen Prüfer. 8,95 ist 8,95 – und nicht 9,00, sagt das Gericht zusammengefasst, und Ermessen ist kein Wunschkonzert. Zwar habe die Prüfungskommission in der Tat Fehler gemacht, aber diese Fehler seien bei der späteren, mehrfachen Überprüfung des Ergebnisses wettgemacht worden. Letztlich weigert sich das Gericht, den Entscheidungsspielraum der Prüfer durch einen eigenen zu ersetzen. Aber immerhin werden Juristen ja momentan stark gesucht, vielleicht ist der Betroffenen die Karriere also gar nicht so sehr verbaut.

Aktenzeichen 7 K 298/25.WI

Bella muss bzw. darf im Tierheim bleiben

Die arme Hündin Bella, die mittlerweile durch die Medien bekannt ist, muss vorerst nicht zu ihrer alten Besitzerin zurück. Dies hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) in einem Eilverfahren gestern entschieden. Im Februar waren Fotos öffentlich geworden, auf denen Bella total abgemagert und total verwahrlost aussah. Schuld daran soll ihre Halterin aus dem bayerischen Unterhaching sein. Das Veterinäramt hat ihr den Hund deswegen erst mal weggenommen. Die Frau hat dagegen geklagt und einen Eilantrag gestellt.

Das Verwaltungsgericht beschloss, Bella müsse bis zur endgültigen Klärung muss Bella zurück zur Halterin, aber mit der Auflage, dass die Frau jeden Monat mit dem Hund zum Tierarzt geht. Das Veterinäramt war damit nicht einverstanden und hat Beschwerde eingelegt. Der BayVGH sieht die Sache jetzt anders: Bei der Frau aus Unterhaching sei eine zuverlässige und tierschutzkonforme Haltung nicht garantiert. Schon durch ihre Aussagen im Verfahren habe sie gezeigt, dass sie ihr Fehlverhalten gar nicht einsieht. Deshalb sei Bella konkret gefährdet, wenn sie (vorübergehend) wieder in ihr Zuhause kommt. Immerhin sei der Hund fast verhungert. Schon wegen solcher Umstände bedürfe es vor einer Entscheidung auch keiner umfangreichen Gutachten.

Außerdem, so das Gericht, könne der Hund so eventuell auch zügig auch in ein neues Zuhause vermittelt werden. Dies sehe das Tierschutzgesetz ausdrücklich vor.

Aktenzeichen 23 CS 25.1046

Szenen einer Verkehrskontrolle

Szenen einer Verkehrskontrolle, direkt aus der Strafanzeige:

Während die Beamten mit dem Beschuldigten etwas abseits vom Streifenwagen sprachen, urinierte der Zeuge, der ursprünglich als Beifahrer im Unfallwagen saß, auf der anderen Seite gegen das rechte hintere Heck des polizeilichen Dienstfahrzeugs (Mercedes-Benz Vito).

Einfach ist der Job wirklich nicht.

Richter erschleicht sich Corona-Impfung

In Sachsen-Anhalt hat sich zu Corona-Zeiten ein Richter eine Impfbescheinigung erschlichen. Er fertigte selbst ein Schreiben, indem er sich einen Anspruch auf Corona-Schutzimpfung mit höchster Priorität bescheinigte. Das Ganze war garniert mit dem offiziellen Dienstsiegel des Sozialgerichts Halle. Hierfür wurde der Richter nun wegen eines Dienstvergehens bestraft.

Der seinerzeitige Vorsitzende der 11. Kammer des Sozialgerichts hatte sich selbst bescheinigt, dass er im Rahmen seiner Tätigkeit als Richter stets Zugang zu Stationen benötige, in denen vulnerable Gruppen untergebracht sind. Außerdem sei er als Sozialrichter dem Behandlungs- und Pflegepersonal im Sinne der Corona-Impfvorschriften gleichgestellt.

Das Disziplinargericht am Oberverwaltungsgericht Magdeburg stellte nun rechtskräftig ein Dienstvergehen fest. Zunächst habe der Richter in den Jahren 2018 bis 2020 überhaupt keine auswärtigen Termine wahrgenommen. Ob er theoretisch berechtigt gewesen wäre, spiele auch gar keine Rolle. Es komme nämlich nur darauf an, dass der Richter durch das amtliche Schreiben „Eindruck“ habe erwecken und das Impfzentrum „subtil beeinflussen und steuern wollen“. Hierbei habe er – siehe Dienstsiegel – auch auf Elemente der Täuschung zurückgegriffen. Zum Dienstsiegel hatte der Richter behauptet, er habe es nicht selbst angebracht und bis zum Impftermin auch gar nicht bemerkt (Aktenzeichen DGH 2/25, Bericht auf beck-aktuell).

Die Polizei erklärt, wie ein Wheelie geht

Heute ein Musterbeispiel kriminalistischer Feinarbeit. Zwei Polizisten (m/w) schauten aus ihrem fahrenden Streifenwagen auf die durch einen Grünstreifen abgetrennte Gegenfahrbahn. Ihr Blick erspähte meinen Mandanten, wie dieser mit dem Motorrad in die Gegenrichtung fuhr. Fünf Minuten später war der Führerschein des Mandanten sichergestellt, sein Motorrad beschlagnahmt. Vorwurf: „illegales Autorennen gegen sich selbst“.

Die konkrete Geschwindigkeit meines Mandanten konnten die Beamten wegen der räumlichen Situation natürlich nicht angeben. Deswegen präsentierten sie in der Anzeige einen anderen unschlagbaren Beweis:

Der Beschuldigte beschleunigte sein zweirädriges Kraftrad so stark, dass im innerstädtischen Bereich die Ausführung eines „Wheelies“ ermöglicht wurde. Es ist hervorzuheben, dass ein „Wheelie“ ausschließlich in einer höchstmöglichen Geschwindigkeit und durch eine starke Beschleunigung des Kraftfahrzeugs ausführbar ist.

Ich schrieb dem Staatsanwalt folgendes:

Für einen Wheelie mit dem Motorrad bedarf es keinesfalls einer Höchstgeschwindigkeit. Vielmehr ist die Ausführung eines Wheelies stark von Motorradtyp, Motorleistung, Getriebeübersetzung und Fahrtechnik abhängig – aber gerade nicht von der Geschwindigkeit. Sogar Fahranfänger können Wheelies machen. Ihnen wird empfohlen, den Wheelie bei niedrigen Geschwindigkeiten um etwa 16 bis 25 km/h (!) im ersten Gang zu üben, da hier die Kontrolle leichter fällt und der sogenannte Kipppunkt – der Winkel, bei dem das Motorrad ohne Gas- oder Bremskorrektur gehalten werden kann – besser zu spüren ist (Suchanfrage auf Perplexity.ai: „Welche Geschwindigkeit benötigt ein Motorrad für einen Wheelie?“).

Der Wheelie meines Mandanten ist also kein Beleg für eine Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit von 30 km/h an der fraglichen Stelle, und er ist schon gar kein Beleg für ein illegales Fahrzeugrennen gegen sich selbst.

Am übernächsten Tag war der Führerschein wieder da und das Motorrad freigegeben. Für eine mögliche Ordnungswidrigkeit, also ein Bußgeld, ist das Ordnungsamt zuständig. Aber auch von dort eher wenig zu befürchten. Ein Wheelie mit dem Motorrad ist nur verboten, wenn andere gefährdet werden. Davon stand in der Anzeige jedoch kein Wort.

Privatgutachten

Völlig anlasslos mal ein Blick in die Praxis. Heute geht es um sogenannte Privatgutachten, die Rechtsanwälte gern gegen ein anständiges Honorar schreiben.

Wenn man ein passendes Gutachten von einem Anwalt braucht, fragt man bei möglichst vielen an und beauftragt den, der schon am Telefon oder nach einer kurzen Infomail die gestellte Frage positiv beantwortet. Zur Sicherheit beauftragt man einen zweiten Willigen oder sogar ein paar mehr, falls einer doch noch Bedenken kriegt oder krank wird. Das ist aber kein Muss und hängt natürlich sehr von den finanziellen Mitteln ab, die zur Verfügung stehen.

Bei Eingang des oder der Gutachten nimmt man ebenso erfreut wie überrascht zur Kenntnis, dass der Gutachter die eigene Auffassung bestätigt. Wer hätte damit nur rechnen können.
Ist die Auswahl an Gutachten reichlich, nimmt man das Gutachten, das am schönsten klingt. Bei Gleichstand entscheidet die Imposanz des Kanzleibriefkopfs.

Ärger bringt so ein Vorgehen nie. Die anderen angefragten Anwälte, vor allem jene, die gleich mit dem Kopf geschüttelt haben, dürfen selbst auf Nachfrage nicht mal zugeben, dass sie kontaktiert wurden und womöglich sogar eine Ersteinschätzung gegeben haben, für deren Inhalt der potenzielle Auftraggeber dann doch eher nichts bezahlen wollte. In einem Wort: Schweigepflicht.

Das sind natürlich super ausgebuffte Tricks. So was kennen nur forensisch tätige Juristen und Pitbulls in Unternehmens-Rechtsabteilungen. Ich halte es für ausgeschlossen, dass ein Professor oder eine Professorin, die fast nur im Schreibstübchen, in Vorlesungen oder allenfalls mal in einer Enquete-Kommission sitzen, auf so was kommen könnten.

So schnell ist nicht mal die Post

Auch Anwälte werden mal krank. Wenn mehrere Angeklagte vor Gericht stehen, ist es vom Grundsatz her natürlich sehr nett, die anderen Anwälte vom Krankheitsfall zu informieren. Damit sie nicht unnötigerweise zum Gericht fahren. Bei einem Verhandlungstermin am 30.06. um 12.30 Uhr macht es allerdings wenig Sinn, diese Information in einen Brief zu packen, der am 30.06. in die Post geht. Siehe hier:

Der Brief ging übrigens heute ein. Wir schreiben den 16.07.2025.