Urinkontrollen in der Haft: Klartext aus Karlsruhe

Falls ihr heute im Laufe des Tages auch einen lauten Klatsch gehört habt: Das war die Ohrfeige, welche das Bundesverfassungsgericht heute ans Landgericht Bochum verteilt hat. Einer Strafvollstreckungskammer attestieren die Richter, dass man dort die aktuelle Rechtslage nicht kennt, falsche Paragrafen anwendet und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht einmal ansatzweise verstanden hat.

Es geht um einen Strafgefangenen. Dieser musste zum Jahresende 2020 binnen vier Wochen vier Mal zur Drogenkontrolle antreten – obwohl gegen ihn kein konkreter Verdacht vorlag. Um „Missbrauch“ auszuschließen, guckten Bedienstete dem Betroffenen beim Pinkeln auf den Schniedel. Dagegen wehrte sich der Gefangene mit mehreren Anträgen, doch diese blieben erfolglos.

Bis die Sache nach Karlsruhe kam, und von dort hagelt es die harsche Kritik nun schriftlich. So habe das Landgericht Bochum schon mal nicht den richtigen Paragrafen gefunden, obwohl das Strafvollzugsgesetz des Landes noch einigermaßen überschaubar ist. Einzelheiten lassen sich in dem heute veröffentlichten Beschluss nachlesen. Schon diese Trottelei bei der Suche nach dem einschlägigen Paragrafen führe dazu, dass die Entscheidung inhaltlich nicht überprüfbar sei.

Außerdem hatte der Betroffene darauf hingewiesen, dass es zu einer Urinkontrolle mit „Aufsicht“ durchaus Alternativen gibt. Konkret erklärte er sich damit einverstanden, dass ihm eine geringe Menge Kapillarblut aus der Fingerbeere entnommen wird (kleiner Pieks, keine Schamverletzung). Fast schon süffisant merken die Richter an, das Strafvollzugesetz NRW sehe diese deutlich mildere Kontrollmöglichkeit mittlerweile vor – und zwar seit seiner Neufassung vom September 2017.

Bedeutsam an dem Beschluss ist die Bekräftigung, dass auch das Schamgefühl von Strafgefangenen nicht zur beliebigen Disposition steht. Es bedarf wirklich gewichtiger Gründe für einen so tiefen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht. Auch Gefangene hätten Anspruch auf „besondere Rücksichtnahme“.

Ganz klar bezeichnen es die Richter überdies als „fraglich“, ob Urinkontrollen in einer Haftanstalt ohne „konkreten Verdacht des Drogenmissbrauchs des betroffenen Gefangenen“ überhaupt angeordnet werden dürfen. Darüber musste das Gericht nicht entscheiden, weil es das Landgericht Bochum ja schon anderweitig gründlich verkorkst hat. Allerdings liest sich die Formulierung fast wie eine Einladung, auch die in vielen JVA sehr beliebten anlasslosen Kontrollen überprüfen zu lassen.