Luises Tod und die Frage nach der zivilrechtlichen Haftung

Der gewaltsame Tod der 12-jährigen Luise beschäftigt die Menschen. Strafrechtlich können die mutmaßlichen Täterinnen nicht zur Verantwortung gezogen werden. Sie sind nicht strafmündig. Die Rechtslage habe ich hier umrissen. Unabhängig davon ist die Frage, ob die Verdächtigen möglicherweise zivilrechtlich verantwortlich sind – oder sogar ihre Eltern. Konkret geht es vor den Zivilgerichten um Schadensersatz und – vor allem – Schmerzensgeld.

Zivilrechtlich sind die Altersgrenzen im Bürgerlichen Recht anders als im Strafrecht. Keinerlei Ansprüche können gegen Kinder erhoben werden, die noch nicht sieben Jahre alt sind (§ 828 Abs. 1 BGB). Im Alter zwischen 7 und 18 Jahren haften Kinder und Jugendliche, wenn sie „bei Begehung der schädigenden Handlung“ die zur „Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht“ besitzen.

Das wird juristisch anhand folgender Frage beantwortet:

Ist der Betroffene nach seiner individuellen Verstandesentwicklung fähig, die Gefährlichkeit seines Tuns zu erkennen und sich der Verantwortung für sein Tun bewusst zu sein.

Kein Außenstehender kann niemand etwas zum Entwicklungsstand und der Einsichtsfähigkeit der 12- und 13-jährigen Mädchen sagen, denen die Tötung zur Last gelegt wird. Aber allgemein lässt sich festhalten, dass die zivilrechtliche Haftung für eine Messerattacke mit tödlichem Ausgang nicht ganz fern liegt. So musste ein 7-Jähriger haften, weil er trotz Warnung jemandem mit einer Schleuder ein Auge ausgeschossen hat. 10-Jährige sind verantwortlich für das Abfackeln einer Scheune oder die Verletzung eines Spielkameraden mit einem Beil. Ebenso verurteilt wurde ein 12-jähriger Sonderschüler, der auf einem Spielplatz mit Steinen warf.

In einem Prozess würde es natürlich in erster Linie um ein Schmerzensgeld gehen. Die Eltern von Luise haben einen möglichen Schmerzensgeldanspruch geerbt. Die in diesem Fall sicherlich besonders traurige Wahrheit ist allerdings: In Deutschland ist der Tod eines Menschen nicht sonderlich viel wert. Sofern das Opfer an Ort und Stelle verstirbt und nicht noch mehr oder weniger lange leidet, belaufen sich die Schmerzensgelder auf eher geringe Summen. Es gibt Urteile, die in solchen Fällen zehn- bis fünfzehntausend Euro zusprechen. Die Summe scheinen mir oft eher geeignet, bei den Hinterbliebenen noch zusätzliche Schmerzen zu verursachen.

Hinterbliebenen können auch eigene Schmerzensgeldansprüche zustehen. Diese setzten früher eine erhebliche Beeinträchtigung voraus, die über die in solchen Fällen normale psychische Belastung hinausgeht. Die Betroffenen, das können neben den Eltern auch Großeltern und Geschwister sein, mussten beweisen, dass sie nicht nur trauern, sondern tatsächlich physisch oder psychisch krank geworden sind.

Verbessert hat sich die Situation durch § 844 BGB. Dieser gewährt nahestehenden Personen einen eigenen Anspruch auf Schmerzensgeld und Schadensersatzansprüche, zum Beispiel wenn der Getötete unterhaltspflichtig war. Der Gesetzgeber geht beim eigenständigen Schmerzensgeldanspruch von etwa 10.000 Euro aus.

Selbst wenn die verdächtigen Kinder zivilrechtlich verantwortlich sind, muss sich ihre Ersatzpflicht also keineswegs auf exorbitant hohe Beträge belaufen. Die momentane finanzielle Situation der Mädchen spielt allerdings erst mal keine Rolle. Sollten sie zu Schmerzensgeld oder Schadensersatz verurteilt werden, erhalten die Kläger einen vollstreckbaren Titel. Aus diesem Urteil kann 30 Jahre vollstreckt werden. Also auch dann noch, wenn die Betreffenden arbeiten und Schulden abtragen können.

Haften möglicherweise die Eltern der Verdächtigen? Das ist denkbar, denn § 832 BGB normiert eine Haftung von Aufsichtspflichtigen. Das berühmte, aber ebenso oft missverstandene „Eltern haften für ihre Kinder“. Allerdings greift die Haftung laut Gesetz nicht, wenn die Eltern ihrer Aufsichtspflicht genügt haben oder der Schaden auch bei korrektem Verhalten entstanden wäre.

Ausgehend von dieser Prämisse müssten die Eltern konkrete Anhaltspunkte für eine Gewaltbereitschaft ihrer Kinder gehabt haben, noch dazu in diesem exorbitanten Ausmaß. Das erscheint doch eher unwahrscheinlich.

Im Ergebnis lässt sich festhalten: Vor das Strafgericht wird der Fall nicht kommen. Es sei denn natürlich, die derzeit laufende Suche nach strafmündigen Mittätern oder Gehilfen ist erfolgreich. Zivilrechtlich könnten die Eltern von Luise sehr wohl vorgehen – wenn sie die Kraft und die Nerven dafür haben. Zeit bleibt ihnen immerhin. Die Ansprüche wegen der Tötung eines Menschen verjähren erst nach 30 Jahren.