„Vorab per Mail“ steht auf dem Schreiben mit dem sehr schön gestalteten Briefkopf einer mittelgroßen Anwaltskanzlei. Bei dem PDF handelt es sich um eine eher langatmige Abmahnung, jedoch gespickt mit sehr vielen privaten Details. Bei den Details handelt es sich allerdings nicht um Informationen über den Abgemahnten Herrn J. Sondern um Nacktbilder der eigenen Mandantin, die in der Anwaltskanzlei Hilfe gesucht hat. Das gute Dutzend Nacktfotos hat die zuständige Rechtsanwältin liebevoll in den Text eingepflegt, wohl um den geltend gemachten Unterlassungsansprüchen Nachdruck zu verleihen. Bei Nacktbildern macht „Vorab per Mail“ natürlich immer Sinn. Vor allem, wenn man sie ins geschäftliche Postfach des Empfängers pumpt…
Doch vom Anfang an. Unschwer zu erahnen, wird in dem Fall eine gescheiterte Beziehung aufgearbeitet. Herrn J. wird vorgeworfen, er habe sich nicht nur an den übersandten textilfreien Selfies erfreut. Vielmehr habe er diese nach Ende der Beziehung auf irgendwelchen Portalen veröffentlicht und über Burner-Adressen rumgeschickt. Das stört die Ex-Partnerin natürlich. Herr J. bestreitet das alles entschieden, weniger was die Freude beim Betrachten der Bilder angeht, umso mehr aber deren angebliche Verbreitung.
Aber bleiben wir beim Thema. Welchen Sinn macht es zunächst grundsätzlich für einen Anwalt, dem juristischen Gegner Nacktbilder der eigenen Mandantin zu schicken und gleichzeitig zu behaupten, dass dieser Gegner die Bilder ja ohnehin kennt? Natürlich keinen. Noch weniger Sinn macht es, die reich bebilderte Abmahnung „vorab per Mail“ ans Firmenpostfach des Abgemahnten zu schicken. Ist es schön, wenn nun auch die Sekretärin oder gar die ganze Poststelle der Firma weiß, wie die Betroffene nackt aussieht? Ich meine, wenn es neben der Abmahnung auch um eine sofortige Rufschädigung von Herrn J. ging, hätte der Brief alleine genügt. In Unternehmen können die Mitarbeiter normalerweise lesen, und schon alleine der Inhalt hätte Herrn J. zuverlässig zum Mittelpunkt jedes Teeküchentalks gemacht.
Mit der Mail ist Herr J. nicht nur vermeintlicher Täter, sondern nun auch selbst Geschädigter. Auch er hat Persönlichkeitsrechte, eine Privat- und Intimsphäre. Es wird sich von seiner Seite die Frage stellen, ob seine Ex-Partnerin überhaupt wusste, dass die Abmahnung bebildert wird. Ebenso interessant wird sein, ob die Ex-Partnerin der Übersendung der Abmahnung per Mail zugestimmt hat. Grundsätzlich dürfen Anwälte mandatsbezogene Daten nur per Mail übermitteln, wenn sie dafür eine ausdrückliche Freigabe haben. Ich gebe zu, das ist nicht sehr praxistauglich, aber viele Anwaltskammern betrachten E-Mails ohne schriftlichen Zustimmung des Mandanten als Verletzung der Schweigepflicht. Und ich rede von E-Mails ohne angehängte Nacktbilder der Mandantin. Für die Ex-Partnerin ist das insgesamt keine schöne Situation. Hat sie die Abmahnung „vorab per Mail“ ausdrücklich gebilligt, dürfte sie selbst mitverantwortlich für die Folgen sein. Hat sie es nicht, muss sie mit ihrer Anwältin wahrscheinlich ein klärendes Gespräch führen.
Fassen wir zusammen: „Einschreiben/Rückschein“ hätte dicke gereicht.
Karikatur: wulkan