Das kann nicht sein

Da blökt mich die Mitarbeiterin einer Staatsanwaltschaft an. Wir hätten ein Schreiben geschickt, das passe gar nicht in die Akte. Das genannte Aktenzeichen beziehe sich auf einen ganz anderen Beschuldigten. Sie müsse fast schon den halben Tag suchen, weil „irgendwelche Anwälte“ die Aktenzeichen nicht auf die Reihe bekommen.

Ich gucke in die Akte und stelle fest: Das von uns angegebene Aktenzeichen steht auf dem einzigen Schreiben, das unsere Mandantin von der Staatsanwaltschaft erhalten hat. Und zwar genau in der Sache, um die es, so viel ist jedenfalls klar, eigentlich geht. Genau das erkläre ich der Dame.

„Das kann nicht sein.“

Mit einer anderen Reaktion habe ich nicht gerechnet.

Gerührt ins Wochenende

„Ihr Mandant mag sich insoweit keine Sorgen machen. Ich bin hier nicht beauftragt, Probleme entstehen zu lassen, wo keine bestehen.“

Und das aus der Feder einer Fachanwältin für Familienrecht. Es gibt noch Hoffnung für die Welt.

Regeländerung

Im Sportstudio haben sie die Trainingsordnung geändert. Bisher galt:

Das Trainieren in ärmellosen Shirts ist nicht gestattet.

Ab sofort lautet die Regelung:

Das Trainieren in ärmellosen Shirts ist Männern nicht gestattet.

Weit weg

Vor zwei, drei Stunden ist ein Mandant von mir festgenommen worden. Er soll am Nachmittag dem Haftrichter vorgeführt werden. Leider spielt alles weit weg, so dass ich nicht hinfahren kann. Aber immerhin habe ich schon erfahren, dass der Richter heute seinen letzten Tag hat. Er geht in Pension.

Da sollte was zu machen sein. Sagt mir mein Gefühl.

Anwalt, spring

Telefonnotiz, Anruf 16.45 Uhr:

Richter Dr. R. bittet um Rückruf in der Sache N. Er erwartet Ihren Anruf noch heute.

Telefonnotiz, Anruf 17.47 Uhr:

Richter R. teilte mit, dass er den Termin dann ohne Absprache festlegen wird, da er vergeblich auf Ihren Rückruf gewartet habe.

Die Nachrichten habe ich erst nach einer Besprechung zur Kenntnis nehmen können. Dennoch habe ich den Richter noch erreicht. Auf meinen Hinweis, dass ich mich ab und zu meinen Mandanten widmen muss, kriegte ich zu hören:

Na, ich denke schon, dass man in zwei Stunden mal Zeit für einen Rückruf hat.

Ich habe dem Richter dann zu seinem ausgeprägten Zeitgefühl gratuliert. So besonders lustig fand er es nicht, dass ich ihm den Zeitpunkt seiner Anrufe auf die Minute benennen konnte.

Ich würde an sich ja nichts sagen. Aber es geht um eine Strafsache, die seit Jahren läuft. Und in der sich seit geraumer Zeit nicht das Geringste getan hat. Elf Monate, um genau zu sein.

Abrechnung

Ich habe eine Pflichtverteidigung abgerechnet. 16 Hauptverhandlungstage, einige über fünf Stunden. Kopierauslagen, Parkgebühren, Abwesenheitsgelder, Fahrtkosten.

Nach etwa einer dreiviertel Stunde bin ich, trotz Gebührenprogramm, mit den Nerven fertig. Aber zuversichtlich, keinen Cent verschenkt zu haben.

Moment mal, ich habe die Haftbesuche vergessen…

Die ersten Beschwerden trudeln ein

Von EBERHARD PH. LILIENSIEK

Die 37 Gefängnisse in Nordrhein-Westfalen sind zusammengenommen ein einziges Flickwerk. In einem gibt es für Drogenanhängige sofort Hilfe, darauf warten in einem anderen die Süchtigen sieben lange Wochen. Gefangene, die das Glück eines guten Haftplatzes haben, werden während ihrer Entlassung in einen Beruf vermittelt. Die mit Pech gehen in die Obdachlosigkeit.

Dieses asoziale System hinter Gittern hat der neue Ombudsmann für den Strafvollzug innerhalb seiner ersten hundert Arbeitstage entdeckt. Rolf Söhnchen (65) zieht eine niederschmetternde erste Bilanz: „Der gesamte Vollzug hat keine Lobby, ich erlebe Pleiten, Pech und Pannen“. Das System soll deshalb auf den Prüfstand.

Der ehemalige Amtsgerichtsdirektor von Remscheid war bis zu seiner Pensionierung vor gut drei Monaten Jugendrichter. Er ist jetzt der einzige, der ohne einen Dienstausweis ein Gefängnis betreten darf – und auch wieder heraus kommt. Zu seinem neuen Amt kam er nach der grausamen Tötung eines Gefangenen in Siegburg. Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) hatte Söhnchen gefragt. Sie stammt aus Remscheid, dort ist ihr Ehemann der Kämmerer und CDU-Mitglied. Man kennt sich. Doch eine politische Verflechtung weist Söhnchen („Ich bin parteilos und Wechselwähler“) von sich.

Er sagt, der Wechsel vom Richten zum Schlichten sei durch seine Fachkenntnis und sein soziales Engagement entstanden. Eine bundesweit einmalige Institution hatte die Ministerin das neue Amt genannt. Seitdem navigiert sich Söhnchen mit seinem vierköpfigem Team durch die Justizvollzugsanstalten, so der offizielle Begriff. Anstalten, in den die Justiz vollzogen wird.

Mal so, mal völlig anders.

Es gibt Anstalten, in denen die Leiter regelmäßig Gesprächsstunden für Gefangene anbieten. Und es gibt Gefangene, die haben in vielen Jahren noch nie den Anstaltsleiter gesehen, geschweige denn: gesprochen. In diversen Anstalten gibt es, eine Rarität hierzulande, Regelungen mit der Möglichkeit dauernden Gefangenenbesuchs. Diesen Unterschied registrierte Söhnchen bei seinen Besuchen in bislang 14 Gefängnissen mit Verblüffung: „Sollte sich herausstellen, dass solche Wohltaten zufällig sind, werde ich eine positive einheitliche Regelung fordern!“

Denn einen Standard gibt es nicht. Den hat offenbar das Wuppertaler Landesjustizvollzugsamt, dessen Hauptaufgabe doch gerade die „zentrale Koordination des Vollzugsgeschehens in den Justizvollzugsanstalten des Landes Nordrhein-Westfalen“ ist, in den fünf Jahren seines Bestehens nie zustande gebracht. Manche Gefängnisse haben eigene Suchtberater, berichtet der Ombudsmann, andere nutzen fremde Träger – die aber sind von instabilen Zuwendungen abhängig:

„Ist das richtig?“ Die Antwort kennt Söhnchen bereits: „Meine Forderung nach Evaluierung steht schon jetzt fest!“ Er will also alle Prozesse und Organisationen im gesamten Justizvollzug beschreiben, analysieren und bewerten lassen. Inzwischen stößt er damit bei den Leitern der Gefängnisse auf offene Ohren. Es gab zwar welche, die sind ihm mit Vorbehalten, zwar frei von Misstrauen, aber mit Distanz begegnet. Andere haben ihn tatsächlich aufgefordert, erst einmal ein paar Wochen im Knast zu hospitieren.

„Es wird von mal zu mal entspannter“, erkennt Söhnchen, „die Anstaltsleiter haben erkannt, dass ich ihr Sprachrohr werden könnte.“ Es gebe welche, die fühlen sich durch ihn gegenüber dem Justizministerium vertreten. Und das, obwohl langsam die Beschwerden der Gefangenen eintrudeln. Durch eine Panne sind sie erst seit Anfang Juli über die Arbeit des Ombudsmannes informiert. Mit bereits 60 Eingaben sieht Söhnchen erst die Spitze des sprichwörtlichen Eisbergs. Seine Prognose: „Es wird künftig 2000 Beschwerden im Jahr geben“.

Das Gros will Vollzugslockerung, der eine oder andere seine Wasserpfeife. Über die ärztliche Versorgung, die Zahnbehandlung, wird geklagt. Aber nicht über Gewalt von Bediensteten. Auch über Mitgefangene fehlen Rügen. Der jährliche Etat für Söhnchen, eine für seine Vertretung frei gestellte Staatsanwältin, eine Justizbeamtin, einen Sozialarbeiter und eine Assistentin liegt jährlich bei 27.000 Euro. Mit einem Dienstwagen ausgestattet fahren sie monatlich 2000 Kilometer, haben noch Besuche in 21 Gefängnissen vor sich.

Sie wünschen sich noch ein paar Notebooks mehr in ihren Diensträumen, die inzwischen ziemlich komfortabel im Gebäude des Landesjustizamtes eingerichtet worden sind. Und wenn das Ende des Jahres aufgelöst wird, hat der Ombudsmann noch mehr Arbeit. Aber dann auch endlich eigenes Toilettenpapier und Seife. (pbd)

Fakten: In Nordrhein-Westfalen gibt es 37 Justizvollzugsanstalten, 11 angeschlossene Zweiganstalten und 22 weitere Außenstellen. Das Justizvollzugskrankenhaus steht in Fröndenberg, die Justizvollzugsschule in Wuppertal. Insgesamt gibt es etwa 18.500 Haftplätze, die von rund 18.000 Gefangenen belegt sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ständig rund 700 bis 900 Haftplätze insbesondere wegen Renovierungsarbeiten nicht belegt werden können. In den Justizvollzugsanstalten des Landes sind mehr als 8000 Bedienstete tätig, über 6000 davon im allgemeinen Vollzugsdienst. Der Ombudsmann ist keiner Weisung unterworfen. Alle Eingaben an ihn werden vertraulich behandelt. Der Schriftwechsel aus der Strafhaft wird nicht überwacht. Der Ombudsmann wird seinen ersten Bericht der Justizministerin in etwa acht Monaten vorlegen. (pbd)

Unausweichlich

Nach vier Jahren und zwei Gutachten hatte sich die Staatsanwaltschaft endlich durchgerungen. Sie stellte das Ermittlungsverfahren gegen Dr. B., einen Krankenhausarzt, ein. Wegen geringer Schuld, § 153 Strafprozessordnung. Dr. B. war ein Behandlungsfehler vorgeworfen worden, der zum Tod einer Patientin geführt haben soll.

Gegen diese Entscheidung legten die Angehörigen der verstorbenen Frau Beschwerde ein. Die Generalstaatsanwaltschaft hat den Sachverhalt geprüft. Mit dem Ergebnis, dass die Einstellung des Verfahrens so nicht korrekt ist. Vielmehr bestehe überhaupt kein Tatverdacht; das Verfahren müsse deshalb nach § 170 Absatz 2 Strafprozessordnung eingestellt werden.

Von der Einstellung zweiter Klasse zur Einstellung erster Klasse. Das ist ja auch mal nett. Allerdings ist der Klageerzwingungsantrag unausweichlich. Die Tochter der Verstorbenen ist Rechtsanwältin.