Wie aus dem Lehrbuch

Justizvollzugsanstalt. Im Besucherzimmer rede ich mit einem neuen Mandanten.

Bevor Sie das Geständnis abgelegt haben, was haben die Polizisten gesagt?

Dass ich nichts aussagen muss, wenn ich nicht will.

Sonst noch was?

Dass ich auch einen Anwalt anrufen kann, wenn ich möchte. Und dass ich Anträge zum Beweis stellen kann, oder wie das heißt.

Sie haben keinen Anwalt angerufen?

Nein.

Sie haben dann ausgesagt?

Ja.

Hat man Ihnen was versprochen für den Fall, dass Sie keinen Anwalt anrufen oder sich äußern? Vielleicht geringeres Strafmaß, keine Untersuchungshaft?

Nein, der Beamte hat gesagt, dass ich wahrscheinlich so oder so in Untersuchungshaft komme. Er könne mir auch gar nichts nichts versprechen, weil die Entscheidung beim Staatsanwalt oder Richter liegt.

Okay, dann haken wir das ab und reden über die Sache…

Mit der Kaution getrödelt

Ein Strafverteidiger soll Freiheitsberaubung begangen haben. An seinem eigenen Mandanten. Die schreibmaschine berichtet über den traurigen Fall eines Anwalts, der angeblich fast zwei Wochen getrödelt hat, bis er für seinen inhaftierten Mandanten die Kaution einzahlte.

Überdies soll der Verteidiger „stolze“ Stundenhonorare von bis zu 125 Euro vereinbart haben. Sollte er dieserhalb wegen Wuchers auf der Anklagebank sitzen, gehe ich jetzt meine Zahnbürste packen.

Rezepte von gestern

„7. August 1932: Die Todesstrafe für Diebstahl wird eingeführt.“

Spiegel Special „Experiment Kommunismus – Die russische Revolution und ihre Erben“, S. 80.

Verfallsdatum

Das ist nicht so gut, wenn man vor Weihnachten einen Wandkalender 2008 bestellt und sich das Lieferdatum permanent nach hinten verschiebt. Aktueller Stand: 16. Januar 2008.

Solche Produkte haben ja eine Art Verfallsdatum…

Kriminalität im Jugendzimmer

Seit dem 1. Januar ist auch der Download urheberrechtlich geschützter Werke strafbar, heißt es in diesem Bericht.

Bisher konnte im Regelfall strafrechtlich nur belangt werden, wer geschützte Dateien selbst im Netz angeboten hat. § 53 Urheberrechtsgesetz in Verbindung mit § 106 Urheberrechtsgesetz verbietet nunmehr ausdrücklich die Vervielfältigung einer „öffentlich zugänglichen Vorlage“, das heißt zum Beispiel das Runterladen eines MP3-Files oder eines Filmes aus dem Internet.

Das sieht nach jeder Menge Arbeit aus. Für Polizisten. Staatsanwälte. Richter. Und, hurra, Strafverteidiger. Kuschelig, solche Massenverfahren. Die kann man vom Schreibtisch aus bequem Deutschlands Jugendzimmer kriminalisieren, und der Statistik tut es gut.

Es bedanken sich die richtig schweren Jungs. Ob auf der Straße. Oder in den Chefetagen. Sich mit denen ernsthaft rumzuplagen, scheitert ja bekanntlich heute schon oft genug an den angeblich knappen Ressourcen der Strafjustiz.

Kein Bild vor Augen

Es kann sich durchaus lohnen, gegen Bußgeldbescheide wegen Telefonierens am Steuer vorzugehen. Das habe ich heute wieder erlebt. Bis zur Hauptverhandlung dauert es manchmal noch länger als bis zu einem Prozess gegen jugendliche Angeklagte. Heute redeten wir zum Beispiel über einen Vorfall, der knapp sechs Monate zurückliegt.

Kaum ein Polizist erinnert sich da noch genau an das, was er gesehen hat. Oder gesehen zu haben meint. Eine gute Ausgangslage für muntere Fragerunden.

Wobei die Beamtin und der Beamte, die heute als Zeugen aussagten, allerdings geradezu unglaubliche Erinnerungslücken hatten. Kostprobe: „Ich weiß überhaupt nicht mehr, um was es geht. … Dass der Betroffene telefoniert haben soll, dieses Bild habe ich wirklich nicht mehr vor Augen.“

Ich hatte fast ein wenig das Gefühl, dass die Zeugen sich gar nicht erinnern wollten. Vielleicht weil dann einige Dinge zur Sprache gekommen wären, die sie lieber nicht öffentlich erörtern wollten. Zum Beispiel ihr Verhalten bei der Kontrolle meines Mandanten. Das war, nun ja, nicht ganz astrein.

Heißes Erlebnis

Wieso räumt jemand eine Pfanne, so sie gebraucht wurde, stets nach dem Spülen in den Schrank? Dort wo sie hingehört. Oder anders gefragt: Wieso bricht jemand mit dieser schönen Tradition und stellt eine Pfanne nach dem Spülen in die Backröhre, obwohl im Schrank genug Platz ist?

Die Frage stellte ich mir gestern, als ich die Pfanne im Ofen sah. Dorthin hatte die Putzfrau sie verräumt. In dem Augenblick war die Röhre schon auf 230 Grad vorgeheizt. Woran ich aber erst dachte, als ich die Pfanne in der Hand hatte.

Eine Viertelstunde fließendes, eiskaltes Wasser verhindert übrigens, dass die Blasen alllzu groß werden.

Fernsehverbot für den Scharfmacher

Deutschlands „mutigster Staatsanwalt“ erhält Fernsehverbot, berichtet der Tagesspiegel.

Gut so.

Ein Strafverfolger, der zugibt, Untersuchungshaft als Erziehungsmittel einzusetzen, handelt (bewusst) rechtswidrig. Er sollte seine Zeit besser nutzen als für den Versuch, ganz oben auf der widerwärtigen Welle offener Ausländerfeindlichkeit mitzureiten. Eine Fortbildung im Strafprozessrecht wäre vielleicht nicht schlecht.

Gestrauchelte Jugendliche brauchen schnelle Reaktion

Der Fall liegt ein bisschen zurück, berührt aber eins der wichtigen drei Probleme. In einer Silvesternacht beschließt eine Schar von Studenten zwischen 18 und 20 Jahren eine freiwillige Schlägerei. Eine der jungen Frauen setzt eine Gaspistole an den Mund eines der Kontrahenten und drückt ab. Was nun vor Gericht folgt, ist eine Wanderung auf schmalem Grat. Denn nach unserem Jugendgerichtsgesetz ist diese Täterin eine „Heranwachsende“, ein Zwitter.

In der ersten Instanz wird sie als Erwachsene wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe verurteilt. In der zweiten Instanz aber wird sie zur privilegierten Jugendlichen gemacht und nur mit einer Geldbuße belegt. Das Gericht meint, eine Erwachsene hätte solch eine Tat erst gar nicht begangen. Diese Begründung hält Jugend-Staatsanwältin Astrid Röttgen für absurd: „Das Jugendstrafrecht muss nur richtig statt falsch angewendet werden“.

Wann also ist ein junger Mensch überhaupt reif – und für welche Strafe? „Mit 14 sollte die Erziehung abgeschlossen sein“, sagt Röttgen. „Ich treffe auf 19-jährige Angeklagte, die sind wie Kinder“, bestätigt der Düsseldorfer Jugendrichter Burkhard Spicks. Deshalb hält der Praktiker auch nichts von „Erziehungscamps“: „Die Jugendlichen kommen da schlimmer raus als sie rein kommen“.

Spicks plädiert für die Unterbringung in geschlossenen Heimen, die vor 25 Jahren in Nordrhein-Westfalen abgeschafft wurden. Dort müsse den jungen Menschen beigebracht werden, wie sie ihr Leben bewältigen können. Dieser Ansicht ist auch die Jugendrichterin Andrea Sauter-Glücklich in Wuppertal: „Wir brauchen geschlossene Heime für Jugendliche, die sich Erziehungsmaßnahmen entziehen“.

Sie hat einen kriminellen Jugendlichen aus Duisburg vor Augen. Der kam nach Wuppertal in eine Pflegefamilie, flog dort raus, weil er der Pflegemutter das Konto abräumte. In einer eigenen Wohnung gerät der 17-jährige vollends auf die kriminelle Schiene. Er macht Drogengeschäfte und begeht Diebstähle, während er von Hartz 4 lebt. Sauter-Glücklich: „Es mangelt an intensiver Betreuung. Wie immer man es nennt, ob geschlossenes Heim oder Erziehungscamp: Das ist ein Fall für Zuckerbrot und Peitsche“.

Die Rede ist also nicht vom einfachen Wegschließen in den Knast. „Ein Tag Haft kostet den Steuerzahler rund 100 Euro“, gibt Jugendrichter Spicks zu bedenken, „die sind in der Sozialarbeit besser angelegt“. Die strengere Anwendung des Jugendrechts ist für die Praktiker demnach eine Teil-Lösung, die zweite besteht darin, gefährdeten Jugendlichen einen Halt zu geben – es gibt freilich noch, abgesehen von mehr Personal und damit mehr Geld, das dritte Problem namens Zeit.

Gestrauchelte junge Menschen brauchen eine schnelle Reaktion, meint Jugendrichter Burkhard Spicks: „Wir können, was sinnvoll ist, Jugendliche nicht schnell genug vor den Richter bringen“. Er kritisiert, das dauere bei einem, der einen Raub begangen hat, von wenigstens 6 Monaten bis zu einem Jahr. Noch schlimmer schildert seine Wuppertaler Kollegin Sauter-Glücklich die Situation nach einer Verurteilung: „Die Vollstreckung ist ein stumpfes Schwert geworden. Nach dem Urteil dauert es 6 Monate, bis die Haft angetreten wird.“

Dieser Rüge stimmt Jens Gnisa zu. Der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes sieht aber die Jugend-Justiz in NRW auf dem richtigen Weg. Beim Projekt „Gelbe Karte“ in Remscheid, schildert Gnisa, treffe der Jugendliche auf einen Staatsanwalt, der ihm „sofort eine Kopfwäsche verpasst“, etwa mit 20 Sozialstunden. Dafür brauche der Staatsanwalt aber länger, als – wie bislang – ein Formular zu unterschreiben, mit dem das Verfahren gegen Auflagen eingestellt wird: „Dieses Projekt muss ausgeweitet werden“. Motto: Der Staat guckt nicht zu, dass Jugendliche kriminell werden.

Außerdem sind die (zivilen) Familiengerichte sensibilisiert. Sie greifen ein, wenn die Erziehungskompetenz der Eltern nicht ausreicht. Diese positiven Ansätze, mahnte Gnisa, dürfen nicht untergehen. Am Ruf des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch nach „Erziehungscamps“ aber stört Gnisa „der falsche Zungenschlag“: „Solche Politiker rufen am Ende einer Entwicklung nach härteren Strafen, tatsächlich muss bei jungen Kriminellen viel früher angesetzt werden. Man soll nicht die Feuerwehr rufen, wenn das Haus brennt, sondern vorher Brandschutzmaßnahmen treffen. Wir in NRW sind jetzt dabei“. (pbd)

Info: Das Jugendgerichtsgesetz (JGG), vor 84 Jahren entworfen, stellt den Erziehungsgedanken vor die Strafe. Es gilt für 14- bis 18-Jährige (Jugendliche) und 18- bis 21-Jährige (Herwanwachsende). Je nach Art der Tat und Reifegrad der Angeklagten können Richter denen Auflagen erteilen, sie beispielsweise Müll sammeln oder in der Altenhilfe arbeiten lassen. Die Gerichtsverhandlungen sind meistens nicht-öffentlich. Die Höchststrafe für Jugendliche ist – selbst bei einem Mord – auf 10 Jahre begrenzt. Das JGG regelt die spezielle Unterbringung bei einem Jugendarrest oder einer Haftstrafe. Auch junge Soldaten der Bundeswehr werden bei Straftaten begünstigt nach dem JGG behandelt. (pbd)

Anwälte: Sensibel mit der Verfassung umgehen

Staatliche Terrorabwehr darf nicht zu Lasten der Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger gehen, fordert der Deutsche Anwaltverein (DAV). Staatliches Handeln müsse immer verfassungsrechtlich legitimiert sein. Deshalb darf der Kampf gegen den Terrorismus nach Ansicht von Rechtsanwalt Dr. Stefan König, Vorsitzender des DAV-Strafrechtsausschusses, nicht um jeden Preis geführt werden. Der Wunsch der Sicherheitsbehörden nach wirksamen Mitteln zur Terrorabwehr dürfe nicht dazu führen, dass der Rechtsstaat ausgehöhlt wird.

„Es ist viel wichtiger bei bestehender Gesetzeslage die tägliche Arbeit der notwendigen Sicherheitsbehörden besser zu organisieren, zu finanzieren und den heutigen Anforderungen anzupassen„, so Rechtsanwalt Hartmut Kilger, DAV-Präsident.

Die Wirklichkeit sehe anders aus. Der Ruf der Sicherheitsbehörden nach erweiterten Befugnissen werde lauter. Nach neusten Presseberichten wollen die Sicherheitsbehörden nicht nur an der geplanten Online-Durchsuchung festhalten, sie wollen künftig auch zur Gefahrenabwehr Wohnungen heimlich durchsuchen können und das “in-camera“-Verfahren in den Strafprozess einführen. Damit sollen auch die Gerichte den Verteidigern Beweismaterial vorenthalten können.

„Dies erinnert nicht nur an die Methoden der Geheimdienste“, mahnt König. “Dieser Vorstoß ist mit der Verfassung nicht zu vereinbaren und deshalb strikt abzulehnen.“ Das Bundesverfassungsgericht habe ausdrücklich klargestellt, dass das in-camera-Verfahren im Bereich des Strafprozesses tabu ist; es verstößt gegen Artikel 103 Abs. 1 Grundgesetz.

Der darin verankerte Anspruch auf rechtliches Gehör ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts “nicht nur ein prozessuales Urrecht des Menschen, sondern auch ein objektivrechtliches Verfahrensprinzip, das für ein rechtsstaatliches Verfahren im Sinne des Grundgesetzes konstitutiv und grundsätzlich unabdingbar ist“ (BVerfG, Beschl. v. 14.12.2006 – 2 BvR 1290/05).

Das in-camera-Verfahren gebe es lediglich im Verwaltungsprozess, weil dort nicht der Grundsatz “im Zweifel für den Angeklagten“ gelte, sondern der Bürger beweisbelastet sei.

BGH: G-8-Durchsuchungen waren rechtswidrig

Für die Durchsuchung von Wohnräumen und weitere strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen, die in einem von der Bundesanwaltschaft geführten Verfahren am 9. Mai 2007 im Rahmen einer koordinierten Aktion gegen Gegner des Weltwirtschaftsgipfels und Dritte durchgeführt worden sind, waren die Strafverfolgungsorgane des Bundes nicht zuständig. Dies hat der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (Staatsschutzsenat) auf die Beschwerde eines der Beschuldigten festgestellt und zugleich den ihn betreffenden Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss aufgehoben.

Der Generalbundesanwalt wirft dem Beschwerdeführer und weiteren Beschuldigten vor, sich an einer terroristischen Vereinigung beteiligt zu haben, deren Ziel es gewesen sein soll, durch Brandanschläge auf Sachen (Kraftfahrzeuge sowie ein leer stehendes Gebäude) und Sachbeschädigungen gewaltbereite Gesinnungsgenossen zu mobilisieren, um den Weltwirtschaftsgipfel vom Juni 2007 in Heiligendamm durch Gewalttaten erheblich zu stören oder zu verhindern. Er rechnet der Vereinigung zwölf gewalttätige Aktionen mit einem Gesamtschaden von ca. 2,6 Mio. € zu, die im Zeitraum Juli 2005 bis März 2007 ausgeführt wurden.

Der 3. Strafsenat hat entschieden, dass eine Strafverfolgungskompetenz des Generalbundesanwalts, die Voraussetzung für die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs ist, nicht gegeben war. Für die Entscheidung ist letztlich ohne Bedeutung geblieben, ob sich – woran allerdings nachhaltige Zweifel bestehen – die beschuldigten Globalisierungsgegner tatsächlich zu einer Vereinigung im strafrechtlichen Sinne zusammengeschlossen haben. Die Zuständigkeit der Strafverfolgungsorgane des Bundes scheidet nämlich jedenfalls aus rechtlichen Gründen aus. Eine von den Beschuldigten etwa gebildete Vereinigung kann – als Folge einer die Strafbarkeit beschränkenden Änderung der maßgeblichen gesetzlichen Bestimmung (§ 129 a Abs. 2 Nr. 2 StGB) im Jahre 2003 – nicht als terroristische Vereinigung eingeordnet werden, was die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts ohne weiteres begründet hätte. Soweit es den Verdacht der mitgliedschaftlichen Beteiligung in einer kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB) anbelangt, fehlt es – wie in dem Beschluss näher ausgeführt ist – an der für die Bundeszuständigkeit zusätzlich erforderlichen besonderen Bedeutung des Falles (vgl. § 74 a Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2, § 120 Abs. 2 Nr. 1 GVG, § 142 a GVG, § 169 Abs. 1 StPO).

Zur Verfolgung der in Rede stehenden Aktionen, bei denen es sich allerdings um nicht zu verharmlosende Straftaten handelt, sind deshalb nach der föderalistischen Verteilung der Aufgaben im Bereich der Strafverfolgung die Strafverfolgungsbehörden der Bundesländer zuständig.

Beschluss vom 20. Dezember 2007 – StB 12/07, 13/07 und 47/07

Pressemitteilung des BGH