Das Ziel der Berufung

Es kommt schon mal vor, dass sich Vorsitzende Richter am Landgericht wissen wollen, was mit einem Rechtsmittel bezweckt wird. Vor mir auf dem Schreibtisch liegt wieder so ein Schreiben:

… wird nach dem Ziel der Berufung gefragt.

Natürlich steckt dahinter nicht nur Wissbegier. Vielmehr kommt gleichzeitig ein klares Signal. Der Richter sieht nach Aktenlage wenig Spielraum für eine mildere Strafe. Ist ja schon mal nett, wenn man vorher weiß, wo man dran ist.

Andererseits gibt es noch andere Gründe, die Rechtsmittel auszuschöpfen. Zeitgewinn zum Beispiel. Wobei jeder Monat, der ins Land geht, meist der Lebensplanung des Angeklagten entgegenkommt – auch wenn es bei rationaler Betrachtung vielleicht oft besser wäre, eine Haftstrafe ohne Bewährung direkt hinter sich zu bringen.

Aber die reine Wartezeit bis zur Verhandlung kann sich auch als solche strafmildernd auswirken. Die Verfahrensdauer ist immer ein Kriterium. Das Verfahren belastet den Angeklagten. Schon deshalb sind Gerichte verpflichtet, zügig zu arbeiten. Was bekanntermaßen nur selten gelingt. Gerade Landgerichte brauchen mitunter seeeeehr lange, um Berufungen gegen Urteile des Amtsgerichts zu entscheiden.

So deutlich kann ich das mit dem Zeitaspekt allerdings nicht schreiben. Sonst habe ich kurzfristig die Ladung für übernächste Woche im Briefkasten. Ich belasse es deshalb wie üblich bei meinem Standardsatz, dass der Angeklagte auf Freispruch, jedenfalls aber auf ein milderes Urteil hofft. Über Einzelheiten reden wir dann im Gerichtssaal. Im Frühjahr 2013, schätze ich mal. 

Der Verteidiger bemühte sich vergeblich

In Computerdingen ist es ja bekannt: Das größte Sicherheitsrisiko sitzt immer vor dem Bildschirm. Bei Strafprozessen hat es mitunter auf der Anklagebank Platz genommen – wie jetzt in einem Verfahren vor dem Landgericht Lüneburg. Dort redete sich der Angeklagte ausgerechnet in letzter Sekunde um Kopf und Kragen.

Es ging darum, ob ein Aktivist bei einer Anti-Castor-Kundgebung zum Schottern aufgerufen hatte. Die Gerichte werten das als Aufruf zu Straftaten, was wiederum strafbar ist. Zuletzt hat das der junge Mann erfahren, der auf Facebook dazu aufrief, die Emdener Polizeiwache zu stürmen und einen Mordverdächtigen tot zu hauen. Zunächst hatte der betroffene Atomkraftgegner vor dem Landgericht Lüneburg offensichtlich gute Karte. Die Beweislage war dünn, berichtet az-online. Sein Anwalt warf sich ebenfalls für den Mann in die Bresche. Immerhin so gut, dass nach Einschätzung des Gerichtsreporters ein Freispruch im Raume stand.

Hätte der Aktivist nur sein Schlusswort nicht für ein 20-minütiges Plädoyer in eigener Sache genützt, in dem er frei heraus zugab, was ihm bislang nicht nachgewiesen werden konnte. Dass er nämlich tatsächlich auf der Veranstaltung zum Schottern aufgerufen hatte. Dementsprechend wurde er zu einer Geldstrafe verurteilt.

Für jeden Strafverteidiger eine eindringliche Erinnerung, dass auch das letzte Wort Risiken birgt. Ich persönlich briefe meine Mandanten in den weitaus meisten Fällen so, dass sie sich auf einen Satz beschränken:

Ich schließe mich den Worten meines Verteidigers an.

Eine Gewähr, dass sich jemand dann auch daran hält, gibt es natürlich nicht.

Noch ein Wort zu der Meinung des Richters, der Betroffene habe sich feige verhalten. Einen Tatvorwurf nicht einzuräumen, ist nicht feige. Es ist das Recht jedes Angeklagten.

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