Social-Media-Panne bei der Polizei

Die Polizei in Hannover gilt als führend im Bereich der Facebook-Fahndung. Nachdem ein erstes Projekt wegen Bedenken von Datenschützern eingestellt wurde, ist die Hannoveraner Polizei nun wieder auf Facebook aktiv. Ob die zuständigen Mitarbeiter aber die nötige Kompetenz für Social Media haben, ist nach einer Panne am Wochenende zumindest fraglich.

An sich haben es die Facebooker in Uniform sicher nur gut gemeint. Sie hatten zahlreiche Leserkommentare zu älteren Beiträgen auf der Polizei-Fanpage wahrgenommen. Dort wurde unisono vor einer Facebook-Präsenz gewarnt, die angeblich kinderpornografischen Inhalt hatte.

Statt jedoch zu ermitteln und Ergebnisse abzuwarten, traten die Polizeibeamten in einen direkten Dialog mit den Besuchern ihrer Fanpage. Sie ließen verlauten, gegen die Seite werde bereits vorgegangen, man bemühe sich um Löschung der Inhalte.

In dem Posting erwähnten die Beamten dann praktischerweise auch noch gleich den Namen der ins Gerede gekommenen Seite. Sie ließ sich so für jedermann in Sekundenschnelle googeln. Sofern sich tatsächlich illegales Material auf der Seite befunden hätte, hätte also ausgerechnet die Polizei einschlägig Interessierten den Weg gewiesen. Das ist im besten Fall dumm, im schlimmsten Fall sogar strafbar.

Allerdings hätten die Beamten vielleicht sowieso besser erst mal ihre zuständigen Kollegen arbeiten lassen sollen. Die Ermittler vom Landeskriminalamt stellten nämlich schon nach kurzer Zeit fest, dass auf der fraglichen Seite überhaupt keine strafbaren Inhalte zu finden sind. Somit gab es für die Polizei auch keinerlei Grund zum Einschreiten. Insbesondere die Ansage aus Hannover, man bemühe sich um Löschung der Inhalte, war somit ein krasser Fehlgriff.

Die Polizei zeigt sich mittlerweile bedingt einsichtig. Sie lässt erklären:

Um die Seite nicht zusätzlich interessant zu machen, würde die Polizeidirektion Hannover aus heutiger Sicht den Namen der verdächtigen Internet- oder Facebookseite nicht mehr benennen.

Aber auch diese Aussage geht am Kern vorbei. Es geht nicht darum, ob Seiten “interessant” gemacht wurden. Vielmehr sollte sich die Polizei fragen, wie sie es mit der Unschuldsvermutung und dem Zurückhaltungsgebot vereinbart, auf Facebook vorzupreschen, die Macher von Internetseiten zu diskreditieren und völlig unberechtigte Maßnahmen anzukündigen.

Hier hat die Polizei selbst an dem Pranger mitgebaut, den man jedenfalls von Seiten der Chefetage eigentlich unbedingt vermeiden möchte – und auch muss. Da stimmt es zumindest bedenklich, wenn die Polizei erklärt, sie werde auch nach dem Missgriff vom Wochenende weiter Kommentare auf ihrer Fanpage zulassen. Schließlich sei die “Interaktion” mit den Usern ein großer Vorteil. 

Das mag sein, aber nur wenn kompetentes Personal vor den Rechnern sitzt.

Der Bund steht ohne Wahlrecht da

Es war ein Urteil mit Ansage: Wie erwartet, hat das Bundesverfassungsgericht heute das Wahlgesetz gekippt. Die Regierungskoalition hatte die neuen Regelungen vor einigen Monaten im Alleingang durchgesetzt – und dabei offenkundige Bedenken ignoriert.

Die Verfassungsrichter in Karlsruhe halten das Gesetz für so unzureichend, dass es nicht mal als Übergangslösung taugt. Damit gibt es auf Bundesebene derzeit keine gültigen Regeln über die Sitzverteilung im Bundestag, und das ein knappes Jahr vor der Wahl im Herbst 2013.

Das gekippte Gesetz verstößt nach Auffassung des Gerichts in mehreren Punkten gegen demokratische Grundsätze. Es verletze insbesondere den Grundsatz, dass jede Stimme gleiches Gewicht haben muss. Dadurch werde die Chancengleichheit der Parteien akut gefährdet.

Besonders stört sich das Bundesverfassungsgericht am sogenannten negativen Stimmengewicht. Dies kann dazu führen, dass Parteien für mehr Stimmen gleichwohl weniger Mandate im Bundestag erhalten.

Hauptursache hierfür sind die Überhangmandate. Wenn eine Partei mehr Direktkandidaten (Erststimme) durchbringt, als ihr Sitze nach dem Anteil der – eigentlich wahlentscheidenden – Zweitstimmen zustehen, darf sie die Direktmandate trotzdem behalten. Sie hat also mehr Abgeordnete, als ihr nach ihrem prozentualen Stimmenanteil zustehen.

Das Verfassungsgericht hält Überhangmandate nicht grundsätzlich für unzulässig. Allerdings dürfe hierdurch das Wahlergebnis nicht übermäßig verfälscht werden. Deshalb seien mehr als 15 Überhangmandate nicht hinnehmbar. Alleine die CDU hat bei der letzten Wahl im Jahr 2009 24 Überhangmandate gewonnen.

Womöglich deswegen pochte sie auf eine möglichst offene Regelung, obwohl das Verfassungsgericht schon im Jahre 2008 das damals geltende Wahlrecht auch wegen der Überhangmandate aufgehoben hatte. Damals hatten die Richter aber eine Übergangsfrist bis zu einer Neuregelung eingeräumt, so dass 2009 noch nach dem bereits als rechtswidrig erkannten Modus gewählt werden konnte.

Außerdem kassiert das Bundesverfassungsgericht die Reststimmenverwertung. Hierbei handelt es sich um ein kompliziertes Verfahren, welches die Rechte kleinerer Parteien schützen soll. Allerdings hat der Gesetzgeber nach Auffassung der Verfassungsrichter hierfür einen ungeeigneten Weg gewählt. Das Ergebnis hänge nämlich nicht nur von dem prozentualen Stimmenanteil, sondern auch von der Wahlbeteiligung und anderen Faktoren ab. Der Wert einer Stimme stehe erst nach der Wahl fest. Das halten die Richter für nicht hinnehmbar. 

Der Bundestag muss jetzt schnellstmöglich ein neues Wahlrecht beschließen, das den Anforderungen aus Karlsruhe genügt. Eine andere Möglichkeit ist natürlich, dass die Regierungskoalition ihre Stimmenmehrheit nutzt, um sich ein drittes Mal gegen die Vorgaben der Verfassungsrichter zu stellen. 

Es wäre ihr zuzutrauen.

Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts mit Links zu den Entscheidungen

ID-Infrastruktur

Robert Basic, “Deutschlands bekanntester Blogger”, hat eine Idee für das künftige Netz:

Jeder Bürger und jede rechtliche Person wird dazu verpflichtet, seine persönlichen Angaben im Netz zu hinterlegen, so dass wir eine einheitliche ID-Struktur auf staatlicher Basis haben. Auf die kann über Schnittstellen zugegriffen werden, jedoch nicht ohne Erlaubnis des Inhabers. Die Vorteile einer derartigen ID-Infrastruktur wären immens.

Leider scheint in dem Fragebogen der Platz für ein paar Worte gefehlt zu haben, welche immensen Vorteile das staatliche ID-Register für dich und mich hätte. Ich sehe nur Vorteile für Behörden, Internetregulierer, Versandunternehmen und potentielle Kläger.

(via Torsten Kleinz)

Klage gegen private Vorratsdatenspeicherung

Der Staat darf momentan keine Vorratsdaten speichern. Was ihm untersagt ist, machen diverse Mobilfunkanbieter jedoch in eigener Regie. Bis zu 180 Tage soll etwa Vodafone Verbindungsdaten seiner Kunden speichern. Hiergegen richtet sich jetzt Widerstand. Der Berliner Anwalt Meinhard Starostik will für eine Kundin Vodafone gerichtlich zwingen, Verbindungsdaten sofort zu löschen.

Die Klage ist ans Amtsgericht Düsseldorf gerichtet. Sie basiert auf einem Aufruf des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung. Starostik, der auch schon erfolgreich gegen die Vorratsdatenspeicherung klagte, hatte für seine Mandantin zunächst eine Unterlassungserklärung von Vodafone verlangt. Das Unternehmen lehnte dies jedoch ab. Begründung: Die Daten würden für Abrechnungszwecke gebraucht. Abrechnungszwecke sind der einzige Zweck, den das Gesetz für eine Datenspeicherung durch Mobilfunkanbieter überhaupt nennt.

Die Klägerin ist dagegen der Meinung, dass die Daten für die Berechnung der Mobilfunkkosten überhaupt nicht erforderlich sind. Vodafone benötige, insbesondere für so lange Zeit, weder die genutzte Funkzelle noch die Kennung von Endgerät (IMEI) und SIM-Karte (IMSI), um eine korrekte Rechnung ausstellen zu können. Soweit Vodafone sich auf standort- oder gerätebezogene Dienste beziehe, nutze die Klägerin diese gar nicht.

Auch gegen andere Provider will Starostik klagen. Nähere Infos und Dokumente hat er auf seine Homepage gestellt.

netzpolitik.org zum gleichen Thema

Bayerische Polizei stoppt “Krieg der Welten II”

Im Zeitalter von Facebook, Twitter und anderen sozialen Medien verbreiten sich Informationen rasant. Leider wird dabei oftmals nicht differenziert zwischen seriösen Nachrichten und Falschmeldungen. Unter diesen neuen Umständen, die jedem Nutzer durchaus mächtige Werkzeuge zur Massenkommunikation bereitstellen, ist es besonders wichtig, dass der Einzelne einen reflektierten Umgang mit Information pflegt.

Um dies zu demonstrieren, starteten Regensburger Studenten letzte Woche ein Projekt mit einem Nachrichtenstream des fiktiven Fernsehsenders “N-CC” über eine vermeintliche Virenkatastrophe in der bayerischen Stadt, die möglicherweise von Terroristen ausgelöst wurde. Auch Blogs, Facebook und Twitter waren eingebunden. Ziel war es, vor Augen zu führen, wie schnell man sich als Internetnutzer heute von einer professionellen Kulisse, realistischen Bildern und einer gutaussehenden Nachrichtensprecherin blenden lässt – zumindest so lange man nicht selbst der Sache ein wenig auf den Grund geht.

Die Videomeldungen über bislang tausende Tote, die von einer unbekannten Seuche dahingerafft wurden, machten bewusst Anleihen an Orson Welles Hörspiel “Krieg der Welten”. Die realistisch klingende Radioreportage über die Invasion Außerirdischer hatte 1938 Zuhörer in den USA beunruhigt; vereinzelt soll es auch zu Panik gekommen sein. 

So weit kam es bei dem studentischen Projekt in Regensburg allerdings nicht. Schon kurze Zeit, nachdem der erste Stream online verfügbar war, meldete sich eine besorgte Bürgerin bei der bayerischen Polizei. Das wiederum führte zu einem hektischen Polizeieinsatz – und dem vorläufigen Aus des Projekts.

“Die Polizei rief uns am Tag der Ausstrahlung um 15:30 an, um 16 Uhr riefen wir zurück, da wir am Handy zunächst keinen Empfang hatten. Ein sehr aufgebrachter Beamter war am Telefon”, berichtet Student Manuel Maria Berger. Der Polizist, es war wohl ein Polizeidirektor aus dem Polizeipräsidium Oberpfalz, habe ultimativ die Abschaltung der Seite gefordert.

Da zumindest zwischen den Zeilen auch Hausdurchsuchungen und Festnahmen in Aussicht gestellt wurden, gaben die eingeschüchterten Studenten nach. Sie nahmen den Stream vom Netz. Am nächsten Tag wurden Manuel Maria Berger und sein Projektpartner Dennis Perzl aufs Revier gebeten. “Dort war man plötzlich sehr freundlich zu uns und befragte uns zu dem Projekt”, sagt Berger. Weitere Entscheidungen werde der Staatsanwalt treffen.

Der wusste bis gestern allerdings noch nichts Näheres von dem Projekt. Die Ermittlungen lägen nach wie vor in den Händen der Polizei, schriftliche Unterlagen seien bei ihm noch nicht angekommen. Erst wenn die Akte vorliege, werde er entscheiden, ob Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten vorliegen.

Von der Kripo gibt es derweil unterschiedliche Informationen. Mir gegenüber wurde gestern eingeräumt, dass man Mühe habe, einen passenden Paragrafen zu finden, gegen den das Projekt verstößt. Von der Lokalpresse haben Berger und Perzl dagegen gehört, nun ermittele auch noch der Staatsschutz.

Aber auch dieser dürfte Probleme haben, das Filmprojekt unter einen Straftatbestand zu zwängen. Das nächstliegende wäre eine Störung des öffentlichen Friedens. Allerdings setzt dieser eine Drohung mit Straftaten voraus oder die Vortäuschung, dass eine solche Straftat bevorsteht. In den Videos wird der vermeintliche Terroranschlag aber bereits als geschehen dargestellt.

Letztlich bliebe wohl nur die gute alte “Erregung öffentlichen Ärgernisses”. Aber dieser Paragraf beschränkt sich heute nur noch auf sexuelle Handlungen. Sonstige “grob ungehörige Handlungen” können allenfalls noch als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden. Ohnehin darf bezweifelt werden, dass ein derartiges Projekt, welches ja wahrscheinlich auch die Kunstfreiheit für sich reklamieren kann, letztlich als grob ungehörig bewertet werden kann, selbst in Bayern.

Die Macher der Aktion, die sich aus den uninahen freien Theatergruppen Freigeister und Cloudtells und vielen freiwilligen Helfern rekrutieren, wollen aber dennoch nichts riskieren. Immerhin könnte die Polizei ja auch präventiv, das heißt zur Gefahrenabwehr tätig werden. Ähnliche Folgen wie zum Beispiel bei Facebook-Partys, wo “Veranstaltern” enorme Kosten aufgebürdet werden, wollen Berger und Perzl unbedingt vermeiden.

Die aufwendige Produktion von N-CC war schon teuer genug. Vor allem bei den Außenaufnahmen haben die Studenten enormen Aufwand gemacht. Schon bei den Drehs erfuhren die Akteure etwas über die Medienwirklichkeit. So erweckte ein vermeintlich Toter bei einem Dreh keine spürbare Aktivität bei Passanten, obwohl viele stehen blieben und lange ins Auto starrten. Ein Fahrradfahrer wäre vor Schreck fast umgefallen, als er die „Bundeswehr“ mit Gasmasken sah. Eine Gruppe von Menschen stürmte auf den Posten des „Außenkorrespondenten“ zu, weil sie wissen wollten, von welchem Sender und zu welchem Zweck er in Regensburg war.

Auch wenn das Projekt durch die Polizei ein frühes Ende erfuhr, sind Berger und Perzl zufrieden. “Wir wissen zumindest, dass wir mit unserer Sicht der Dinge richtig lagen. Falsche Meldungen verbreiten sich schnell und bringen halt auch die Kripo auf den Plan.”

Die Sondersendung von N-CC haben die beiden nun entschärft auf Youtube eingestellt. Überschrift und Text warnen unübersehbar, dass es sich um eine fiktive Nachrichtensendung handelt. Selbst die Regensburger Polizei dürfte damit leben können.

Drogen per Post

Drogen einfach per Post bestellen – so was gab es mal in grauer Vorzeit. Dachte ich. Bis heute. Da landete eine mit Schnürchen zusammengehaltene Ermittlungsakte auf meinem Schreibtisch. Sie stammt aus einem südlichen Bundesland. Zum Glück hat ein Staatsanwalt den Ermittlungseifer von Polizeibeamten im letzten Augenblick gebremst. Die Polizisten wollten nämlich sogar Wohnung und Arbeitsplatz meines Mandantne durchsuchen, weil er sich angeblich Drogen in Holland bestellt hat.

Dabei schien das Geschäftsmodell einiger niederländischer Bürger zunächst zu florieren. Man musste ihnen nur Geld an eine belgische Postfachadresse senden, und schon lieferten sie von Belgien aus zuverlässig die gewünschte Menge Marihuana per Brief – auch an deutsche Adressen.

Insgesamt hielt der belgische Zoll über einen längeren Zeitraum rund 500 Briefe an. Darunter auch einen, der an meinen Mandanten adressiert war und rund 34 Gramm Marihuana enthielt. Von der Aktion erfuhren die deutschen Behörden erst, als sich die niederländische Polizei an sie wandte mit der Bitte, die deutschen Empfänger zu vernehmen.

Daran dachte die deutsche Kripo aber nur in zweiter Linie. Der zuständige Beamte regte gleich einen Durchsuchungsbeschluss an, weil er meinen Mandanten als Drogenkonsumenten ansah und auch nicht ausschließen wollte, dass der Betroffene vielleicht sogar mit den gelieferten Drogen dealt. Eine Hausdurchsuchung sei vor diesem Hintergrund auf jeden Fall verhältnismäßig, vermerkte der Polizist.

Was der Staatsanwalt anders sah. Das brachte er in einem Vermerk auch deutlich zum Ausdruck. Bislang gebe es nur den Anfangsverdacht für eine unerlaubte Einfuhr im Jahr 2010. Angesichts der eher geringen Menge spreche erst mal viel für bloßen Eigenkonsum.

Außerdem gebe es keine belastbaren Anhaltspunkte, dass mein Mandant intensiv Drogen konsumiere oder gar deale. Ein Blick ins Vorstrafen- und Ermittlungsregister zeige nämlich, dass mein Mandant eine weiße Weste hat.

Nicht erwähnt, aber sicherlich bedacht hat der Staatsanwalt auch die Möglichkeit, dass man jemanden durch eine fingierte Bestellung auf diesem Weg tierischen Ärger machen kann. Für ein paar Euro fünfzig eine Hausdurchsuchung beim ungeliebten Nachbarn oder gar dem eigenen Chef, ein preiswerteres Vergnügen gibt es für entsprechend Veranlagte wahrscheinlich nicht.

Was allerdings nicht klappen würde, wenn wir mehr so abwägende Staatsanwälte hätten.

Anwalt schreibt Gerichtsurteil selbst

Manchmal bleibt was liegen. Auch beim Anwalt. Meist wird Überlastung der Grund sein, wenn Mandate nicht zügig bearbeitet werden. Auch Faulheit soll schon mal eine Rolle spielen (habe ich gehört). Nicht sonderlich ökonomisch scheint allerdings ein Göttinger Anwalt vorgegangen zu sein. Er trödelte, so die Vorwürfe, erst gehörig mit dem Mandat, dann nahm er sich aber richtig Zeit – und schrieb angeblich das passende Gerichtsurteil gleich selbst.

Die Sache nahm ihren Anfang im Jahre 2007, berichtet das Göttinger Lokalblatt Extra TIP. Ein Vermieter beauftragte einen eingesessenen Göttinger Anwalt und Notar mit einer Klage gegen einen gewerblichen Mieter. Der Jurist habe Vollzug gemeldet, doch ein dreiviertel Jahr später darauf hingewiesen, das örtliche Landgericht sei hoffnungslos überlastet. Im Gespräch sei aber ein Mediationstermin. Doch dieser Termin löste sich im Nichts auf.

Erst am 3. August 2009 werde verhandelt, soll der Anwalt seinem Kunden mitgeteilt haben. Außerdem: “Ihre persönliche Teilnahme ist nicht erforderlich.” Erfreulich war das Urteil nicht, welches das Landgericht auf die mündliche Verhandlung verkündete. Angeblich verlor der Klient. Aber nur angeblich, denn das Urteil hat jedenfalls kein Richter am Landgericht geschrieben. Und auch an eine Verhandlung kann sich niemand vom Gerichtspersonal erinnern.

Mit der Niederlage gab sich der Vermieter aber nicht zufrieden, sondern beauftragte seinen Anwalt mit einer Berufung. Still ruhte fortan der See, bis der Anwalt im Juni 2011 mitteilte, mit der Berufungsverhandlung vor dem Oberlandesgericht Braunschweig sei im September 2011 zu rechnen. Die nächste Nachricht lautete, der zuständige Richter sei erkrankt, der Termin falle aus.

Just zum Zeitpunkt der angeblichen Verhandlung ging dem Vermieter die Puste aus. Er musste Insolvenz beantragen. Auch, wie er sagt, wegen der aufgelaufenen Mietausfälle aus dem Prozess. Der Insolvenzverwalter des Unternehmers forderte nach einiger Zeit die Prozessakten an und stellte fest: Das Aktenzeichen des Urteils ist am Landgericht unbekannt – und auch die Entscheidung will dort niemand verfasst haben. Was nun zu dem Verdacht führt, dass der Göttinger Jurist zumindest in diesem Fall die Gerichtsentscheidung gefälscht hat, um seinen Mandanten ruhig zu stellen.

Gegen den Rechtsanwalt ermittelt nun die Staatsanwaltschaft. Auch die Anwaltskammer ist eingeschaltet. Sie will aber frühestens was machen, wenn eine strafrechtliche Entscheidung vorliegt.

Bericht (e-Paper, Seite 6)

EU lässt Blinde im Regen stehen

Die EU tritt auf die Bremse, und das bei einem heiklen Thema. Seit Jahren gibt es Pläne für einen internationalen Vertrag, der das Urheberrecht zu Gunsten Blinder und Sehbehinderter lockern soll. Hauptanliegen ist, die Übertragung von Büchern und anderen Sprachinhalten in geeignete Formate für Blinde auch ohne Zustimmung der Rechteinhaber zu gestatten. Die EU sprach sich jetzt aber bei der World Intellectual Property Organisation (WIPO), wo über den Vertrag verhandelt wird, in einer nichtöffentlichen Sitzung gegen diese Pläne aus.

Die Vertreterin der EU-Kommission bei der WIPO soll im Rahmen der Verhandlungen erklärt haben, Europa werde dem Vertrag nicht zustimmen. Das berichtet heise online.  Diese harte Haltung steht im klaren Gegensatz zu einem Beschluss des EU-Parlaments vom Februar 2012. Die Parlamentarier hatten damals Anstrengungen gefordert, um Blinden und Sehbehinderten Zugang zu möglichst vielen Büchern zu ermöglichen. Nur fünf Prozent aller Werke lägen derzeit in einem geeigneten Format vor; in ärmeren Ländern sei es nur ein Prozent. Auch der Petitionsausschuss des Europarlaments hat erst vor wenigen Tagen die Initiative unterstützt.

Nun wird darüber spekuliert, wieso sich die zuständige Mitarbeiterin der EU-Kommission, Maria Martin-Prat, bei der WIPO so hartherzig zeigt. Immerhin soll sich sogar ihr Vorgesetzter, Urheberrechtskommissar Michael Barnier, aufgeschlossen für die Probleme Blinder und Sehbehinderter gezeigt haben. Von Martin-Prat ist bekannt, dass sie vor ihrer Tätigkeit lange Juristin beim internationalen Musikverband IFPI war. Diese Organisation gehört zu den Hardlinern in der Urheberrechtsdebatte.

Der Mangel an geeigneter Literatur trifft Blinde und Sehbehinderte nicht nur bei der Freizeitgestaltung. Auch in Studium und Beruf haben sie es deutlich schwerer als Nichtbehinderte. Wie mühsam und zeitraubend es für einen Blinden etwa im akademischen Betrieb ist, zeigt dieser Erfahrungsbericht.

Weitere Informationen bei netzpolitik.org

Wie hätte ich reagieren sollen?

Heute mal wieder die Erfahrungen eines Lesers in einer alltäglichen Situation, verbunden mit einigen Fragen. Vielleicht hat ja der eine oder andere Lust, in den Kommentaren zu antworten. Der Leser schreibt:

Ich beobachtete, wie ein Mann mit Rucksack und mehreren Schachteln in seinen Händen von einem Einkaufszentrum kommend über die Straße rannte. Verfolgt wurde er dabei von einem zweiten Mann, der nicht so aussah, als sei er von der Polizei.

Die Verfolgung endete an einem Zaun, wobei der Verfolger den Verfolgten ziemlich ruppig stoppte und gegen den Zaun warf. Er hielt ihn darauf hin fest, indem er ihn mit einem Griff ins Genick vornüber beugte und dabei seinen Rucksack festhielt. Darauf führte er ihn ab über die Straße zurück zu dem Einkaufszentrum, von wo, ich vermute, die Sache ihren Anfang nahm. Diesen Anfang habe ich nicht direkt mitbekommen und kann nur Vermutungen darüber anstellen.

Sie stoppten noch einmal kurz, wobei der Verfolger, noch immer sein "Opfer" festhaltend, etwas vom Boden aufhob, was wohl vor kurzem
heruntergefallen war. Dies alles nahm ich im Vorbeigehen wahr. Ich kam ziemlich nahe an den beiden vorbei, als der Verfolger sein Opfer wieder zurück über die Straße dirigierte.

Auf meine Frage, "Darf ich fragen worum es hier geht?" antwortete dieser nur knapp mit "Nix.". Der Festgehaltene sagte nichts. Ich sah den beiden noch eine Weile hinterher, ging dann aber weiter. Der Verfolger schien ziemlich kräftig zu sein, breite Schultern und muskulös. Glattrasierter Schädel, Oberlippenbart.

Meine Fragen sind: War das rechtmäßig? Kann man einen des Ladendiebstahls Verdächtigen außerhalb des "Tatorts" noch festhalten? Und wenn nicht, wie hätte ich besser reagieren sollen? Kann ich jetzt noch etwas tun?

“Sollte mir bei der Operation etwas zustoßen”

An ein Testament denken Menschen mitunter erst spät. Oftmals geschieht dies im hohen Alter, vor gefährlichen Operationen oder langen Reisen. Verläuft die Operation dann gut oder stürzt das Flugzeug nicht ab, stellt sich die Frage, ob das Testament auch noch viel später gültig ist. Das Oberlandesgericht München hatte einen solchen Fall zu entscheiden, auf den die Arbeitsgemeinschaft Erbrecht im Deutschen AnwaltVerein hinweist.

Der Erblasser war nicht verheiratet und hatte keine Kinder, allerdings sechs Cousins und Cousinen. Er lebte rund 40 Jahre mit seiner Lebensgefährtin zusammen. Vor einer Gallensteinoperation im Jahre 1983 verfasste er im Krankenhaus ein Testament. Er schrieb: „Sollte mir bei der Gallenoperation etwas zustoßen“ und setzte dann seine Lebensgefährtin als Erbin ein.

Die Operation verlief jedoch gut; der Mann starb erst 27 Jahre später. Die Lebensgefährtin beantragte die Ausstellung eines Erbscheins als Alleinerbin. Es ging um zwei Sparbücher und ein Baugrundstück. Die Verwandten meinten jedoch, das Testament sei nur für den Fall verfasst, dass der Erblasser im Rahmen der Gallenoperation verstorben wäre. Das Nachlassgericht folgte der Argumentation und verweigerte der Lebensgefährtin den Erbschein.

Die Beschwerde der Frau beim Oberlandesgericht war erfolgreich. Mit dem Testament von 1983 habe ihr Lebensgefährte die Erbfolge nicht allein auf die Umstände der Operation beschränkt, sondern generell seine Lebenspartnerin als Alleinerbin eingesetzt. Dafür spreche, so die Richter, schon einmal, dass er das Testament von 1983 nicht widerrufen oder ein neues verfasst habe.

Bei der Formulierung solcher Testamente sei die Operation außerdem nur Anlass, nicht jedoch die Bedingung. Auch das Aufsetzen des Testaments erst im Krankenhaus lasse keinen anderen Schluss zu, sondern weise lediglich darauf hin, dass die Operation der – nachvollziehbare – Beweggrund für die Errichtung des Testaments sei.

Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 15. Mai 2012, Aktenzeichen 31 Wx 244/11

BGH senkt den Daumen über Bremer Strafrichter

Es kommt selten vor, dass der Bundesgerichtshof einem untergeordneten Gericht insgesamt sein Misstrauen ausspricht. Im Fall des Polizeiarztes, der im Jahr 2005 durch einen Brechmitteleinsatz den Tod eines 35 Jahre alten Mannes verursachte, geschieht dies aber.

Die Karlsruher Richter bedauern in ihrer Entscheidung ausdrücklich, dass sie die Sache erneut an das Landgericht Bremen zurückgeben müssen – einfach, weil es in dem Stadtstaat kein weiteres Landgericht gibt. Eine Verweisung an ein Landgericht in einem anderen Bundesland lässt die Strafprozessordnung nicht zu.

Zwei Mal hat das Landgericht Bremen den Polizeiarzt freigesprochen. Zum zweiten Mal hat der Bundesgerichtshof das Urteil nun aufgehoben. Nicht nur bei ihrem Bedauern, wieder die Bremer Richter mit der Sache betrauen zu müssen, finden die Karlsruher Richter deutliche Worte der Kritik.

Die Bremer Strafrichter müssen sich “haltlose Unterstellungen zugunsten des Angeklagten” vorwerfen lassen. Sie haben es nach Auffassung des Bundesgerichtshofs außerdem unterlassen, “gebotene zwingende Folgerungen … zu ziehen”. Mit anderen Worten: Auch der zweite Freispruch für den Polizeiarzt war von vornherein so gewünscht, und dementsprechend hat das Landgericht sich die Begründung hingebastelt.

In der Tat zeigt der Bundesgerichtshof gravierende Mängel des Urteils auf. So gestehe das Landgericht Bremen dem Polizeiarzt zu, er habe nicht mit dem Tode des Patienten rechnen müssen. Und das, obwohl der Mann durch einen ersten Brechmitteleinsatz bereits erkenbar so angegriffen war, dass der Polizeiarzt sogar den Notarzt gerufen hatte.

Nachdem der Notarzt den Betroffenen mit Medikamenten und Sauerstof stabilisiert hatte, setzte der Polizeiarzt den Brechmitteleinsatz fort. Dabei bat er den Notarzt, die weitere “Behandlung” abzuwarten. Aus dem Rettungswagen ließ sich der Polizeiarzt dann sogar einen Spatel bringen. Die anwesenden Polizisten veranlasste er, unter erheblicher Gewalteinwirkung den Mund des 35-Jährigen zu öffnen. Mit dem Spatel löste er dann manuell den Brechreiz aus. Bei dieser Behandlung kollabierte der Mann und verstarb.

Das Landgericht Bremen sah darin ein “multifaktorielles Geschehen”, bei dem der Polizeiarzt nicht mit dem Tod des Betroffenen rechnen musste. Diese Auffassung bezeichnet der Bundesgerichtshof, zusammengefasst, als Nonsens. Schon der Umstand, dass der Polizeiarzt den Notarzt alarmierte, belege ein Bewusstsein von der Gefährlichkeit der Situation. Auch die Bitte an den Notarzt, für alle Fälle zu bleiben, deute nicht gerade darauf hin, dass der – erfahrene – Polizeiarzt die Sache als harmlos einstufte.

Spätestens die gewaltsame Auslösung des Brechreizes habe aber eindeutig zu einer lebensgefährlichen Situation geführt. Der Bundesgerichtshof nennt dieses Vorgehen schlicht menschenunwürdig. Der Polizeiarzt habe es auf jeden Fall versäumt, das erkennbare Risiko abzuklären. Er habe sich stattdessen für einen nicht beherrschten medizinischen Eingriff entschieden. Selbst ein bislang unentdeckter Herzfehler des Betroffenen könne angesichts dessen nicht dazu führen, das Geschehen als “Unglück” einzustufen.

Nun wird erneut eine Schwurgerichtskammer am Landgericht Bremen über den Fall entscheiden müssen. Der Bundesgerichtshof betont in seiner Entscheidung mehrmals, dass sich die jetzt zuständigen Richter an die rechtlichen Vorgaben aus Karlsruhe halten müssen. Aber das hätten sie auch schon bei dem jetzt aufgehobenen Urteil tun müssen.   

Brechmitteleinsätze hat der Europäische Menschenrechtsgerichtshof mittlerweile insgesamt als Folter eingestuft und für unzulässig erklärt. Die deutsche Polizei muss nun in der Regel warten, bis verschluckte Gegenstände auf natürlichem Weg den Körper eines Verdächtigen verlassen. 

Urteil des Bundesgerichtshofs vom 20. Juni 2012, Aktenzeichen 5 StR 536/11

Keine Reisekosten für Gerichtstouristen

Der fliegende Gerichtsstand ist und bleibt ein Ärgernis. Er ermöglicht es Klägern in vielen Fällen, sich ein genehmes Gericht auszusuchen. Wobei es dann oft zu der paradoxen Situation kommt, dass weder die Prozessparteien noch die Anwälte ihren Sitz am gewählten Gericht haben.

Das Amtsgericht München macht nun einen kleinen Vorstoß, um der Klägerseite die Lust am fliegenden Gerichtsstand zu nehmen. Das geschieht durch die Hintertür, über die Frage der Reisekosten. Eine englische Firma hatte einen Kieler Anwalt beauftragt, wegen einer Filesharing-Sache in München zu klagen. Da sich die Zuständigkeit des Amtsgerichts München aus dem “fliegenden Gerichtsstand” ergeben haben soll, dürfte auch der Beklagte nicht in München gewohnt haben.

Der Kieler Anwalt wollte nun seine Reisekosten erstattet erhalten. Doch dem erteilt das Amtsgericht München eine Absage. Der Kollege Dr. Martin Bahr fasst die Entscheidung so zusammen:

Die Klägerseite hätte mit ihrem Anwalt auch den Gerichtsstand Kiel oder ein Gericht zumindest in der Umgebung auswählen können, ohne dass dadurch ein Nachteil gedroht hätte. Im Zeichen der Prozessökonomie gilt das Gebot, so kostengünstig wie möglich zu prozessieren.

Dies sei im vorliegenden Fall bei den unverhältnismäßig hohen Reisekosten nicht erkennbar. Es sei nicht notwendig, den Gerichtsstand ausgerechnet am anderen Ende Deutschlands auszuwählen. Ein sachlicher Grund hierfür sei nicht erkennbar, da jeder örtliche Bezug fehle.

Immerhin eine kleine Maßnahme, um die willkürliche Wahl des Gerichtsstandes auszubremsen. Die Frage ist nur, ob die Entscheidung auch in der nächsten Instanz hält. Erst kürzlich hat sich das Landgericht Frankfurt zum fliegenden Gerichtsstand bekannt und eine Entscheidung des Amtsgerichts Frankfurt aufgehoben, die dem Gerichtstourismus Einhalt gebieten wollte.