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„Die Funkzellenabfrage ist ein Lehrbuchbeispiel für die bei Strafverfolgern inzwischen übliche Methode, neue Befugnisse, die durch die Weiterentwicklung von Technologie möglich geworden sind, in Paragraphen hineinzuinterpretieren, deren Zweck niemals eine Massenerfassung der sozialen Aktivitäten von Menschen war“

„Gesunde Familien“

Soest: Polizei hat Zeit für privaten Massen-DNA-Test

Fünf Fragen zum Leistungsschutzrecht

Einstweilige Anordnung auf Rufnummernportierung

Das Aus der Glühlampe rückt immer näher

Schulweg ist 17 Meter zu kurz

Anwälte stoppen Internetpranger

Die Regensburger Anwaltskanzel Urmann + Collegen wird vorerst keine mutmaßlichen Filesharing-Sünder an den Internetpranger stellen. Die Rechtsanwälte erklärten heute, sie würden ihren “Porno-Pranger” zunächst nicht verwirklichen.

Das geschieht allerdings nicht ganz freiwillig. Nachdem gestern schon das Landgericht Essen eine einstweilige Verfügung gegen Urmann + Collegen erließ, zog heute das Amtsgericht Regensburg nach und untersagte es den Anwälten, Namen und Adresse eines Abgemahnten zu veröffentlichen.

Außerdem hat das Bayerische Landesamt für Datenschutzaufsicht der Kanzlei die Namensliste untersagt, berichtet regensburg-digital. Urmann + Collegen kündigen an, für ihre vermeintlichen Rechte juristisch zu kämpfen. Man werde keinesfalls die Beschneidung der eigenen Grundrechte hinnehmen.

Früherer Beitrag im law blog

Ohrlöcher für Kinder – Körperverletzung?

In Berlin erhält ein dreijähriges Mädchen 70 Euro Schmerzensgeld von einem Tattoo-Studio. Dem Kind waren Ohrlöcher gestochen worden, die aber nicht an der richtigen Stelle gewesen sein sollen. Außerdem soll das Mädchen Schmerzen gehabt haben.

Der vordergründige “Sieg”, vor Gericht wurde ein Vergleich geschlossen, könnte aber für die Eltern des Kindes noch nachteilige Konsequenzen haben. Ebenso für das Tattoo-Studio. Der Richter am Amtsgericht Berlin-Lichtenberg will die Akte nämlich an die Staatsanwaltschaft schicken. Diese soll prüfen, ob sich Eltern oder Ohrlochstecher wegen Körperverletzung strafbar gemacht haben.

Der Richter bezweifelt, dass die Eltern einer Dreijährigen dem Wohl des Kindes dienen, wenn sie so eine Behandlung zulassen. Das Mädchen soll sich die Ohrlöcher zum Geburtstag gewünscht haben. Ebenso ist natürlich die Frage, wieso ein Tattoo-Studio so jungen Menschen Ohrlöcher sticht.

Der Verband der Kinder- und Jugendärzte fordert bereits, das Mindestalter für derartige kosmetische Eingriffe auf 14 Jahre festzusetzen. Bei Piercings komme sogar noch eine höhere Altersgrenze in Betracht.

Der Fall weist auch Parallelen zum Beschneidungs-Urteil des Kölner Landgerichts auf. Die Kölner Richter haben Beschneidungen von Jungen für strafbar erklärt, sofern sie nicht medizinisch notwendig sind. Der wichtigste Unterschied ist, dass Ohrlochstechen für die Optik passiert, Beschneidungen aber meist einen religiösen Grund haben.

Ob nun die Schönheit und/oder der Glaube solche Eingriffe rechtfertigen können, ist Gegenstand der laufenden Debatte. Im letzteren Fall halte ich es – wie etwa die Mehrheit des Bundestages – zumindest für denkbar, im ersteren eher nicht.

Bericht des rbb

Warteschleifen werden billiger

Das Ende kostenpflichtiger Warteschleifen rückt näher. Ab morgen müssen die ersten 120 Sekunden Wartezeit bei Anrufen auf Sonderrufnummern kostenfrei sein. Dies sieht eine Übergangsregelung im Telekommunikationsgesetz vor. Mit Ende der  Übergangsregelung ab 1. Juni 2013 werden die Kosten für Warteschleifen bei Sondernummern wie 0180- oder 0900-Nummern komplett entfallen.

Lediglich bei Ortsnetzrufnummern, herkömmlichen Mobilfunkrufnummern, Sonderrufnummern mit Festpreisen und entgeltfreien Rufnummern dürfen Warteschleifen weiterhin eingesetzt werden; hier entstehen dem Anrufer ohnehin keine oder nur die “normalen” Gebühren.

In allen anderen Fällen, unter anderem bei allen Sonderrufnummern, dürfen am Juni 2013 Warteschleifen nur noch eingesetzt werden, wenn für den Anruf ein Festpreis gilt oder der Anruf für die Dauer der Warteschleife kostenfrei ist. Die Neuregelung gilt sowohl für Telefonate aus dem Festnetz als auch aus dem Mobilfunknetz.

Nachtrag: Laut Tagesschau hat das Gesetz große Lücken

Gericht verbietet Porno-Pranger

Angeblich wollte die Regensburger Anwaltskanzlei Urmann & Collegen Namen und Adressen von Bürgern veröffentlichen, die sie wegen illegalen Filesharings abgemahnt hat. Pikant: Die Anwälte vertreten Kunden aus der Erotikbranche, so dass schon von einem “Porno-Pranger” die Rede war. Nun werden den Abmahnanwälten erste Steine in den Weg gelegt. Das Landgericht Essen verbot Urmann & Collegen heute abend mit einer einstweiligen Anordnung, den Namen und die Adresse einer Abgemahnten zu veröffentlichen.

Der Dortmunder Anwalt Hendrik Peters hat nach eigenen Angaben den Antrag gestellt. Wie fast zu erwarten, war das Landgericht Essen nicht davon überzeugt, dass die Pläne der Regensburger Abmahnanwälte juristisch einwandfrei sind. Urmann & Collegen hatten sich auf ihrer Homepage auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts berufen, die sogenannte “Gegnerlisten” auf Anwaltshomepages für zulässig hält.

Allerdings bezog sich das auf einen Anwalt für Kapitalanlagerecht. Dieser wollte seine potenziellen Mandanten darüber informieren, gegen welche Geldhäuser und Versicherungen er bereits prozessiert hat. Die Nennung der Deutschen Bank oder der Allianz hat aber einen grundlegend anderen Informationswert, als wenn der Name und die Privatanschrift von Lieschen Müller veröffentlicht wird, die angeblich einen Porno über eine Tauschbörse gezogen hat.

Außerdem überwiegen die Persönlichkeitsrechte von Abgemahnten. Der Tausch von erotischen Filmen mag zwar gegen das Urheberrecht verstoßen, der Vorgang hat aber nun mal einen direkten Bezug zur Privat- und sogar Intimsphäre. Von daher ist es wenig überraschend, dass das Landgericht Essen der Betroffenen recht gegeben hat. Ihr und Rechtsanwalt Hendrik Peters gebührt aber das Verdienst, die Sache in die Hand genommen zu haben – der Regensburger Porno-Pranger sollte Anfang September online gehen.

Die Entscheidung ist natürlich nur vorläufig. Urmann & Collegen können Widerspruch einlegen und schauen, ob sie Gerichte finden, die ihr mieses Spiel erlauben. Andererseits werden sich nun sicher viele Betroffene ermuntert fühlen, sich von den Regensburger Anwälten nichts gefallen zu lassen. Wenn massenweise einstweilige Verfügungen ergehen, könnte das für die Kanzlei jedenfalls sehr, sehr teuer werden.

Früherer Beitrag im law blog

Einstweilige Anordnung des Landgerichts Essen

Der falsche Ort

Die Anklagebank ist der falsche Ort, um mit seinem Einkommen zu strunzen. Das sage ich immer Mandanten. Vor allem jenen, die ich im Verdacht habe, ihr Selbstwertgefühl auch etwas aus der Bewunderung zu ziehen, mit der man hierzulande finanzielle Potenz bedenkt.

Der Grund für etwas Zurückhaltung – ich sage nicht Lüge – ist einfach. Geldstrafen sind in Deutschland nämlich nicht Geldstrafen. Während ein Geringverdiener für ein kleines Delikt vielleicht mit 300 Euro davonkommt, kann die gleiche Geschichte einen Begüterten auch locker das Zehnfache kosten. Oder sogar noch mehr.

Die Geldstrafe bemisst sich bei uns nach Tagessätzen. Die Zahl der Tagessätze sagt etwas darüber aus, wie schwer die Sache wiegt. Eine Beleidigung kostet normalerweise 10 bis 30 Tagessätze, eine Körperverletzung 20 bis 60, Fahrerflucht 40 bis 90. Ab 91 Tagessätzen gilt man als “vorbestraft”.

Neben der Zahl der Tagessätze muss der Richter auch über die Höhe entscheiden. Das ist das soziale Element an der Sache. Ein Tagessatz entspricht dem Nettoeinkommen eines Tages. 30 Tagessätze entsprechen also einer Geldstrafe von einem Monatsgehalt.

Im wahrsten Sinne nach hinten los ging der soziale Gedanke bei den Tagessätzen jetzt in Hamburg. Dort wurde ein Autofahrer vor Gericht in einem achttägigen Prozess der Beleidigung überführt. Die weitaus meiste Zeit investierte der Richter aber gar nicht in die Tat. Vielmehr klärte er offenbar akribisch die Einkommensverhältnisse des Angeklagten auf.

Der Angeklagte hatte vor Gericht nur erklärt, er verdiene auskömmlich. Möglicherweise machte sein Luxuswagen, der im Fall eine Rolle spielte, den Richter übermäßig stutzig. Der Richter beschränkte sich nämlich nicht darauf, das Einkommen des Angeklagten zu schätzen. Vielmehr ermittelte er, was der Mann tatsächlich verdient. Dazu darf das Gericht ganz normal Beweis erheben. Zum Beispiel Arbeitgeber und Bankmitarbeiter fragen. Oder sich bei Behörden erkundigen.

Am Ende stand für das Gericht fest, dass es im Verfahren für die wahrscheinlich teuerste Beleidigung in der Hamburger Geschichte langt. Insgesamt 60.000 Euro soll der Angeklagte zahlen. Der Richter hatte einen Tagessatz von 2.000 Euro ermittelt; das monatliche Einkommen des Angeklagten beträgt demnach 60.000 Euro.

Der Fall zeigt jedenfalls, dass nicht nur Prahlerei schädlich sein kann. Sondern auch übertriebene Schweigsamkeit. Wenn der Mann von sich aus ein Einkommen angegeben hätte, das einigermaßen realistisch klang, hätte der Richter wahrscheinlich nicht die große Keule ausgepackt. Und für den Angeklagten wäre es deutlich billiger geworden.

Bericht in der Legal Tribune Online

3 Tage sind 3 Tage

Streng, strenger, Bayern. Hat meine Sekretärin gedacht, als sie gestern morgen eine Staatsanwaltschaft aus dem schönen Süden Deutschlands am Telefon hatte. Es ging um eine Ermittlungsakte, die uns zur Einsicht übersandt worden war. Die Akte sei schleunigst zurückzuschicken, wurde meiner Mitarbeiterin gesagt. Denn die Frist für die Akteneinsicht sei “längst” abgelaufen.

Die Akte war tatsächlich schon seit dem gestrigen Dienstagmorgen wieder in der Post, aber trotzdem ging ich der Sache mal nach. Tatsächlich hatte DHL die Unterlagen am Freitag zuvor um 13.30 Uhr angeliefert. Das sind 120 Minuten, bevor meine Mitarbeiterin freitags Feierabend macht.

Die Akteneinsicht, so hieß es im Begleitschreiben, werde “für 3 Tage gewährt”. Gut, da steht in der Tat mit keinem Wort, dass Wochenenden oder Feiertage nicht in die Frist eingerechnet werden. Allerdings ging ich bisher eigentlich davon aus, dass dies stillschweigend so gilt.

Wie soll ich denn die Frist auch einhalten, wenn das Paket am Freitagnachmittag eintrifft? Es ist ja nicht so, dass das Personal einer Anwaltskanzlei Däumchen dreht und sich sofort auf eine angelieferte Akte stürzen kann. Jedenfalls bei mir nicht.

Samstags- und Sonntagsarbeit bezahlen? Oder selbst kopieren? Geht natürlich, wenn man will. Aber will man? Doch allenfalls in wirklich wichtigen Fällen. So kommt es durchaus vor, dass eine Akte innerhalb von ein, zwei Stunden unser Büro wieder verlässt. Aber dann ist das auch wirklich supereilig. Und nicht so ein eher kleiner Fall, in dem niemand zu Tode gekommen oder flüchtig ist und der Staatsanwalt selbst die letzten 17 Tage rein gar nichts gemacht hat.

Na ja, immerhin weiß ich jetzt, dass die bayerische Justiz nicht 3 Werktage meint, wenn sie 3 Tage schreibt. Ich hoffe jetzt nur, dass wir nicht ausgerechnet am Freitag, 21. Dezember 2012 wieder eine Akte aus Süddeutschland erhalten. Oder am Gründonnerstag. Oder vor Pfingsten. Da kann ich nämlich wirklich für nichts garantieren.

Noch ein Rettungsschirm

Die Bundesregierung hat heute ein Gesetz zum Schutz “alter, überholter Geschäftsmodelle” beschlossen – auch wenn sie in der Begründung zu ihrem Gesetzentwurf genau das Gegenteil beteuert. Mit dem Leistungsschutzrecht wird für die die deutschen Presseverleger – und niemanden sonst – eine sachlich nicht zu rechtfertigende Geldquelle erschlossen. Auf der Strecke bleibt ein Teil der Meinungsfreiheit, wie wir sie bisher kennen.

Die Verlegerlobby hat lange um dieses Gesetz gerungen. Ihr Flehen um neue Fleischtöpfe von Staats wegen hatte teilweise Züge absurden Theaters, wie Stefan Niggemeier jüngst dokumentierte. Immerhin hat sich im Verlauf der Debatte gezeigt, dass die Politik längst nicht mehr nur auf emsige Lobbyisten im klassischen Sinn hören kann. Denn ein glatter Durchmarsch ist den Verlegern keineswegs gelungen.

So sollten nach dem ersten Gesetzentwurf zum Beispiel noch Blogger zur Kasse gebeten werden. Wobei in die Kategorie Blogger durchaus auch alle fallen, die eine Facebook-Seite unterhalten oder twittern. Jede noch so kleine Wiedergabe eines Zeitungsartikels, ja sogar Teile einer Überschrift hätte sie zum Freiwild für Kostenrechnungen und Abmahnungen der Verlagshäuser gemacht.

Das ins Gesetz reingefummelte Merkmal, wonach pro forma nur gewerbliche Blogger betroffen sein sollten, nahm der Politik ohnehin niemand ab. Mit dem Begriff “gewerblich” sind die Gesetzesmacher ja schon beim Thema Filesharing auf die Nase gefallen. Die Gerichte tun dort seit jeher so, als stehe dieses Wort gar nicht im Gesetz. Seitdem rollt in Sachen Film, Musik und Hörbücher ein Abmahn-Tsunami durchs Land.

Die Motivation war jedenfalls so klar wie anrüchig: Durch die Schaffung rechtlicher Grauzonen wäre es den Verlegern leicht möglich gewesen, den ins Internet schreibenden Teil der Bevölkerung mit Abmahnungen und Kostenrechnungen zu überziehen und so die Deutungshoheit in der virtuellen Welt wenigstens ein Stückweit zurückzuerobern. Dafür hätte schon der “Chilling Effect” gesorgt. Denn der Facebook-Nutzer wie du und ich hat wenig Bedarf daran, sich auf Kosten eines Halbjahreslohnes mit schlagkräftigen Rechtsabteilungen und Heerscharen von Abmahnanwälten anzulegen.

Allerdings scheint auch in Berlin manchem klar geworden zu sein, dass ein Großteil der Bürger mittlerweile online publiziert (ja, und auch reproduziert). Diese Menschen sind eine vielleicht eher gesichtslose, aber dennoch mächtige Lobby. Die Gefahr, es sich womöglich mit dem eigenen Wähler zu verscherzen, wenn man eine Statusmeldung oder einen Tweet über ein Tagesereignis zum juristisch unkalkulierbaren Risiko macht, wurde offenbar erkannt. Die Bürger-Publizisten waren im zweiten Entwurf raus.

Es verblieben nur noch die Suchmaschinen als potenzielle Zahler. Da es nur noch eine relevante Suchmaschine gibt, hieß der einzige Adressat des Leistungsschutzrechts plötzlich Google. Das roch ein wenig nach unzulässigem Sondergesetz. Insbesondere aber nach einer Totgeburt. Dass nämlich ausgerechnet der mächtigste Player im Net den deutschen Verlagen freiwillig stattliche Summen überweist, ist eher unwahrscheinlich. Jedenfalls nicht wahrscheinlicher, als dass Google das komplette Angebot deutscher Verlage aus seinem Index schmeißt. In Belgien hat es der Konzern jedenfalls so ähnlich schon praktiziert.

Nun also Entwurf Nummer drei, der erst wenige Stunden vor der Kabinettssitzung bekannt wurde. Neben Suchmaschinen sollen nun auch Dienste erfasst werden, die Informationen “entsprechend” aufbereiten. Das dürfte sich vornehmlich gegen Aggregatoren richten, die Pressemeldungen zusammenfassen und auf Endgeräten hübsch aufbereiten. Dienste wie Flipboard oder Rivva etwa.

Davon wird die Welt nicht untergehen, könnte man sagen. Allerdings ist jeder Anwendungsfalls des Leistungsschutzrechts einer zu viel. Das Gesetz schränkt faktisch die Meinungsfreiheit ein. Was zum Beispiel nach dem geltenden Urheberrecht noch als Zitat zulässig ist, wird nun durch das Leistungsschutzrecht kostenpflichtig. Oder sogar verboten. Nämlich dann, wenn sich Verleger dazu entscheiden, nicht die Hand aufzuhalten, sondern Unterlassung zu verlangen. Auch das Mundtot-Machen ist nämlich eine Alternative des Leistungsschutzsrechts.

Fakt ist, dass die Zeitungsverlage knapp 20 Jahre lang keine konstruktive Antwort auf die digitale Herausforderung gefunden haben. Es gibt Stimmen, die meinen, sie haben einfach gepennt. Nun lassen sie sich einen staatlichen Rettungsschirm spannen. Richtig wäre es, sie im Regen stehen zu lassen. “Alte, überholte Geschäftsmodelle” haben nichts anderes verdient.

“Er war es nicht”

Solche Telefonnotizen lese ich gerne:

Herr Staatsanwalt M. bittet um eine kurze Stellungnahme zur Sache, damit er das Verfahren einstellen kann.

Aus unserer Akte erfuhr ich schnell den Grund, warum der Staatsanwalt noch auf eine Stellungnahme wartete. Ich hatte sie noch nicht abgegeben. Das wiederum hatte einen einfachen Ursache. Auf meine Bitte, mir doch mal Akteneinsicht zu gewähren, hatte ich bislang noch nichts gehört.

Ohne die Akte zu kennen, ist es den weitaus meisten Fällen Harakiri, auch nur Pieps zu sagen. Allerdings ging es bei dieser Sache ohnehin nur um eine Bagatelle. Vielleicht war da ja was auf dem kurzen Dienstweg zu erreichen.

Ich rief also den Staatsanwalt zurück. Der hatte in der Zwischenzeit schon selbst gemerkt, warum ich noch nichts von mir hatte hören lassen. “Ich frage mich allerdings”, sagte der Staatsanwalt, “ob Sie die Akte überhaupt benötigen. Außer der sehr vagen Vermutung einer Zeugin, die noch nicht mal was gesehen hat, dass Ihr Mandant der Täter sein könnte, gibt es keinen einzigen Beweis.” Das klang vielversprechend.

“Wissen Sie was”, erklärte der Staatsanwalt, “wenn Sie mir jetzt am Telefon sagen, dass Ihr Mandant es nicht gewesen ist, mache ich den Vorgang zu.” Angesichts dieser Perspektive sah ich vom ehernen Grundsatz ab, mich nicht ohne Akteneinsicht zu äußern.

Auch wenn sich natürlich die Frage stellt, welches besondere Gewicht nun das schlichte Leugnen des Beschuldigten für die abschließende Entscheidung des Staatsanwalts hat. Normalerweise wird ja nicht allzu viel darauf gegeben, was ein Beschuldigter zu sagen hat. Zumal er ja sogar lügen darf. 

Wie auch immer, der Staatsanwalt war zufrieden. Heute kam die Mitteilung, das Verfahren sei mangels Tatverdachts eingestellt.

Wir sind Monster

Die Grenze des guten Geschmacks wurden in der Urheberrechtsdebatte schon mehrfach ausgetestet. Von allen beteiligten Seiten. Den eindeutigen Tiefpunkt markiert allerdings ein Plakat des Syndikats, einer Vereinigung von 600 deutschsprachigen Krimiautoren.

Auf dem Poster (PDF), das der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift “Politik und Kultur” des Deutschen Kulturrates beiliegt, weidet ein “Mediziner” mit Guy-Fawkes-Maske menschliche Körper aus. Etliche Leichen liegen offenbar noch als Vorrat auf Halde. Die Botschaft kommt mit einem knalligen Slogan aus:

KULTURFLEDDERER – Ja zum Urheberrecht

Ungeklärt bleibt, was es mit den Toten auf sich hat. Symbolisieren sie etwa die deutsche Kultur insgesamt? Oder nur den Aggregatzustand des deutschen Krimis? Sicher, Leichenfledderei ist unschön. Aber hey, es wird am Ende doch nur bereits Abgestorbenes recycelt. Alles halb so wild, möchte man sagen.

Entgegen der Intention verrät das Plakat womöglich also mehr über seine Urheber als über jene, die angeblich gewissenlos hehres Kulturgut fleddern. Letztlich gilt aber auf jeden Fall: Wer seine Botschaft (die Macher nennen das Plakat vorsichtshalber schon mal “provokant”) in offenkundig unlogische Bildersprache verpackt, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Und der wird nicht lange auf sich warten lassen.

Jedenfalls ist die GVU jetzt schon mal vollständig rehabilitiert. Nach langen Jahren toppt mit dem “Syndikat” doch noch jemand den Slogan “Raubkopierer sind Verbrecher” und erbringt den Beweis: Blöder geht immer.

Das Plakat kommt auch noch zur Unzeit. So hatten sich jüngst die Fronten etwas aufeinander zubewegt. Es gab runde Tische, Podiumsdiskussionen und sogar Fernsehrunden, in denen sich die Akteure um Sachlichkeit und damit Annäherung in Sachen Urheberrecht bemühten. Mit so einem plumpen Auftritt wird natürlich wieder viel Porzellan zerschlagen.

Wenn es auf diesem Niveau weiter geht, ist am Ende vielleicht wirklich jemand tot. Ein heißer Kandidat scheint mir das “geistige Eigentum”. Abgemurkst vom Wähler und Gelegenheits-Filesharer, der sich als trotz seiner Schwächen ungern als Monster diffamieren lässt. 

Nette Nachbarn

Zu den praktischen Dingen bei Onlinekäufen, telefonischen und schriftlichen Bestellungen gehört das Widerrufsrecht. Der Kunde darf den Kauf rückgängig machen und erhält sein Geld zurück. Er muss dem Verkäufer nur innerhalb von zwei Wochen mitteilen, dass er vom Kauf Abstand nimmt. Die bestellte Ware kann er auch noch später zurücksenden.

Das mit der Frist klingt zunächst mal einfach, die Tücke steckt jedoch im Detail. Mit einem dieser Fälle hat sich jetzt das Amtsgericht Winsen beschäftigt. Ein Käufer hatte online bestellt, der Paktebote gab die Sendung jedoch bei seiner Nachbarin ab. Der Käufer erhielt die Sendung eine Woche später, erklärte den Widerruf jedoch erst nach mehr als zwei Wochen – wenn man die Widerrufsfrist mit der Übergabe an die Nachbarin anfangen lässt.

Das genau tut das Amtsgericht Winsen aber nicht. Nach Auffassung des Richters beginnt die Widerrufsfrist in solchen Fällen erst, wenn der Empfänger selbst das Paket entgegengenommen hat. Die Zeit bei der Nachbarin wird deshalb nicht in die zwei Wochen eingerechnet.

Zur Begründung weist das Gericht darauf hin, dass “freundliche Nachbarn” erst mal dem Empfänger helfen wollen, damit dieser schnell an seine Sendung kommt. Und ein bisschen auch dem Lieferdienst, damit der keine unnötigen Wege hat. Allerdings, so das Gericht, seien nette Nachbarn keine Empfangsbevollmächtigten des Käufers. Sie würden die gelieferte Ware ja auch nicht für den Besteller öffnen, testen oder anprobieren.

Es gebe auch immer wieder Fälle, in den Nachbarn Pakete annehmen, obwohl das vom Empfänger gar nicht gewünscht sei. Dazu heißt es im Urteil:

Der Paketdienst hat es in der Hand, ob er bei Abwesenheit des Empfängers noch einmal erscheint oder das Risiko eingeht, die Ware in der Nachbarschaft abzugeben. Der abwesende Empfänger kann einer "liebenswürdigen, aber schrecklichen neugierigen Nachbarin" schon zehnmal verboten haben, für ihn Ware entgegenzunehmen; macht sie es aber trotzdem, so ist der Empfänger dagegen machtlos. Der Paketdienst hingegen hat es in der Hand, zum Beispiel nur an solche Nachbarn etwas herauszugeben, die ihm eine schriftliche Berechtigung zum Sendungsempfang vorlegen.

Wenn die Sendung also beim Nachbarn landet, beginnt nicht schon damit die Widerrufsfrist zu laufen. Anders ist es allerdings, wen der Käufer seinem Nachbarn eine schriftliche Vollmacht erteilt hat. In diesem Fall, so das Amtsgericht Winsen, sei der Nachbar eine Art Stellvertreter des Kunden. Der Paketbote könne ihm deshalb das Paket rechtsverbindlich übergeben.

Amtsgericht Winsen, Urteil vom 28. Juni 2012, Aktenzeichen 22 C 1812/11

Keine Bearbeitungsgebühren für Kredite

Kreditnehmer können möglicherweise Geld von ihrer Bank zurückfordern. Das Oberlandesgericht Dresden hat Bearbeitungsgebühren bei Darlehen für grundsätzlich unzulässig erklärt. Viele Banken  nehmen bis zu zwei Prozent der Kreditsumme als Bearbeitungsgebühr. Das Urteil (Aktenzeichen 8 U 562/11) hat die Verbraucherzentrale Sachsen erstritten.

Über Bearbeitungsgebühren für Kredite wird seit langem gestritten. Regelmäßig verlangen Banken und Sparkassen diese Gebühr zusätzlich zu den Zinsen. In dem sächsischen Fall, der bis vor den Bundesgerichtshof ging, handelte es sich dabei um eine Bearbeitungsgebühr in Höhe von 2 Prozent vom ursprünglichen Kreditbetrag. Bei einem Darlehensbetrag von 10.000 € sind das immerhin 200 €.

Begründet haben die Geldhäuser ihre Forderung mit dem Beratungsaufwand und der Bonitätsprüfung des Kunden."Einmal mehr wollten damit Banken und Sparkassen sich für Tätigkeiten, die in ihrem eigenen Interesse liegen, vom Kunden bezahlen lassen", sagt Andrea Heyer, Finanzexpertin der Verbraucherzentrale Sachsen. "Dass dies unzulässig ist, ist bekannt – dennoch werden immer wieder derartige Preisklauseln kreiert."

Überdies akzeptieren viele Banken verbraucherfreundliche Urteile nicht. So haben im Fall der Bearbeitungsgebühr bereits andere Gerichte ähnlich entschieden wie nun das Oberlandesgericht Dresden. Zeigt sich allerdings in einem Verfahren, dass auch der Bundesgerichtshof wahrscheinlich zu Lasten des Kreditinstitutes entscheidet, wird durch den Anbieter die Revision zurückgenommen. So ist es nun auch wieder im aktuellen Fall.

Durch die Rücknahme der Revision leibt den anderen Unternehmen die Möglichkeit, weiterhin gegenüber ihren Kunden den Standpunkt zu vertreten, die Angelegenheit sei noch nicht höchstrichterlich entschieden. Zur Abwehr von Ansprüchen wird von Banken und Sparkassen des Weiteren auch immer wieder der Einwand der Verjährung vorgebracht. Auch hiervon sollten sich Kunden, so die Verbraucherzentrale Sachsen, nicht beeindrucken, sondern diese Frage zumindest individuell prüfen lassen.

Ein ungeliebtes Video

Weil er sich über das Video einer Nachbarschaftsinitiative empörte, hat sich ein Hannoveraner Bezirksbürgermeister an die Staatsanwaltschaft gewandt. Diese sollte nicht nur ermitteln, sondern den Streifen möglichst direkt auf Youtube löschen. Empörte Anwohner und der Bezirksbürgermeister mutmaßten strafbare Gewaltverherrlichung.

Dabei war der Streifen sogar mit Hilfe der öffentlichen Hand finanziert. 1.500 Euro erhielt die Nachbarschaftsinitiative im Stadtteil Linden-Nord fürs Material, um mit Unterstützung von Schauspielschülern ein dortiges Problem zu thematisieren. Das Viertel, im Schatten der als “Die drei warmen Brüder” bekannten Kraftwerksschornsteine gelegen, und insbesondere die Limmerstraße sind eine Partylocation, die nur selten zur Ruhe kommt.

Vor allem auswärtige Veranstaltungs- und Kneipenbesucher sollen es sein, die immer wieder Probleme verursachen. Alkoholexzesse und Drogengeschäfte werden beklagt, ebenso wie Gewaltausbrüche und der schnöde Missbrauch des öffentlichen Straßenraums als Urinal.

Die Nachbarschaftsinitiative Linden-Nord hat sich der Thematik beherzt angenommen und ihren Film auf Youtube gestellt:

Die durchaus drastischen Bilder, die aber letztlich für mehr Rücksicht auf die Anwohner und untereinander werben sollen, riefen Bürger und den Bezirksbürgermeister auf den Plan. Der Politiker schaute offenbar ins Strafgesetzbuch und stieß auf den Paragrafen 131, der Gewaltverherrlichung und –verharmlosung unter Strafe stellt, sofern bestimmte Bedingungen erfüllt sind.

Allerdings hat sich der zuständige Staatsanwalt in Hannover nicht von der allgemeinen Aufregung anstecken lassen. Er kam zu dem Ergebnis, eine strafrechtliche Relevanz des dargestellten Geschehens sei „unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt erkennbar”. Was im übrigen völlig korrekt ist, denn der Gewaltverherrlichungsparagraf ist für die ganzen harten Inhalte gemacht. Davon ist das Video meilenweit entfernt.

Und für Geschmacksfragen sind Staatsanwälte nicht zuständig.

Bericht in der HAZ

Polizisten als “Werkzeuge”

Das Amtsgericht Waiblingen hat einen 48-Jährigen wegen vorsätzlicher Körperverletzung wegen des Einsatzes von Pfefferspray verurteilt. Eine alltägliche Geschichte, aber mit einem besonderen Dreh. Das Pfefferspray hatte nämlich nicht der Betroffene verwendet, sondern Polizisten, die den Mann zur Räson bringen wollten.

Der 48-Jährige hatte sich aus einer Suchtklinik abgesetzt. Dort war er wegen eines Alkoholrückfalls eingeliefert worden. Pfleger befürchteten, er könne sich selbst oder anderen was antun. Unbegründet war die Sorge nicht; der Mann lief mit einer Axt und später mit einem Stein durch Winnenden.

Die herbeigerufene Polizei soll ihn mehrfache aufgefordert haben, seine “Waffen” abzulegen. Sonst werde Pfefferspray gesprüht. Da sich der Mann weigerte, passierte genau das. Durch die Schwaden erlitten Umstehende die üblichen Augenreizungen.

Der Staatsanwalt kam auf die Idee, den 48-Jährigen neben anderer Delikte auch wegen des Pfeffersprays anzuklagen. Juristisch spricht man in diesem Fall von “mittelbarer Täterschaft”; die Beamten gelten als “Werkzeuge” des eigentlichen Täters. Das ist jedenfalls ein origineller Kniff, der allerdings nicht ganz unbekannt ist. Polizeibeamte haben auch schon geklagt, weil sie bei der Verfolgung eines Verdächtigen Treppen runtergefallen sind oder Autounfälle hatten. Ohne die Flucht, so ihre Argumentation, wäre der Unfall ja nicht passiert.

Allerdings handelte es sich in diesen Fällen eher um die Frage des (zivilrechtlichen) Schadensersatzes. Hier wird jemand dafür bestraft, obwohl die Wahl der Mittel natürlich letztlich immer im Ermessen der Polizisten verbleibt.

Sofern die Idee auch anderswo aufgegriffen wird, ist das Konzept natürlich ausbaubar. Zum Beispiel bei Demonstrationen, wo es ja immer mal wieder zur Verletzung Unbeteiligter kommt. Aber dann wird die juristische Gegenwehr wohl auch heftiger sein als in Winnenden. Der Betroffene kam nämlich insgesamt noch recht günstig davon.

Bericht in der Lokalzeitung