Nur ein “Laptop” pro Verteidiger

In einem Großverfahren, das derzeit läuft, ist mir einer der merkwürdigsten Gerichtsbeschlüsse untergekommen, die ich jemals erlebt habe. Und ich habe in rund 18 Jahren als Strafverteidiger schon einige erlebt.

Es geht um die Frage, wie viele “Laptops” ein Rechtsanwalt im Gerichtssaal benutzen darf. Und warum ein Gericht auf die Idee kommt, diese Zahl zu beschränken. Wobei ich vorwegnehme: Die Frage nach dem warum wird nicht zufriedenstellend beantwortet. Ich fürchte, nicht mal das Gericht weiß es.

Ausgangspunkt war eigentlich die Frage, wie den zahlreichen Angeklagten der Prozessstoff vermittelt werden kann. Jeder Angeklagte hat Anspruch darauf, die gesamte Ermittlungsakte zu kennen. Die umfasst mit Sonderbänden rund 30.000 Seiten. Genau kenne ich die Zahl nicht, denn die Akte ist uns gleich in elektronischer Form zur Verfügung gestellt worden.

Freundlicherweise, darf ich sagen. Denn ab einer gewissen Menge Papier wird es ziemlich unbequem. Andererseits ist es meist nicht einfach, Untersuchungsgefangenen die Lektüre einer elektronischen Akte zu ermöglichen. Nur wenige Gefängnisse stellen “Lesegeräte” zur Verfügung. Auf jeden Fall ist das immer ein Kampf.

Doch darum geht es letztlich auch gar nicht. Die Frage war nämlich, wie die Angeklagten im Gerichtssaal in der Akte mitlesen können. Verteidiger schlugen vor, den Angeklagten ein Notebook mitbringen zu dürfen, damit diese eigenständig in der Akte lesen können. Dies lehnte das Gericht ab mit der Begründung, die Angeklagten könnten ja mit in die Notebooks der Verteidiger schauen.

So weit, so gut. Auch ich gehe nicht davon aus, dass ein inhaftierter Angeklagter Anspruch darauf hat, im Gerichtssaal einen Computer benutzen zu dürfen. Sei es nun sein eigener. Oder einer von seinem Verteidiger.

Allerdings beließ es das Gericht nicht bei seiner Ansage, sondern verkündete auch noch einen Beschluss. Inhalt: Jedem Verteidiger ist es im Gerichtssaal lediglich gestattet, einen Laptop zu verwenden. Begründung: keine.

Aus der Diskussion darüber, ob Angeklagte einen Computer nutzen dürfen, wird plötzlich eine Vorschrift für die Anwälte, wie viele Computer sie in den Gerichtssaal mitbringen dürfen. Ich habe mich mündlich über diese Anordnung beschwert, erhielt aber nur die lapidare Auskunft des Vorsitzenden, auf meinem Tisch sei ja ohnehin für höchstens einen Laptop Platz.

Unabhängig davon, dass der Tisch gar nicht so klein ist, hat die Stoßrichtung des Beschlusses für das Gericht ein gewisses Risiko. Die Regelung schränkt nämlich die Verteidigung ein. Und das, wie ich meine, ohne sachlichen Grund. Ich zum Beispiel pflege durchaus mal zwei Computer mit in den Gerichtsaal zu bringen. Nämlich dann, wenn umfangreiche Dokumente verlesen werden. Auf dem einen Bildschirm, meist ist es mein Tablet,  lese ich dann mit, mit dem zweiten Gerät kann ich ganz normal arbeiten.

Computer gehören heute auch zur selbstverständlichen Ausstattung jedes Verteidigers. Ich wüsste auch nicht, inwiefern es die Funktionsfähigkeit des Gerichts tangiert, ob ich ein oder zwei Computer verwende. Oder sogar drei, denn mein Smartphone ist ja eigentlich auch einer.

Ich habe es erwähnt: Der Beschluss, der mir die Zahl der “Laptops” vorschreibt, enthält leider keine Begründung. Sollte das Gericht damit bezwecken, dass die Angeklagten nicht “heimlich” das Zweitnotebook des Verteidigers nutzen, ist er aus meiner Sicht völlig verfehlt. Genau so gut kann ich dem Angeklagten, der dicht neben mir sitzt, mein einziges Notebook am Platz rüberschieben.

Sofern die Notebook-Nutzung durch Angeklagte verboten sein soll (obwohl sie ja laut Gericht mit reingucken dürfen), müssen das Gericht oder die Wachtmeister also so oder so gucken, ob der Angeklagte Tasten tippt oder über einen Tablet-Bildschirm wischt. Von diesen Wachtmeistern sitzen auch genug im Saal. Damit es so weit kommt, müsste ich ja auch erst mal ganz bewusst gegen den Wunsch des Gerichts verstoßen, dass Angeklagte im Saal keine Computer nutzen dürfen. Dieser Verstoß ist aber ziemlich unabhängig davon, wie viele Geräte ich habe. Denn, ich wiederhole mich, ich könnte ihm ja auch meinen einzigen Computer gebrauchen lassen. Oder mein Mobiltelefon. Oder…

Kurz gesagt: Die Einschränkung ist völlig ungeeignet, das einzig denkbare Ziel zu erreichen. Damit stellt sich noch nicht mal die Frage, ob meine Arbeitsmöglichkeiten als Verteidiger zu Gunsten des hehren Zwecks vielleicht eingeschränkt werden können.

Das alles wiederum ist schlecht für das Gericht. Ich muss mich notgedrungen an den Beschluss halten, denn ich kann ihn im laufenden Verfahren nicht anfechten. Meine Möglichkeit zur Verteidigung ist auf jeden Fall eingeschränkt, weil ich nicht so arbeiten kann, wie ich will. (Grundsätzlich habe ich als Verteidiger Anspruch darauf, dass mir das Gericht nicht in meine Methoden reinredet, so lange ich die Verhandlung nicht beeinträchtige.) Die Einschränkung ist aus meiner Sicht nicht mal ansatzweise gerechtfertigt.

Dummerweise ist die Einschränkung der Verteidigung ein absoluter Revisionsgrund. Man kann höchstens darüber streiten, ob es sich bei der Sache, wie vom Gesetz gefordert, um einen “wesentlichen Punkt” handelt. Wenn man sinnlose Gängelei durch Gerichte ablehnt, wird man das am Ende aber wohl kaum verneinen können. Die Folge wäre einfach: Ein Mammutprozess darf komplett wiederholt werden.

Zwang, kostenpflichtig

Die bayerische Polizei lässt sich dafür bezahlen, dass sie dich festnimmt. Aus einem Schreiben des Polizeipräsidiums Oberfranken:

Für die Anwendung unmittelbaren Zwangs anlässlich der Gewahrsamsnahme am 04.08.2012, gg. 0.00 Uhr, in B., sind von Ihnen gem. Art. 58 Abs. 3, Art. 76 Polizeiaufgabengesetz, § 1 Nr.  6, § 2 Polizeikostenverordnung und Art. 10 Abs. 1 Nrn. 1 und 5 Kostengesetz folgende Kosten zu entrichten:

Gebühr                                                          48,00 €

Diensthandlung war laut Schreiben die “Verbringung zum Dienst-Pkw mittels Fesselung”. Möglicherweise, entnehme ich dem Scheiben, wäre das an sich noch gratis gewesen. Aber mein Mandant, aufgebracht über die vorhergehende Behandlung, für die er aber wohl kein Geld von der Polizei bekommt, soll doch tatsächlich versucht haben, nach einem Polizisten zu treten.

Der Tritt ging glücklicherweise ins Leere, löste aber, so die Sachbearbeiterin Frau R., nun endgültig und unvermeidbar “unmittelbaren Zwang” seitens der Beamten aus. Dieser Zwang ist aber nun mal kostenpflichtig “gem. Art. 58 Abs. 3 PAG”.

In dieser krampfhaften Ernsthaftigkeit artikuliert sich der fürsorgende Staat, wie er wohl für uns alle dämmert. In kleinen Dingen zeigt er schon mal sein Gesicht.

Alle Daten

Heute mal wieder eine Leserfrage, die sicher auch andere interessiert:

Ich habe da gerade ein Problem mit meinem ehemaligen Hoster. Habe gleichzeitig zu meiner Kündigung eine Selbstauskunft meiner Daten angefordert. Die Antwort des Hosters ist kurz: "Alle Daten wie wir über Sie gespeichert haben können Sie im KC [Kundencenter] einsehen."

Wie man sich vorstellen kann, hat ein Kundencenter nicht viel. Anschrift, Name. Wenn es hochkommt noch einige Rechnungen und das Produkt (Serverberzeichnung, Webhostingaccount). Reichen diese Angaben wirklich? Sind Tickets aus dem Ticketsystem nicht auch davon betroffen?

Fehlen da nicht noch Daten?  Wie kann ich überprüfen, ob so eine Auskunft wirklich komplett ist?

Ideen und Anregungen dürfen gern in die Kommentare gepostet werden.

Vollmachts-Tricks

Es kommt schon mal vor, dass alle da sind. Gericht. Staatsanwalt. Verteidiger. Nur der Angeklagte fehlt. Gerade im Strafbefehlsverfahren kann dies misslich sein. Das Gericht darf den Einspruch gegen den Strafbefehl nämlich ohne Sachprüfung verwerfen, wenn der Angeklagte nicht oder nicht rechtzeitig erscheint.

Spätestens nach Ablauf einer Viertelstunde wird von dieser Möglichkeit auch gern Gebrauch gemacht. Allerdings ist ein Anwalt in dieser Situation nicht chancenlos, selbst wenn er keinen blassen Schimmer hat, warum der Mandant nicht auftaucht. Eine Möglichkeit ist die besondere Vertretungsvollmacht. Hat der Mandant so ein Papier unterschrieben, muss das Gericht auch ohne ihn verhandeln. (Oder halt vertagen, wenn es den Angeklagten unbedingt persönlich sehen will.)

Was aber, wenn so eine Vollmacht nicht vorhanden ist? Ich hab’s schon erlebt, dass Anwälte es in dieser Situation schulterzuckend hinnehmen, dass der Einspruch gegen den Strafbefehl verworfen wird. Was das Urteil zementiert, so dass sich in der Sache kaum noch was erreichen lässt. Dabei ist die Lösung ziemlich einfach: Man stellt sich als Verteidiger einfach selbst eine Vollmacht im Namen des Mandanten aus. Unterschrift, fertig.

Hört sich seltsam an, ist aber völlig legal. Die Vollmacht muss zwar schriftlich vorgelegt werden. Allerdings steht nirgends, dass eine Vollmacht tatsächlich eigenhändig vom Vollmachtgeber ausgestellt werden muss. Die Vollmacht kann vielmehr auch mündlich erteilt werden. Ist der Anwalt also von seinem Mandanten entsprechend beauftragt, kann er diese formlose Vollmacht persönlich zu Papier bringen.

Das Oberlandesgericht Dresden hat aktuell einen Beschluss gefasst, in dem diese alte Weisheit bestätigt wird.

Ähnliche Grundsätze gelten übrigens auch im Zivilrecht. So ist es entgegen landläufiger Meinung weder Betrug noch Urkundenfälschung, wenn man zum Beispiel einen Kaufvertrag mit den Namen einer fremden Person unterschreibt. Aber natürlich nur, sofern der Betreffende damit einverstanden ist.