Zwei Ausreden weniger

Die Zahl der Verfahren über verbotene Handy-Nutzung am Steuer ist unüberschaubar. Auch die zu der Thematik veröffentlichten Urteile sind es mittlerweile. Die meisten neueren Entscheidungen kann man vor allem mit Vergnügen lesen, wenn einen die Frage interessiert, was für originelle, bislang nicht abgehandelte Ausreden vermeintlichen Verkehrssündern noch so einfallen.

Das Oberlandesgericht Hamm bereichert die Rechtsprechung jetzt mit zwei Beschlüssen. Im ersten ging es um die Frage, ob ein Mobiltelefon auch ein Mobiltelefon ist, wenn keine SIM-Karte eingelegt ist. Ein Autofahrer hatte sich mit dem Argument verteidigt, er habe sein iPhone, in das keine SIM-Karte eingelegt war, nur in die Hand genommen, um Musik zu hören. Dem war das Amtsgericht sogar noch gefolgt und hatte den Betroffenen freigesprochen.

Dieses Urteil korrigieren die Hammer Richter nun. Die Vorschrift des § 23 StVO verbiete jegliche „Benutzung“ eines Mobiltelefons. Es komme also gar nicht darauf an, ob das Telefon wegen einer fehlenden SIM-Karte gar kein Telefon im eigentlichen Sinne mehr war. Ein iPhone bleibt also ein iPhone, selbst wenn es nur als iPod genutzt wird.

Die zweite Entscheidung ist ähnlich kategorisch. Danach wird ein Mobiltelefon auch „benutzt“, wenn der Autofahrer durch einen Druck auf den Homebutton nur überprüft, ob sein Gerät wirklich ausgeschaltet ist. Bleibe der Homescreen nach Druck auf den Homebutton schwarz, sei dies eine zuverlässige Information, dass das Gerät ausgeschaltet ist. Die Richter sehen hierin eine „Negativfunktion“ des ausgeschalteten Geräts, bei der ebenfalls eine Benutzung vorliege. Man kann also ein Telefon benutzen, indem man es nicht benutzt. Das ist jedenfalls interessant.

Wie auch immer: zwei Ausreden weniger (Aktenzeichen 1 RBs 170/16 und 4 RBs 214/17).

Alternative Faktenschöpfung

Bei angeblichen Drogengeschäften ist die „Ware“ oft nicht mehr vorhanden. Wie praktisch, wenn ein Zeuge nicht nur berichten kann, dass sich Crystal Meth in einer Tüte befunden haben soll. Sondern auch, wie groß die Tüte – ungefähr – war und dass sie ein viertel bis zur Hälfte gefüllt gewesen sein soll.

Stellt sich aber noch die Frage, über wie viel Gramm wir reden. Die Polizei hat da mitunter so eigene Methoden, um auf belegbare Zahlen zu kommen. Ich zitiere aus einer Ermittlungsakte:

Vergleichsmessung

Aufgrund der Aussage des Zeugen P. in Bezug auf die Sichtmenge Crystal beim Beschluldigten wurde eine vergleichbare Menge mit Meersalz gewogen. Diese hatte ein Gewicht von 62,8 g.

Ausgehend davon, dass 1 g Crystal ca. 2 g Meersalz entsprechen, dürfte bei der Sichtmenge von ca. 31 g Crystal ausgegangen werden.

Für mich ist das ein schönes Bespiel alternativer Faktenschöpfung. Man weiß kaum was, hat keinen Maßstab, also denkt man sich halt irgendeinen „Vergleich“ aus. Niedergelegt in Form eines amtlichen Vermerks, gewinnt so eine Schlussfolgerung doch gleich einen gewissen Stellenwert. Nur hinterfragen darf man das Ganze halt nicht. Aber keine Sorge, das ist in dem ganzen Verfahren bisher auch noch nicht passiert…

Sag mir, wer dein Anwalt ist…

Wenn man als Beschuldigter zu einem spezialisierten Anwalt geht, ist das an sich eine gute Idee. Es sei denn vielleicht, man gerät an einen – sicherlich singulären – Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft Stuttgart. Dort hält es ein Strafverfolger tatsächlich für eine gute Idee, die Person des Verteidigers mit der Frage zu verquicken, ob ein Tatverdacht gegen den Beschuldigten vorliegt.

Es geht um einen Beschuldigten, der möglicherweise ohne Fahrerlaubnis gefahren ist. Hierzu merkt der zuständige Amtsanwalt in einem Schreiben ans Gericht folgendes an:

Da der Angeschuldigte von Rechtsanwalt W. vertreten wird, der bekanntlich fast ausschließlich Mandanten vertritt und berät, die über den so genannten Führerscheintourismus Fahrerlaubnisse in Osteuropäischen EU-Staaten erwerben, liegt der Verdacht nahe, dass auch der Angeschuldigte im Besitz eines solchen Führerscheins ist.

Wenn man also gravierende Steuerprobleme hat, geht man also besser nicht zu einem (sehr teuren und zweifellos sehr guten) Wirtschaftsanwalt, der das Vertrauen führender Wirtschaftsbosse und Fußballpräsidenten genießt. Bei einem Vorwurf, der was mit Drogen zu tun hat, sucht man dementsprechend besser keine juristische Koryphäe auf diesem Gebiet aus. Das wäre ja schon ein dreiviertel Tatnachweis! Stattdessen ist es doch viel unverfänglicher, wenn man sich im Strafverfahren von einem Fachanwalt für Mietrecht vertreten lässt. Oder wenn man gar keinen Anwalt nimmt. Denn dann hat man ja wohl nichts zu verbergen.

Rechtsstaatlich sind solche Äußerungen wirklich erschreckend. Kaum zu glauben, mit welcher Bräsigkeit so was nicht nur gedacht, sondern auch noch schriftlich auf Behördenbriefpapier festgehalten wird.

Weitere Einzelheiten und ein Link zum Dokument finden sich im Blog von Rechtsanwalt Detlef Burhoff.

Keine Barzahlung von Rundfunkbeiträgen

Bürger haben keinen Anspruch darauf, ihren Rundfunkbeitrag bar zahlen zu können. Dies hat das Oberverwaltungsgericht Münster entschieden. Ein Rundfunkteilnehmer hatte sich geweigert, seine Gebühren per Überweisung zu zahlen. Dazu ist er jedoch nach Auffassung des Gerichts verpflichtet.

Die Richter haben keine ernsthaften Zweifel daran, dass die Vorgaben des Rundfunkbeitragsstaatsvertrags wirksam sind. Dieser beschreibt ausdrücklich vor, dass der Rundfunkbeitrag nur per Überweisung oder Lastschrift gezahlt werden kann. Das sei im Rahmen der „Massenverwaltung“ auch zulässig, heißt es in dem Gerichtsbeschluss. Es liege auch im Interesse der Zahlungspflichtigen, dass die Verwaltungskosten niedrig gehalten werden (Aktenzeichen 2 A 135/16).

Schlechte Performance

Vor einigen Tagen war ich an einem Amtsgericht im Osten Deutschlands. Die lange Anreise bedingte, dass ich einen Zeitpuffer mitbrachte. Den nutzte ich, um schon mal etwas vom Verhandlungsstil des Richters zu schnuppern. Es wurde ein trauriges Schauspiel, was allerdings an einer anderen Hauptperson lag.

Die Angeklagte, deren kleines Unternehmen den Bach runtergegangen war und die viel zu lange davor die Augen verschlossen hatte, erschien mit einem Urteilsbegleiter an ihrer Seite. Es fällt mir schwer, bei dessen Performance zuzugeben, dass diese Begleitperson auch ein Rechtsanwalt war. Der Kollege erklärte nichts, relativierte nichts, sprang seiner Mandantin nicht zur Seite. Vielmehr saß er nur da und schaute uninspiriert in die Gegend, während sich die Angeklagte um Kopf und Kragen redete. Als die Frau während ihrer Aussage in Tränen ausbrach, legte er ihr immerhin die Hand auf die Schulter. „Sie haben es ja gleich überstanden, das wird schon.“

Kein einziges Mal machte der Anwalt den Versuch, vielleicht eine Einstellung des Verfahrens – zum Beispiel gegen eine Geldauflage – hinzukriegen. Stattdessen hielt er lediglich ein flauschiges Plädoyer, welches definitiv nicht von Faktenkenntnis getrübt war. Ebenso wenig von sich aufdrängenden Worten über die juristischen Klippen, die sich gerade bei Insolvenzstraftaten für einen Richter auftun, der ein solides Urteil sprechen will.

Am Ende des Plädoyers noch ein echter Knaller: „Die 120 Tagessätze, die der Herr Staatsanwalt gefordert hat, gehen insgesamt in Ordnung.“ Äh, ja. 120 Tagessätze sind für eine kleine Insolvenzgeschichte nun wirklich kein Pappenstiel, zumal wenn man wie die Frau keine Vorstrafen mitbringt. Zu allem Überfluss verzichtete der Anwalt auch nach dem Urteil noch eilfertig auf Rechtsmittel.

Ich dachte insgesamt, ich bin im falschen Film. Oder war es möglicherweise so, dass der Richter sowieso ein harter Hund ist, bei dem man rein gar nichts erreichen kann? Meine Informationen waren eigentlich, der Richter ist etwas spröde, aber in Sachfragen durchaus zugänglich. Gut, wir versuchten es einfach mal.

Den Angeklagten ließ ich nicht selbst reden, sondern gab für ihn eine gestraffte Stellungnahme ab. Und zwar auch zu den komplizierten Rechtsfragen, die sich in solchen Fällen immer ergeben. Dann noch ein paar Worte zu schweren privaten Schicksalsschlägen, welche die Aufmerksamkeit des Angeklagten von seiner Firma weggelenkt hatten.

Kaum war dem Richter klar, dass es ohne einen weiteren Verhandlungstermin (mit zusätzlichen Zeugen, vielleicht sogar einem Sachverständigen) nicht gehen würde, wagte ich den Vorstoß und fragte, ob man nicht auch mal über eine Einstellung nachdenken kann. Viel Hoffnung hatte ich aufgrund der vorhergehenden Verhandlung nicht. Vermutlich war der betreffende Kollege einfach nur Realist. Aber siehe da, der Richter griff meine Anregung auf. Der Staatsanwalt zierte sich erst pflichtgemäß ein wenig, dann war aber auch er mit im Boot. Das Verfahren wurde gegen Zahlung einer sehr sozialverträglichen Geldauflage eingestellt…

Der Witz an der Sache ist, dass mein Mandant im Vergleich zur vorherigen Angeklagten definitiv die schlechteren Voraussetzungen mitbrachte. Wenn wir eine Einstellung kriegten, hätte diese für die Frau noch viel eher im Raum gelegen. Aber es hat ja keiner für sie daran gearbeitet. Das wird sie allerdings nie erfahren…

Vertraulich im Stadtpark

Mein Mandant filmte einen Polizeieinsatz. Nachts. In einem öffentlichen Park. Das tat mein Mandant ganz offen. Die Polizeibeamten störten sich hieran auch gar nicht. Was sich auch daran zeigt, dass der Einsatzleiter meinen Mandanten recht höflich bat, doch bitte einige Schritte zurückzutreten. Mehr aber auch nicht.

Später kam ein anderer Polizist hinzu. Der fühlte sich im Gegensatz zu seinen Kollegen durch meinen Mandanten mächtig gestört. Was schnell dazu führte, dass er das Mobiltelefon meines Mandanten beschlagnahmte. Angeblich soll sich mein Mandant nach § 201 StGB (Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes) strafbar gemacht haben, als er die „Sachverhaltsaufnahme“ filmte.

Der Beamte schreibt in seiner Anzeige sogar, er habe extra für meinen Mandanten § 201 StGB auf dem Handy gegoogelt und die Vorschrift vorgelesen. Das ist doch mal ein Service. Doch vom Gesetzestext habe sich mein Mandant rein gar nicht überzeugen lassen, schreibt der Beamte und beklagt sich wortreich über die „Renitenz“ des mutmaßlichen Straftäters bzw. Besserwissers.

Wobei es halt mitunter wirklich nicht reicht, einfach mal nach einem passenden Gesetz zu googeln. Auch wenn sich der Paragraf auf den ersten Blick recht passend liest, ist er es nicht. Das habe ich in einem Schreiben ans Gericht etwas näher dargelegt. Ich zitiere:

Es handelte sich hier bereits nicht um ein „nichtöffentlich“ gesprochenes Wort im Sinne des Gesetzes. Nicht geschützt sind von § 201 StGB nämlich Äußerungen, die zwar nicht an die Öffentlichkeit gerichtet sind, die aber – dem Sprecher bewusst – so in der Öffentlichkeit erfolgen, dass sie von Dritten ohne besonderes Bemühen mitangehört werden können und damit faktisch öffentlich sind (Schönke/Schröder, StGB, § 201 Rdnr. 10).

Hier erfolgte die vom Polizeibeamten dargestellte Sachverhaltsaufnahme mitten in einem öffentlichen Park. Herr J. hat sich dort weder verborgen noch sonstwie verheimlicht, dass er den Polizeieinsatz filmt. Er hat vielmehr öffentlich gefilmt. Sofern der Polizeibeamte also seine „Sachverhaltsaufnahme“ unter diesen Umständen fortsetzte, entfällt nach den vorstehenden Ausführungen der Schutz des § 201 StGB.

Dem Polizeibeamten hätte es freigestanden, sich zur Sachverhaltsaufnahme in einen räumlich geschützten Bereich zurückzuziehen. Oder er hätte Herrn J. gegebenenfalls einen Platzverweis erteilen können. Dies hat er nicht getan, so dass über die eventuelle Rechtmäßigkeit eines Platzverweises nicht weiter zu diskutieren ist.

Das nächste Wort hat der Richter.

„Kiffer“ am Steuer: Daran wird man sich gewöhnen müssen

Seit dem 10. März 2017 ist Cannabis nicht mehr ein (fast immer) verbotenes Betäubungsmittel. Sondern ein Medikament. Möglich wurde dies durch eine Änderung des Betäubungsmittelgesetzes. Cannabis ist jetzt in der Anlage III zu § 1 BtMG aufgeführt. Die Substanz hat somit den Sprung unter die „verkehrsfähigen und verschreibungsfähigen Betäubungsmittel“ geschafft. Mit anderen Worten: Wer ein ärztliches Rezept hat und Cannabis aus der Apotheke bezieht, macht sich nicht mehr strafbar und begeht auch keine Ordnungswidrigkeit.

Rumgesprochen hat sich das allerdings noch nicht. So hielt die Polizei vor einigen Tagen einen meiner Mandanten am Steuer seines Wagens an. Dieser wies von sich aus darauf hin, dass er im Rahmen einer ärztlichen Therapie Cannabis auf Rezept bezieht. Er hatte auch alle Unterlagen dabei, doch davon zeigten sich die Beamten gänzlich unbeeindruckt.

Schon deswegen, wie mein Mandant zumindest berichtet, weil keiner der anwesenden Polizisten etwas von der Gesetzesänderung gehört hatte. Ein Polizist habe ihm sogar gesagt, verarschen könne er sich alleine. Aber da hat mein Mandant sicher nur was falsch verstanden.

Fest steht allerdings: Man fuhr das volle Programm. Also Beschlagnahme des Führerscheins, Verbot der Weiterfahrt, Blutprobe. Auf der Wache hatte dann wohl immerhin ein Beamter nach diesem neuen merkwürdigen Regelungen gegoogelt. Jetzt hieß es, das mit dem Rezept sei zwar schön und gut. Aber es gebe da ja noch den § 24a StVG (Straßenverkehrsgesetz), der eine Teilnahme am Straßenverkehr unter der Wirkung „berauschender Mittel“ untersagt. Hierfür reicht es schon aus, wenn die Substanz im Blut nachgewiesen werden kann.

Tja, und hier wird es wirklich spannend. Es empfiehlt sich zumindest, nicht schon an dieser Stelle mit dem Lesen aufzuhören. Schon der nächste Satz regelt nämlich ausdrücklich:

(Das Verbot) gilt nicht, wenn die Substanz aus der bestimmungsgemäßen Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels herrührt.

Cannabis entsprechend ärztlicher Verordnung = zugelassenes Arzneimittel = kein Bußgeld für Autofahrer unter Cannabiseinfluss. Daran werden sich Polizei, Staatsanwälte und Gerichte also gewöhnen müssen. Es ist mein erster Fall nach der neuen Rechtslage, deshalb wage ich momentan noch keine Prognose, ob der eine oder andere Jurist hier nicht doch noch eine Hintertür suchen wird. Weil ja nicht sein kann, dass man seit Jahrzehnten unter Aufbietung gewaltiger Ressourcen Cannabiskonsumenten kriminalisiert. Und jetzt dürfen diese nicht nur high sein, sondern auch noch Auto fahren!

Die Bundesregierung sieht das alles übrigens überraschend entspannt. In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage heißt es:

Den Cannabispatientinnen und -patienten droht keine Sanktionierung gemäß § 24a Absatz 2 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG), wenn Cannabis aus der bestimmungsgemäßen Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels herrührt.

Das sind ja klare Worte. Die wird man als Anwalt vermutlich dankbar aufgreifen können, wenn jetzt der Umgewöhnungsprozess in der Justiz beginnt. Spannend wird das alles auf jeden Fall.

Was man auf Facebook über Richter erfährt

Auch wenn der Richter, der über den Angeklagten zu entscheiden hat, noch so freundlich wirkt – ein Blick auf sein Facebook-Profil und eine „kleine Anfrage“ bei Google können sich durchaus lohnen.

Bei einem ehrenamtlichen Richter am Landgericht Düsseldorf bin ich vor einigen Tagen fündig geworden. Der Schöffe, übrigens schon seit vielen Jahren am Landgericht Düsseldorf tätig, hatte ganz aktuell klar ausländer- und flüchtlingsfeindliche Sprüche auf Facebook gepostet. Was natürlich den Angeklagten, der selbst einen Migrationshintergrund hat, zum Nachdenken bringen durfte. Das Ergebnis war ein Befangenheitsantrag.

Mein Kollege Detlef Burhoff analysiert den Fall in seinem Blog. Dort kann man auch nachlesen, mit welchen „Einsichten“ der Schöffe die Welt beglückte, übrigens genau einen Tag vor einem unserer Verhandlungstermine. Vielen Dank an den Kollegen, dass er den Fall objektiver beleuchtet, als ich das könnte. Hier geht es zum Beitrag von Detlef Burhoff.

Basar

Zu einer Hauptverhandlung hatte ich einige juristische Argumente im Gepäck. Gute noch dazu. Die Richterin wurde auch sehr nachdenklich, als ich das in der Hauptverhandlung ausbreitete. Eins war klar: Eine Verurteilung rückte in einige Ferne. Jedenfalls würde es nicht ohne Gutachten und etliche Zeugenaussagen klappen.

Wir waren also erfreulicherweise schnell dort, wo die Reise am Amtsgericht sehr oft hingeht. Nämlich bei der Frage, ob eine Einstellung des Verfahrens möglich ist. Ausnahmsweise. Unter Zurückstellung größter Bedenken. Als wirklich großen Vertrauensvorschuss gegenüber dem Angeklagten. Und natürlich im Interesse der Prozessökonomie, denn die Ressourcen der Justiz sind ja begrenzt.

Eine grundsätzliche Bereitschaft zur Einstellung war nun also vorhanden. Ich brachte dann auch gleich einen sozial sehr verträglichen Betrag von 400 Euro ins Spiel. Selbst diesen griff die Richterin auf. Nun fehlte im Boot nur noch die Vertreterin der Anklage. Das war eine Rechtsreferendarin, die den Lauf der Dinge mit offensichtlichem Argwohn verfolgte. Wie das bei Auszubildenden so ist, benötigte sie für jede Einstellung telefonisch grünes Licht von ihrer Ausbilderin oder dem Eilstaatsanwalt.

Nach wenigen Minuten kehrte sie in den Saal zurück. Innerlich hatte ich ja auf eine Absage getippt, denn ganz so lapidar war der Anklagevorwurf nun auch wieder nicht. Aber nein, es gab tatsächlich ein O.K. Aber nur unter der Bedingung, dass der Angeklagte 500 Euro zahlt. Einen Basar wegen 100 Euro zu eröffnen, das ist dann doch schon eher ungewöhnlich – jedenfalls für eine Anklagebehörde. Aber mir war es egal, ich feilsche notfalls auch auf diesem Niveau.

Am Ende trafen wir uns durch gütige Vermittlung der Richterin in der Mitte. Welche Überraschung. Ich hoffe, der Landesfinanzminister wird glücklich mit seinem ebenso stolzen wie unverhofften Zugewinn.

Herrschaftswissen

Es ist erstaunlich, aber mir begegnen selbst heute noch Anwaltskollegen, welche die Ermittlungsakte im Strafverfahren gegen einen ihrer Mandanten als eine Art „Betriebsgeheimnis“ behandeln. Dabei rede ich nicht davon, die Ermittlungsakte an irgendwelche Medien oder interessierte Dritte durchzustechen. Sondern die Geheimhaltung gilt – so anscheinend die Auffassung der betreffenden Rechtsanwälte – gegenüber dem eigenen Mandanten.

Genau gesagt ist es nicht richtig, dass mir immer wieder die betreffenden Anwaltskollegen begegnen. Richtig ist vielmehr, dass ich dann mitunter Bekanntschaft mit ihren (Noch-)Mandanten mache. Nämlich dann, wenn die Mandanten sich nach anfänglichem Wundern und ein wenig Googeln nicht mehr damit abfinden wollen, dass ihr Anwalt die Ermittlungsakte ihnen gegenüber unter Verschluss hält.

Heute wurde mir mal wieder von solch einem Kollegen berichtet. Deshalb hier einmal in Kürze die Eckpunkte der Akteneinsicht:

Die Akteneinsicht durch den Verteidiger erfolgt nicht im luftleeren Raum, sondern im Interesse des Mandanten. Es ist heute unbestritten, dass sich aus dem Anwaltsvertrag eine Verpflichtung des Anwalts ergibt, dem Mandanten zumindest auf dessen Wunsch hin die Ermittlungsakte zugänglich zu machen. Am zweckmäßigsten geschieht dies in Form einer Kopie. Den Mandanten ins Kanzlei-Hinterzimmer zu beordern, wo er sich alles „mal anschauen“ kann, reicht nicht aus. Wenn der Anwalt die Ermittlungsakte seinem Mandanten verweigert, erfüllt er seine Dienstleistungspflicht unzureichend.

Wenn der Mandant die Akte sehen will, darf ihm der Anwalt das also nicht ausschlagen. Alles, was Mandanten hier mitunter zu hören bekommen, sind fadenscheinige Ausflüchte. Denn tatsächlich gibt es nur ganz wenige Fälle, in denen eine Weitergabe der Akte oder Teilen davon ausnahmsweise nicht zulässig ist.

Der wichtigste Fall sind kinderpornografische Schriften. Wenn sich einschlägige Bilder oder Videos als Beweismittel in der Akte befinden, dürfen diese nicht an den Mandanten ausgehändigt werden. (Der Mandant darf sie aber gemeinsam mit dem Anwalt in der Kanzlei in Augenschein nehmen, um den Tatvorwurf prüfen zu können.) Den reinen Textteil der Akte darf der Mandant aber auch in solchen Fällen komplett erhalten.

Darüber hinaus gibt es dann kaum noch Fälle, in denen ein Anwalt seinem Mandanten die Ermittlungsakte vorenthalten kann. Denkbar ist zum Beispiel, dass ein mutmaßliches Gewaltopfer eine neue Adresse hat, die dem Mandanten partout nicht bekannt werden sollte. Oder wenn sich sonstige Informationen ergeben, die der Mandant nicht haben soll. Der praktisch häufigste Fall ist, dass der Staatsanwalt vergessen hat, einen Haftbefehl gegen den Mandanten aus der Akte zu nehmen. Aber selbst hier muss man sich als Anwalt die Frage stellen, ob man sich letztlich wirklich verpflichtet fühlt, das Versäumnis des Staatsanwalts auszubügeln.

Schon die Beispiele zeigen, dass in 99,9 Prozent der Fälle eines klar ist: Als Mandant hat man keinen Grund, sich vom Anwalt die Ermittlungsakte vorenthalten zu lassen. Alle Gründe, die hierfür vorgebracht werden, sind schlicht und einfach vorgeschoben. Der tatsächliche Grund mag meist sein, dass unwissende Mandanten vielleicht weniger fragen und diskutieren, und ein wenig Herrschaftswissen kann ja sowieso nie schaden.

Dem Mandanten von heute morgen habe ich das auch alles so erklärt. Aber sein Anwalt meint weiter, dass nur er die Verfahrensunterlagen kennen sollte. Gut, dann fordere ich halt die Akte an. Das war es dann mit dem Herrschaftswissen – und wahrscheinlich auch seinem Mandat.

Deutscher Pass trotz Identitätstäuschung

Obwohl er sich seinen Status als Asylberechtigter erschlichen und das 13 Jahre verschwiegen hat, erhält ein irakischer Staatsbürger nun den deutschen Pass. Das Bundesverwaltungsgericht gab damit der Klage des Mannes statt.

Der Iraker war 1997 nach Deutschland eingereist. Und zwar unter einer falschen Identität. Unter ebenso falschen Angaben stellte er einen Asylantrag. Er wurde als Flüchtling anerkannt und erhielt einen Aufenthaltstitel. Seit 2008 ist er im Besitz einer Niederlassungserlaubnis.

Im Jahr 2010, also 13 Jahre nach seiner Einreise, offenbarte er der Ausländerbehörde seine wahre Identität. Dies führte allerdings zu keiner Sanktionen, auch eine Strafanzeige wegen mittelbarer Falschbeurkundung oder sonstiger Delikte wurde nicht erstattet. Für das Gericht stellte sich jetzt die Frage, ob die 13 Jahre Aufenthalt in Deutschland als „rechtmäßig“ gelten. Einen solchen rechtmäßigen Aufenthalt von acht Jahren verlangt die Einbürgerungsvorschrift in § 10 des Staatsangehörigkeitsgesetzes.

Nach Auffassung der Richter ist eine „rückblickende Bewertung“ erforderlich. Diese fällt für die beteiligten Behörden nicht sehr schmeichelhaft aus. So hätte die Ausländerbehörde zwar neben der (unterlassenen) Strafanzeige auch auf eine Aberkennung der Asylanerkennung hinwirken und eventuell den Aufenthaltstitel entziehen können. Da dies aber nicht geschehen sei, sei der Aufenthalt des Mannes rückblickend als rechtmäßig einzustufen. Mit der Folge, dass die Jahre unter falscher Identität anzurechnen sind. Somit hat der Betreffende einen Anspruch auf Einbürgerung.

Die Vorinstanz hatte noch anders entschieden (Aktenzeichen 1 C 16.16).

Schmerzensgeld für privates Sexfoto

Wenn private Sexfotos ohne Einverständnis des Partners in sozialen Netzwerken landen, kann das teuer werden. Diese Erfahrung macht ein heute 22-Jähriger. Das Oberlandesgericht Hamm verurteilte ihn jetzt, seiner ehemaligen Freundin 7.000 Euro Schmerzensgeld zu zahlen.

Im Jahr 2011 fotografierte der junge Mann sich und seine Freundin beim Oralverkehr. Das Foto entstand vermutlich im beiderseitigen Einverständnis. Beide waren damals 16 Jahre alt. Der Mann stellte das Foto (nach der Trennung) kurz in einem sozialen Netzwerk online. Zwar entfernte er es nach Aufforderung durch seine Ex-Freundin sofort wieder. Aber da hatten es Freunde und Angehörige schon gesehen und teilweise heruntergeladen. Das Gericht spricht von einer „massiven Bloßstellung gegenüber einer unüberschaubaren Anzahl von Personen“.

Für die junge Frau begann ein Leidensweg. Sie wurde psychisch krank, mied die Öffentlichkeit und war längere Zeit nicht in der Lage, eine Berufsausbildung zu beginnen. Ursprünglich hatte das Landgericht Münster der Frau sogar 20.000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen. Diese Summe hielt das Oberlandesgericht Hamm für zu hoch. Das Gericht hält dem Beklagten zu Gute, er habe mit 16 Jahren eine „unreflektierte Spontanhandlung“ begangen; außerdem sei er alkoholisiert gewesen. Er bereue sein Verhalten auch aufrichtig (Aktenzeichen 3 U 138/15). .