Gestern abend durfte sich die als Kandidatin fürs Bundesverfassungsgericht vorausgewählte Juristin Frauke Brosius-Gersdorf bei Markus Lanz präsentieren. Ziel der wegen ihrer juristischen Positionen unter Beschuss geratenen Professorin war es, ihren vermeintlichen Anspruch mit Nachdruck geltend zu machen. Gefallen hat das Interview mir nicht.
Wie schon eingangs erwähnt: Das Auftreten der Kandidatin erweckte bei mir stark den Eindruck, als sei das höchste Richteramt in der Republik in ihren Augen eine höher dotierte Vollzeitstelle im öffentlichen Dienst und die kritische Gegenöffentlichkeit so was wie ein unliebsamer Juristenkollege, den man halt aus dem Wege schieben muss. Mit solchen Leuten müssen sich Interessenten für hohe Gerichtsposten ja tatsächlich öfter im Wege der sogenannten Konkurrentenklage herumschlagen, wie zuletzt etwa beim jahrelangen Streit um den Präsidentenposten am Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen. Nur ist der Posten eines Verfassungsrichters doch noch mehr als eine herausgehobene Richterstelle mit Dienstwagen. Im Zweifel ist ein einzelner Senat in Karlsruhe mächtiger als der Kanzler und sein Kabinett.
Was man Frauke Brosius-Gersdorf zu Gute halten muss: Sie ist nicht schuld an der Situation. Schuld ist das seit Jahrzehnten praktizierte Hinterzimmersystem, mit dem Parteien die Posten nach Quoten besetzen nach dem bewährten Motto: manus manum lavat, eine Hand wäscht die andere. Stimmst du also für meinen Kandidaten, stimme ich für deinen. Wobei keine Fragen gestellt und unliebsame Oppositionsparteien natürlich knallhart übergangen werden. Nur so lässt es sich etwa erklären, dass die in Richtung 10 % – Marke geschrumpfte SPD nun zwei Richtertickets einlösen kann. Die AfD kann bis auf weiteres keine Kandidaten durchsetzen, obwohl sie stärkste Oppositionspartei ist.
Das beschriebene System funktionierte bisher gut. Sicher, mal war ein CDU-Kandidat der SPD zu rechts, dann wurden die Stellen halt im Wege eines Kompromisses anders besetzt. Das war im Fall Brosius-Gersdorf erstmals komplett anders. Die Positionen der Kandidatin wurden Gegenstand inhaltlicher und noch dazu öffentlicher Debatten (zuerst übrigens in der FAZ). Der Gegenwind fiel – zu Recht – so heftig aus, dass viele CDU-Abgeordnete kalte Füße bekamen und sich daran erinnerten, wem sie laut Grundgesetz einzig und allein verpflichtet sind: ihrem Gewissen.
Die Zuspitzung wäre also vermeidbar gewesen, aber wer mag als vielbeschäftigter Fraktionsmanager sich schon vorstellen können, dass Hände schnell rau werden, wenn jemand Unerwartetes wie eine kritische Öffentlichkeit von der Seitenlinie ins Spielfeld greift und die Seife stibitzt.
Dass es in diesem Fall halt mal nicht nach dem Motto „Machen wir schon immer so“ gelaufen ist, begründet aber keine Opferrolle für Frauke Brosius-Gersdorf. Sie setzte sich gestern ins Fernsehen und verkündete ernsthaft, die Kritik an ihren Positionen sei ja nicht richtig. Punkt. Dabei übersieht sie geflissentlich, dass es etwa in der Debatte um die Menschenwürde Ungeborener kein richtig und kein falsch gibt. Vielmehr gilt der universale Grundsatz: zwei Juristen, drei Meinungen. Frau Brosius-Gersdorf geht dagegen von der Prämisse aus, dass es zwar Meinungen geben darf. Aber am Ende entscheidet sie, ob die andere Meinung über ihre Person formal zulässig und begründet ist. Ansonsten droht die Verdammung ins Tal der Fußnoten, wohin die „herrschende Meinung“ im Juristenzirkus ja seit jeher gern unbequeme Stimmen endlagert.
In der öffentlichen Debatte gibt es aber keine angearbeitete oder gar ererbte Deutungshoheit. Es stellt sich letztlich nur die Frage: Führen die Positionen von Frau Brosius-Gersdorf dazu, dass ich sie nicht als Richterin am Bundesverfassungsgericht haben möchte? Wenn ja, darf ich das sagen, auch ohne anspruchsvolle, juristisch fundierte Begründung, das Ganze im Rahmen des geltenden Strafrechts und problemlos auch anonym (andere Auffassung offenbar: Frauke Brosius-Gersdorf). Dementsprechend spielt es auch keine Rolle, wo sich die Kandidaten selbst im demokratischen Spektrum verortet. Sie kann mir gerne tausendmal sagen, dass sie tragender Teil von dem ist, was auch sie gerne und nervenzermübend oft „unsere Demokratie“ nennt. Aber es ist letztlich mein Recht öffentlich zu sagen, dass ich das anders sehe oder ihre Demokratie dann halt nicht meine ist.
Die Kandidatin kann mit Kritik nicht richtig umgehen und hat ein fragwürdiges Verständnis der Meinungsfreiheit. Schon deswegen hat sie mich nicht überzeugt.