Apple Watch: Drohen Punkte in Flensburg?

Die Apple Watch wird mittlerweile in Deutschland verkauft. Die Bild-Zeitung schreckt mit einer Schlagzeile derzeit Autofahrer auf, die mit der Apple Watch oder einem vergleichbaren Produkt auch im Auto telefonieren wollen.

„Fahrer können sich mit Smartuhr strafbar machen“, lautet die Schlagzeile. Bild beruft sich auf einen Berliner Polizeisprecher, der offenbar keinerlei Zweifel daran hat, dass man am Steuer nicht mit der Apple Watch telefonieren darf. Was zwar nicht zu einer „Strafbarkeit“ führt. Aber immerhin zu einem Bußgeld von 60 Euro. Und, noch schlimmer, zu einem Punkt in Flensburg.

Nur leider ist die Auskunft des Polizeisprechers aller Voraussicht nach falsch. Denn der fragliche § 23 StVO lautet:

Wer ein Fahrzeug führt, darf ein Mobil- oder Autotelefon nicht benutzen, wenn hierfür das Mobiltelefon oder der Hörer des Autotelefons aufgenommen oder gehalten werden muss.

Das alles passt offenkundig schon sprachlich nicht auf ein Gerät, das am Handgelenk befestigt ist. So sieht das auch mein Kollege Detlef Burhoff mit guten Gründen in seinem Blog. Die Smartwatch ist da eher vergleichbar mit dem Handy, das auf dem Armaturenbrett in einer Halterung angebracht ist. Oder mit einem Telefon, das auf der Mittelkonsole liegt. So lange man es nicht in die Hand nimmt, darf man durchaus auf das Display tippen oder Anrufe annehmen.

Aber wir sind sicher bald schlauer. Bis zum ersten Urteil dauert es bestimmt nicht lang.

Anwalt – nur echt mit Robe

In Bayern wird um die Robenpflicht für Anwälte gestritten. Mal wieder. Diesmal ist Auslöser ein Richter am Amtsgericht Augsburg. Er hatte die Parteien in einem Zivilprozess wieder nach Hause geschickt, weil einer der Anwälte keine Robe trug.

Der Anwalt klagt wegen des vergeblichen Termins nun auf Verdienstausfall und Spesen in Höhe von 777,50 Euro, berichtet die Legal Tribune Online. Die bayerische Justiz beruft sich in dem Prozess vor dem Landgericht Augsburg darauf, das „Gewohnheitsrecht“ verpflichte Anwälte, vor bayerischen Amtsgerichten auch in Zivilsachen eine Robe zu tragen.

Das ist insofern interessant, weil für Gewohnheitsrecht eigentlich kein Platz ist, wenn entsprechende Vorschriften bestehen. So gibt es in § 20 der Berufsordnung für Rechtsanwälte folgende Regelung:

Der Rechtsanwalt trägt vor Gericht als Berufstracht die Robe, soweit das üblich ist. Eine Berufspflicht zum Erscheinen in Robe besteht beim Amtsgericht in Zivilsachen nicht.

Ein ungeschriebener bayerischer Brauch soll also diametral den Regeln entgegenlaufen können, welche sich die derzeit 163.000 Rechtsanwälte im Rahmen ihrer gesetzlichen Kompetenzen selbst gegeben haben. Das kann man wohl nur mit Interesse zur Kenntnis nehmen.

Unabhängig von der Frage der Berufspflicht leuchtet mir aber nicht ein, wieso der Richter die Verhandlung verweigerte. Immerhin war laut dem Bericht auch der Mandant des Juristen selbst erschienen, so dass ja die Prozesspartei anwesend war. Vor dem Amtsgericht besteht kein Anwaltszwang. Somit war es jedenfalls nicht erforderlich, die Verhandlung platzen zu lassen.

Erst Aldi, dann Anwalt

Telefonat mit einem möglichen neuen Mandanten. Nach drei, vier Sätzen empfehle ich ihm, am Telefon erst mal nicht so viel zu erzählen. Es geht um einen breit gelagerten Fallkomplex, den ich schon aus anderen Verfahren kenne. Und in diesen Verfahren haben sich die Strafverfolger schon bisher als außerordentlich abhörfreudig erwiesen haben.

„Aber Verteidigergespräche dürfen doch nicht abgehört werden“, sagt der Mandant. Ja, sicher. Aber die Löschung der automatischen Aufzeichnung und die Vernichtung der schriftlichen Zusammenfassung ordnet irgendwann der Staatsanwalt an. Meist, nachdem er das Abhörprotokoll in aller Ruhe gelesen hat…

Im übrigen war das Ganze ja noch ein sogenanntes Anbahnungsgespräch, denn ein Mandat hatte der Mandant noch nicht erteilt. Auch Anbahnungsgespräche dürfen nach neueren Urteilen nicht abgehört werden. Aber im Zweifel weiß die Polizei ja in der Situation gar nicht genau, ob der Angerufene Verteidiger ist (oder werden könnte). Es wird also zumindest munter reingehört.

Da sollte man das Gespräch zu den Einzelheiten besser verschieben. Bis die Vollmacht gemailt ist. Und auf jeden Fall so lange, bis es der Mandant zum Aldi oder Rossmann geschafft und eine knackfrische Prepaidkarte sein eigen nennt.

Lieber ins Schwimmbad

Ende letzter Woche war ich auf einer Polizeiwache, die verdiente den Namen „Großstadtrevier“. Ein riesiger Raum, mit vielen Schreibtischen und jeweils einem PC. Es war nicht viel los und mein Fall auch eher bescheiden, aber am Nachbartisch ging es munter zur Sache. Dort wurde ein mutmaßlicher Dieb nämlich darüber aufgeklärt, dass er in Haft muss, weil gegen ihn ein Haftbefehl offen ist.

Das hatte trotz allem noch was von Alltag. Bis der Betroffene darum bat, seine Anwältin anrufen zu dürfen. „Das habe ich schon für dich gemacht“, bölkte einer der drei Polizeibeamten, die mit der Sache betraut waren. „Deine Anwältin will nicht kommen. Ist ihr zu heiß, die geht jetzt mit ihren Kindern lieber ins Schwimmbad.“

Damit war das Thema Anwalt erledigt. Seltsam nur, dass der Polizist eigentlich die ganze Zeit im Raum gewesen ist. Ich habe ihn nicht am Telefon gesehen.

Leider kam der Beschuldigte nicht auf die Idee nachzufragen, ob er denn wenigstens mal mit seiner Anwältin telefonieren darf.

Dass ein Verteidiger nicht immer zu jedem Mandanten eilen kann, kommt durchaus vor. Merkwürdig wird es aber dann, wenn der Anwalt zwar erreicht wird, aber es zu keinem Gespräch mit dem Mandanten kommt. Bei mir ist es jedenfalls ein Reflex, immer erst ein unbeobachtetes Gespräch mit dem Betroffenen zu verlangen. Das reicht allemal für den Tipp, erst mal die Klappe zu halten. Und dieser Tipp ist nie falsch.

Das Telefonat ist normalerweise auch absolut kein Problem, wenn die Polizei die Kontaktaufnahme zum Anwalt nicht komplett verweigert. Was sie ja bekanntermaßen nicht darf. In dem Fall vom Großstadtrevier habe ich allerdings stark das Gefühl, der Polizist hat einfach getrickst. Weil er schlicht keinen Bock darauf hatte, dass sich kurz vor dem Wochenende noch ein Anwalt einmischt. Das ist aber nicht nur fies, sondern auch illegal.

Der Beamte, mit dem ich am Nachbartisch konferierte, war übrigens supernett, sachlich und korrekt.

Ämter wollen online fahnden

+++ Die Stadt Berlin will im Internet gezielt nach Vermietern und Mietern suchen, die ihre Wohnungen zweckentfremden. Zum Beispiel durch (Unter-)Vermietung über Portale wie Airbnb. Der Datenschutzbeauftragte hält so eine Online-Fahndung ohne konkreten Anlass (zu Recht) für unzulässig. Jetzt soll ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben werden. +++

+++ Was ist mit Sterbehilfe, wenn sich Angehörige eines Komapatienten nicht einig sind? Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat ein Urteil zu dieser Frage gefällt. +++

+++ Ein Berliner Anwalt, selbst Radfahrer, kämpft unermüdlich gegen Verkehrsschilder. Nämlich jene, die Radfahrer auf den Radweg verbannen. +++

+++ Der Song „Stress ohne Grund“ des Rappers Bushido ist derzeit nicht weiter indiziert. Das Oberverwaltungsgericht Münster gab einem Antrag des Künstlers statt. Die zuständige Behörde habe nicht hinreichend abgewogen, ob die Kunstfreiheit vorgeht. Außerdem sei Bushidos Mitinterpret überhaupt nicht angehört worden (Aktenzeichen 19 B 463/14). +++

+++ „Intensivpädagogische Maßnahme“ oder eher ein lukratives Geschäft. Eine ARD-Reportage beschäftigt sich mit der Vergabepraxis vieler Jugendämter und ihren Profiteuren. +++

Ein unerwünschter Mandant

Auch wenn ich als Strafverteidiger irgendwie von Kriminalität lebe, werde auch ich damit natürlich nur ungern persönlich konfrontiert. So zum Beispiel am Dienstag, als dem großen Kanzleikind in der Düsseldorfer Altstadt unfreiwillig das neue iPhone abhanden kam. Und das nicht durch einen schlichten Diebstahl, sondern mit Gewalt.

So ein Spacko – ich spreche jetzt als Privatmann – hat auf der Treppe am Altstadtufer einfach brutal zugegriffen und ist weggerannt. Die Polizei nahm die Sache sehr ernst, konnte aber leider niemanden mehr erwischen. Gerade schauen sich das Kanzleikind und seine Freundinnen auf dem Kriminalkommissariat die Bilder diverser junger Männer im Alter zwischen 14 und 25 an.

Das ist, wie ich aus anderen Zusammenhängen weiß, ein recht umfangreicher Katalog. Mir kam der Gedanke, was ist, wenn das Kanzleikind auf ein Bild tippt, das einen meiner Mandanten zeigt. Oder wenn der Betreffende in der Zukunft mal hier ins Büro schneit und sich von mir wegen des Raubs (und vermutlich einiger anderer Delikte) vertreten lassen möchte.

Das wäre eine blöde Situation, aber ich müsste da wohl naheliegenden Impulsen wiederstehen. Zum Anwaltsgeheimnis gehört auch die sogenannte Mandatsanbahnung. Das heißt, als möglicher Verteidiger darf ich keinerlei Wissen verwerten, das ich von einem potentiellen Auftraggeber erlange. Auch dann nicht, wenn ich den Auftrag letztlich nicht übernehme. Was ich natürlich nicht täte.

Sollte ich den Betreffenden unter meinen Klienten haben, würde ich wohl das Mandat niederlegen, ihm bisher gezahltes Honorar erstatten und einen guten Kollegen empfehlen, damit der ihn weiter anwaltlich vertreten kann. Ist vielleicht ganz gut, dass ich mir jetzt mal so rein abstrakt über eine derartige Situation Gedanken gemacht habe. Unverhofft kommt ja bekanntlich oft…

Kein Himbeer-Tee ohne Himbeeren

„Felix Himbeer-Vanille Abenteuer“ heißt ein Tee des Düsseldorfer Unternehmens Teekanne. Auf der Verpackung sind Himbeeren und Vanilleblüten zu sehen, doch tatsächlich enthält das Getränke diese Zutaten gerade nicht. Gleichwohl soll es laut Teekanne einen „Himbeer-Vanille Geschmack“ haben. So eine Werbung ist nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs bedenklich, wie sich aus einem aktuellen Grundsatzurteil ergibt.

Der Bundesverband der Verbraucherzentralen stellte bei Lektüre der Zutatenliste fest, dass der Tee als Hauptzutaten Hibiskus, Apfel, süße Bromberblätte, Orangenschalen und Hagebutten enthält – aber weder Himbeeren noch Vanille. Die Verbraucherschützer klagten bis zum Bundesgerichtshof, der die Grundsatzfrage dem Europäischen Gerichtshof vorlegte.

In seinem Urteil weist der Gerichtshof darauf hin, das EU-Recht verlange korrekte, neutrale und objektive Informationen für den Verbraucher. Dass eine komplette Zutatenliste auf der Packung zu finden ist, schließe eine Irreführung durch die Werbebotschaft nicht aus. Denn auch die Etikettierung sein ein Teil der Verbraucherinformation über das Produkt. Diese dürfe nicht den falschen Eindruck erwecken, als sei eine Zutat enthalten, die es in Wirklichkeit gar nicht ist.

Letztlich zählt der Gesamteindruck, so der Europäische Gerichtshof. Die endgültige Prüfung liegt nun beim Bundesgerichtshof. Angesichts der klaren Worte aus Luxemburg wird Felix wohl künftig nur noch ein Hibiskus-Apfel-Abenteuer erleben können (Aktenzeichen C 195-14).

Flüchtlinge offline

+++ In Flüchtlingsunterkünften ist Internet Mangelware. Obwohl es doch offensichtlich so wichtig sein kann. Netzpolitik.org über einen öffentlichen Missstand. +++

+++ Eine Widerrufsbelehrung ist unwirksam, wenn der Text nicht durch Absätze gegliedert und unformatiert ist. Das hat das Landgericht Ellwangen entschieden. +++

+++ Der nordrhein-westfälische CDU-Vorsitzende Armin Laschet ist nebenberufliche Lehrbeauftragter an der Hochschule Aachen. Diese Tätigkeit gibt er jetzt auf. Nachdem Klausuren auf dem Postweg verloren gingen, hat er Studenten Fantasienoten gegeben. Sogar solchen Studenten, welche die Klausur gar nicht gechrieben haben. +++

+++ Ein italienischer Vater hat juristisch durchgesetzt, dass sein von ihm getrennt lebender Sohn drei Mal in der Woche Fleisch isst. Die Mutter des 12-Jährigen kocht ausschließlich vegan. Für ein Kind sei das keine ausreichende Ernährung, befand das Gericht in Bergamo. +++

Verbraucht

Das war kein guter Arbeitstag für Herrn N. Am Vormittag kassierte er eine Abmahnung. Am Mittag die zweite. Und anderthalb Stunden später übergab ihm der Chef dann auch noch die Kündigung.

Andererseits war es aber auch kein schlechter Tag für Herrn N. Denn besonders schlau hat es der Arbeitgeber nicht gemacht. In der schriftlichen Kündigung führte er nämlich nur an, Herr N. sei ja nun zwei Mal abgemahnt – deshalb sei der Firma eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar.

So geht es aber gerade nicht. Mit einer Abmahnung bringt der Arbeitgeber zum Ausdruck, dass er dem Arbeitnehmer noch mal eine Chance gibt. Damit ist der Kündigungsgrund aber „verbraucht“. Es muss also was Neues passieren, das als Kündigungsgrund herhalten kann. Genau daran fehlt es aber im Fall von Herrn N.

Bleibt nur zu hoffen, dass es das Arbeitsgericht genau so sieht. Dann dürfte es gar nicht mehr auf die Frage ankommen, was an den Abmahnungen wirklich dran ist.

Jahresgeruchsstunden

Landwirte im Ruhestand müssen mehr Gestank hinnehmen als andere. Jedenfalls dann, wenn sie früher selbst mit ihrem Mastbetrieb die Luft belastet haben oder dies sogar heute noch tun. Das ist eine der Lehren, die sich aus einem Grundsatzurteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen ergeben.

Das Gericht beschäftigte sich mit Klagen von Anwohnern gegen drei gewerbliche Geflügelmastanlagen auf dem Gebiet der Stadt Geldern bzw. der Gemeinde Weeze. Die Anwohner – selbst aktive bzw. ehemalige Landwirte – hatten gegen die Mastanlagen geklagt und geltend gemacht, die zu erwartenden Gerüche seien unzumutbar.

Das Oberverwaltungsgericht stellte folgende Grundsätze dar: Im Außenbereich liege die Grenze des Zumutbaren grundsätzlich bei einem Wert von 15% sog. Jahresgeruchsstunden. Das bedeute, stark vereinfacht, dass die Gerüche nicht häufiger als 15 % der Jahresgesamtzeit von Anwohnern wahrnehmbar sein dürften.

Je nach den Gesamtumständen im Einzelfall seien bei landwirtschaftlichen Gerüchen (aus Tierhaltungsanlagen) auch Werte bis zu 25 % zumutbar.

Für die Frage, in welchem Umfang Geruchsimmissionen über 15 % der Jahresgeruchsstunden hinzunehmen seien, komme es maßgeblich auf die Ortsüblichkeit derartiger Gerüche, auf die Siedlungsstruktur und die historische Entwicklung an.

Bei der Prognose der Geruchsbelastungen seien auf jeden Fall Gerüche, die von eigener Tierhaltung ausgingen, unberücksichtigt zu lassen. Anderenfalls könnten Anwohner durch eigene Tierhaltung Vorhaben in der Nachbarschaft blockieren.

Nur in seltenen, ganz besonders gelagerten Fällen könnten auch Werte von über 25 % der Jahresgeruchsstunden noch zumutbar sein; dies könne dann der Fall sein, wenn das neue Vorhaben – etwa durch Ersetzung eines alten Stalls – zu einer Verbesserung der Gesamtgeruchsbelastung führe.

In den zu entscheidenden Fällen erwiesen sich die prognostizierten Geruchshäufigkeiten der Geflügelmastanlagen von maximal 25 % nach Auffassung des Senats als noch zumutbar. Die Umgebung sei jeweils von einer Vielzahl tierhaltender Betriebe auf engem Raum geprägt. Zu der damit einhergehenden Geruchsbelastung durch Tierhaltung hätten die Kläger als Landwirte zumindest in der Vergangenheit selbst in erheblichem Maß beigetragen (Aktenzeichen 8 A 1760/13, 8 A 1487/14 und 8 A 1577/14). (I. Instanz: VG Düsseldorf 3 K 5158/12, 3 K 5877/11 und 3 K 356/13).

Klausuren weg, Noten da

In Nordrhein-Westfalen sind 23 Examensklausuren angehender Volljuristen auf dem Postweg vom Korrektor zum Landesjustizprüfungsamt verloren gegangen. Die Arbeiten waren bereits korrigiert. Die Prüflinge sollen jetzt selbst entscheiden, ob sie die Note blind akzeptieren oder die Klausur im Juli neu schreiben.

Wer seine jetzige Note akzeptiert, ohne sich die eigene Arbeit anschauen zu können, kann später auch nicht gegen die Examensnote klagen. Jedenfalls sofern die Klausuren nicht wieder auftauchen. Kommen die korrigierten Arbeiten wider Erwarten doch noch mal ans Licht, hängt es wohl davon ab, ob dann die entsprechenden Klagefristen schon abgelaufen sind.

Bericht in der Legal Tribune Online

Gleich zur Sache

Aus der polizeilichen Vernehmung eines jugendlichen Mandanten. Genau gesagt, ist es der Anfang des Protokolls:

Kennst du noch andere Straftäter, die so eine Nummer abziehen wie du?

Wenn es es schon so losgeht, sage ich besser gar nichts mehr. Die Telefonnummer von meinem Anwalt habe ich in meinem Portemonnaie. Mit dem will ich jetzt erst mal sprechen.

Ich habe echt schon feinfühligere Versuche erlebt, Beschuldigte zum Sprechen zu bringen.

Post nur an den Anwalt?

Darf man Bettina Wulff einen Brief schreiben? Selbst wenn sie das nicht möchte? Man darf, entschied jetzt das Oberlandesgericht Celle. Es stellte sich damit auf die Seite des Bauer Verlages. Dieser hatte nach einer presserechtlichen Abmahnung Bettina Wulff direkt angeschrieben und sie um ein klärendes Gespräch gebeten.

Inhaltlich sei an dem Brief nichts auszusetzen, meint das Oberlandesgericht Celle. Streithähnen müsse es stets möglich sein, den sachlichen Kontakt zu suchen. Dass Wulff nur über ihren Anwalt korrespondieren wollte, spiele keine ausschlaggebende Rolle. Es sei Bettina Wulff nämlich zumutbar gewesen, das Schreiben an ihren Anwalt weiterzuleiten (diesem hatte der Bauer Verlag aber ohnehin eine Kopie geschickt).

Im übrigen habe es der Empfängerin freigestanden, das Schreiben nicht zur Kenntnis zu nehmen. Selbst wenn sie ein paar Zeilen lesen musste, um zu wissen, worum es ging, beeinträchtige das ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht nicht nennenswert. Die erste Instanz hatte noch anders entschieden (Aktenzeichen 13 U 104/14).

Bloß nicht antworten

Das Amtsgericht Arnstadt hat einen 29-jährigen Mann aus Algerien freigesprochen, der Beamte der Bundespolizei beleidigt haben soll. Der junge Mann aus Jena war am 07.09.2014 in einer Regionalbahn von Erfurt nach Würzburg anlasslos und offensichtlich ausschließlich wegen seiner Hautfarbe von zwei Bundespolizeibeamten kontrolliert worden.

Als die Beamten dem Angeklagten keinen Grund für die Kontrolle nennen konnten, kritisierte dieser die Kontrolle als rassistisch und beschwerte sich im Anschluss in der Dienststelle des Bundespolizeireviers Meiningen über die Kontrolle. Letztendlich fand sich der Betroffene aber selbst auf der Anklagebank wieder, da die Bundespolizisten ihn wegen Beleidigung anzeigten.

In der Hauptverhandlung relativierte ein Beamter nun sein Verständnis der Aussage des Angeklagten. Womöglich habe der Angeklagte nicht ihn persönlich, sondern die Kontrolle als rassistisch und „ausländerfeindlich“ bezeichnet. Das Gericht sprach den Angeklagten daher frei. Selbst wenn der Angeklagte sich so geäußert habe, seien seine Worte von der Meinungsfreiheit gedeckt und nicht individuell beleidigend.

Der als Zeuge vernommene Beamte bat das Gericht mehrfach, die Fragen des Verteidigers Sven Adam zur Rechtsgrundlage der Kontrolle nicht beantworten zu müssen. Die Antworten, so die Begründung des Beamten, könnten seiner Behörde in einem parallel geführten Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Dresden schaden.

Adam führt zahlreiche Verfahren wegen Racial Profiling. Die Bundespolizei ist nach Adams Eindruck aktuell sehr bemüht, jeden Anschein einer diskriminierenden Kontrollpraxis zu vermeiden. Dieses „Bemühen“ geht laut dem Anwalt sogar so weit, dass der Strafjustiz nur unvollständige Akten zur Verfügung gestellt werden. „Die Vermerke über die Beschwerde des Angeklagten selbst und damit seine Version der Ereignisse und Vermerke von Dienstvorgesetzten der Beamten über die
Rechtsgrundlage der Kontrolle befinden sich bis heute nicht in der Ermittlungsakte“, sagt der Anwalt (Aktenzeichen Cs 820 Js 36838/14).

Learning by doing

Manchmal ist es vielleicht doch keine gute Idee, ganz unerfahrene Richter mit bestimmten Aufgaben zu betrauen. Zum Beispiel mit Entscheidungen über die Freiheit anderer Menschen.

Mir war vor zwei Wochen der Haftbefehl eines Strafrichters, dessen Namen ich noch nie gehört hatte, auf den Tisch geflattert. Zum Glück war mein Mandant an dem fraglichen Tag nicht zu Hause. So musste er der freundlichen Einladung auf einen Knastaufenthalt nicht Folge leisten, welche Polizeibeamte bei ihm zu Hause aussprechen wollten.

Ich an seiner Stelle hätte mich auch nicht selbst gestellt. Denn der Haftbefehl war in jeder Hinsicht falsch begründet und – offensichtlich – sachlich nicht haltbar. Nachdem ein Gesprächsversuch mit dem Richter scheiterte, weil der für höflich vorgetragene Argumente wenig zugänglich war, legte ich gegen den Haftbefehl Beschwerde ein.

Postwendend schrieb mir der Richter folgendes:

Wird die Beschwerde zurückgenommen? Sie ist unzulässig, weil der Haftbefehl derzeit nicht vollzogen wird.

Welch bahnbrechende Erkenntnis! Ich habe schon gegen unzählige Haftbefehle Beschwerde eingelegt, denen sich meine Mandanten durch Abwesenheit widersetzten. Noch nie ist ein Richter auf die Idee gekommen, dass dieses Rechtsmittel unzulässig sein könnte. Wie auch? In der Strafprozessordnung ist eindeutig festgehalten, dass Beschwerden gegen Haftbefehle zulässig sind. Dass der Beschuldigte dafür in Haft sitzen muss, steht nirgends. Was man allerdings auch unschwer in jedem Standardkommentar zum Strafprozessrecht nachlesen kann.

Überdies: Dem betreffenden Richter steht es laut dem Gesetz gar nicht zu, über die Zulässigkeit einer Beschwerde gegen seinen Haftbefehl zu entscheiden. Er hat nur die Möglichkeit, die eigene Entscheidung abzuändern. Oder er muss das Rechtsmittel an das Beschwerdegericht weiterleiten – und zwar innerhalb von drei Tagen. Die Frage, ob ich die Beschwerde zurücknehme, war also völlig deplatziert. Ebenso wie die unverhohlene Drohung, die Beschwerde als unzulässig zu behandeln.

Ab dem Zeitpunkt wollte ich echt kein Risiko mehr eingehen. Ich rief deshalb den Vorsitzenden des Beschwerdegerichts an und erzählte ihm von der Sache. Der ist ein sehr umgänglicher Mensch. Er war freundlicherweise bereit, seinen jungen Kollegen nachher in der Kantine mal ganz beläufig zu fragen, wie es denn insgesamt so läuft.

Am nächsten Tag wurde der Haftbefehl dann auf meine Beschwerde hin aufgehoben – und zwar durch den jungen Richter selbst.