Neue Sachlage

Ein Unglück kommt selten allein. Für meinen Mandanten war das die Hauptverhandlung nächste Woche, die er als Angeklagter vor sich hatte. Parallel dazu die Nachricht aus seinem Heimatland Nigeria, dass seine betagte Mutter ins Krankenhaus eingeliefert worden ist.

Das eilig beschaffte Attest las sich jetzt nicht so dramatisch. Von Gewichtsverlust und Dehydrierung war die Rede. Und von einer möglichen Operation, je nachdem wie die Diagnose ausfällt. Mein Mandant wollte gleich nach Nigeria fliegen, um bei seiner Mutter zu sein.

Ich sprach also mit dem Richter, ob wir den Termin nicht aufheben und später verhandeln können. Der Vorsitzende war jetzt nicht supernegativ eingestellt, doch dem Attest begegnete er doch mit einiger Skepsis. So eine richtige Notlage ergebe sich daraus ja nicht. Außerdem sei die Mutter ja schon mindestens 10 Tage im Krankenhaus, so dass es auf eine Woche doch nicht ankomme.

Natürlich sah der Richter auch den Aufwand, der bei einer Absage vergeblich gewesen wäre. Er hatte Zeugen geladen, darunter auch einen Gefangenen. Der kommt aus einem weit weg gelegenenen Gefängnis und dürfte sich schon in der „Verschubung“ befinden. Einmal quer durch die Republik dauert mit dem Justizbus ja locker 10 bis 14 Tage.

Ich wollte darüber mit dem Mandanten noch mal reden. Doch dazu kam es nicht mehr, denn schon wenige Stunden später lag das nächste Dokument im Fax. Die Sterbeurkunde. Die Mutter meines Mandanten war genau um die Uhrzeit verstorben, als ich mit dem Richter sprach.

Die neue Sachlage hat das Gericht übrigens anstandslos akzeptiert. Mein Mandant darf nach Hause fliegen und seine Mutter beisetzen. Der Gerichtstermin findet jetzt wahrscheinlich im April statt. Wenn nichts dazwischen kommt.

Keine Ahnung. Oder schlecht geblufft

Eine Lederhose und eine Bluse eines bekannten Modelabels im Wert von 3.500 Euro fanden Zöllner am Düsseldorfer Flughafen am Wochenende im Gepäck eines Reisenden aus New York. Der 54-jährige Düsseldorfer hatte es offenbar besonders eilig und wollte den Zollbereich gerade durch den grünen Ausgang für anmeldefreie Waren verlassen, als die Zöllner ihn zur Kontrolle seines Reisegepäcks baten. Dabei stießen sie neben der Bekleidung auch gleich auf die Rechnung.

Der Reisende erklärte sich mit den Maßnahmen des Zolls nicht einverstanden. Insbesondere wollte er die unter anderem fällige Einfuhrumsatzsteuer nicht bezahlen, da nach seinem Verständnis die Steuer ja bereits in den USA bezahlt worden sei.

Als die Zöllner dem Mann die rechtliche Situation erklären wollten, empörte sich dieser: „Wissen Sie eigentlich, wer ich bin? Ich bin einer der führenden Wirtschaftsanwälte Deutschlands.“ Davon unbeeindruckt leiteten die Zöllner gegen den Mann ein Steuerstrafverfahren wegen versuchter Steuerhinterziehung ein.

Pressemitteilung des Zolls / Danke an Stefan R. für den Link

Mobilfunksperre erst ab 75 Euro

Mobilfunkanbieter dürfen Anschlüsse erst sperren, wenn ein Kunde mit mindestens 75 Euro im Rückstand ist. Der Bundesgerichtshof wendet eine gesetzliche Regelung, die für den Festnetzbereich gilt, entsprechend auf Mobilfunkverträge an. Die Richter erklärten deshalb die Klausel eines Anbieters, der schon bei einem Rückstand von 15,50 Euro sperrt, für unwirksam.

Nach Auffassung der Karlsruher Richter übt der Anbieter mit der Sperre ein Zurückbehaltungsrecht aus. Dieses Zurückbehaltungsrecht ist aber gesetzlich nur zulässig, wenn es nicht nur geringfügige Forderungen absichern soll. 15,50 Euro hält das Gericht hier nicht für ausreichend. Angemessen seien jene 75 Euro, welche der Gesetzgeber auch fürs Festnetz festgelegt habe.

Die Vorschriften fürs Festnetz gehen sogar weiter. So muss die Sperre mindestens 14 Tage vorher schriftlich angedroht werden. Außerdem muss der Kunde darüber informiert werden, dass er in dieser Zeit eine einstweilige Verfügung beantragen kann, wenn er die Sperre für unzulässig hält. Nicht in die 75 Euro eingerechnet werden dürfen Beträge, denen der Kunde begründet widersprochen hat (z.B. zweifelhafte Entgelte von Klingelton- oder Spieleanbietern).

Ob und inwieweit auch diese zusätzlichen Schutzvorschriften gelten, musste der Bundesgerichtshof nicht entscheiden. Allerdings wäre es nur konsequent, wenn bei der Frage, ob der Mobilfunkkunde sich im „Verzug“ befindet, ebenfalls auf diese Regeln zurückgegriffen wird.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 17. Februar 2011, Aktenzeichen III ZR 35/10

Rabattstarkes Segment

In einem Strafverfahren geht es am Rande um einen neuen Mercedes CLS 63 AMG mit allerhand Extraausstattung. Die Polizei hat den Kundenberater aus dem Mercedes-Autohaus vernommen. Der hat folgendes berichtet:

Wir hatten im Kundensegment einen CLS 63 AMG im Angebot. Das Fahrzeug hatte einen Neupreis inklusive Überführung von 147.560,00 Euro. Wir konnten auf den Neupreis einen Nachlass von insgesamt 44.066,30 Euro geben, so dass der letztendliche Kaufpreis dann ca. 103.000,00 Euro betrug.

Ich habe noch die Beteuerung eines Mercedes-Verkäufers im Ohr, mehr als sieben oder acht Prozent Rabatt seien unter keinen Umständen machbar. Aber es ging ja auch um ein geringfügig kleineres Auto. Das dann auch kein Mercedes wurde.

Toleranzgebot gegen Kinderlärm

Kinderlärm soll künftig im Regelfall nicht mehr als „schädliche Umwelteinwirkung“ gelten. Mit einer entsprechenden Gesetzesänderung möchte die Bundesregierung Klagen gegen Kindergärten und Spielplätze eindämmen. Das Bundeskabinett hat den Gesetzentwurf heute auf den Weg gebracht.

Außerdem ist vorgesehen, dass bei der Beurteilung von Kinderlärm Grenz- und Richtwerte nicht mehr entsprechend herangezogen werden, die beispielsweise für Industrie- und Sportanlagen gelten. Damit soll faktisch ein Toleranzgebot gegenüber Einrichtungen für Kinder durchgesetzt werden.

Zudem will das Bauministerium die Vorschriften so ändern, dass Kindergärten und Spielplätze auch in reinen Wohngebieten generell zulässig sind, soweit sie für die „Gebietsversorgung“ angemessen sind.

Bundesumweltminister Norbert Röttgen betrachtet die Initiative als „wichtiges gesetzgeberisches Signal für eine kinderfreundliche Gesellschaft“.

Die Bedeutung von „schlechthin“

Der Wettbewerb auf dem Anwaltsmarkt ist, dem Vernehmen nach, hart. Da muss man sich was einfallen lassen. Zum Beispiel einen schönen, nachts sogar erleuchteten Schriftzug am Kanzleisitz. So was wie

Das Haus der Anwälte.

Klingt nicht übel, dachte sich wohl eine Kanzlei mit zwei Anwälten im Gerichtsbezirk Osnabrück. Ein dritter Jurist sollte zum Jahresende ebenfalls in das „Haus der Anwälte“ ziehen. Vorher hatte er in der größten Kanzlei am Ort gearbeitet, die acht Anwälte beschäftigt. Seine bisherigen Kollegen tragen ihm den Wechsel womöglich etwas nach. Denn sie suchten gleich mal Streit mit dem „Haus der Anwälte“. Sie mahnten ihre Kollegen ab und bekamen jetzt recht.

Das Landgericht Osnabrück hält den Slogan „Das Haus der Anwälte“ für wettbewerbswidrig, weil er beim Publikum einen falschen Eindruck erwecke:

Die Verwendung des Begriffs … wird von nicht unerheblichen Teilen der Verkehrskreise als Hinweis auf eine bestimmte Vielfalt und Qualität der in diesem Gebäude angebotenen Rechtsberatung verstanden.

Maßgeblich stellt das Gericht auf das im Slogan enthaltenes Wörtchen „Das“ ab:

Wenngleich der bestimmte Artikel in der Inschrift nicht mit einem Superlativ wie „das beste“, „das erste“ oder „das einzige“ oder mit einem anderen Eigenschaftswort empfehlenden Charakters verbunden ist, so schwingt in der Bezeichnung „Das Haus der Anwälte“ doch die Bedeutung von „schlechthin“ mit.

Zwei Anwälte seien für diesen Anspruch aber zu wenig:

Dieser … Erwartung wird die Kanzlei … nicht gerecht. Die Kammer vermag auch nicht zu erkennen, dass sich insoweit durch den Einzug der Einzelkanzlei von Rechtsanwalt Dr. „„„ in das Gebäude etwas Wesenliches ändert.

Ob die siegreiche „Groß“kanzlei jetzt den Slogan an ihrem Büro anbringt, ist nicht bekannt.

Link zur Entscheidung

Kinder werden ja bloß „angehört“

Die Ratinger Polizei hat ermittelt und herausgefunden, wer im Jungenklo einer Grundschule gezündelt hat. Langweilig? Nicht unbedingt, wenn man sich das Vorgehen der Polizei ansieht:

Im Zuge der sofort nach dem Ende der Löscharbeiten begonnenen polizeilichen Ermittlungen zur Brandursache, ergab sich sehr schnell ein konkreter Tatverdacht gegen einen siebenjährigen Schüler aus Ratingen, der als letzter Benutzer der Jungentoilette vor Brandentdeckung gesehen worden war.

Hierzu ist ja noch wenig zu sagen. Über den weiteren Verlauf dagegen schon etwas mehr:

In einer Befragung durch Schulleitung und Polizei verwickelte sich der Junge zunächst in Widersprüche, bevor er die Brandlegung schließlich ohne Nennung eines Motivs einräumte.

Gut, kann man sagen, sollen sie das Kind ruhig in die Mangel nehmen. Er ist noch keine 14 Jahre alt und damit strafunmündig. Deshalb wird das Verfahren sowieso eingestellt. Wegen seiner Strafunmündigkeit gilt der Jugendliche formal auch nicht als Beschuldigter, weshalb er – streng genommen – nicht über die Rechte eines Beschuldigten belehrt werden muss. Zu diesen Recht gehört etwa das umfassende Schweigerecht und die Möglichkeit, einen Anwalt zu konsultieren.

Kurz gesagt: Man kann dem Jungen nichts, deshalb hat er auch keine strafprozessualen Möglichkeiten.

Was mich aber nachdenklich stimmt, ist folgender Satz:

Der siebenjährige Grundschüler wurde nach seiner Anhörung an die Mutter übergeben, welche man dabei über die polizeilichen Ermittlungsergebnisse aufklärte.

Entweder ist niemand auf den Gedanken gekommen, dass man einen Siebenjährigen zu solchen Dingen vielleicht besser in Anwesenheit eines Erziehungsberechtigten befragt. Vor allem, wenn es um Widersprüche geht. Und um Geständnisse, die noch nicht mal die Angabe eines Motivs enthalten. Oder man hat daran gedacht, es aber im Interesse eines schnellen Erfolges aus „taktischen“ Gründen sein gelassen.

Ich tippe auf letzteres. Polizeibeamte neigen nach meiner Erfahrung dazu, Eltern außen vor zu lassen. Es gibt zwar Regeln in den Polizeidienstverordnungen, die eine möglichst frühe Information an die Eltern Minderjähriger vorsehen. Aber die Vorschriften sind von Land zu Land unterschiedlich. Vor allem aber haben sie keine Außenwirkung, das heißt als Betroffener kann man sich nicht unmittelbar berufen.

Dementsprechend wird immer erst mal gern „angehört“ und das Geständnis niedergeschrieben. Erst dann erfolgt der Anruf bei Mama und Papa. Dem Kindeswohl dürfte so was kaum zuträglich sein. Immerhin empfinden ja selbst Erwachsene die Konfrontation mit der Polizei als Ausnahmesituation.

Es kann überdies kaum richtig sein, dass ein tatverdächtiges Kind formal als Nichtbeschuldigter angehört wird, dann aber noch nicht einmal die Rechte haben soll, die sogar einem Zeugen zustehen – nämlich überhaupt nicht mit der Polizei zu reden.

Es ist auch schwer nachvollziehbar, wieso ein Beschuldigter das Recht auf einen Anwalt hat (und hierüber belehrt werden muss), die Vernehmung eines Kindes aber nicht so lange warten kann, bis zumindest ein Elternteil anwesend ist.

Ich meine deshalb, Kinder sollten grundsätzlich nur mit dem ausdrücklichen Einverständnis ihrer Eltern als Quasi-Beschuldigte „angehört“ werden dürfen. Denn nur die Eltern können absehen und entscheiden, ob es vielleicht nicht sinnvoller ist, einfach gar nichts zu sagen und nach Hause zu gehen.

Kein sittlicher Schaden

Der Einsatzbefehl für die Polizei kam an einem Sonntagmorgen im Hochsommer, es war gegen fünf Uhr:

In der vor Ort befindlichen Parkanlage soll ein Pärchen den Geschlechtsverkehr vollziehen. Der Mitteiler soll das Paar angesprochen haben, allerdings ließen sich die beiden nicht stören.

Bei Eintreffen konnten tatsächlich die beiden Beschuldigten angetroffen werden. Als die beiden erkannten, dass die Polizei eingetroffen war, unterbrachen sie den Akt. Weder der Mitteiler noch sonstige Zeugen waren nach den vollzogenen Maßnahmen noch vor Ort.

Die erwähnte vollzogene Maßnahme ist übrigens nicht das Geturtel im Gras, sondern ein von der Polizei sogleich ausgesprochener Platzverweis. Dabei ließen es die Beamten jedoch nicht bewenden. Sie schrieben eine Anzeige wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses und setzten so ein Ermittlungsverfahren in Gang.

Der zuständige Staatsanwalt und ich diskutierten später über die Auslegung des Paragrafen. Strafbar macht man sich bei Sex in der Öffentlichkeit nämlich nur, wenn man „absichtlich oder wissentlich ein Ärgernis erregt“. Man muss also damit rechnen oder es zumindest in Kauf nehmen, beobachtet (oder vielleicht auch nur gehört) zu werden. Außerdem bedarf es eines Außenstehenden, der sich über die Darbietung ärgert. Wobei der Ärger schon etwas heftiger sein muss.

Schon über den Vorsatz der Mandanten hätte sich streiten lassen. Immerhin lagen sie nicht auf einer Wiese, sondern unter einem Baum. Die Stelle war vom Fußweg auch nicht ohne weiteres einsehbar, denn dazwischen stehen Büsche. In aller Frühe am Sonntagmorgen kann man sich da durchaus alleine fühlen. Zumal die von der Polizei gewählte Bezeichnung „Park“ euphemistisch ist. Es handelt sich um einen breiten, begehbaren Grünstreifen zwischen Wohngebiet und Schnellstraße.

Aber all diese Fragen müssen nicht geklärt werden. Der einzige Zeuge, der wohl gerade seinen Hund Gassi führte, wurde nämlich später noch mal vernommen und gab einige Details zu Protokoll. So will er die Polizei nur gerufen haben, weil er es entfernt für möglich hielt, dass es sich nicht um einvernehmlichen Sex handelte.

Der Anblick sei für ihn auch nicht erbaulich gewesen. Aber:

Einen sittlichen Schaden habe ich dadurch nicht erlitten.

Letztlich waren wir uns also einig, dass es wohl am „Ärgernis“ im Sinne des Gesetzes fehlt. (Und auch darin, dass sich alle Seiten die Hauptverhandlung in Anwesenheit der Boulevardpresse ersparen sollten.)

Verfahren eingestellt. Ich muss jetzt noch eine Rechnung schreiben. Deren Endbetrag liegt deutlich über dem, was ein schönes Hotelzimmer gekostet hätte.

Schema F

Mit Menschen, die den Kopf in den Sand stecken, habe ich oft zu tun. Ein Mandant fällt etwas aus dem Rahmen, denn die Eigenart scheint ihn nur partiell zu betreffen. Aber auch damit hat er sich nun genug Ärger eingehandelt. Dabei lief alles zunächst ganz gut…

Nachdem er Freiheitsstrafen zum Teil abgesessen hatte, durfte mein Mandant in eine Drogentherapie gehen. Die Vollstreckung des Strafrestes wurde erst mal zurückgestellt. Bei erfolgreicher Therapie wäre ihm die Zeit in der Klinik auf die Freiheitsstrafe angerechnet worden. Er hätte nicht ins Gefängnis zurück gemusst.

Die Therapie lief auch Monate gut, nur Ende des Jahres gab es Krach. Mein Mandant ging, die Klinik hielt ihn nicht. Am 3. Januar meldete er sich wieder unter seiner alten Adresse an. Am gleichen Tag saß er schon bei der Drogenberatung. Ziel: Vermittlung eines neuen Therapieplatzes. Drei weitere Gespräche folgten. Auch der Antrag auf Kostenübernahme wurde gestellt.

Normalerweise ist es kein Beinbruch, wenn der erste Therapieversuch nicht klappt. Oft passen Klinikkonzept und Patient nicht zusammen. Überdies wissen auch die Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft, dass echtes Aufhören mitunter einiger Anläufe bedarf. Sehr wahrscheinlich also, dass meinem Mandanten keine Steine in den Weg gelegt worden wären.

Hätte er nur auch mal die Staatsanwaltschaft informiert. Doch dort ging nur die obligatorische Mitteilung der Klinik ein, dass die Therapie abgebrochen wurde. Mangels anderer Informationen lief es dann nach Schema F. Widerruf der Aussetzung. Haftbefehl. Ende letzter Woche wurde mein Mandant nun bei einer Kontrolle erwischt und gleich ins Gefängnis gebracht. Dort erfuhr er dann, dass seine Reststrafe, immerhin fast ein Jahr, bereits im Januar wieder in Kraft gesetzt wurde. Dementsprechend soll er nun wieder direkt zurück in den Strafvollzug.

Mal schauen, ob sich das vermeiden lässt. Mein Mandant hat immerhin Verwandte, die ihrerseits den Kopf nicht in den Sand stecken – und mal wieder für die Anwaltsgebühren gerade stehen.

Guuuuuuuuuuuten Taaaaaaaaaaag

Preisangaben für kostenpflichtige Anrufe müssen nicht nur verständlich, sondern auch kurz sein. Mit dieser Begründung hat das Verwaltungsgericht Köln die Abschaltung der Servicerufnummer 11861 bestätigt. Die Betreiber brauchten 1:47 Minuten, um den Anrufern zu sagen, dass der Anruf knapp zwei Euro pro Minute kostet.

Die Bahn hatte unter der Nummer früher Reiseinformationen gegeben und ins Kundenzentrum durchgestellt. Die Bahn bietet heute jedoch 0180er-Nummern und gab den Anschluss deshalb frei. Zuletzt nutzte ihn ein privater Auskunfts- und Weitervermittlungsdienst. Das Unternehmen soll Anrufer fast zwei Minuten hingehalten haben, bevor es die tatsächlichen Kosten ansagte. Dies beanstandete die Bundesnetzagentur und schaltete den Anschluss ab.

Das Verwaltungsgericht Köln sah ebenfalls den Missbrauch. So eine lange Ansage sei nicht mehr im Sinne des Gesetzes; sie verursache unzulässige Kosten für die Anrufer.

Verwaltungsgericht Köln, Beschluss vom 14. Februar 2011, Aktenzeichen 1 L 1908/10

„Freiwillig“ in Theorie und Praxis

Mit einem Massengentest will die Polizei in Bad Vilbel nach der Mutter eines getöteten Säuglings suchen. Der Hessische Rundfunk berichtet über das vorläufige Ergebnis:

Von insgesamt 1.500 geladenen Frauen gaben an den vergangenen beiden Wochenenden 900 Speichelproben ab. 400 weitere Frauen im Alter von 25 bis 35 Jahren waren nach Angaben der Polizei entschuldigt. 200 erschienen ohne Angabe von Gründen nicht zu der Massenuntersuchung. Sie sollen jetzt von Polizisten aufgesucht und zu ihrem Fernbleiben befragt werden.

So ist das eben – die „Freiwilligkeit“ solcher Tests steht in der Praxis nur noch auf dem Papier.

Zwar ist niemand verpflichtet, auf die Einladung der Polizei zu reagieren und eine Speichelprobe abzugeben. Somit kann es auch keiner der Eingeladenen angekreidet werden, dass sie sich nicht „entschuldigt“ hat. Für was soll sie sich auch entschuldigen? Dass sie von ihren Rechten Gebrauch macht?

Aber nun stehen halt Polizeibeamte vor der Tür und wollen mit den Betroffenen über die Gründe sprechen, warum sie nicht zum Gentest erschienen sind. Die Wahrnehmung eines glasklaren Rechtes, nämlich die Behörden beim Wort (hier: „freiwillig“) zu nehmen, begründet also eine Art Anfangsverdacht.

Was ist, wenn eine Frau nun bei einem Besuch kein Interesse hat, mit den Polizisten zu reden? Oder sie gar herein zu bitten? Was auch wiederum simple Rechte sind, die ihr ohne Frage zustehen. Dann droht mit einiger Sicherheit die nächste Eskalationssstufe. Super angenenehme Rückfragen bei den Nachbarn („Können Sie sich erklären, warum Frau Meyer nicht mit uns sprechen will?“), Recherchen in Datenbanken und am Ende womöglich ein richterlicher Beschluss, mit dem die Speichelprobe im Einzelfall erzwungen wird.

Aber gerade das hat wenigstens einen kleinen Vorteil. Ab diesem Moment ist das Prozedere nämlich nicht mehr so verlogen wie zuvor.

„Sie haben ein Preisausschreiben gemacht“

„Sie haben bei einem Preisausschreiben mitgemacht.“ Das ist nach wie vor einer der Lieblingssätze, mit denen unerbetene Werbeanrufe gerechtfertigt werden. Ein bei einem Gewinnspiel gesetztes Häkchen, wonach man mit Werbeanrufen einverstanden ist, reicht aber nicht aus. Selbst bei einer zusätzlich angeforderten Bestätigung (Double-opt-in) bleiben die Anrufe unzulässig. Dies hat der Bundesgerichtshof jetzt noch einmal klargestellt.

Verklagt worden war die AOK. Sie hatte sich bei Gewinnspielen die Telefonnummern der Teilnehmer geben lassen. Durch Markieren eines Feldes hätten die Teilnehmer sich mit Telefonwerbung einverstanden erklärt. Die AOK will darauf hin noch einmal eine „Check-Mail“ mit einem Bestätigungslink versandt haben, den die Teilnehmer klicken mussten.

Der Bundesgerichtshof stellt zunächst klar, dass nach deutschem Recht alle unaufgeforderten Werbeanrufe unlauter sind, weil sie die Angerufenen unzumutbar belästigen. Der Anrufer müsse eindeutig belegen, dass sich der Angerufene vorher und ausdrücklich mit Werbeanrufen einverstanden erklärt hat.

Das von der AOK verwendete Double-opt-in halten die Richter für „von vornherein“ ungeeignet. Zwar könne bei Vorlage der angeforderten elektronischen Bestätigung angenommen werden, dass die Einwilligung tatsächlich von der angegebenen E-Mail-Adresse stammt. Damit sei aber nicht sichergestellt, dass es sich bei der genannten Telefonnummer tatsächlich um einen Anschluss des Absenders der Bestätigungs-E-Mail handelt.

Fremde Telefonnummern könnten von Dritten sowohl „versehentlich oder vorsätzlich“ eingetragen werden. werden. Das Verfahren stelle somit keineswegs sicher, dass die später angerufene Telefonnummer auch vom tatsächlichen Inhaber des Anschlusses für Werbeanrufe freigegeben wurde. Die Anbieter müssen also über das Double-opt-in hinaus prüfen, ob tatsächlich der Anschlussinhaber sein Einverständnis erklärt. Wie das gehen soll, sagt der Bundesgerichtshof nicht.

Außerdem genügt es nach Auffassung der Richter nie, wenn sich der Anbieter nur generell auf die Einhaltung eines gewissen Verfahrens beruft. Er müsse vielmehr die konkrete
Einverständniserklärung des Angerufenen vorlegen können. Eine Speicherung sei ohne weiteres zumutbar.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 10. Februar 2011 – I ZR 164/09 – Telefonaktion II

Schufa darf Insolvenzdaten speichern

Auch wenn jemand das Insolvenzverfahren durchlaufen und Restschuldbefreiung erhalten hat, muss er bei der Schufa keine „weiße Weste“ haben. Vielmehr darf die Schufa weitere drei Jahre speichern, dass der Betroffene ein erfolgreiches Insolvenzverfahren hinter sich hat. So hat es das Amtsgericht Wiesbaden entschieden.

Der Kläger hatte im Jahr 2009 sein Insolvenzverfahren beendet. Er wollte sich mit seiner Frau ein Haus kaufen. Den hierfür nötigen Kredit lehnte die Bank ab. Sie begründete ihre Ablehnung damit, aus dem Schufa-Eintrag des Klägers ergebe sich die Restschuldbefreiung.

Der Kläger sieht durch die Datensammlung der Schufa den Sinn der Restschuldbefreiung ad absurdum geführt. Er meint, einem redlichen Schuldner wie ihm stehe ein unbelasteter Neuanfang zu. Dieser werde durch den Eintrag verhindert. Die Schufa lehnte die Löschung ab und bekam vom Amtsgericht Wiesbaden recht. Das Gericht verweigerte dem Kläger Prozesskostenhilfe für den geplanten Prozess mit der Bank.

Die Sammlung der Daten hält das Gericht zunächst grundsätzlich für zulässig. Das Bundesdatenschutzgesetz erlaube es, Informationen aus „allgemein zugänglichen Quellen“ zu verarbeiten. Das Insolvenzgericht mache den Beschluss über die Restschuldbefreiung bekannt. Überdies gebe es ein nachvollziehbares Interesse auf der Bankenseite. Die Tatsache eines Insolvenzverfahrens lasse nämlich sehr wohl Rückschlüsse darauf zu, ob ein Kunde kreditwürdig ist oder nicht.

Demgegenüber sei es nicht Ziel der Restschuldbefreiung, dem Schuldner einen kompletten Neuanfang ohne Überprüfung seiner Kreditfähigkeit zu ermöglichen. Letztlich müsse der Betroffene ja auch ehrlich antworten, wenn er persönlich nach einem Insolvenzverfahren gefragt werde. Dies sei nämlich ein Umstand, den ein Kreditsuchender auf Nachfrage nicht verschweigen dürfe.

Amtsgericht Wiesbaden, Beschluss vom 13.01.2011, Aktenzeichen 93 C 107/11