Total unbrauchbare Atteste vom Amtsarzt

Die Geschichte um den haftunfähigen Hausarzt geht weiter. Der Arzt schuldet meinem Mandanten (und anderen Gläubigern) einen stattlichen Betrag. Urteile liegen vor, doch er zahlt nicht. Die Vollstreckung läuft mühsam. Auch deswegen, weil sich die Gerichtsvollzieherin bislang weigerte, den Arzt zu verhaften, bis er die eidesstattliche Versicherung (Offenbarungseid) abgegeben hat.

Das wird nun nicht mehr klappen. Der zuständige Amtsrichter hat nämlich durchschaut, welches Spiel hier mit (Gefälligkeits-)Attesten gespielt wird. Obwohl die Atteste von Amtsärzten stammen, stuft der Richter diese als inhaltsleer und unbrauchbar ein. Deshalb ordnet er nun auch an, dass der Schuldner endlich zu verhaften ist. Der Verhaftung kann der Schuldner einfach entgehen, indem er die eidesstattliche Versicherung abgibt.

Der Beschluss des Amtsgerichts fasst die Geschichte schön und geradezu unterhaltsam zusammen. Hier deshalb die wichtigsten Passagen:

Gegen den Schuldner, der eine – dies ist gerichtsbekannt – ärztliche Praxis in S. betreibt, wurde am 10.08.2009 Haftbefehl erlassen, da er im Termin zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nach § 807 ZPO unentschuldigt nicht erschienen war. Der Haftbefehl dient einzig dazu, die Vorlage eines Vermögensverzeichnisses und die Abgabe der eidessattlichen Versicherung zu erzwingen.

Auf den Verhaftungsauftrag des Gläubigers hat die Gerichtsvollzieherin es mit
Verweis auf die mit amtsärztlichen Attesten des Herrn Dr. C. vom 26.09.2007
sowie der Frau Dr. K. vom 26.08.2009 angenommenen Haftunfähigkeit
des Schuldners unterlassen, den Schuldner zu verhaften.

Gegen die Weigerung der Verhaftung richtet sich der Gläubiger mit seiner Erinnerung vom 30.10.2009. Die Erinnerung des Gläubigers ist zulässig und begründet. Die Verhaftung des Schuldners wurde zu Unrecht nach § 906 ZPO mit Verweis auf die benannten amtsärztlichen Atteste verweigert.

Voraussetzung für einen Haftaufschub nach § 906 ZPO ist eine nahe und erhebliche
Gefahr für die Gesundheit des Schuldners. Da der Schuldner durch Abgabe der
Versicherung die Haft jederzeit vermeiden bzw. beenden kann, ist bei der Beurteilung, ob die Voraussetzungen erfüllt sind, ein strenger Maßstab anzulegen. Weniger strenge Maßstäbe sind nur dann anzulegen, wenn die Haftunfähigkeit aufgrund anderer Umstände, etwa des hohen Alters des Schuldners, ohnehin nahe liegt. Andererseits sind umso strengere Maßstäbe anzulegen, je mehr objektive Anzeichen gegen eine Gesundheitsgefährdung sprechen. …

Die bisher vorliegenden amtsärztlichen Atteste des Herrn Dr. C. vom
26.09.2007 sowie der Frau Dr. K. vom 26.08.2009 sind nicht hinreichend, um
den Nachweis einer erheblichen Gesundheitsgefährdung zu erbringen. Diese
Atteste sind so inhaltsarm und aus sich heraus nicht nachprüfbar, dass sie zum
Nachweis einer Haftunfähigkeit ungeeignet sind. Zwar handelt es sich vorliegend
um amtsärztliche Atteste, deren Inhalt und Schlussfolgerungen regelmäßig
besonderes Gewicht beizumessen ist. Jedoch muss auch ein solches
amtsärztliches Attest – wie jedes andere Attest auch – inhaltlich so konkret und
nachvollziehbar begründen, weswegen und in welcher Art Gesundheitsschäden für den Schuldner zu erwarten sind.

Diesen Maßstäben genügen vorliegenden Atteste nicht ansatzweise. Es wurden weder Diagnosen einer bestehenden Erkrankung noch die zu befürchtenden Auswirkungen einer Verhaftung des Schuldners dargetan. Demnach sind die in den ärztlichen Zeugnissen getroffenen Schlussfolgerungen, der Schuldner sei haftunfähig, in keiner Weise überprüf- oder nachvollziehbar. Weshalb die Gesundheit des Schuldners gerade aufgrund einer Inhaftierung einer nahen und erheblichen Gefahr ausgesetzt würde, erschließt sich auf der Grundlage der Atteste nicht. …

Ob allerdings bei einer ärztlichen Bescheinigung von einer Qualität, wie der
vorliegenden, weitere Prüfungen der Gerichtsvollzieherin geboten sind, erscheint
bereits grundsätzlich zweifelhaft. Diese Zweifel sind hier insbesondere deshalb
besonders gravierend, weil der attestierende Arzt Dr. C. ausweislich seines
Zeugnisses vom 26.09.2007 eine Interessenabwägung vorgenommen hat, die
nicht in seinen Kompetenzbereich fällt. Dies geht aus der Formulierung „…mit Gesundheitsschäden zu rechnen, die außerhalb des Haftzweckes liegen…“ hervor.

Weiterhin ist zu beachten, dass der Schuldner als Arzt tatsächlich und regelmäßig praktiziert. Dies indiziert zunächst eine körperliche und geistige Belastbarkeit, welche der Annahme einer auf gesundheitlichen Gründen beruhenden Haftunfähigkeit entgegensteht.

(AG Schwerte, Beschluss vom 8. Februar 2010, 6 M 0487/09)