Die automatische Fluchtgefahr

„Allein der Umstand, dass der Beschuldigte einen Wohnsitz im Ausland hat, vermag die Fluchtgefahr noch nicht zu begründen. Vielmehr bedarf es darüber hinaus eines erkennbaren Verhaltens des Beschuldigten, den Fortgang des Verfahrens durch Nichtbeachtung oder nicht Folgeleisten von Ladungen oder Vollstreckungsmaßnahmen zu behindern.“

Oberlandesgericht Köln, Beschluss vom 16. Juli 2004, Aktenzeichen 2 Ws 351,352/04.

Schon an dieser schlichten Feststellung kann man ersehen: Schweizer Staatsbürgerschaft und Wohnsitz in der Schweiz bedeuten nicht automatisch Fluchtgefahr. Im Fall eines vor Tagen verhafteten Fernsehmoderators spielt diese Frage derzeit wohl eine entscheidende Rolle.

Da ein Ausländer nichts dafür kann, dass er Ausländer ist und im Ausland wohnt, benötigt man also tatsächliche Umstände, die darauf schließen lassen, dass er sich dem Verfahren entzieht oder entziehen will. Im besagten Fall ist bislang lediglich bekannt, dass der Fernsehmoderator von einer mehrwöchigen Auslandsreise nach Kanada ausgerechnet via Frankfurt zurückgeflogen ist und wohl auch Sendetermine in Deutschland hatte.

Wenn man mal unterstellt, er hat eine Straftat begangen (und konnte aufgrund seines zweifellos vorhandenen Intellekts zumindest mit einer Strafanzeige rechnen), spricht so ein Verhalten zunächst nicht für, sondern sogar gegen eine Fluchtgefahr. Denn der Betreffende hätte sicher auch in sein Heimatland zurückgelangen können, ohne Deutschland oder die EU zu betreten.

Auch was über seine persönlichen Umstände bekannt ist, spricht nicht unbedingt dafür, dass er die Sache bis zum Ablauf der Verjährungsfrist in der Schweiz aussitzen und nie mehr in den gesamten (!) EU-Raum zurückkehren würde. Überdies besteht auch die Möglichkeit, einen Schweizer in der Schweiz wegen einer in Deutschland begangenen Straftat zu verfolgen. Der Betreffende könnte sich in seinem Heimatland also auch nicht allzu sicher fühlen. Weiter ist Deutschland offensichtlich eines seiner wichtigsten Berufsfelder. Außerdem wäre er im Falle einer „Flucht“ als Fernsehmoderator und Geschäftspartner ebenso ruiniert gewesen, wie er es jetzt durch die Untersuchungshaft wohl schon ist.

Die engen beruflichen Verflechtungen des Betreffenden mit Deutschland sprechen im Ergebnis also eher dagegen, dass er sich einem Prozess in Deutschland entziehen würde.

Dagegen spricht auch, dass nach den bisher bekannten Umständen Aussage gegen Aussage steht. Das ist bei Sexualstraftaten normal. Aber es gibt auch keinen Erfahrungssatz, dass jede angezeigte Vergewaltigung auch tatsächlich stattgefunden hat. Oder zu einer Strafe führt, die so hoch ist, dass ein vernünftiger Mensch sich dafür auf die Flucht begibt. Insofern kann und darf sich der Betreffende also auch Chancen ausrechnen, dass sich die Vorwürfe gegen ihn als haltlos erweisen, er jedenfalls nicht überführt werden kann oder er mit einer nicht so hohen Strafe davonkommt.

Aus den bislang bekannten Umständen ergibt sich also keine nachvollziehbare Fluchtgefahr. Eher im Gegenteil. Bleibt für den zuständigen Staatsanwalt und den verantwortlichen Ermittlungsrichter nur zu hoffen, dass sie einige Asse im Ärmel haben. Sonst könnte sich der Vorwurf der Vorweghinrichtung eines weiteren Prominenten mittels eines überzogenen Haftbefehl bestätigen. Mich würde es allerdings nicht wundern, wenn es genau so kommt.