Die Abmahnspiele gehen weiter

Der Bundesgerichtshof legt für ein wichtiges Urteil, das er vor einigen Wochen verkündet hat, nun die Begründung vor. Die Entscheidung betrifft jeden, der ein privates WLAN betreibt und wissen will, wie er haftet, wenn über das WLAN urheberrechtlich geschützte Musik und Filme getauscht werden.

Zunächst birgt das Urteil eine Überraschung. Die Pressemitteilung, auf der die gesamte Berichterstattung aufbaute, hatte ausdrücklich davon gesprochen, Anwälte dürften höchstens 100 Euro für die Abmahnung berechnen. Das entspricht zwar der neuen Rechtslage. Aber viele Gerichte kickten diese Kostenbegrenzung mit der Begründung, es handele sich nicht um einen einfach gelagerten Fall. Beim Tausch aktueller Titel werde außerdem immer „geschäftsmäßig“ gehandelt.

Die Pressemitteilung scheint mir mittlerweile übrigens geändert worden zu sein. Zwar findet sich dort weiter der Hinweis auf die 100-Euro-Grenze; diese neue Regelung sei, so heißt es jetzt, im entschiedenen Fall aber noch nicht in Kraft gewesen.

In der Urteilsbegründung findet sich zur Höhe der Abmahnkosten jedenfalls nichts Grundsätzliches. Der Bundesgerichtshof erwähnt lediglich, die unteren Instanzen müssten prüfen, ob der Streitwert von 10.000 Euro für einen Song wirklich angemessen ist. Leitlinien für die Prüfung geben die Richter nicht.

Es wird also vorerst dabei bleiben, dass die Abmahnindustrie exorbitante Streitwerte ansetzt und damit die Anwalts- und Gerichtskosten in die Höhe treibt. Jedenfalls bei jenen Gerichten, die sich nicht darum scheren, welches Anliegen der Gesetzgeber mit der Deckelung der Abmahnkosten verfolgte.

Etwas deutlicher wird der Bundesgerichtshof bei anderen wichtigen Punkten:

Im entschiedenen Fall hatte ein unbekannter Dritter über das WLAN des Beklagten das Lied „Sommer unseres Lebens“ in eine Tauschbörse gestellt. Das hatten angeblich Firmen festgestellt, die im Auftrag der Klägerin das Internet „überwachen“. Dass IP-Adresse, Uhrzeit und Dateiinhalt korrekt festgehalten wurden, zieht der Bundesgerichtshof nicht in Zweifel.

Das Gericht glaubt also an die Angaben, mit denen Filesharing-Sünder festgenagelt werden. Dieser Glaube kann aber auch seine Ursache darin haben, dass der Beklagte die Zuverlässigkeit der Ermittlungen nicht oder nicht ausreichend bestritten hat. Dann kann das Gericht den Vortrag der Klägerin als richtig unterstellen.

Allerdings hatte der Beklagte keinen Zugriff auf sein – durch Passwort gesichertes – WLAN, weil er zum fraglichen Zeitpunkt im Urlaub war. Für das Gericht steht jedenfalls fest, dass er den Song nicht selbst getauscht hat. Die Frage war nun, ob er trotzdem für den Missbrauch seines WLAN einzustehen hat und Schadensersatz zahlen muss.

Den Schadensersatzanspruch, also Verdienstausfall für die Plattenfirma, verneint der Bundesgerichtshof. Aber nur deswegen, weil der Beklagte sein WLAN durch Passwort und Verschlüsselung gesichert hatte. Die Vorgabe hierzu ist recht deutlich: Wer ein WLAN installiert, muss es mit der besten Methode verschlüsseln, die dem Normalkunden zum Zeitpunkt der Einrichtung zur Verfügung steht. Heute wäre das wohl WPA2.

Dagegen gibt es keine Pflicht, diese Verschlüsselung auf dem neuesten Stand zu halten:

Es belastete die Verwender dieser Technologie unzumutbar und damit unverhältnismäßig, wenn sie ihre Netzwerksicherheit fortlaufend dem neuesten Stand der Technik anpassen und dafür entsprechende finanzielle Mittel aufwenden müssten.

Der Beklagte war mit seinem (im Jahr 2006) WPA-verschlüsselten WLAN jedenfalls so gut im Rennen, dass er für die Richter lediglich „Störer“ und nicht „Täter“ war. Somit haftet er zwar Unterlassung für die Zukunft, aber nicht auf Schadensersatz für bereits geschehene Urheberrechtsverletzungen.

Der lapidare Hinweis „Ich bin es nicht gewesen, beweist mir das Gegenteil“ wird künftig aber nicht mehr reichen. Die Richter legen ausdrücklich fest, dass der WLAN-Betreiber im Detail erklären muss, warum er es nicht gewesen ist. Der Hinweis auf Familienangehörige oder Besucher wird da kaum noch ausreichend sein, sofern nicht klipp und klar gesagt wird, wer am fraglichen Tag Zugriff aufs WLAN hatte. Das Urlaubs- oder Dienstreise-Argument dürfte in diesem Zusammenhang wesentlich zukräftiger sein. Gut also für Betroffene, die sich zum Zeitpunkt der Tat möglichst weit weg von ihrem WLAN befanden. Ein Grund mehr, Bahnfahrkarten, Tankquittungen und Flugtickets aufzubewahren.

Kann der Beklagte jedoch dem Gericht glaubhaft machen, dass jedenfalls er es nicht gewesen ist, haftet er höchstens auf die Abmahnkosten. Außerdem muss er eine Unterlassungserklärung unterschreiben und sich verpflichten, im Falle künftiger Urheberrechtsverletzungen eine Vertragsstrafe an den Abmahner zu zahlen.

Im Ergebnis ändert sich also nicht besonders viel. Für die Abmahnindustrie hat sich die Hoffnung zerschlagen, jeder WLAN-Betreiber hafte automatisch für alle Daten, die durch sein Netzwerk rauschen. WLAN-Betreiber müssen ihre Netze dagegen leidlich verschlüsseln. Wobei es, dank der ja seit dem Rückzug der Strafjustiz aus diese Metier nicht mehr stattfindenden Hausdurchsuchungen, kaum kontrollierbar sein wird, ob das WLAN tatsächlich gesichert war.

Außerdem muss der WLAN-Betreiber einige nachvollziehbare Dinge dazu sagen, warum er als Urheberrechtsverletzer nicht in Frage kommt. Das ist machbar.

Traurig am Urteil ist, dass es dem Geschäftsmodell Massenabmahnung nicht den Boden entzieht. Aber auch für Abgemahnte ist die Entscheidung keine Katastrophe. Für sie stehen die Chancen nach wie vor gut, aus der Sache rauszukommen – ohne der Gegenseite Geld in den Rachen zu werfen.