Durchsuchung – der bequeme Weg

Die Hausdurchsuchung verlief wie üblich. Morgens um halb sieben standen Polizisten vor der Wohnung meines Mandanten und präsentierten einen Gerichtsbeschluss. Nach Konzertkarten und/oder Schriftverkehr im Zusammenhang mit einer Kartenbestellung sollten sie suchen, außerdem nach Hinweisen auf gefälschte Überweisungen.

Mein Mandant verstand nur Bahnhof. Auch der Text der richterlichen Anordnung machte ihn nicht wesentlich schlauer. Jemand, so hieß es im Beschluss, habe unter falschem Namen Konzertkarten für fast 500 Euro bestellt. Bezahlt worden sei mit gefälschter Überweisung von einem fremden Konto. Die Karten seien an eine Frau Bremm geliefert worden, selbe Adresse wie mein Mandant. Ein Herr Fiedler habe die Karten angenommen. Mein Mandant heißt Fiedler…

Herr Fiedler beteuerte natürlich, dass er niemals eine Sendung für eine Frau Bremm angenommen habe. Die Polizeibeamten sagten, sie machten nur ihren Job. Nachdem sie die Wohnung auf den Kopf gestellt hatten, traten sie den geordneten Rückzug an. „Es wurde kein beweiserhebliches Material gefunden“, notierte der Ermittlungsführer in seinem Bericht.

Bei mir hinterließ die Geschichte auch erst Fragezeichen. Bis ich als Verteidiger die Ermittlungsakte zu sehen bekam. Die Fragezeichen verwandelten sich in Ausrufezeichen und eine gewisse Empörung. Wieder mal darüber, wie leichtfertig heutzutage Wohnungsdurchsuchungen angeordnet werden.

Für den Ermittlungsrichter stellte sich der Sachverhalt so dar:

Jemand hatte mit einer gefälschten Überweisung ein fremdes Konto geplündert, um die unter dem Namen Bremm online bestellten Karten zu bezahlen. Die Ticketfirma verschickte die Karten als Paket. Der Paketbote händigte sie, obwohl an Frau Bremm adressiert, einer Person aus, die sich Fiedler nannte. Das ergab sich aus dem Trackingbeleg von DHL, den die Polizei von der Ticketfirma erhalten hatte.

Die Polizei ermittelte zunächst vor Ort. Dabei stellte sie fest, dass es im Haus einen Briefkasten gab, der mit Bremm beschriftet war. In dem Briefkasten fanden die Polizisten Post aus mehreren Monaten. Darunter auch einige Bestellbesätigungen. Nach ihrer Meinung hatte der Betrüger den „toten“ Briefkasten längst aufgegeben.

Nur weil als Empfänger Herr Fiedler genannt war, erließ der Richter den Durchsuchungsbeschluss. Weder er, der Staatsanwalt oder ein Polizeibeamter kamen auf die Idee, vielleicht mal vorher bei DHL anzufragen, wie denn die beim Zusteller hinterlassene Unterschrift aussieht. Oder ob der Zusteller sich vielleicht sogar den Ausweis hat zeigen lassen (was ja normalerweise nicht passiert).

Ebenso wenig machte sich jemand Gedanken darüber, wieso ein Betrüger, der in einem Haus einen toten Briefkasten unterhält, ausgerechnet gegenüber dem Paketzusteller seinen richtigen Namen nennen sollte. Läge es nicht sogar sehr nahe, dass der Täter, der mit der Zustellung der Karten rechnet, sich im Haus aufhält, sich als „Nachbar“ ausgibt und die Karten für die leider abwesende Frau Bremm entgegennimmt, damit der Zusteller nicht vielleicht noch mal kommen muss? Dass der Täter den Namen eines Nachbarn nennt, bietet sich ja schon deshalb an, weil der Zusteller skeptisch werden dürfte, wenn er einen Namen aufschreiben soll, der auf keinem der (anderen) Briefkästen steht.

Außerdem spricht ein weiteres Indiz dagegen, dass Hausbewohner Fiedler der Täter ist. Der Briefkasten Bremm war monatelang nicht geleert worden, die darin vorhandene Post ungeöffnet. Ist das wahrscheinlich, wenn der Täter im Haus gleichen Haus wohnt und sozusagen einen „Zweitbriefkasten“ betreibt?

Ich meine, der Durchsuchungsbeschluss hätte nie erlassen werden dürfen. Die Durchsuchung diente nämlich erst dazu, überhaupt einen Verdacht gegen meinen Mandanten begründen zu können. Vorher gab es keinen Verdacht, weil eigentlich schon alle Umstände gegen meinen Mandanten als Täter sprachen. Es war also eine Durchsuchung ins Blaue hinein, die auf Spekulation und Mutmaßung beruhte, auf reichlich verquerer Spekulation und Mutmaßung überdies.

Jedenfalls hätten erst mal die anderen Ermittlungsansätze ausgeschöpft werden müssen. Ein Blick auf die bei DHL hinterlegten Daten, insbesondere die Unterschrift, hätte sicher nicht geschadet. Außerdem hätte der Paketbote befragt werden können, ob er sich daran erinnert, wer das Paket entgegengenommen hat. Ob die Person vielleicht schon unten an den Briefkästen stand. Oder ob es wirklich jemand war, der die Haustür an der Wohnung Fiedler öffnete.

Nichts davon ist passiert, weil eine Durchsuchung ja so bequem und einfach ist. Dass damit mal wieder die Grundrechte eines unbescholtenen Bürgers auf der Strecke blieben – wen interessiert’s in der Justiz?