Beamtete Steinewerfer?

„Ich weiß, dass wir bei brisanten Großdemos verdeckt agierende Beamte, die als taktische Provokateure, als vermummte Steinewerfer fungieren, unter die Demonstranten schleusen. Sie werfen auf Befehl Steine oder Flaschen in Richtung der Polizei, damit die dann mit der Räumung beginnen kann.“

So zitiert das Hamburger Abendblatt einen Polizisten, der bei den Stuttgarter Auseinandersetzungen dabei war. Die Äußerung ist Teil einer Geschichte, in der mehrere Beamte, teiweise anonym, zu Wort kommen. Alle äußern sich kritisch über die Vorkommnisse in Stuttgart und die Situation bei der Polizei.

Bei Aussagen wie dieser bleibt nur die Hoffnung, der Polizist flunkert aus persönlicher Verärgerung. Oder die journalistische Sorgfalt trat hinter das Verlangen nach einer möglichst knackigen Formulierung zurück.

Stimmt es dagegen, stellt sich die Frage: Wer ordnet so was an und bis in welche Etage der Entscheidungshierarchie wird es gedeckt? Fast noch wichtiger wäre aber eine Antwort darauf, wieso nicht direkt beteiligte Polizeibeamte von solchen Praktiken wissen und trotzdem nicht dagegen aufstehen. Das sollte man von Staatsbürgern in Uniform durchaus verlangen dürfen.

Wenn die Angst und der Druck in den eigenen Reihen, möglicherweise aber auch die Abstumpfung für eine Unterscheidung von Recht und Unrecht, tatsächlich so groß sein sollten, dass sich selbst bei solchen Sachverhalten keine Aufrechten mehr finden, dann ist viel mehr verloren als ich bisher vermutete.

Aber noch bleibt ja die Hoffnung, dass alles so nicht stimmt.

(Der Artikel im Abendblatt ist über Google (Suche: „Wir werden von der Politik verheizt“ – Polizisten erzählen“) aufrufbar, steht aber ansonsten hinter einer Paywall. Deshalb ein alternativer Link zur taz.)

Links 559

GEZ-Eintreibern darf Hausverbot erteilt werden

Warum die Deutschen aufmüpfig werden

„Es macht offensichtlich keinen Sinn, immer wieder identische redundante Informationen zu produzieren“

Wieso der Fortschritt Winnetou wenig gebracht hat

Gefängnis Plötzensee: Ein Drittel sitzt wegen Schwarzfahrens

Playstation: Sony mahnt Besteller von USB-Adaptern ab

Cyber-Grooming: Juristen gegen härtere Strafen

Karriere mit Kopftuch

„Wie die meisten Christen sparen sich auch viele Muslime ihre Gebete für unruhige Flüge und Elfmeterschießen auf“

Ausreichende Rechtsgrundlage

Manche Polizisten akzeptieren es einfach nicht, wenn ein Beschuldigter von seinen Rechten Gebrauch macht. Zum Beispiel dem Recht, nicht mit der Polizei zu reden. Oder gar dem Recht, Vorladungen ohne Begründung keine Folge zu leisten. Da wird dann schon mal mehrmals täglich angerufen, an der Haustür geklingelt oder gemailt („bitte rufen Sie mich dringend zurück“).

Ein Mandant reagierte hierauf nun so:

Da ich keinen Grund sehe, mit Ihnen Gespräche zu führen, werde ich Sie auch nicht zurückrufen. Ich fühle mich mittlerweile erheblich von Ihnen belästigt. Deshalb fordere ich Sie auf, mich nicht mehr anzurufen. Weitere Versuche werde ich sofort abbrechen.

Sollten Sie eine ausreichende Rechtsgrundlage für eine Vorladung finden, der ich Folge zu leisten habe, bitte ich Sie diese schriftlich zu senden.

Klingt harsch, ist aber der Vorgeschichte, einer Art vom Steuerzahler bezahlten Stalkings, durchaus angemessen.

Kachelmanns Richter knicken ein

Im Prozess gegen Jörg Kachelmann hat sich das Gericht eines Besseren besonnen. Die Hauptzeugin, die der Fernsehmoderator vergewaltigt haben soll, wurde heute vor ihrer Vernehmung doch über ihr Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 Strafprozessordnung belehrt. Das berichte die Welt.

Zunächst hatte es das Gericht nicht für nötig gehalten, die Frau zu belehren, dass sie nicht auf Fragen antworten muss, wenn sie damit Gefahr läuft, sich selbst zu belasten. Und das, obwohl es in der Strafvorschrift recht unmissverständlich heißt:

Der Zeuge ist über sein Recht zur Verweigerung der Auskunft zu belehren.

Als das Gericht die Zeugin nicht von sich aus belehrte, beantragten die Verteidiger Kachelmanns die Belehrung. Weil das Gericht dies selbst dann noch für unnötig hielt, lehnte Kachelmann die Mannheimer Strafkammer als befangen ab.

An dem Befangenheitsantrag hält Kachelmann auch weiter fest. Die Welt zitiert seinen Verteidiger Reinhard Birkenstock:

Der Umstand, dass das Gericht unter dem Druck des Befangenheitsverfahrens das jetzt tut, was es schon am vergangenen Mittwoch hätte tun müssen, gibt keinen Grund, die Einschätzung zu ändern.

Das ist nachvollziehbar. Der nunmehrige Rückzieher lässt die Besorgnis der Befangenheit sogar noch etwas deutlicher erscheinen. Zumal der Vorsitzende Richter nach anderen Medienberichten heute sogar nachgeschoben hat, eigentlich habe man die Belehrung ja sowieso geplant – aber erst vor dem Teil der Aussage, in dem die Frau zum angeblichen Tathergang aussagt. Allerdings erfolgte die Belehrung heute dann doch schon, bevor die Frau überhaupt etwas aussagte.

Ich glaube nicht an ein Missverständnis. Sondern eher daran, dass die Richter in den letzten Tagen erkannt haben, dass ihre Voreingenommenheit mit den Belehrungsspielchen endgültig dokumentiert ist. Deshalb dürfte es sich bei den heutigen Beschwichtigungen um den Versuch handeln zu retten, was zu retten ist. Bereits letzte Woche hatte ich mich ja darauf festgelegt, dass dieser Befangenheitsantrag den Prozess platzen lassen wird.

Wappendisclaimer

Die Staatsanwaltschaft Flensburg hat, wie für Landesbehörden üblich, im Briefkopf das Wappen Schleswig-Holsteins. Auf dem justizüblichen Umweltpapier und mit dem Laserdruck vom Arbeitsplatzgerät wirken weder das Nesselblatt noch die nach innen gewandten, bewehrten, übereinander schreitenden Löwen sonderlich imposant.

Trotz des optisch eher dürftigen Vorbilds scheint die Staatsanwaltschaft schlechte Erfahrungen mit Wappendieben gemacht zu haben. Denn wo im Fuß des Briefbogens sonst Hinweise auf Buslinien oder Parkplätze zu finden sind, steht in der Flensburger Behördenpost ein Wappendisclaimer:

Das Landeswappen ist gesetzlich geschützt.

Diesen doch sehr originellen, mir bislang völlig unbekannten Hinweis konnte ich nicht ungegoogelt lassen. Ich stieß schnell auf die Landesverordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Hoheitszeichen des Landes Schleswig-Holstein (Hoheitszeichenverordnung – HoheitsVO) vom 10. Dezember 2009. Diese legt fest, dass die Verwendung des Landeswappens genehmigt werden muss, sofern sie nicht künstlerischen, kunstgewerblichen oder heraldisch-wissenschaftlichen Zwecken sowie für Zwecken des Unterrichts und der staatsbürgerlichen Bildung dient.

Wieder was gelernt.

Taxifahrer müssen keine Karten akzeptieren

Es gibt keine gesetzliche Pflicht für Taxifahrer, ihren Kunden bargeldlose Zahlung zu ermöglichen. Mit dieser Begründung sprach das Oberlandesgericht Hamburg einen Taxifahrer frei. Der Fahrer hatte am Flughafen eine Reisende nicht mitgenommen, die nur mit Karte zahlen wollte.

Zwar sind am Hamburger Flughafen nur noch Taxen zugelassen, die ihren Kunden bargeldlose Zahlung ermöglichen. Im entschiedenen Fall war das Lesegerät im Taxi aber kaputt; der Taxifahrer war aber trotzdem am Terminal vorgefahren.

Das Amtsgericht hatte die Sache noch anders gesehen und dem Taxifahrer eine Geldbuße von 150 Euro auferlegt. Zu Unrecht, befanden die Richter am Oberlandesgericht. Weder im Personenbeförderungsgesetz noch in anderen Vorschriften gebe es eine Pflicht für Taxifahrer, Kredit- und EC-Karten anzunehmen. Die Regelung mit dem Hamburger Flughafen sei weder ein Gesetz noch eine Verordnung. Wegen des Grundsatzes „Keine Strafe ohne Gesetz“ könne ein Bußgeld auf die Regeln des Flughafens nicht gestützt werden.

Interessant am Rande: Lehnt ein Taxifahrer die Fahrt aus anderen Gründen ab, hält das Oberlandesgericht Hamburg eine Regelbuße von 300,00 Euro durchaus für angemessen. Zu diesen Fällen gehört insbesondere, dass dem Fahrer das Ziel zu nahe ist.

OLG Hamburg, Beschluss vom 26. August 2010, 2 – 32/10 (RB)

Links 558

German leader tells immigrants to fit in

‚Merkel: Multiculturalism in Germany has utterly failed‘

Merkel: Multiculturele samenleving is volkomen mislukt

ميركل: النموذج المتعدد الثقافات في المانيا „فشل تماما

Le modèle multiculturel a échoué, dit Merkel

Multicultural Germany turning against Muslims

Merkel asegura que la Alemania multicultural ha fracasado

Xenophobia Is The New Superpower Heroin(e)

Multiculturalism not a happy policy in Germany

Hindus tell Germany & Angela Merkel not to stigmatize entire community of “outsiders”

Merkel says non-German speakers are „not welcome“

Merkel’den tarihi itiraf

Speak German or leave

Nurse, Pastor, Father, Husband: Germany and multi-culturalism

The penny has dropped in Germany

Does multiculturalism work?

Maligning Multiculturalism in Middle Europe

Volksverhetzung wird alltagstauglich

Man könnte sich fragen, ob man es nicht besser so macht wie in Amerika. Lasst die Leute reden, skandieren und (ins Internet) schreiben, was sie wollen. Denn die Meinungsfreiheit ist uns so wichtig, dass wir lieber die böswilligste Äußerung tolerieren – anstatt sie durch Strafverfolgung aufzuwerten und dabei im schlimmsten Fall noch Märtyrer zu schaffen.

Dahinter steckt auch das Bild des mündigen, aufgeklärten Bürgers. Der sollte nun mal in der Lage sein, die übelsten Beleidigungen und politische Hetze zu erkennen. Strafrechtlich verfolgen lassen sich ohnehin nur die krassesten, offensichtlichsten Ausfälle. Jedenfalls so lange man es mit der Gedanken- und Meinungsfreiheit ansonsten einigermaßen ernst nimmt.

Wir gehen den anderen Weg. Nicht nur, aber insbesondere dank des Volksverhetzungsparagrafen existieren bei uns Gedankenverbrechen. Wer zum Beispiel, um den häufigsten Anwendungsfall der Vorschrift zu nennen, der Meinung ist, der Holocaust habe nicht oder nicht im Maße stattgefunden, wie es einmütig von Historikern dargestellt wird, und dies öffentlich kundtut, macht sich wegen Volksverhetzung strafbar.

Die deutschen Gerichte haben natürlich erkannt, dass gerade die Interpretation historischer Quellen eigentlich ein typischer Fall der Meinungsfreiheit ist. Sie haben sich deshalb dafür entschieden, den Holocaust zur feststehenden historischen Tatsache zu erklären. Ihn zu leugnen oder zu relativieren ist demnach keine Meinung, sondern eine falsche Tatsachenbehauptung – womit man die Sache leichter als Angriff gegen die Menschenwürde der Betroffenen werten und als Volksverhetzung einordnen kann.

In Bezug auf den Holocaust mag das Konstrukt halten, weil die Tatsache dieses historischen Ereignisses nun mal – aus gutem Grund – Konsens ist. Aber das Gefühl, es treffe schon die richtigen, ändert nichts daran wie fragil die Behelfsbrücke mit der historischen Tatsache ist. Man braucht nur platte, aber ebenfalls unbestrittene Wahrheiten aus der Vergangenheit heranzuziehen:

– Die Erde war mal eindeutig eine Scheibe und alle Planeten drehten sich um die Erde.

– Frauen waren so minderbemittelt, dass man sie nicht wählen lassen konnte.

Das entsprach dem damaligen Weltbild, und dieses Weltbild wurde auch geprägt von den Wissenschaftlern und Experten der jeweiligen Zeit. Diese Generationen waren übrigens wie wir der Meinung, sie lebten in der modernsten Moderne, die überhaupt denkbar ist. Demnach könne der Erkenntnisgewinn ihrer Nachkommen nur noch marginal sein. Sie wären überrascht gewesen. Wir wären es auch.

Schon vom Ausgangspunkt her ist der Volksverhetzungsparagraf also eine Bedrohung für die Meinungsfreiheit. Das fordert wenigstens Vorsicht. Denn Konsens dürfte auch sein, dass die Meinungsfreiheit für eine wirklich demokratische Gesellschaft so wichtig ist wie der Fisch fürs Sushi. Alleine der Umstand, dass abweichende und zugespitzt formulierte Ansichten strafrechtlich geahndet werden können, presst die Debatte in den Rahmen des politisch Korrekten. Wenn man sieht, wie reflexartig heute „Volksverhetzung“ in Richtung jeder Äußerung aus einer politisch oder religiös gefärbten Ecke geschrien und wie dann die persönliche Hetzjagd auf die Äußernden eröffnet wird, kann man sich schon Sorgen um die Meinungsfreiheit machen.

Wie dieser Rahmen des politisch Korrekten uns gedanklich bereits einengt, zeigt beispielsweise eine Äußerung von Horst Seehofer. Der bayerische Ministerpräsident rechtfertigt seine neuesten Parolen gegen Menschen bestimmter Nationalität, Herkunft und Religion damit, er wolle damit die „rechten Spinner“ verhindern und die politischen Verführer aus den Parlamenten fernhalten (Quelle). Damit wolle er nichts Böses, sondern auf die Sorgen der Bevölkerung eingehen.

Ist es aber sinnvoll, rechte Spinner dadurch zu verhindern, dass ich mich, obwohl natürlich aufrechter Demokrat und Lobredner des Grundgesetzes, als rechter Spinner aufführe in der Hoffnung, das Volk werde mich wählen, weil es rechte Spinner gut findet? Bleibt eigentlich nur die Hoffnung, Horst Seehofer blickt am Ende noch durch, welche Rolle er gerade spielt.

Was also vom Wählerauftrag vermeintlich legitimiert gesagt wird, darf jedenfalls noch als unbedenklich gelten – so lange es unter dem Label „CSU“ daherkommt. Käme einiges von dem, was derzeit Politiker unserer, mit einigen Bauchschmerzen noch so zu nennenden Volksparteien sagen, aus anderem Mund, ergäbe für empfindsame Staatsanwälte durchaus ein Anfangsverdacht. Denkt man das weiter, ergibt sich die Legalität einer politischen Meinung künftig nicht mehr anhand der Meinung, sondern aus der Person des Äußernden und seiner Verankerung im politischen Mainstream.

Wäre ich selbst politisch nicht so langweilig disponiert und hätte Lust, mich auch als Spinner zu outen, würde ich ausrufen: „Ihr und eure Pseudo-Meinungsfreiheit.“

Aber es soll ja alles noch schlimmer werden. Die Bundesregierung plant ein Gesetz, das den Volksverhetzungsparagrafen in seinen Grundfesten ändert. Bislang mussten sich Äußerungen gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe oder Teile der Bevölkerung insgesamt richten.

Nun soll es ausreichen, wenn sich die Äussage auf einen „Einzelnen“ bezieht. (Text des Entwurfs).

Das könnte dem Gedankenverbrechen ganz neuen Aufschwung verleihen. Man braucht sich nur Urteile zur Volksverhetzung anzusehen. Glücklicherweise sind wenigstens die Gerichte, mit Ausnahme der Holocaust-Leugnung, meist sehr zögerlich mit Verurteilungen wegen dieses Delikts. Das spürbare Unbehagen, jemanden wegen seiner Überzeugung zu bestrafen, wird sehr häufig in den Urteilsgründen sachgerecht so einsortiert, es fehle der grundlegende Angriff auf die Menschenwürde oder der Angriff habe sich nicht erkennbar gegen eine abgrenzbare Gruppe gerichtet.

Letzteres Kriterium fällt nunmehr weg. Alles, was bisher als Beleidigung oder Bedrohung Einzelner ohnehin schon strafbar ist, kann künftig als Volksverhetzung bis zu 5 (in Worten: fünf) Jahre Haft einbringen, wenn die Attacke – ja, wir reden nur über Worte oder Zeichnungen – sich nicht nur auf die Person des Betroffenen erstreckt, sondern auch seine rassische, nationale, ethnische Herkunft oder seine Zugehörigkeit zu einem anderen abgrenzbaren Teil der Bevölkerung einbezieht. Wenn man weiß, wie gern Juristen Worte auslegen, lässt sich erahnen, wie leicht das passieren kann.

Die Volksverhetzung ist schon jetzt mit Meinungsfreiheit kaum in Einklang zu kriegen. Nun soll die Strafvorschrift also auch noch für das Alltagsgeschäft tauglich gemacht werden. Potenzielle Täter sind künftig nicht mehr nur Menschen, die ihre Weltanschauung kommunizieren wollen und sich bewusst entsprechend artikulieren. Sondern jeder, der sich im Rahmen einer sozialen Interaktion dazu hinreißen lässt, sich unkorrekt zu äußern. Tatorte sind nicht mehr die politische Arena, sondern Schulhof, Straßenbahn und Werkshalle.

Ich wage mir gar nicht vorzustellen, was mit diesem Gesetz gemacht werden könnte, wenn sich in Berlin zu den Spinnerdarstellern die richtigen Spinner gesellen.

Durchsuchung – der bequeme Weg

Die Hausdurchsuchung verlief wie üblich. Morgens um halb sieben standen Polizisten vor der Wohnung meines Mandanten und präsentierten einen Gerichtsbeschluss. Nach Konzertkarten und/oder Schriftverkehr im Zusammenhang mit einer Kartenbestellung sollten sie suchen, außerdem nach Hinweisen auf gefälschte Überweisungen.

Mein Mandant verstand nur Bahnhof. Auch der Text der richterlichen Anordnung machte ihn nicht wesentlich schlauer. Jemand, so hieß es im Beschluss, habe unter falschem Namen Konzertkarten für fast 500 Euro bestellt. Bezahlt worden sei mit gefälschter Überweisung von einem fremden Konto. Die Karten seien an eine Frau Bremm geliefert worden, selbe Adresse wie mein Mandant. Ein Herr Fiedler habe die Karten angenommen. Mein Mandant heißt Fiedler…

Herr Fiedler beteuerte natürlich, dass er niemals eine Sendung für eine Frau Bremm angenommen habe. Die Polizeibeamten sagten, sie machten nur ihren Job. Nachdem sie die Wohnung auf den Kopf gestellt hatten, traten sie den geordneten Rückzug an. „Es wurde kein beweiserhebliches Material gefunden“, notierte der Ermittlungsführer in seinem Bericht.

Bei mir hinterließ die Geschichte auch erst Fragezeichen. Bis ich als Verteidiger die Ermittlungsakte zu sehen bekam. Die Fragezeichen verwandelten sich in Ausrufezeichen und eine gewisse Empörung. Wieder mal darüber, wie leichtfertig heutzutage Wohnungsdurchsuchungen angeordnet werden.

Für den Ermittlungsrichter stellte sich der Sachverhalt so dar:

Jemand hatte mit einer gefälschten Überweisung ein fremdes Konto geplündert, um die unter dem Namen Bremm online bestellten Karten zu bezahlen. Die Ticketfirma verschickte die Karten als Paket. Der Paketbote händigte sie, obwohl an Frau Bremm adressiert, einer Person aus, die sich Fiedler nannte. Das ergab sich aus dem Trackingbeleg von DHL, den die Polizei von der Ticketfirma erhalten hatte.

Die Polizei ermittelte zunächst vor Ort. Dabei stellte sie fest, dass es im Haus einen Briefkasten gab, der mit Bremm beschriftet war. In dem Briefkasten fanden die Polizisten Post aus mehreren Monaten. Darunter auch einige Bestellbesätigungen. Nach ihrer Meinung hatte der Betrüger den „toten“ Briefkasten längst aufgegeben.

Nur weil als Empfänger Herr Fiedler genannt war, erließ der Richter den Durchsuchungsbeschluss. Weder er, der Staatsanwalt oder ein Polizeibeamter kamen auf die Idee, vielleicht mal vorher bei DHL anzufragen, wie denn die beim Zusteller hinterlassene Unterschrift aussieht. Oder ob der Zusteller sich vielleicht sogar den Ausweis hat zeigen lassen (was ja normalerweise nicht passiert).

Ebenso wenig machte sich jemand Gedanken darüber, wieso ein Betrüger, der in einem Haus einen toten Briefkasten unterhält, ausgerechnet gegenüber dem Paketzusteller seinen richtigen Namen nennen sollte. Läge es nicht sogar sehr nahe, dass der Täter, der mit der Zustellung der Karten rechnet, sich im Haus aufhält, sich als „Nachbar“ ausgibt und die Karten für die leider abwesende Frau Bremm entgegennimmt, damit der Zusteller nicht vielleicht noch mal kommen muss? Dass der Täter den Namen eines Nachbarn nennt, bietet sich ja schon deshalb an, weil der Zusteller skeptisch werden dürfte, wenn er einen Namen aufschreiben soll, der auf keinem der (anderen) Briefkästen steht.

Außerdem spricht ein weiteres Indiz dagegen, dass Hausbewohner Fiedler der Täter ist. Der Briefkasten Bremm war monatelang nicht geleert worden, die darin vorhandene Post ungeöffnet. Ist das wahrscheinlich, wenn der Täter im Haus gleichen Haus wohnt und sozusagen einen „Zweitbriefkasten“ betreibt?

Ich meine, der Durchsuchungsbeschluss hätte nie erlassen werden dürfen. Die Durchsuchung diente nämlich erst dazu, überhaupt einen Verdacht gegen meinen Mandanten begründen zu können. Vorher gab es keinen Verdacht, weil eigentlich schon alle Umstände gegen meinen Mandanten als Täter sprachen. Es war also eine Durchsuchung ins Blaue hinein, die auf Spekulation und Mutmaßung beruhte, auf reichlich verquerer Spekulation und Mutmaßung überdies.

Jedenfalls hätten erst mal die anderen Ermittlungsansätze ausgeschöpft werden müssen. Ein Blick auf die bei DHL hinterlegten Daten, insbesondere die Unterschrift, hätte sicher nicht geschadet. Außerdem hätte der Paketbote befragt werden können, ob er sich daran erinnert, wer das Paket entgegengenommen hat. Ob die Person vielleicht schon unten an den Briefkästen stand. Oder ob es wirklich jemand war, der die Haustür an der Wohnung Fiedler öffnete.

Nichts davon ist passiert, weil eine Durchsuchung ja so bequem und einfach ist. Dass damit mal wieder die Grundrechte eines unbescholtenen Bürgers auf der Strecke blieben – wen interessiert’s in der Justiz?

Kameratechnische Abrüstung

Die Freiburger Verkehrs-AG setzt auf Videoüberwachung. Das Nahverkehrsunternehmen hat nicht nur in Straßenbahnen Kameras aufgehängt. Die Firma überwacht mit 40 weiteren Außenkameras, die teilweise an Privathäusern angebracht sind, auch Haltestellen, Fahrtstrecken, Straßen und Häuserfronten. Diese Kameraüberwachung hat nun Folgen. Die obersten Datenschützer im baden-württembergischen Innenministerium fordern den Verkehrsbetrieb schriftlich zur kameratechnischen Abrüstung auf.

In der Tat ist es imposant, wie die Freiburger Verkehrs-AG einen erheblichen Teil des städtischen Raums elektronisch überwacht. Aus der Bestandsaufnahme des Innenministeriums:

Die 40 schwenk- und zoombaren Kameras befinden sich in der Regel in der Nähe von Haltestellen. Die Kameras sind so leistungsfähig, dass Personen oder Kfz-Kennzeichen auch dann noch deutlich erkannt werden können, wenn diese mehr als 100 Meter vom Kamerastandort entfernt sind. Mit deren Hilfe ließe sich im Innenstadtbereich etwa auch beobachten, welche Personen einen einen bestimmten Laden oder ein Lokal betreten oder wieder verlassen. Bei einigen Kameras ist es technisch möglich, die Kameras so zu schwenken, dass damit private Wohnungen, Balkone oder Grundstücke erfasst werden.

Die Aufsichtsbehörde will zwar nicht ausschließen, dass eine „sanfte“ Videoüberwachung zulässig sein könnte. Dann müsste sie aber auf die Haltestellen sowie die Gleiskörper beschränkt sein und dürfe nicht den daneben liegenden Raum erfassen. In der jetzigen Form halten die Datenschützer die Videoüberwachung für einen schwerwiegenden Eingriff in die Persönlichkeitsrechte von Passanten und Anwohnern. Diese seien möglicherweise noch nicht einmal Kunden der Verkehrsbetriebe. Jeder Passant und Bewohner habe das Recht, im öffentlichen Raum und natürlich auch in seiner Wohnung unbeobachtet zu bleiben. Ausnahmen gebe es nur, wo die Videoüberwachung genau definierten, höherrangigen Zwecken diene. Diese Ziele gebe es in Freiburg aber nicht.

Konkret werden die Verkehrsbetriebe aufgefordert, die Kameras technisch so einzurichten, dass diese nur die Strecken und Haltestellen beobachten können. Außerdem seien selbst da nur „Übersichtsaufnahmen“ erlaubt, auf denen keine einzelnen Personen oder Kfz-Kennzeichen erkennbar seien.

Ausdrücklich fordern die Datenschützer auch den Einsatz von Techniken, die einen eventuell unvermeidbaren Personenbezug aufheben. Wörtlich:

Hierbei kommt dem Einsatz von Techniken, die es gestatten, Gesichter und möglichst auch Kfz-Kennzeichen in Echtzeit zu verpixeln, eine zentrale Bedeutung zu.

Der überwachte Bereich muss nach Auffassung der Behörde auch so gekennzeichnet sein, dass Personen diesen Bereich erkennen können, bevor sie ihn betreten. Aufkleber an Fahrkartenautomaten oder kleine Hinweisschilder innerhalb der überwachten Zone reichten nicht aus.

Die Freiburger Verkehrs-AG hat jetzt Gelegenheit, Stellung zu nehmen. Die Überprüfung ins Rollen gebracht hat der Freiburger Ex-Stadtrat Sebastian Müller. Ihm sichert die Aufsichtsbehörde schriftlich zu, die Sache im Auge zu behalten und darauf hinzuwirken, dass sich die Freiburger Verkehrs-AG künftig „datenschutzkonform“ verhält.

Gut möglich, dass sich nun auch Verkehrsunternehmen in anderen Städten Gedanken darüber machen müssen, ob sie nicht vielleicht zu viel filmen.

Die maßlose Polizei

„Verprügeln von Polizisten ist kein Volkssport. Das muss der Gesetzgeber ohne Wenn und Aber klarstellen”, sagt Frank Richter. Er ist NRW-Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei. Mit seinen knackigen Worten begrüßt der Funktionär einen heute verabschiedeten Gesetzentwurf der Bundesregierung, der Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte härter bestrafen soll. Drei statt zwei Jahre Gefängnis sollen künftig drohen, in besonders schweren Fällen wie bisher fünf Jahre.

Um die Dramatik der Situation zu verdeutlichen, weist Frank Richter auch gleich darauf hin, alleine in Nordrhein-Westfalen werde alle 90 Minuten ein Polizist gewaltsam angegriffen. Trotzdem übertünchen die starken Worte des Gewerkschafters nur oberflächlich sein unredliches Argumentationsmuster.

Beim „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ geht es nicht um Polizistenverprügeln. Fürs Polizistenverprügeln gibt es Paragrafen, die nennen sich Körperverletzung oder gar Gefährliche Körperverletzung. Auf Körperverletzung oder gefährliche Körpverletzung stehen heute bereits Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren.

Beim Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte geht es um andere Sachverhalte. Zum Beispiel die Person, die sich aus dem Polizeigriff windet, ohne den Polizisten zu verletzen. Oder jenen, der sich dem Anlegen von Handschellen widersetzt, seiner Verhaftung oder Verbringung an einen anderen Ort. Sofern der Beamte keine körperlichen Schäden davon trägt, ist das alles Widerstand.

Die Betroffenen müssen übrigens keine Beschuldigten sein. Es können auch Demonstranten sein. Oder Passanten, die sich unvermittelt in einem Polizeieinsatz finden.

Alles unter der Schwelle der Körperverletzung wurde bisher schon mit bis zu zwei Jahren Gefängnis bedroht. Wahrlich kein schlechter Tarif, wenn man die Wahrheit über die wirklich in Frage kommenden Tathandlungen sagt – wozu Leute wie Frank Richter offenbar nicht in der Lage sind.

Die neue Maximalstrafe wird den Widerstandsparagrafen weiter zum Disziplinierungsinstrument verfeinern. Die Drohkulisse wird jedenfalls um eine Etage aufgestockt. Doch den Funktionären scheint aufzugehen, dass das eine Jahr mehr noch längst nicht der erhoffte Durchbruch auf dem Weg zum totalverängstigten Bürger ist, der künftig schon im Angesicht einer Polizeiuniform bevorzugt das Weite sucht, jedenfalls aber bedingungslos kuscht. Und der vor allem nicht Demonstrieren geht.

Nein, nun soll auch noch eine Mindeststrafe her. Drei Monate Gefängnis soll es mindestens geben, und zwar für jede noch so geringe Form des „Widerstands“. Das fordert heute die Gewerkschaft der Polizei zusätzlich zur beschlossenen Strafverschärfung.

Im selben Atemzug beklagen sich die gleichen Beamten darüber, dass ihnen weite Teile der Bevölkerung mittlerweile verständnislos bis offen feindselig gegenüberstehen. Vielleicht sollten sie mal überlegen, ob es nicht auch an ihrer eigenen Maßlosigkeit und Selbstüberhöhung liegt.

Früherer Beitrag: Die Legende von der schutzlosen Polizei

Das Ende für Kachelmanns Richter

Ich lehne mich aus dem Fenster. Wenn es stimmt, was Gisela Friedrichsen über den heutigen Prozesstag gegen Jörg Kachelmann für Spiegel online aufgeschrieben hat, wird diese Strafkammer kein Urteil über den Fernsehmoderator fällen. Sie ist befangen, und das wird nun auch festgestellt werden.

Den letzten, allerdings bei weitem nicht einzigen Beleg für seine Voreingenommenheit lieferte das Gericht heute, als es eine Belehrung der Nebenklägerin über ihr besonderes Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 Strafprozessordnung nicht für nötig hielt – obwohl die Verteidigung dies ausdrücklich beantragte.

Dabei geht es um Folgendes: Jeder Zeuge darf, auch wenn er grundsätzlich zur Aussage verpflichtet ist, die Antwort auf bestimmte Fragen verweigern. Und zwar auf solche, bei denen die Gefahr besteht, dass er damit Grund liefert, gegen ihn ein Ermittlungsverfahren zu eröffnen oder im Rahmen eines laufenden Verfahrens Munition gegen sich zu liefern.

Der Nebenklägerin, die Kachelmann vergewaltigt haben soll, sind bereits unwahre Aussagen nachgewiesen worden, zum Beispiel zu der Frage, wann sie von Kachelmanns weiteren Freundinnen erfahren hat. Sie hat wohl auch selbst zugegeben, in Teilbereichen zunächst falsch ausgesagt zu haben. Darüber steht natürlich die weitaus größere Möglichkeit, dass die Nebenklägerin die Vergewaltigung insgesamt erfunden hat. Kachelmann wurde auch deshalb aus der Untersuchungshaft entlassen, weil das Oberlandesgericht die Aussagen der Frau für wenig stichhaltig hielt.

Jedes Wort, das die Zeugen also sagt, kann für sie strafrechtlichen Ärger bedeuten. Um so wichtiger, dass ihr das Gericht vor der Aussage erklärt, wie sie diesen Ärger vermeiden kann. Um so unverständlicher, wieso das Landgericht Mannheim meint, ausgerechnet bei Kachelmanns Ex-Freundin bestehe für die Belehrung, die vielleicht mal anderthalb Minuten dauert, keine Notwendigkeit. Dazu Gisela Friedrichsen:

Die Richter wissen doch, dass die Belehrung darüber nur unterbleiben darf, wenn eine Strafverfolgung der Zeugin „zweifellos ausgeschlossen“ ist. Will die Kammer damit signalisieren, sie steuere eine Verurteilung des Angeklagten an? … Warum setzen sich die Richter zusätzlich dem – berechtigten – Vorwurf aus, sie hielten es anscheinend für ausgeschlossen, dass die Zeugin die Unwahrheit gesagt hat?

Die Weigerung, die Zeugin korrekt zu belehren, wirft erneut ein schlechtes Licht auf die Richter. Denn es gibt wenige andere Erklärungsansätze als jenen, dass sie offenbar schon jetzt meinen, die Nebenklägerin lüge keinesfalls.

Allenfalls könnten die Richter noch „befürchten“, dass die Nebenklägerin nach der Belehrung Angst bekommt und schweigt. Abgesehen davon, dass dies wohl eher nicht zu erwarten ist, wäre es das gute Recht der Nebenklägerin. Die denkbare Besorgnis, die Frau könne nichts mehr sagen und der Prozess kippen, würde einen Verurteilungswunsch der Strafkammer belegen. So einen Wunsch darf ein korrekt arbeitendes Gericht aber gar nicht haben.

Die Strafkammer setzt sich also über eine gesetzliche, zudem nicht gerade übermäßig anstrengende Pflicht hinweg. Dabei hat sie die Strafprozessordnung sogar etwas auf ihrer Seite. Die unterbliebene Belehrung nach § 55 Strafprozessordnung kann der Angeklagte nämlich nicht mit der Revision rügen. Dieser Verfahrensfehler soll ihn nicht belasten, weil die Norm angeblich ausschließlich den Zeugen schützt.

Eine andere Frage ist allerdings, ob so eine krasse Fehlentscheidung wie die heutige nicht in jedem Angeklagten den Eindruck erwecken muss, er bekomme insgesamt kein faires Verfahren. Das ist nach meiner Meinung der Fall.

Der Befangenheitsantrag geht durch.

Virtuelle Personen

Zu den beliebtesten Ermittlungsmethoden der Polizei gehört die „Wahllichtbildvorlage“. Dem Zeugen wird eine Reihe Porträts gezeigt und er soll sagen, ob er den Täter erkennt. Auch Verteidiger lieben Wahllichtbildvorlagen. Weil die Polizei dabei fast immer Fehler macht. Eine gerichtsfeste Wahllichtbildvorlage erfordert nämlich Sorgfalt und ist arbeitsintensiv.

Mir scheint, neben dem Faktor Mensch bastelt sich manche Polizeibehörde gerade weitere Fehlerquellen. Vorhin bin ich eine Ermittlungsakte durchgegangen, die einige dieser Wahllichtbildvorlagen enthält. Zuerst dachte ich, die Ausdrucke der verwendeten Porträts sind einfach schlecht. Was deshalb merkwürdig war, weil das verwendete Foto meines Mandanten eigentlich ganz natürlich wirkte.

Aber es hatte einen anderen Grund, dass die Vergleichspersonen Segelohren sowie einen schrägen Blick hatten und die Gesichtsproportionen nicht stimmten. Zufälligerweise hatten auch alle Haare, die nicht recht an der Kopfhaut angewachsen waren. Die Erklärung stand auf einem besonderen Blatt:

Person 7 ist der Beschuldigte. Bei den anderen Abbildungen handelt es sich um virtuelle Personen.

Ich hoffe nur, die Polizei hat nicht zu viel für die Software bezahlt. Da habe ich im Brillenstudio oder Friseursalon schon besseres gesehen. Überdies bin ich gespannt, was der Richter zur Qualität der Vergleichsbilder sagt. Nach meiner Einschätzung dürfte es nicht sonderlich schmeichelhaft ausfallen.