Frischauf zur Hexenjagd

Es wäre schon interessant zu wissen, worauf genau die Grefrather Kripo eigentlich ihre Vermutung stützt, der verschwunde Mirco sei vom Fahrer eines Passat Kombi entführt worden. Es gibt ja auch noch genug Kombis anderer Hersteller, die ähnlich aussehen. Wenn ich mir die Meldungen zum Fall ansehe, bleiben eigentlich nur zwei Schlüsse: Die Polizei hat die Spur Passat Kombi über lange Zeit professionell verschwiegen. Oder es handelt sich um eine extrem vage Spur unter vielen extrem vagen Spuren, die aber – aus welchen Gründe auch immer – als die noch vielversprechendste einsortiert wird.

Zu erfahren ist ja nur, ein Zeuge habe zur tatrelevanten Zeit einen Passat gesehen. Grefrath ist zwar plattes Land, aber auch dort kommt schon mal ein Auto durch.

Ich meine, die Polizei muss sich wirklich langsam fragen lassen, ob sie es nicht überzieht. Offenbar scheint sie es sogar auf eine Hexenjagd und eine Vergiftung des öffentlichen Klimas ankommen zu lassen. Denn seit heute fahnden die Beamten tatsächlich offiziell bundesweit (!) nach „Dienstwagen VW Passat Kombi der aktuellen Baureihe (Baujahr 2005 – 2010 / Modell B6 = 3C )“, die „einen regionalen Bezug zum linken Niederrhein (Kreis Viersen / Grefrath) besitzen“; hier beispielsweise der Aufruf der Frankfurter Polizei.

Firmen und Behörden sollen nun offensichtlich die Fahrer von Dienstwagen melden. Aber nicht nur das. Jeder ist aufgerufen, Passatfahrern nachzuschnüffeln. Aus dem Aufruf:

Darüber hinaus hofft die Soko auf Hinweise zu Fahrzeugen dieser Baureihe, die jetzt plötzlich unter einem Vorwand (Motorschaden, Unfall oder ähnliches) nicht mehr bewegt werden. Die örtlichen Polizeibehörden werden ersucht, diese gemeldeten Fahrzeuge auf einen möglichen Bezug auf die Region Grefrath zu überprüfen.

Zunächst mal bedeutet dieser neue Ansatz, dass die Hausbesuche bei rund 2.500 Passat-Haltern in der Region ein Schlag ins Wasser waren. Obwohl die Polizei anfangs ja ihre Profiler verkünden ließ, der Täter stamme mit großer Wahrscheinlichkeit aus der Region und lebe auch dort, vermutlich als unauffälliger Bürger. Ich erinnere mich auch noch schaudernd an den Begleitkommentar eines Polizeibeamten, nun ziehe sich die Schlinge um den Täter zu. Von wegen, wie man sieht.

Dass die befragten Autohalter auch gleich noch um eine Speichelprobe gebeten wurden, erscheint im Licht der neuen Entwicklung auch eher als Schachzug, der eine gewisse Zügellosigkeit der ermittelnden Polizeibeamten belegt.

Tatsächlich reden wir zumindest über verlorenes Augenmaß. Hierzu passt nun die bundesweite Fahndung. Wer einen Passat Kombi als Dienstwagen hat und ihn womöglich unkontrolliert, am Ende sogar privat nutzen darf, darf sich ab sofort im Kreis potenzieller Kindermörder willkommen heißen. Egal, ob er in Magdeburg, Regensburg oder Flensburg lebt. Er könnte ja in Grefrath gewesen sein.

In Chefetagen und Personalabteilungen werden nun wohl Listen erstellt und Fragezeichen neben Namen gemalt. Es wird getuschelt und denunziert. „Der Herr B. drei Häuser weiter fuhr gestern nicht mit seinem Passat, sondern mit dem Opel seiner Frau.“ Eine ganz und gar korrekte Meldung – jedenfalls nach dem Maßstab der Grefrather Polizei. Was nun vielleicht sogar Ehefrauen über ihre Ehemänner, Kinder über ihre Vatis denken, die nur das Pech haben einen Passat zu fahren, darf man sich gar nicht ausmalen.

Und das alles wegen einer Spur zu einem bestimmten Automodell, das zu zehntausenden über unsere Straßen rollt. Wie wenig die Polizei tatsächlich in der Hand zu haben scheint, ergibt sich übrigens aus einem Detail. Der bundesweite Aufruf enthält kein Wort über die mögliche Farbe des Wagens, nicht mal darüber, ob die Karosse eher hell oder dunkel war.

Von Grefrath aus sind es übrigens nur ein paar Kilometer bis nach Holland. Entweder handelt die Polizei hier unlogisch, oder ihre niederländischen Kollegen wollen es nicht gemeinsam mit ihnen überreizen. Im Gegensatz zu den braven Beamten in Magdeburg, Regensburg und Flensburg. Aber die haben es womöglich auch schwerer, sich gegen die so eine Aktion zu wehren.