Pflichtenheft für Filesharing-Richter

Das Landgericht Köln ist bei Abmahnanwälten sehr beliebt. Die dort tätigen Richter hatten in der Vergangenheit kein Problem, so gut wie jeden Antrag in Sachen Filesharing durchzuwinken. Vieltausendfach verdonnerte das Landgericht Köln Provider (meist den Platzhirsch Telekom) dazu, die Namen von Anschlussinhabern rauszugeben, die über ihren Internetanschluss geschützte Filme oder Musik getauscht haben sollen. Das alles geschah erkennbar per Textbaustein. Juristische Bedenken wurden stets mit den gleichen Floskeln abgebügelt. Doch so langsam tut sich was in den Massen-Auskunftsverfahren, die Grundlage für alle Filesharing-Abmahnungen sind. Die nächste Instanz, das Oberlandesgericht Köln, bremst bereits zum wiederholten Mal den “Arbeits”eifer des Landgerichts Köln.

Erst vor kurzem hatte das Oberlandesgericht Köln ein Ablaufdatum für Musik und Filme festgelegt. Bei Stücken, die älter als sechs Monate sind, betrachten die Richter die “Abverkaufsphase” regelmäßig als beendet. Bei Material jenseits des Ablaufdatums könne nicht automatisch davon ausgegangen werden, dass ein Filesharer “gewerbsmäßig” handelt. Ohne gewerbsmäßiges Handeln dürfen die Anschlussdaten aber gar nicht herausgegeben werden; es soll nämlich, so die ursprünglich hehre und von den Gerichten beharrlich ignorierte Wunschvorstellung des Gesetzgebers, nicht mit Kanonen auf Spatzen geschossen werden.

Nun meldet sich das Oberlandesgericht Köln erneut zu Wort. Diesmal geht es um schlampig aufbereitete, in sich widersprüchliche Anträge, die das Landgericht dennoch abgesegnet hat. Konkret geht es darum, dass die Abmahnanwälte dieselbe IP-Adresse mehrfach für unterschiedliche Tage aufführten. Das verwunderte den Abgemahnten, denn nach seiner Kenntnis praktiziert sein Provider das System der “Zwangstrennung”. Dabei wird der Anschluss mindestens alle 24 Stunden vom Netz getrennt und bei neuer Einwahl eine andere IP-Adresse vergeben.

Das Oberlandesgericht Köln teilt die Bedenken:

Einem Anschlussinhaber wird also jedenfalls nach spätestens 24 Stunden … eine neue IP-Adresse zugewiesen. Dass es sich dabei um dieselbe IP-Adresse handelt, die dem Anschlussinhaber bereits zuvor zugewiesen war, ist angesichts der zufälligen Vergabe von IP-Adressen und der Anzahl zur Verfügung stehender IP-Adressen höchst unwahrscheinlich. … Es ist daher von erheblich höherer Wahrscheinlichkeit, aber jedenfalls zumindest nicht auszuschließen, dass die mehrfache Nennung gleicher IP-Adressen auf einem Fehler bei der Ermittlung, Erfassung oder Übertragung der IP-Adressen beruht.

Die Abmahner haben es sich im entschiedenen Fall allerding auch zu leicht gemacht. Sie reagierten nämlich nicht auf einen Hinweis des Gerichts, dass ihre Angaben lückenhaft sind. Künftig wird man das sicher ernster nehmen und gegebenenfalls nachbessern. Das Signal des Oberlandesgerichts ist aber auch über den konkreten Fall eindeutig: Schlampige, in sich nicht nachvollziehbare Anträge dürfen nicht einfach abgenickt werden.

Deutliche Skepsis äußert das Oberlandesgericht Köln auch in der Frage, ob die Technik der Überwachungsfirmen wirklich so perfekt ist wie immer behauptet. Die eidesstattliche Versicherung eines Verantwortlichen nehmen die Richter gar nicht ernst:

Die ursprünglich vorgelegte eidesstattliche Versicherung des Geschäftsführers … ist hierzu unergiebig. Sie enthält lediglich die pauschale Behauptung, die Software arbeite “sehr zuverlässig”.

Auch ein nachgeschobenes Gutachten überzeugt das Gericht nicht:

Aus dem Sachverständigengutachten ergibt sich zwar, dass die Software grundsätzlich geeignet ist, Rechtsverletzungen zu ermitteln. Ob dabei Falschermittlungen ausgeschlossen sind, ergibt sich aus dem Gutachten jedoch nicht. Das Gutachten beruht auf rein empirischen Ermittlungen, in welchem Umfang die Software überprüft worden ist, ergibt sich aus dem Gutachten aber nicht. Untersuchungen zur Funktionalität der Software sind in dem Gutachten nicht dokumentiert.

Im Ergebnis ist der Beschluss der höheren Instanz ein Pflichtenheft für das Landgericht Köln. Dort wird man künftig genauer hinschauen müssen, ob die eingereichten Anträge wirklich die Auskunft über den Anschlussinhaber rechtfertigen. Die Abmahnanwälte werden einen viel höheren Begründungsaufwand treiben müssen. Zumindest dann, wenn sie nicht riskieren wollen, dass ihnen die nächsthöhere Instanz immer wieder rechtswidriges Vorgehen attestiert.