Der Herr im Haus

Bei einem auswärtigen Verhandlungstermin geriet ich vor einigen Tagen mal wieder an einen Richter der kernigen Sorte.

Zunächst hatte er Probleme damit, dass ich für mein Notebook die Stromversorgung des Gerichts in Anspruch nehmen wollte. Da es an meinem Platz keine Steckdose gab, musste ich das Netzkabel schräg hinter mir in die Wandsteckdose stöpseln. Das Kabel lag deshalb quer über den Gang, den der Richter und seine Protokollführerin begehen mussten, um zu ihren erhöhten Plätzen an der Saalfront zu gelangen.

„Das birgt aber erhebliche Stolpergefahr“, maulte der Vorsitzende. „Viel Durchgangsverkehr scheint es aber nicht zu geben“, erwiderte ich. Die Protokollführerin seufzte und verdrehte die Augen. Offensichtlich kannte sie das Ritual.

Der Richter aber meinte es ernst. „Das kann ich so nicht akzeptieren“, sagte er. „Schließlich bin ich für die Sicherheit im Saal verantwortlich.“ Ich erlaubte mir eine kleine Korrektur. „Sie sind nicht für die Sicherheit in diesem Saal verantwortlich. Das ist Aufgabe des Gerichtspräsidenten und der ihm unterstehenden Gerichtsverwaltung.“

Aber der Vorsitzende blieb hart. Er berief sich auf seine „Sitzungsgewalt“. Nun ja. ich gab nach. „Ich habe natürlich keine Probleme damit, mein Notebook erst mal über den Akku zu betreiben. Aber wenn der Akku leer ist, brauche ich eine Unterbrechung. Der Akku lädt schon anderthalb, zwei Stunden.“ „Und ohne Computer geht es nicht?“ „Nein, es geht nicht. Ich habe die gesamte Verfahrensakte auf dem Laptop. Meine Rechtsprechungsdatenbank. Und wie Sie vielleicht schon gemerkt haben, schreibe ich auch die allermeisten Notizen gleich in den Computer.“

Es ging noch ein wenig hin und her. Unter anderem philosophierte der Richter darüber, dass ich ja auch genügend Ersatzakkus mitbringen könnte, um einen „ganztägigen Betrieb“ meines Computers sicherzustellen. Letztlich wollte er sich die absehbare Aufladepause aber nicht antun. Das Problem Netzkabel schien plötzlich auf null geschrumpft.

Wir hatten allerdings schon mal ordentlich Zeit verpulvert. Aber es ging gleich munter weiter. Ich hatte gleich zu Beginn der eigentlichen Verhandlung meinem Mandanten dezent was zugeflüstert, als der Staatsanwalt eine Erklärung abgab. Auch das passte dem Richter nicht. „Bitte reden Sie nicht dazwischen, das Wort erteile nur ich.“

Diese Situation kommt bei Richtern schon mal vor, die extrem auf die Lufthoheit in ihrem Sitzungssaal achten. Ich war also mental vorbereitet. „Ich bin hier nicht nur Staffage“, sagte ich. „Ich muss meinen Mandanten in jeder Phase des Verfahrens beraten und mit ihm kommunizieren. Wenn mäßiges Flüstern schon stört, muss ich halt jedes Mal eine Unterbrechung beantragen, sobald ich mit meinem Mandanten sprechen muss. Oder er mit mir.“

„Dann tun sie das doch“, knurrte der Richter. Ich wartete also etwa 30 Sekunden, dann meldete ich mich. „Ich bitte um eine Unterbrechung, weil ich etwas mit meinem Mandanten besprechen muss.“ „Was ist denn so eilig, Herr Verteidiger?“ „Herr Vorsitzender, das darf ich Ihnen nicht sagen. Ich unterliege dem Anwaltsgeheimnis.“

Er schaute nicht erfreut, gewährte aber die Unterbrechung. Ich ging mit meinem Mandanten raus, klärte den offenen Punkt. Wir kamen wieder zurück. Die Verhandlung ging weiter. Nach ein paar Minuten Zeugenvernehmung stupste mein Mandant mich an. „Wir brauchen eine Unterbrechung“, sagte ich. „Es gibt leider schon wieder was zu besprechen.“

Das Spiel wiederholten wir noch einige Male. Ich ging eigentlich davon aus, dass dem Richter irgendwann der Kragen platzt. Für den Fall feilte ich schon in Gedanken am Befangenheitsantrag, der dann fällig war.

Allerdings drehte sich nach der vierten oder fünften Besprechungspause der Wind. „Wenn Sie was zu diskutieren haben, tun sie das halt“, sagte der Richter. „Aber bitte leise.“ Er meinte damit offensichtlich so leise wie zu Beginn der Veranstaltung.

Die Protokollführerin schaute enttäuscht. In einer der Unterbrechungen hatte sie mir erzählt, dass sie die unverhofften Zigarettenpausen schätzt. „Er ist manchmal etwas bärbeißig, unser Vorsitzender“, vertraute sie außerdem mir an. „Aber als Jurist ist er wirklich brauchbar.“

Den Eindruck hatte ich ebenfalls. Natürlich auch, weil am Ende für meinen Mandanten ein Freispruch stand. Im Zweifel komme ich also gerne mal wieder.