Streaming-Abmahnung mit vielen Fragezeichen

Gestern habe ich über eine neue Form der Abmahnung berichtet. Es geht nicht um Filesharing im klassischen Sinne. Vielmehr verlangt die Regensburger Anwaltskanzlei Urmann + Collegen (U + C) im Namen einer „The Archive AG“ 250 Euro Schadensersatz für das Betrachten eines Videostreams auf der Pornoseite „redtube“.

Es handelt sich offensichtlich um eine veritable Abmahnwelle. Unser Kanzleipostfach quillt über mit Rückfragen von Betroffenen. Auch die Leserdiskussion zum erwähnten Beitrag im law blog verläuft mit bislang rund 220 Kommentaren lebhaft.

Ich habe jetzt selbst einige der Abmahnschreiben vorliegen. Die Kanzlei U + C fordert 250 Euro. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus 169,50 Euro Anwaltskosten, 65 Euro Ermittlungskosten und stolzen 15,50 Euro (!) Schadensersatz für den angeblichen Filmgenuss. Außerdem sollen die Anschlussinhaber eine Unterlassungserklärung abgeben. Bislang berichten nur Kunden der Telekom von solchen Abmahnungen. Den Beschluss des Landgerichts Köln, der die Herausgabe der IP-Adressen anordnet, fügen die Rechtsanwälte nicht bei.

Das ist der Stand der Dinge. Hier meine Meinung zu den wichtigsten Punkten:

Es ist höchst zweifelhaft, ob überhaupt eine Urheberrechtsverletzung vorliegt. Die wesentlichen Gründe:

Das bloße Betrachten eines Streams ist nach der derzeit gültigen Rechtslage keine „Vervielfältigung“. Das Gesetz fordert aber gerade diese „Vervielfältigung“ für eine Urheberrechtsverletzung. Ob das eventuelle Zwischenspeichern auf dem Gerät schon eine Vervielfältigung ist, haben die Gerichte bislang nicht geklärt.

Die Rechtsanälte U + C berufen sich lediglich auf das Urteil des Amtsgerichts Leipzig im Fall kino.to. Dort ging es aber um die Verantwortung von Betreibern einer Streaming-Plattform, nicht um deren Nutzer. Die Abmahner vergleichen hier Äpfel mit Birnen.

Wenn man das Gesetz ernst nimmt, ist das Betrachten eben noch keine Vervielfältigung. Deshalb sehe ich, wie andere Juristen auch, schon gar keine Urheberrechtsverletzung.

Eine Urheberrechtsverletzung beim Anschauen eines Streams setzt weiter voraus, dass die Quelle „offensichtlich rechtswidrig“ ist. Die Streams sollen auf der Plattform „redtube“ gehostet worden sein. Redtube ist Teil des Erotikkonzerns Konzerns Manwin, der unter anderem auch die weltweit größte Streamingseite Youporn betreibt. Manwin dominiert das Sexgeschäft im Internet, und zwar international.

Nicht mal ein aufmerksamer Nutzer wird Anhaltspunkte dafür finden, dass Manwin außerhalb der Legalität operiert. Fragen des örtlichen Jugendschutzes ausdrücklich ausgenommen, aber die tun hier nichts zur Sache.

Wie Youporn hostet redtube riesige Mengen an Videoclips. Eine große Zahl der Videos wird offensichtlich von den Produzenten selbst eingestellt, da neben den Filmen oft auch gleich Banner und Links auf die Bezahlseiten der Anbieter führen. Es handelt sich also definitiv nicht um ein Angebot, das ein Nutzer als „illegal erkennen kann. Das gilt dann eben auch für einen Film, der – wie auch immer – ohne Einverständnis des Rechteinhabers auf redtube gelandet sein könnte.

Von daher hätte sich ein argloser Nutzer also gerade nicht bei einer offensichtlich rechtswidrigen Quelle bedient. Selbst wenn man also beim Streamen ein Vervielfältigen annehmen will, würde das jeden Schadensersatzanspruch zunichte machen. Der Nutzer hätte zwar die Datei vervielfältigt, aber es würde sich um eine zulässige Privatkopie handeln. Raum für Ersatzansprüche besteht da nicht.

Überdies – das gilt für alle Filesharing-Fälle – haftet jemand keinesfalls einfach so für jede Urheberrechtsverletzung, die über seinen Anschluss begangen wurde.

Die Rechtsanwälte U + C behaupten dies in ihrem Schreiben zwar, aber die Rechtsprechung sieht mittlerweile anders aus. So kommen meist auch Ehegatten, Kinder, Mitbewohner oder schlicht Besucher als Bösewichte in Betracht. Für deren Fehlverhalten haftet ein Anschlussinhaber nicht, wenn er die Mitnutzer darüber belehrt hat, dass sie keine Urheberrechtsverletzungen begehen sollen.

Gleiches gilt natürlich auch für den Fall eines technischen Missbrauchs, der ebenfalls möglich ist. Kann der Anschlussinhaber darlegen, dass er seinen Internetanschluss ausreichend abgesichert hat, muss er für eventuellen Missbrauch ebenfalls nicht haften.

Von daher gibt es insgesamt gesehen keinen Grund, die 250 Euro eilfertig zu überweisen. Selbst dann nicht, wenn einem die Sache peinlich ist. Eine große Zahl – um nicht zu sagen fast alle – Empfänger der Schreiben beteuern uns gegenüber, dass sie definitiv keine Pornos auf redtube angeschaut haben. Damit ist zumindest nicht ausgeschlossen, dass U + C hier auf einen komplett falschen Zug aufgesprungen sind.

Als nächstes wird es sicher Beschwerden gegen die Entscheidung des Landgerichts Köln geben, der die Telekom zur Herausgabe der IP-Adressen angeblicher Nutzer verpflichtete. Aus den oben obigen Gründen hätte das Landgericht Köln kritisch hinterfragen müssen, ob überhaupt eine Urheberrechtsverletzung plausibel ist. Das ist sie bislang keinesfalls, so dass die Freigabe nicht hätte erklärt werden dürfen.

Interessant ist abschließen, dass der Schadensersatz von 250 Euro nicht auf das Anwaltskonto der Rechtsanwälte U + C gezahlt werden soll, obwohl die geltend gemachten Anwaltskosten 2/3 des Betrages ausmachen. Vielmehr sollen Abgemahnte das Geld direkt an den angeblichen Rechteinhaber überweisen, die mir bislang unbekannte Aktiengesellschaft namens „The Archive“. Diese sitzt in der Schweiz. Das wird es eher nicht leichter und vor allem billiger machen, eventuell zuviel gezahltes Geld wieder zu bekommen.