Entweder oder steht nicht im Grundgesetz

Keine Strafe ohne Gesetz. So bestimmt es das Grundgesetz. Alle Theorie ist allerdings grau. Eines der fragwürdigsten Rechtsinstitute nimmt nun ein Strafsenat des Bundesgerichtshofs ins Visier. Es handelt sich um die sogenannte Wahlfeststellung, die seit Jahrzehnten ihr Unwesen im deutschen Strafrecht treibt. Die Richter halten die Vorschriften für verfassungswidrig.

Bei der „ungleichartigen Wahlfeststellung“ handelt es sich um eine Rechtsfigur, die in engen Grenzen schon das Reichsgericht angewandt hat. Danach kann ein Beschuldigter „wahlweise“, also wegen Verstoßes entweder gegen das eine oder gegen das andere Strafgesetz verurteilt werden, wenn nach Durchführung der Beweisaufnahme offen bleibt, welchen von beiden Tatbeständen er verwirklicht hat. Außerdem muss die Möglichkeit ausgeschlossen sein, dass keiner von beiden erfüllt wurde.

Entwickelt wurde diese Verurteilungsmöglichkeit ursprünglich für Fälle, in denen sich nicht klären lässt, ob ein Beschuldigter, bei dem gestohlene Sachen gefunden werden, diese selbst gestohlen (Diebstahl) oder von dem Dieb erworben hat (Hehlerei); beide Tatbestände schließen sich aus.

Nach bisher ständiger Rechtsprechung auch des Bundesgerichtshofs kann in solchen Fällen aber eine „wahlweise“ Verurteilung erfolgen, da beide Taten „rechtsethisch und psychologisch vergleichbar“ seien. Im Laufe der Jahre wurde die Figur der ungleichartigen Wahlfeststellung auf zahlreiche andere Tatbestandspaare ausgedehnt.

Allerdings gibt es hierbei ein altbekanntes Problem, auf das der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshof erneut hinweist. Das Grundgesetz kennt nur die Verurteilung wegen einer konkreten Tat, die auf der Verwirklichung eines konkreten Tatbestandes im Strafgesetzbuch beruht. Dass es auch anders geht, haben sich Richter ausgedacht und über ihr faktisches Monopol bei der Rechtsanwendung über Jahrzehnte fest etabliert.

Dies will der 2. Strafsenat am Bundesgerichtshof so nicht akzeptieren. Das Gericht weist darauf hin, die unechte Wahlfeststellung bedürfe zumindest einer gesetzlichen Grundlage; diese gibt es jedoch nicht. Der 2. Strafsenat fragt nun bei den anderen Strafsenaten an, ob diese an der unechten Wahlfeststellung festhalten wollen. Sollte dies der Fall sein, könnte der Große Senat für Strafsachen die Streitfrage am Ende entscheiden (2 StR 495/12).