Der entscheidende Begriff

Die Süddeutsche Zeitung liefert heute abend interessante, aber auch bestürzende Informationen zum Fall Sebastian Edathy. Danach soll sich der Anfangsverdacht gegen den zurückgetretenen SPD-Bundestagsabgeordneten lediglich darauf stützen, dass er legale Aufnahmen von Kindern im Internet bezogen hat.

Daraus schlossen die Ermittler laut SZ allerdings, Edathy könne womöglich auch strafbare Kinderpornografie besitzen. In dem sechsseitigen Durchsuchungsbeschluss stehe ausdrücklich, bei den Aufnahmen, die Anlass für die Ermittlungen waren, handele es sich nicht um Kinderpornografie im Sinne des Strafgesetzes.

Die Rede ist also wahrscheinlich von sogenannten Posing-Aufnahmen. Auch diese zeigen oftmals nackte Kinder, aber eben nicht bei sexuellen Aktivitäten und auch nicht in Blickwinkeln, welche die Geschlechtsteile herausstellen. Wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen, sind solche Bilder womöglich anstößig und können moralische Urteile rechtfertigen. Sie sind aber kein Fall für den Staatsanwalt.

Oder aber eben doch, wie nun die Causa Edathy anschaulich vor Augen führt. Es ist offensichtlich, dass der von der Strafprozessordnung geforderte Anfangsverdacht hier aufs äußerste strapaziert wird. Denn die dafür notwendige Schlussfolgerung, wer sich solche Bilder besorge, konsumiere (womöglich) auch strafbare Kinderpornos, lässt sich eigentlich nur willkürlich ziehen. Und von der Willkür emsiger Staatsanwälte und Ermittlungsrichter sollte niemand abhängig sein.

Selbst wenn jemand für solch hartes Material affin sein sollte, kann es genau so gut sein, dass er die Grenze zur Strafbarkeit bewusst nicht überschreitet. Es gibt ja auch genug Leute, die auf Joints verzichten oder auf Kokain, obwohl sie ohne gesetzliche Verbote danach greifen würden. Diese Menschen nehmen sich zurück, respektieren das Gesetz. Schon damit hat insbesondere das Strafrecht seine vornehmste Aufgabe wirksam erfüllt: die Einhaltung gesellschaftlicher Regeln.

Umso unverständlicher wird vor diesem Hintergrund der Fall Edathy. Man mus sich ja auch vor Augen führen, dass wir hier nicht über eine Verkehrsunfallflucht reden. Vielmehr ist schon der Tatvorwurf Kinderpornografie geeignet, Menschen schon mit der Beschuldigung augenblicklich den Boden unter den Füßen wegzuziehen.

Schon alleine deswegen sollte nicht alles gemacht werden, was unter Berufung auf den schwammigen „Anfangsverdacht“ mit allergrößten Bauchschmerzen vielleicht juristisch noch durchgewunken werden kann. Wie so oft, ist Verhältnismäßigkeit auch hier der entscheidende Begriff.

Bericht in der Süddeutschen Zeitung