Das formbare Gedächtnis

Ein Zeuge ist der erste und beste Quell für ein Fehlurteil. Das wissen Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte gleichermaßen. Nur ist oft die Bereitschaft unterschiedlich ausgeprägt, diese Tatsache im konkreten Fall weichzublenden. Da finde ich es wirklich gut, wenn von Forschern aus den USA ein konkreter Denkanstoß kommt, um die Qualität von Zeugenaussagen jedenfalls etwas überprüfbarer zu machen.

Die Idee: Schon bei der ersten Befragung des Zeugen soll stets gefragt und dokumentiert werden, als wie „sicher“ der Zeuge seine Wahrnehmungen einstuft. Ob und wie das bei uns in Deutschland passiert, ist nach meiner Erfahrung völlig dem Zufall überlassen. Die explizite Frage ist jedenfalls die Ausnahme.

Laut der Studie, über die Spiegel Online berichtet, erweisen sich die Ersteinschätzungen durch die Zeugen selbst als ziemlich belastbar. Jedenfalls sind sie wesentlich besser, als wenn die entsprechende Frage erst im Gerichtssaal gestellt wird.

Dazu ein geradezu goldener Satz aus der Studie:

Es ist wohlbekannt, dass das Gedächtnis formbar ist, so dass eine anfänglich unsichere Identifizierung bis zu dem Zeitpunkt, an dem ein Zeuge vor Gericht oder in Anhörungen vor dem Prozess aussagt, zur Gewissheit wird.

Anders rum wird aber womöglich auch ein Schuh draus. Ich denke an die „100-Prozent-Zeugen“. Also jene, die – nach eigener Einschätzung – mit unbestechlichen Sinnen und messerscharfem Verstand gesegnet sind. Es wäre dann schon doppelt interessant zu sehen, ob sich deren Ein- bzw. Überschätzung erst im Laufe des Verfahrens entwickelt hat. Oder ob sie schon von Anfang an vorhanden war. In beiden Fällen ließen sich jedenfalls interessante Rückschlüsse ziehen.