Mit dem Auto gegen den Macheten-Mann

Bei dem tödlichen Messerangriff gestern in Reutlingen hat ein Autofahrer den mutmaßlichen Täter gestoppt, indem er den Mann absichtlich anfuhr. Zu dem Zeitpunkt befand sich der 21-Jährige wohl mit der Machete in der Hand auf der Flucht. Dabei soll er kurz zuvor noch zwei Personen in einem anderen Auto attackiert und diese verletzt haben.

Beherzt handelte der Autofahrer auf jeden Fall, als er den 21-Jährigen stoppte. Aber war es auch juristisch richtig, was er da tat? Oder handelt er sich jetzt selbst eine Strafe ein? Eine vorsätzliche Körperverletzung hat der Autofahrer wohl begangen, aber diese kann gerechtfertigt sein. In Frage kommen im wesentlichen zwei Vorschriften.

1. Notwehr, § 32 StGB: „Notwehr ist die Verteidigung, die geboten ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwehren.“

Neben der Notwehr gibt es auch die sogenannte Nothilfe, das heißt das Einschreiten für einen Dritten. Man muss also nicht selbst angegriffen werden, sondern darf auch anderen zur Hilfe kommen.

Genau das dürfte hier passiert sein. Die Kernfrage ist aber, ob es sich hier noch um einen „gegenwärtigen“ Angriff handelte. Auch wenn der Täter mit der Machete in der Hand weglief, fehlte es in dem Augenblick – so weit wir wissen – an weiteren Personen, die in diesem Augenblick noch konkret bedroht wurden.

Tendenziell steht es also eher schlecht um einen „gegenwärtigen“ Angriff. Eine Notwehrlage ist also nicht eindeutig.

2. Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB: „Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr … eine rechtswidrige Tat begeht, um die Gefahr … abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen … das geschützte Interesse wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.“

Wie der Notwehrparagraf verlangt auch spricht § 34 StGB eine „gegenwärtige“ Situation. Allerdings ist dort nicht von einem Angriff die Rede, sondern von einer Gefahr. Das ist ein gewichtiger Unterschied, gerade in diesem Fall. Hier lag nämlich eine nicht zu leugnende Gefahr vor, wenn der Täter weiter mit der Machete in der Hand seine Flucht fortsetzte. Die greifbare fortbestehende Gefahr für Leib und Leben Dritter rechtfertigte es nach meiner Meinung auch grundsätzlich, den Mann anzufahren.

Allerdings macht schon der gewundene Gesetzestext deutlich, auf welches Risiko sich man beim Handeln einlässt. Die Gefahr darf „nicht anders abwendbar“ sein. Dem Handelnden wird also abverlangt, dass er sich vorher überlegt, ob ihm ein milderes Mittel zur Verfügung steht. Zu dem müsste er dann auch greifen. Dann muss die Tat auch noch ein „angemessenes Mittel“ sein, um die Gefahr abzuwenden. Das heißt, man muss – möglicherweise in Sekundenbruchteilen – abwägen, welche Rechtsgüter höher einzuschätzen sind.

Um ein Gegenbeispiel zu nennen: Einen nach außen unbewaffneten Verdächtigen, den man aus einer Fahndung bei Aktenzeichen XY ungelöst erkennt, wird man kaum an- oder gar überfahren dürfen, wenn er vor einem die Straße überquert. Dazwischen gibt es aber in jedem dieser Fälle eine riesige Grauzone. Und ein entsprechendes juristisches Risiko für Menschen, die in schwierigen Situationen helfen wollen. Dieses Risiko umfasst auch die Fehlbewertung einer Situation. Wer sich vertut, handelt dann meist auf eigenes Risiko. Helfen kann dann nur noch die Vorschrift über den entschuldigenden Notstand (§ 35 StGB), die aber noch viel komplexere Hürden mit sich bringt.

Es wäre also jetzt nicht verwunderlich, wenn die Justiz gegen den Autofahrer erst mal ermittelt. Allerdings meine ich, dass er am Ende wohl zumindest rechtfertigenden Notstand für sich reklamieren kann. Auf eventuellen Anwaltskosten bliebe er aber trotzdem sitzen, denn die würden ihm auch im Falle einer Einstellung wegen fehlenden Tatverdachts nicht erstattet.

Nachtrag: Die Reutlinger Polizei spricht von einem ganz normalen Verkehrsunfall. Der BMW-Fahrer sei abgelenkt gewesen und habe den Verdächtigen deshalb angefahren. Laut Spiegel Online hatte aber vorher sogar schon ein Polizeisprecher bestätigt, der Autofahrer habe den Vorfall beobachtet.