Desaster in Koblenz

Heute der Koblenzer Großprozess um das „Braune Haus“ vorläufig zu Ende gegangen. Weit über 300 Tage wurde dort seit dem 20. August 2012 gegen mutmaßliche Neonazis verhandelt. 26 Angeklagte waren es zunächst, denen 52 Pflichtverteidiger zur Seite standen. Ein greifbares Ergebnis gibt es allerdings nicht. Vielmehr hat die Strafkammer erkannt, was sich schon seit gut anderthalb Jahren abzeichnete. Dass das Gericht den Prozess auf keinen Fall bis Juni 2017 zu Ende bringen kann. Zu diesem Zeitpunkt geht der Vorsitzende Richter in Rente; ein Ersatzrichter steht nicht zur Verfügung. Eine Verlängerung des Justizdienstes ist für einen Richter gesetzlich nicht vorgesehen. Somit werden in Koblenz nach knapp fünf Jahren Prozessdauer die Uhren wieder komplett auf null gestellt.

Vom Aufwand der Behörden ist das Verfahren durchaus zu vergleichen mit dem NSU-Prozess. Die den Angeklagten zur Last gelegten Taten hatten aber nie ein vergleichbares Gewicht. In dem Prozess ging es um Steinewürfe bei Demonstrationen. Oder um politische Aufkleber auf Straßenschildern. Zu den schwersten Vorwürfen zählte ein angeblicher Brandstiftungsversuch am Auto eines Kommunalpolitikers, wobei das Auto aber kein Feuer fing.

Ich habe als Verteidiger knapp 180 Verhandlungstage in dem Verfahren miterlebt und kann somit auch dessen Scheitern etwas bewerten. Der Geburtsfehler lag schon in der Anklage begründet. Diese jazzte auf knapp 1.000 Seiten die sicherlich stramm rechte Gruppierung zu einer ernsten, quasi terroristischen Gefahr für die Bundesrepublik Deutschland hoch. Wenn man in der Chronologie etwas zurückgeht, stellt man schnell fest, warum: Das NSU-Debakel war zu dieser Zeit offenkundig geworden. Somit brauchte man nichts so dringend wie spektakuläre Fahndungserfolge. Wo allerdings schwere Straftaten rund um das „Braune Haus“ fehlten, mussten halt geringere Delikte ausreichen. Den Klebstoff für die Anklage an eine Staatsschutzkammer lieferte einzig der Vorwurf, die Angeklagten hätten eine kriminelle Vereinigung gegründet.

Dieser Mörtel erwies sich allerdings im Laufe langer Monate als außerordentlich brüchig. Dem Gericht blieb kaum etwas anderes übrig, als auch den kleinsten Stein umzudrehen, um vielleicht doch etwas zu finden. Daraus resultierte eine schier endlose, ermüdende und oftmals bizarre Beweisaufnahme zu den unbedeutendsten Details. Wären die Angeklagten wegen der einzelnen Vorwürfe getrennt zur Rechenschaft gezogen worden, hätten die dann zuständigen Amtsgerichte vielleicht einen, maximal zwei Tage zur Aufklärung gebraucht.

Nun endet der Prozess in einem juristischen Desaster und in einem riesigen Fiasko für den Steuerzahler. Alleine die Anwaltskosten dürften mit etwa 15 Millionen Euro zu Buche schlagen. Der Prozess ingesamt hat sicher ein Mehrfaches gekostet. Dementsprechend groß sind jetzt die Fragezeichen, wie es weitergeht. An sich müsste das Verfahren nun mit einem neuen Vorsitzenden ganz von vorne beginnen. Ich nehme aber an, dass es nicht so weit kommt. Immerhin haben sämtliche Angeklagte jetzt schon knapp fünf Jahre ihres Lebens in das Verfahren „investiert“; weit über ein Jahr waren etliche sogar in Untersuchungshaft.

Wenn jetzt das Verfahren durch Versäumnisse der Justiz sein vorläufiges Ende gefunden hat, könnte diese krasse Verletzung des Anspruchs auf ein zügiges Verfahren eine gute Grundlage bieten, etwa für Einstellungen oder Geld- bzw. Bewährungsstrafen. Gescheitert ist das bisher immer nur an der Staatsanwaltschaft Koblenz, die in dem Prozess so verbissen und uneinsichtig agiert hat, wie ich es in mehr als 20 Jahren Berufstätigkeit noch nicht erlebt habe.