Regel Nr. 1: Besser nichts sagen

Der Verdächtige im Mordfall Walter Lübcke hat sein Geständnis widerrufen. Davor gab es schon ein gewisses Hin und Her, das wohl mittlerweile in einem Verteidigerwechsel kulminiert ist. Allgemein zeigt der Gang der Ereignisse mal wieder, wie wichtig es ist, als Beschuldigter in einem frühen Stadium des Verfahrens doch eher zu schweigen.

Der Beschuldigte hatte zu keinem Zeitpunkt ernsthaft die Option, von der Untersuchungshaft verschont zu werden. Zu dicht war schon im Zeitpunkt seiner Festnahme die Beweislage. In so einer Situation sollte man eine Kosten-Nutzen-Relation aufmachen und sich dem durchaus menschlichen inneren Drang entziehen, nun „reinen Tisch“ zu machen. Zu gewinnen ist juristisch im Augenblick kaum etwas. Die gefühlte Befreiung von der emotionalen Last hält maximal bis zur Rückkehr in die Zelle. Bleibt als Argument für ein Geständnis vielleicht noch die vage Aussicht, dass ein Gericht mal anerkennt, das Geständnis sei sehr frühzeitig gewesen.

Allerdings lehrt meine Erfahrung, dass gerade spät abgelegte Geständnisse spürbarere Rabatte bringen. Das liegt einfach daran, dass auf dem Gericht ohne Geständnis zunächst der Druck einer aufwendigen Beweisaufnahme lastet. Diesen Druck kann der Angeklagte kurz vor oder zu Beginn der Hauptverhandlung natürlich lindern, indem er jetzt die Karten auf den Tisch legt. Das Gericht wird in der Regel dankbar sein, wenn es das ansonsten anstehende Programm um einen Großteil einschmelzen kann. Ein in grauer Vorzeit abgelegtes Geständnis ist dagegen längst in die Verfahrensplanung eingepreist.

Jedenfalls sollte man – ganz unabhängig vom konkreten Fall – nach meiner Erfahrung unbedingt so lange schweigen, bis sich der erste Nebel etwas gelichtet hat. Auch ein Verteidiger kann bei einem komplexen Fall in den ersten hektischen Tagen kaum absehen, welche Taktik am Ende zu bevorzugen ist.

Der Beschuldigte im Mordfall Lübcke steht jetzt doppelt schlecht da. Er hat nicht nur gestanden, sondern er hat dieses Geständnis auch noch vor einem Richter gemacht oder dort zumindest ausdrücklich bestätigt. Davon kommt man ohnehin kaum noch runter, wenn nicht krasse Fehler passiert sind. Aber formale Fehler von solchem Ausmaß sind beim Bundesgerichtshof und auch bei anderen Ermittlungsrichtern doch eher krasse Ausnahmen.

Mit anfänglichem Schweigen, das natürlich auch das gute Recht von weniger sympathischen Menschen ist, hätte es der Beschuldigte auch seinem neuen Anwalt etwas leichter gemacht. Der darf jetzt erst mal einen sehr, sehr hohen Scherbenhaufen aufkehren.