Bayerntrojaner: Behörden ignorieren rechtliche Vorgaben
Innenministerium muss Medaillenziele offenlegen
Niederlande fotografieren einreisende Autos
Bundesregierung sieht kein Recht auf Online-Demos
Why Putin Wants to Punish Pussy Riot
Vorhin konnte ich noch im Auto hören, wie der Leiter des Kölner Ordnungsamtes im Interview mit 1Live eine denkbar schlechte Figur machte. Er hatte allerdings auch eine undankbare Aufgabe, denn er sollte die neueste Steuer-Idee der Stadtverwaltung rechtfertigen. Diese plante ernsthaft, Warteschlangen vor Diskotheken, Geschäften, Kinos, Eisdielen und sogar Büdchen zu besteuern.
Der hörbar überforderte Beamte ließ sich sogar darauf ein, seelenruhig aus seinem neuen Tarifverzeichnis rauszusuchen, was künftig eine Zwei-Meter-Schlange vor einem Kiosk kostet (Moderator: “Ich habe alle Zeit der Welt”). So erfuhren wir immerhin, dass per Meter abgerechnet werden wird und schon eine ganze Stange Geld rumkommen kann.
Außendienstler, so kündigte der Beamte an, würden erst messen und dann Rechnungen schreiben, wenn sie auf Warteschlangen stoßen. Es stehe jedem ehrlichen Büdchenbesitzer aber auch frei, selbst einen Antrag auf nachträgliche Steuerzahlung einzureichen, sofern sich das Publikum bei ihm mal bis auf den Bürgersteig gestaut habe. Eine Verrechnung mit der Zeit, die man als Bürger auf Kölner Ämtern vertrödelt, sei nicht drin, beschied der Beamte auf Nachfrage des glucksenden Moderators. “Natürlich nicht.”
Das war schon witzig, aber sicher ist spätestens in diesem Augenblick die Notbremse gezogen worden. Oberbürgermeister Jürgen Rothers, berichtet nun der WDR, schaltete sich aus dem Urlaub ein und kippte höchstpersönlich die am Morgen bekanntgewordene Warteschlangen-Steuer. Diese hat jetzt womöglich die Chance, als Eintagessteuer in die Geschichte einzugehen.
Wer zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen wird, kann normalerweise die Fahrtkosten vom möglichen neuen Arbeitgeber verlangen. Auch wenn er die Stelle nicht bekommt. Eine Ausnahme gilt aber, wenn der Bewerber zwar anreist, die Firma aber nicht findet. Dann bleibt er auf den Kosten sitzen.
Ein Bewerber hatte geklagt, obwohl er gar nicht zum Bewerbungsgespräch gekommen ist. Nach seinen Angaben war er zwar in die Stadt gefahren, in der die Firma sitzt. Dort habe er aber die Adresse nicht finden können – auch sein Navi habe versagt.
Das Landesarbeitsgericht Mainz musste die Frage klären, ob dem Bewerber 61,80 Euro zustehen. Das ist nicht der Fall. In dem Urteil heißt es:
Es war Sache des Klägers, auf welche Weise er als Bewerber durch eine entsprechende Vorbereitung und Planung seiner Anreise nach C-Stadt sicherstellt, dass er rechtzeitig – ggf. durch Einplanung eines ausreichenden Zeitpuffers – zum Vorstellungstermin erscheinen kann.
Das Risiko, dass er trotz einer ihm übermittelten Anfahrtskizze und Einsatz seines Navigationsgeräts die Adresse der Beklagten nicht rechtzeitig findet, hat er selbst zu tragen.
Der Kostenerstattungsanspruch setzt nach Auffassung der Richter voraus, dass der vom Arbeitgeber gewünschte Erfolg eintritt. Das sei aber nur der Fall, wenn der Bewerber sich tatsächlich vorstelle. Die bloße Anfahrt sei für den Arbeitgeber schlicht wertlos.
Landesarbeitsgericht Mainz, Urteil vom 7. Februar 2012, Aktenzeichen 3 Sa 540/11
Der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick hat eine Gesetzeslücke ausgemacht. Er fordert, Spott und Hohn gegen Kirchen und ihre Gläubigen auch strafrechtlich zu ahnden. Er möchte also die Götteslästerung wieder ins Strafgesetzbuch schreiben. Dabei wurde einfache Blasphemie aus guten Gründen schon vor langer Zeit als Straftatbestand abgeschafft.
Die bischöflichen Forderungen fallen zeitlich zusammen mit dem Rechtsstreit, den der Papst gegen das Satiremagazin Titanic begonnen hat. Benedikt XVI. fühlte sich durch ein Cover der Zeitschrift verunglimpft und erwirkte eine einstweilige Verfügung wegen Verletzung seines Persönlichkeitsrechts. Hierbei geht es jedoch um die zivilrechtliche Seite. Über Knast für die Titanic-Redakteure wird da auf der Richterbank nicht nachgedacht. Das möchte Schick nun offensichtlich ändern.
Für den Bischof ist spaßige, kritische, vielleicht auch geschmacklose Auseinandersetzung mit Kirche und Glauben ein Angriff auf die Menschenwürde. Das ist juristisch eher halbgar – jedenfalls die Kirche kann sich als Institution schlecht auf die Menschenwürde berufen.
Aber unabhängig von solchen Grundsatzfragen scheint der Bischof kein Gespür dafür zu haben, dass wir in einem Staat leben, in dem die Meinungsfreiheit nicht nur bei Schönwetter gilt und dass es für einzelne gesellschaftliche (Rand-)Gruppen keinen Anspruch gibt, dass ihnen extra Regenschirme aufgestellt werden. Das kennt man sonst nur aus anderen Ländern, mit denen Deutschland lieber nicht in einen Topf geworfen werden will.
Überdies haben die Religionen längst eine Sonderstellung. Nach § 166 Strafgesetzbuch ist die Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen auch heute strafbar. Voraussetzung ist allerdings, dass die Äußerungen geeignet sind, den öffentlichen Frieden zu stören.
Auf dieses Korrektiv zu verzichten, mag der feuchte Traum von katholischen Oberen sein, die ihren alten Allmachtsansprüchen nachtrauern – für einen freiheitlichen Rechtsstaat sind solche Forderungen jedoch inakzeptabel. Das gilt gerade im Umgang mit Kirchen, die noch lange daran arbeiten müssen, um ihren Ruf auch nur einigermaßen wieder herzustellen. Ich erinnere – abgesehen von der ohnehin unrühmlichen Rolle der katholischen Kirche in jeder Phase ihrer Existenz – nur an den jahrzehntelang vertuschten massenhaften sexuellen Missbrauch von Kindern durch Priester und Kirchenmitarbeiter.
Daneben gibt es auch noch weitere Sonderparagrafen, welche die Kirchen besonders schützen. Strafbar sind die Störung der Religionsausübung und die Störung einer Bestattungsfeier. Wie man unschwer sehen kann, könnte das “Gastspiel” einer Band wie Pussy Riot in einer deutschen Kirche durchaus auch für unsere Staatsanwälte interessant sein. Schon das wäre vielleicht eher Anlass, mal über eine Abschaffung dieser Tatbestände nachzudenken. Gleiches gilt für den Fall des Bloggers Jörg Kantel, der wegen seiner Zustandsbeschreibung der katholischen Kirche als "Kinderficker-Sekte” angeklagt wurde.
Der Bischof hat eine eiskalte Abfuhr verdient.
Die Polizei hat heute das Occupy-Camp in Düsseldorf geräumt. Die Räumung blieb friedlich, weil sich beide Seiten redlich darum bemühten. Die Polizei war ohnehin nur ausführendes Organ. Die Stadt Düsseldorf hat auf Räumung bestanden.
Interessant finde ich die Begründung, warum Occupy in Düsseldorf den Platz in Sichtweite der Börse und der Bundesbank räumen musste. Die Ordnungsverfügung argumentiert vorwiegend bauaufsichtsrechtlich. Sie steht damit quasi in Frankfurter Tradition. Dort hatten die Behörden die Auflösung des Camps unter Hinweis auf ihre Grünflächensatzung gefordert.
“Rasen betreten verboten.” Auch wenn formell alles wahrscheinlich superkorrekt ist, halte ich es schon für bemerkenswert, welche Antwort hier auf vorwiegend junge und friedliche Menschen gegeben wird, die ihre Sorgen öffentlich ausdrücken. Auch wenn ihre Wortwahl mitunter forsch erscheinen mag, ist die geäußerte Kritik am Wirtschafts- und insbesondere dem Bankensystem alles andere als Esoterik. Dass es jedenfalls so nicht weitergehen kann, hören wir mittlerweile in jedem zweiten Tagesthemen-Kommentar.
Die Occupy-Leute können also schon mal nicht einfach als Spinner abgetan werden. Ich habe in Düsseldorf auch nichts davon gehört, dass jemand sich über sie beschwert hätte. Mit Ausnahme der Banker und Broker in der Nachbarschaft.
Aber selbst wenn wir es mit Durchgeknallten im klassischen Sinn zu tun hätten – reichen nicht schon 10 Prozent Nachvollziehbarkeit bei einem Anliegen, es ernst zu nehmen? Und mal darüber nachzudenken, ob das Demonstrationsrecht und die Meinungsfreiheit es mit etwas gutem Willen vielleicht möglich machen könnten, nicht die Bauordnung des Landes NRW und die allgemeine Gefahrenabwehrklausel in Stellung zu bringen. Weil es möglicherweise eine verdammte Notwendigkeit ist, dass die Dinge, die bei uns (und in Europa und in der Welt) schwelen, auch öffentlich wahrnehmbar thematisiert werden.
Auf den Punkt bringt es ein Bild von der heutigen Räumung. Behelmte Polizisten tragen einen Demonstranten aus dem Camp, der ein Schild im Mund hält. Aufschrift “Free Pussy Riot”.
Ich kann über die Ironie zwar lachen, aber nur trocken.
Ein Bewerber für den Polizeidienst darf nicht vom Auswahlverfahren ausgeschlossen werden, weil er an beiden Armen vom Schulterbereich bis zu den Unterarmen tätowiert ist. Dies hat das Verwaltungsgericht Aachen heute entschieden.
Das Landesamt für die Polizeiausbildung in Selm hatte den Bewerber abgewiesen.Die Behörde stellte sich auf den Standpunkt, deutlich sichtbare Tätowierungen seien mit der Neutralität eines Polizeibeamten nicht in Einklang zu bringen. Nach einem Erlass des Innenministeriums aus dem Jahre 1995 stellten Tätowierungen, die beim Tragen der Sommeruniform zu sehen seien, einen Eignungsmangel dar.
Das Verwaltungsgericht Aachen meint, dem Antragsteller dürfe nicht bereits die Gelegenheit genommen werden, das Testverfahren für die am 1. September 2012 beginnende Polizeiausbildung zu durchlaufen. Die ablehnende Entscheidung des Landesamtes mache nicht deutlich, welche konkreten Eignungsmängel dem Antragsteller vorgehalten würden.
Die Vorgaben eines 17 Jahre alten Erlasses dürften angesichts des gesellschaftlichen Wandels nicht ohne nähere Prüfung eine mangelnde Eignung begründen können. Ob in großflächigen Tätowierungen im sichtbaren Hautbereich tatsächlich eine "überzogene Individualität" zum Ausdruck komme, wie das Landesamt angenommen habe, müsse in einem Hauptsacheverfahren näher untersucht werden.
Ob der Antragsteller tatsächlich die Voraussetzungen für die spätere Übernahme in den Polizeidienst erfülle, kann nun im Auswahlverfahren festgestellt werden. Das Land hat die Möglichkeit, gegen den Beschluss Beschwerde einzulegen.
Verwaltungsgericht Aachen, Beschluss vom 31. Juli 2012, Aktenzeichen 1 L 277/12
Beim Verdacht auf Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten ist eine Identitätsfeststellung durch Polizeibeamte nur zulässig, wenn dem Betroffenen vorher gesagt wird, was ihm zur Last gelegt wird. Die Polizei darf also nicht erst nach den Personalien fragen und den Betroffenen zunächst im Unklaren lassen. Das geht aus einem Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm hervor.
Die Richters sprechen einen jungen Mann frei, dem Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte vorgeworfen wurde. Bei einer nicht angemeldeten Demo hatte er sich dem Zugriff von Polizeibeamten entzogen, als diese seine Personalien wegen eines möglichen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz aufnehmen wollten. Um was es geht, hatten die Polizisten dem Mann vorher nicht gesagt.
Laut Oberlandesgericht Hamm gehört es zu den “wesentlichen Förmlichkeiten” einer Identitätsfeststellung, dass dem Betroffenen vorher gesagt wird, was ihm zur Last gelegt wird. Hiervon gebe es nur wenige Ausnahmen.
Dazu gehöre etwa eine Situation, in der kein Zweifel an dem konkreten Vorwurf bestehe. Das ist aber zum Beispiel bei Verkehrsdelikten, wenn man rausgewunken wird, fast nie der Fall. Denkbar ist auch, dass der Ermittlungserfolg gefährdet wird oder die Umstände eine Information unmöglich machen. Das sind aber Ausnahmesituationen.
Im entschiedenen Fall durfte sich der Betroffene also aus dem Griff des Polizeibeamten winden. Das half ihm letztlich allerdings wenig, weil er daraufhin auf den Boden geworfen und gefesselt wurde. Immerhin entgeht der Mann nun aber einer Vorstrafe.
Auch wenn es nicht auf eine körperliche Auseinandersetzung hinausläuft, kann man das Urteil im Alltag verwenden. Die Polizei muss erst mal Farbe bekennen, worum es eigentlich geht. Erst dann muss man seine Personalien angeben oder den Personalausweis zeigen. Das kann durchaus eine interessante Diskussion ergeben…
Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 10. Mai 2012, Aktenzeichen III-3 RVs 33/12
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Was am Freitag noch mit Fragezeichen versehen werden musste, ist jetzt belegt. Der aktuelle Entwurf für ein Leistungsschutzrecht mutiert zu einer Lex Google. Für die Übernahme von Presseerzeugnissen sollen nur Suchmaschinen zahlen. Blogger, Nutzer sozialer Netzwerke und Firmen werden nach den derzeitigen Plänen des Bundesjustizministeriums nicht mehr erfasst.
Deutlich wird dies am PDF der aktuellen Fassung, das seinen Weg zum Beispiel in diese Dropbox gefunden hat. Schon die Anmerkungen zum Entwurf sind eindeutig:
Jedoch ist ein Schutz nur vor systematischen Zugriffen auf die verlegerische Leistung durch die Anbieter von Suchmaschinen geboten, da deren Geschäftsmodell in besonderer Weise darauf ausgerichtet ist, für die eigene Wertschöpfung auf die verlegerische Leistung zuzugreifen. Nicht erfasst werden deshalb andere Nutzer, wie z.B. Blogger, Unternehmen der sonstigen gewerblichen Wirtschaft, Rechtsanwaltskanzleien oder private bzw. ehrenamtliche Nutzer.
Die genannten Gruppen würden, so betont der Entwurf weiter, durch das Leistungsschutzrecht nicht berührt. Das scheinen keine leeren Worte zu sein, denn auch im eigentlichen Gesetzestext spiegeln sich die Vorgaben wieder. Dort heißt es:
Zulässig ist die öffentliche Zugänglichmachung von Presseerzeugnissen,
soweit sie nicht durch die Anbieter von Suchmaschinen erfolgt.
Diese klaren Worte zerstreuen auch Bedenken, dass die verantwortlichen Beamten möglicherweise jede normale Webseite zu einer “Suchmaschine” deklarieren wollen. Findet sich doch heute kaum ein Blog und schon gar kein soziales Netzwerk, das ohne Suchfunktion auskommt.
Aber das wäre angesichts der Anmerkungen doch eine sehr gewagte Auslege. Somit meint man es im Justizministerium anscheinend ernst und beschränkt den Kreis der Zahlungspflichtigen auf echte Suchmaschinen wie Google, Bing oder Yahoo.
Damit dürfte sich die Hoffnung der Verlage, doch noch nennenswert mit dem Leistungsschutzrecht Kasse zu machen, zerschlagen. Die potentiellen Rechnungsempfänger sind nur noch eine sehr überschaubare Gruppe. Und ausgerechnet auch noch eine, die sich Streit und Prozesse leisten kann.
Zudem sitzen Google & Co. am längeren Hebel. Sie können theoretisch deutsche Presseerzeugnisse mit ein paar Mausklicks aus ihrem Index verbannen. Eine Maßnahme, welche die Verleger extrem scheuen dürften. Denn bei vielen Publikationen sollen mittlerweile zwischen 30 und 50 Prozent des gesamten Traffics über Suchmaschinen kommen. Ein Wegfall dieser Besucher würde die Reichweiten der Seiten extrem drücken, was wiederum sinkende Werbeeinnahmen bedeutet.
Die Zahlen erklären auch die Zurückhaltung vieler Verlage, die angeblichen Texteklauer unter den Suchmaschinen von sich aus zu boykottieren. Durch einen simplen Eintrag auf der eigenen Webseite lässt sich Google nämlich aussperren – dafür braucht man kein Leistungsschutzrecht. Die Crawler des Unternehmens respektieren solche “Zutritt verboten”-Signale.
Dagegen hat Google bereits einmal gezeigt, dass man sich ungern von Verlegern an die Kandare nehmen lässt. In Belgien klagten Verlage gegen Google News und bekamen vor Gericht recht. Allerdings interpretierte Google das Urteil so, dass jede Indexierung von Verlagsinhalten unzulässig ist. Google entfernte alle Links auf belgische Presseprodukte – auch in der normalen Suche. Im Anschluss daran war das Wehklagen groß. Irgendwie hat man sich in Belgien wohl wieder vertragen, Zeitungen sind jedenfalls wieder im Index. Dass die Suchmaschine aber nun Geld an die Verlage zahlt, ist noch nirgends berichtet worden.
Die aktuellen Pläne aus Berlin stoßen demgemäß auf wenig Begeisterung bei der Verlegerlobby. In dieser Fassung sei das Gesetz schlicht inakzeptabel, twitterte Springer-Lobbyist Christoph Keese. Seine Kritiker ließen es sich daraufhin nicht nehmen, Keese nun euphorisch in den Reihen der vehementen Gegner eines Leistungsschutzrechts zu begrüßen.
Ob die Lex Google den Verlegern wirtschaftlich etwas bringt, ist nur die eine Frage. Die andere lautet, ob die Regelung überhaupt so zulässig ist. Bruno Kramm, Urheberrechtsexperte der Piratenpartei, sieht laut Zeit ein sogenanntes Einzelfallgesetz. Solche Regelungen untersagt die Verfassung.
140 Zeichen darf eine Nachricht auf Twitter höchstens haben. Das zwingt zur Zuspitzung – und kann dementsprechend Ärger geben. Ganz massiv traf es den Briten Paul Chambers. Er wurde wegen eines angeblich bedrohlichen Tweets, in dem er scherzhaft einen Anschlag auf einen Flughafen ankündigte, zu einer Geldstrafe verurteilt. Erst vor dem höchsten englischen Gericht wurde Chambers nun freigesprochen.
Fast drei Jahre dauerten die Verfahren wegen der fragwürdigen Äußerung. Chambers war im Januar 2010 zum Flughafen Doncaster gereist. Doch der war wegen Schneefalls geschlossen. Chambers twitterte sich seinen Frust von der Seele:
Crap! Robin Hood airport is closed. You’ve got a week and a bit to get your shit together otherwise I’m blowing the airport sky high!!
Etwa eine Woche später entdeckten Flughafenmitarbeiter den Tweet, empfanden ihn aber nicht als unmittelbar bedrohlich. Gleichwohl informierten sie die Polizei. Die Antiterroreinheit nahm Chambers fest, durchsuchte seine Wohnung und beschlagnahmte seine gesamte Hardware.
Das lokale Gericht verurteilte Chambers wegen einer “bedrohlichen Nachricht” zu einer Geldstrafe von 385 Pfund. Chambers verlor daraufhin seine Arbeit. Auch die Berufungsinstanzen verstanden keinen Spaß mit dem Angeklagten und bestätigten die Entscheidung.
Anders sahen es jetzt die Richter am High Court. Für sie war der Tweet eindeutig als Scherz zu verstehen. Die Richter verwiesen insbesondere darauf, dass das Flughafenpersonal die Äußerung selbst zutreffend als Scherz einordnete. Es sei widersprüchlich, eine Äußerung als “bedrohlich” im Sinne des Gesetzes einzustufen, wenn selbst die möglichen Adressaten sie nicht ernst nähmen.
Chambers und seine Anwälte hoffen jetzt, dass die Behörden in England nicht mehr so leicht harmlose Äußerungen mit Antiterror-Gesetzen “bekämpfen” können. Chambers Verteidiger brachte es auf den Punkt:
Now people can have a joke even if it’s a bad joke … this case should never have been prosecuted…
Auch andere Länder reagieren allergisch auf missverständliche Tweets. So musste ein britisches Pärchen eine Nacht im US-Gefängnis verbringen, bevor es nach England zurückgeschickt wurde. Der Mann hatte seine Urlaubsvorfreude ausgedrückt, indem er twitterte:
Free this week, for quick gossip/prep before I go and destroy America.
Die US-Behörden ließen sich auch nicht durch den Hinweis beeindrucken, dass “to destroy” umgangssprachlich verschärftes Partymachen bedeutet. Was sie auch daran hätten erkennen können, dass die Reisenden auch getwittert hatten, sie würden Hollywood unsicher machen und Marilyn Monroe ausgraben.
Doch Häme gegenüber den Sitten und Gebräuchen anderer ist nicht angebracht. Auch in Deutschland können missverständliche Tweets oder Facebookeinträge verfolgt werden. Bei uns heißt das Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten. Gerade Jugendliche sind in den letzten Jahren bestraft worden, wenn sie missverständlich über mögliche Amokläufe an ihren Schulen schrieben.
Bereits mehrere Male sollte das umstrittene Leistungsschutzrecht im Bundeskabinett verabschiedet werden. Einmal verschwand es kurzfristig von der Tagesordnung, das nächste Mal tauchte es trotz Ankündigung gar nicht auf. Nun zeichnet sich ab, warum es die Gesetzesvorlage bislang nicht in die Ministerrunde geschafft hat.
Das Bundesjustizministerium hat seinen Entwurf nämlich gründlich überarbeitet, berichtet heise online. Wichtigste Änderung: Das Leistungsschutzrecht soll nur noch für Suchmaschinen gelten.
Das wäre ein Paukenschlag. Der erste Entwurf hatte nämlich eher Gewicht auf Blogs sowie Präsenzen in Sozialen Netzwerken gelegt. Zu diesem Punkt war vehemente Kritik laut geworden. Insbesondere wurde befürchtet, dass die Meinungsfreiheit von Menschen, die ins Internet schreiben, beschnitten werden könnte. Anlass waren absehbare Abmahnwellen, mit denen die Verlage bewusste oder unabsichtliche Textübernahmen aus ihren Publikationen hätten verfolgen können.
Offenbar ist diese Kritik im Justizministerium gehört worden. Laut heise online heißt es im Begleittext zum neuen Entwurf, wegen neuer Rahmenbedingungen dürfe das Leistungsschutzrecht nur in begrenztem Umfang gewährt werden. Es werde sich deshalb nur gegen Suchmaschinen richten, weil diese “in besonderer Weise” auf die Arbeit der Verleger zurückgriffen.
Sollte der Bericht zutreffen, wäre dies ein herber Rückschlag für die Verleger. Es dürfte nämlich klar sein, dass sich insbesondere Google kaum zum Zahlesel machen lassen wird. Viel wahrscheinlicher ist, dass die mächtigen Suchmaschinen die Angebote deutscher Verleger einfach von sich aus nicht mehr indizieren; die deutsche Ausgabe von Google News würde vielleicht sogar dichtgemacht. Sollten Blogger und Nutzer Sozialer Netzwerke als Geldquelle ausfallen, wird sich in der Tat die Frage stellen, was das Leistungsschutzrecht den Verlegern überhaupt noch bringen kann.
Sofern das Justizministerium nun tatsächlich zurückrudert, wäre das ein weiterer Beleg dafür, welche Wirkung Aufklärung und Kritik aus dem Netz mittlerweile entfalten können. Wir müssen uns nicht verstecken, nicht mal vor Springer und seinen unermüdlichen Lautsprechern.
Die Freude war groß, als ein frischgebackener Hausbesitzer in Düsseldorf vor fünf Jahren bei Renovierungsarbeiten einen eingemauerten Kachelofen aufstemmte. Im Ofen fand er zwei Stahlkassetten. Inhalt: 303.700 Deutsche Mark, das entspricht 146.000 Euro. Die Begeisterung dürfte sich nun in Grenzen halten. Heute verurteilte das Landgericht Düsseldorf den Mann nämlich, das Geld den Erben einer früheren Eigentümerin des Hauses zu geben.
Im Rahmen des Prozesses hat sich das Gericht nämlich die Überzeugung gebildet, das Geld müsse der früheren Bewohnerin Martha S. gehört haben. Diese wohnte bis 1993 in dem Haus. 1971 hatte ihr Mann sein gutgehendes Teppichgeschäft auf der Düsseldorfer Königsallee verkauft. Die auch ansonsten sehr vermögende Frau hatte noch kurz vor ihrem Tod einer Zeugin gesagt: „Es gibt Menschen, die Geld im Kamin verstecken.“
Ein weiteres wichtiges Indiz war für das Gericht, dass die Banderolen der Geldscheine aus den Jahren 1971 bis 1977 stammten. Überdies habe die Frau immer mit ihrem Mann alleine in dem Haus gelebt. Eigentümer, die von 1993 bis 2008 in dem Haus wohnten, hätten überdies keine Rechte an dem Geld geltend gemacht.
Der Finder hatte behauptet, das Geld könne auch einem unbekannten Dritten gehört haben. Diesen Einwand hielt das Gericht angesichts der zahlreichen Indizien für nicht stichhaltig. Deswegen sprach das Landgericht Düsseldorf dem Finder auch einen “Schatzfund” im Sinne des Gesetzes ab. Geld sei nur dann ein Schatz, wenn der wirkliche Eigentümer nicht mehr zu ermitteln sei. Genau das sei aber nicht der Fall.
Der unglückliche Finder erhält nur einen Finderlohn von 5.000 Euro. Damit wird er aber noch nicht einmal die Prozesskosten decken können. Er muss jetzt überlegen, ob er gegen das Urteil Berufung einlegt.
Landgericht Düsseldorf, Urteil vom 27. Juli 2012, Aktenzeichen 15 O 103/11
Ein Rechtsanwalt darf den anderen nicht als “Winkeladvokaten” bezeichnen. Dies hat das Oberlandesgericht Köln entschieden. Nach Auffassung der Richter handelt es sich um eine Beleidigung, obwohl der Beklagte seine Äußerung in einem Rechtsstreit gemacht hat, bei dem der Nicht-Winkeladvokat den Prozessgegner vertrat.
Schon das Landgericht Köln hatte den Beklagten zur Unterlassung verurteilt. Die Berufung blieb nun erfolglos. So haben wir ein Urteil mehr, das zum schleichenden Verfall der Meinungsfreiheit in Deutschland beiträgt. Gleichzeitig wird wieder mal deutlich, wie eilfertig und gleichzeitig grundlos Gerichte mittlerweile beleidigten Leberwürsten zur Seite springen.
Das fängt schon damit an, dass der Beklagte niemals geschrieben hat, was ihm jetzt verboten wird. Er hatte in dem Prozess lediglich eine E-Mail an die Rechtsanwaltskammer vorgelegt. Darin kritisierte er, der Kontrahent gestalte den Außenauftritt seiner Kanzlei widersprüchlich. Mal trete er als Sozietät auf, dann wieder nur als Kooperation. Es sei da wohl nicht unsachlich, “eine solche geschickte Verpackung der eigenen Kanzlei … als ,Winkeladvokatur’ zu bezeichnen”.
Die Kölner Gerichte betrachten diese Formulierung kurzerhand als identisch mit der direkten Aussage, der betreffende Anwalt sei ein Winkeladvokat. Deshalb verbieten sie dem Beklagten auch ausdrücklich, seinen Gegner künftig “Winkeladvokat” zu nennen.
Dies widerspricht dem bislang geltenden Grundsatz, dass Unterlassung nur für das verlangt werden kann, was tatsächlich gesagt wurde. Die Gerichte erteilen also Unterlassungsrechtsschutz für künftige, denkbare Handlungen. Sie erweitern damit en passant ihren eigenen Spielraum. Und zwar dahingehend, dass noch mehr ausgelegt und hineingelesen werden kann – bis es dann schon passt. Eine bedenkliche Entwicklung.
Gravierender ist aber, mit welcher Leichtigkeit die Richter darüber hinweggehen, dass die Äußerungen in einem Rechtsstreit vorkamen. Ein Prozess ist seit jeher ein Forum, in dem Etikette zwar wünschenswert, aber schon der Ausgangslage her nicht immer durchzuhalten ist.
Vor Gericht stehen sich Interessen nun mal konträr gegenüber, und Rhetorik ist ein zulässiges Instrument der juristischen Auseinandersetzung. Deshalb sagt das Bundesverfassungsgericht auch in ständiger Rechtsprechung, dass vor Gericht Dinge noch durchgehen müssen, die außerhalb vielleicht schon ehrenrührig wären. Mit anderen Worten: Zu den Aufgaben von Anwälten gehört es auch, bei der Arbeit ein etwas dickeres Fell zu haben.
Überdies ist es in dem Fall noch nicht mal so, dass der Beklagte seine Äußerung ohne sachlichen Bezug gemacht hat. Nein, sie fiel eindeutig im Rahmen einer konkreten Kritik an der Selbstdarstellung seines Kontrahenten. Auch wenn das vielleicht mit dem eigentlichen Thema des Rechtsstreits nichts zu tun hatte, völlig unbegründet war die Verärgerung des Anwalts jedenfalls nicht. Es bestand auch noch ein sachlicher Bezug, da die Frage Sozietät / Kooperation sich durchaus auf die Vollmacht des anderen Anwalts auswirken konnte.
Bedenklich ist auch, wie einseitig das Oberlandesgericht Köln den Begriff des Winkeladvokaen auslegt:
Unter einem Winkeladvokat ist jedenfalls derjenige zu verstehen, der eine Sache entsprechend seinem Berufsstand nicht verantwortungsbewusst zu vertreten befähigt ist. Dies bedeutet, dass damit ein Rechtsanwalt gemeint ist, der eine mangelnde fachliche Eignung aufweist und dessen Zuverlässigkeit zweifelhaft ist.
Ferner ist darunter derjenige zu verstehen, der sich zwar noch im Rahmen des geltenden Rechts bewegt, aber dessen Grenzen in bedenklichem Maße austestet. Ein so bezeichneter Rechtsanwalt verhält sich dabei nicht nur in zulässiger Weise taktisch, sondern legt eine Verhaltensweise an den Tag, die „hart an der Grenze“ ist, um für seinen Mandanten etwas „herauszuholen“.
Dabei ist dem Rechtsanwalt jeder „Winkelzug“ recht, um das für seinen Mandanten günstige Ergebnis zu erreichen. Es geht also um den „gerissenen“ Rechtsanwalt, der bereit ist, sich bei der Berufsausübung über Vorschriften hinwegzusetzen und Recht zu verbiegen, wenn ihm dies zum eigenen Vorteil verhilft.
Ob den Richtern bewusst ist, wie oft sie sich alleine in diesen kurzen Absätzen widersprechen? Ist der Winkeladvokat nun der gerissene Taktiker? Oder jemand, der fachlich gar keine Ahnung hat? Geht er “hart an die Grenze” (was Mandanten üblicherweise und zu Recht von einem Anwalt erwarten)? Oder überschreitet er die Grenzen, in dem er sich über Vorschriften hinwegsetzt und Rechts verbiegt?
Solche argumentativen Schieflagen entstehen eben, wenn man bestrebt ist, Äußerungen immer nur nach dem denkbar negativsten Gehalt abzuklopfen. Richtiger wäre nach meiner Meinung gewesen, dass die nicht im luftleeren Raum gefallene Äußerung von der “Winkeladvokatur” etwas ist, was ein Prozessanwalt überleben können sollte.
Wir dürfen gespannt sein, was das Bundesverfassungsgericht dazu sagt.
Internet-Law zum gleichen Thema / OG Köln, Urteil vom 18. Juli 2012, Aktenzeichen 16 U 184/11